Cover

13 Jahre alt – das war bisher meine größte Sehnsucht gewesen. Ich schätze, an dem Tag, an dem man 13 wird, öffnet sich eine Art Vorhang. Kann aber auch sein, dass einem ein 3. Auge wächst, beziehungsweise ein 3. Mund....
Meine Freundinnen sagen oft, dass ich jetzt vollkommen durchdrehe. Das sagen übrigens auch meine Eltern, meine Lehrer und wetten, wenn die Stars mich kennen würden, würden sie dass auch finden? Mom machte gestern eine Anspielung darauf, mit mir zum Psychologen zu gehen, dabei ist sie selber auch nicht besser.
Ihr Problem ist nämlich, dass sie zwei durchgeknallte Freundinnen hatte, die fast so abgedreht waren wie sie. Nicky und Parvin. Die zwei waren wie Himmel und Hölle. Nicky hatte hellblonde Haare, trug hauptsächlich blau-silber-weiß, hellblaue Augen, die sie sich nur ganz leicht schminkte und einen Beagle namens Gary. Sie war sehr groß. Egal wohin sie ging, immer hatte sie ihr silbernes XXL-Bag dabei. Einmal wollte Mom wissen, was Nicky darin aufbewahrte. Diese ließ ihr einen Blick hinein gewähren. Darin war nichