Kayleigh
Heute Nachmittag habe ich mal wieder neben meiner Mom gestanden und sie genervt: „Warum zum Teufel heiße ich Kayleigh?“ Mom erklärte es mir: „Keine Ahnung! Bitte, Kay, so schlimm ist dein Name nun auch wieder nicht! Ich weiß wirklich nicht, warum du so heißt, und dein Vater wusste es auch nicht! Eigentlich wollte ich dich ja Thea nennen, aber plötzlich stand auf deiner Geburtsurkunde Kayleigh. Es war meine Handschrift, und doch kann ich mir nicht erklären, wie der Name auf das Blatt kommt. Ich habe es jedenfalls nicht hingeschrieben, und dein Dad auch nicht“
Mein Daddy ist vor einem Jahr bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Mom redet ständig nur von ihm - und das nervt! Ich vermisse ihn sehr, bin aber nicht heiß darauf, ständig an ihn erinnert zu werden. Leider habe ich keine Geschwister. Luna, meine beste Freundin schon, und die behauptet immer, es wäre das schrecklichste, Geschwister zu haben. Keine zu haben ist noch viel schlimmer. Meine Mutter ist Buchhändlerin und besitzt ein Antiquariat. Ich mag den Geruch von Büchern sehr gerne. Deshalb habe ich mich dazu bereit erklärt, dort auszuhelfen. Mom liebt Virginia Woolf. Ihre absolute Lieblingsautorin. Sie erzählt mir ständig, dass in ihrer Jugend an ihren Zimmerwänden keine Poster, sondern Portraits von der Schriftstellerin hingen. Oh Mann, ich persönlich könnte ohne meine Poster nicht überleben.
Mom wollte schon immer Schriftstellerin werden, und natürlich ist ihr Vorbild die wunderbare Virginia. Deswegen heiße ich auch Kayleigh Virginia Ley. Schrecklicher Name, wenn man mich fragt. Da hieße ich schon lieber Thea! Das schlimmste an meinem Namen ist ja, das er sich reimt Ke-Le. Ziemlich seltsam, wirklich. Klingt irgendwie nach Marmelade.
Alle, die mich kennen, nennen mich Kay. Das hört sich besser an als Kayleigh.
Luna nennt mich auch manchmal Kayley. Diesen Namen mag ich am allerliebsten. Außerdem bedeutet er schlank, was ich wirklich gerne wäre. Kayleigh heißt Party. Ätzend – ich mag zwar Partys, aber als Name? Luna heißt Mond, dass klingt auch super.
Neulich habe ich mir aus Moms Buchhandlung ein Buch über Namensbedeutung und eines über Namensänderung „ausgeliehen“. Natürlich bringe ich die beiden wieder zurück, wenn ich sie fertig gelesen habe. Nur darf Mom nichts davon merken. Einmal hat sie mich erwischt, als ich heimlich einen Bildband über Frankreich mitgehen ließ, da wurde sie wirklich sauer.
Das ich es noch immer mache, weiß sie natürlich nicht. Hoffentlich beschwert sich nicht wieder ein Kunde über ein „altes“ Buch. Damals hat Mom nur gesagt, das sei „Komisch, komisch“ und dem Mann eine andere Ausgabe gegeben. Der war echt zimperlich.
Mom selbst heißt Robyn, was so viel wie Rotkelchen heißt. Witzig, irgendwie.
Einmal kam ich nach Hause und zwitscherte „Hi, Rotkelchen!“ Man, Mom guckte mich vielleicht verwirrt an. Als ich ihr die Bedeutung ihres Vornamens erklärte, brach sie in schallendes Gelächter aus, ich auch und dann mussten wir uns an die Arbeit machen, den Lachtränensee aus der Küche zu wischen. Mom ist keine Superhausfrau wie die Mum von Luna. Die wischt hinter jedem nach, meiner Meinung nach echt ätzend. Meine Mom ist eher eine Unter-den-Teppich-Kehrerin. Wirklich, sie kehrt den Dreck einfach unter unseren Perserteppich! Und ihr essen schmeckt leider gottes nach Spülmittel. Manchmal jammert sie, dass sie so gerne eine Putzfrau hätte. Eigentlich kann ich das ganz gut verstehen.
Gwendolin
Ich mag meinen Namen irgendwie nicht. Deshalb nennen mich alle Gwen. In meiner Klasse hat überhaupt jeder einen Spitznamen. Meine besten Freundinnen Nora und Rory heißen No und Ro...
Eigentlich haße ich Schule und die ganze Lernerei. Aber ich treffe dort meine Freundinnen und Psychologie mag ich sehr gerne. Am ersten Schultag habe ich mir meinen saphirgrünen Polster mitgenommen und auf meinen Sessel gelegt. Wenn ich sitze, lege ich mir immer eine ebenso grüne Decke über die Beine. Die gleich Farbe wie meine Augen. Manche Leute sagen, sie sehen so aus wie Katzenaugen.Grün ist meine Lieblingsfarbe.
Meine Katze Kat hat die gleiche Augenfarbe wie ich. Und meine Haarfarbe hat sie auch, rotbraun. Ich habe sie sehr gern. Manchmal habe ich das Gefühl, sie sei ein verzauberter Mensch. Wenn ich schlafe liegt sie an meinem Fußende und mauzt mich in den Schlaf. Wunderbar. Meine Mumy kann das nicht verstehen. Sehr oft steht sie frühmorgens gestresst in meinem Zimmer und murmelt: „Wie kannst du das nur aushalten, Gwendolin! Ich hätte schon längst durchgedreht, wenn meine Katze in einem fort mauzen würde!“
Mumy ist die einzige, die mich nicht Gwen sondern Gwendolin nennt.
Kat liebt aber nicht nur mein Bett, sondern auch mein Bücherregal. Hinter fünf dicken Wälzern über den Garten hält sie sich oft versteckt. Ich beschäftige mich gerne mit Gärten. Deshalb habe ich meinen eigenen. Dort wachsen rote und weiße Rosen, jede Menge Klee, Lavendel, Apfelbäume, Himbeer, Brombeer und Blaubeerhecken und eine unmenge an verschiedenen Gräsern. Natürlich bin ich sehr stolz auf meinen Garten. Ich liebe es, auf der Steinbank ganz hinten, im Schatten einer riesigen Weide zu lesen. Am liebsten lese ich Bücher über Psychologie, Philosophie, Garten oder Länder. Oder Romane.
Mein Lieblingsland ist England. Ich mag lieber kältere Temperaturen.
Leider ist mir auch oft kalt. Deshalb decke ich mich in der Schule ja auch immer zu. Bei mir ist es allerdings nicht so, dass mir von Bewegung warm wird, bei mir ist es das lesen!
Außer Kat, Mumy und mir leben in unserem Haus noch Ambra (eine giftgrüne Schlange), meine Schwestern Jade und Teddilee, unser Hund Coy und Paps.
Paps ist irgendwie ziemlich seltsam. In letzter Zeit steht er in der Früh gar nicht auf, sondern lässt sich von Mumy das Frühstück ans Bett bringen. Er ist Therapeut und ich kann mir irgendwie gut vorstellen, dass er seinen Job verloren hat.
Im zweiten Namen heiße ich Saphir. Gwendolin Saphir Huligan. Mumy hat mich schon mit 17 Jahren bekommen. Nora und Rory finden das cool, weil sie denken, Mumy wäre mehr eine Freundin als eine Mutter für mich. Weil sie ja erst 31 Jahre alt ist. Stimmt leider nicht.
Jade ist 5, Teddilee ist 8, ich bin 14.
Manchmal haße ich sie alle. Teddy nervt mit ihren Zeichnungen, Jade muss ständig zum Kindergarten gebracht und abgeholt werden, Mumy hat das Burn-Out Syndrom und Paps macht mich mit seinem dummen Hab-Euch-Ja-Alle-So-Lieb-Getue.
Deshalb sitze ich oft stundenlang alleine auf dem Fensterbrett meines Zimmers, auf meinem Bett oder in meinem Garten. Leider nervt mich nur immer unsere Nachbarin Beryll Contray. Immer zu fliegt entweder „ganz unabsichtlich“ ihr Gartenarbeithandschuh in hohem Bogen in unseren Garten, oder ihr kleiner „süßer“ Rottweiler Gey hat mal wieder ein Loch in unserem Zaun gefunden und da das für mich zu gefährlich sei, solle ich doch bitte ins Haus gehen...
Sie ist wirklich sehr verrückt, aber irgendwie tut sie mir leid, weil ihr Mann doch im Frühling starb.
Muriel
Meine Mére sagt, es sieht komisch aus, dass ich mir die Haare schwarz färbe. Mére ist meine Mutter und weil sie Frankreich liebt und wir dort auch ein Ferienhaus haben, nennen meine Geschwister und ich sie Mére.
Ich habe fünf Geschwister, 2 Schwestern und 3 Brüder. Und ich bin die jüngste. Leider. Aber ich verstehe mich gut mit meinen Schwestern. Laufey und Verce sind wirklich nett. Und auch sie färben sich die Haare schwarz.
Ich habe an meinem 12. Geburtstag damit begonnen. Passt gut zu meinen grünen Augen. Natur sind meine Haare rötlich. Das gefällt mir zwar auch, aber schwarz, einfach himmlisch.
Mére hat rötliche Haare. Sie findet, es sei eine Schande, dass ich mir meine Haare, die die gleiche Farbe haben wie ihre, schwarz färbe. „Das färbt noch ab!“, schimpft sie nicht selten mit französischen Akzent. Sie ist Immobilienmaklerin, was auch der Grund für unser großes Haus ist. Unser Tad, der ebenfalls auf diesen Namen besteht, weil er Walse ist, ist Tennislehrer. Von ihm habe ich nicht meinen etwas molligen Körperbau geerbt.
Meine Lieblingsfarbe ist dunkelblau. Sowie das Meer. Ich liebe es. Es ist so glitzernd blau, funkelnd, strahlend, wunderbar. Wie ein Gedicht.
Alle meine Bücher haben einen dunkelblauen Umschlag aus Seide. Habe ich einmal auf einem Flohmarkt einer uralten Frau abgekauft, auf deren Begräbnis ich 2 Wochen später gehen durfte. Ich sammle Gedichtebände. „Das macht dich zu etwas besonderem. Ein bisschen français“, kichert Mére oft. Sie redet überhaupt ziemlich viel. Auch viel Stuß. Leider. Aber es ist witzig mit ihr. Tad ist ja oft nicht zu Hause, weil er irgendwo auf diesem Planeten Erde Tennisunterricht a´la Jace gibt. Laufey, Verce, meine Brüder Flavio, Bender und Tyreece, Mére und ich machen es uns aber auch zu 7. gemütlich. Dann sitzen wir auf der dunkelblauen Couch in meinem Zimmer, essen Rosenschokolade a´la Avery, sehen alte Seifenopern auf meinem schwarz-weiß Fernseher und gucken Fotoalben an.
Und natürlich decken wir uns mit einer dunkelblauen Seidendecke zu. Am Wochenende bleiben wir meist den ganzen Tag im Pyjama. Klingelt es, gehen wir einfach nicht hin.
Ich finde unsere Familie ziemlich schräg. Jeden Mittwoch kommt Méres Mutter Dorothea Mamie zu Besuch. Sie isst immer nur Salat mit Radieschen, klagt darüber, dass die Zeit so schnell vergeht und das schon bald Weihnachten ist (obwohl gerade vor einer Woche Ostern war). Außerdem unterhält sie sich liebend gerne über Tad (den sie nicht ausstehen kann), Fußball (was sie ebenfalls nicht leiden kann) oder ihren Grabstein. Fängt Mamie mit diesen Geschichten an, tut Mére so, als würde sie sich übergeben und verdreht die Augen.
Natürlich so, dass Mamie es nicht sieht. Eigentlich verstehe ich nicht, warum sie Tad nicht mag. Sie hat ihn erst einmal gesehen, und das war auf Méres und Tads Hochzeit. Das ist schon ganze 20 Jahre her.
Ich kann Mamie gut leiden. Sie schenkt mir zum Geburtstag immer wunderschöne dunkelblaue Möbel, die mir in meiner Sammlung noch fehlen und Gedichtbände.
Manchmal besuch ich sie auch. Dann gibt es frisch gebackenen Kuchen oder Kekse.
Tag der Veröffentlichung: 23.12.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für alle, die so wie Kayleigh, Gwen oder Muriel sind.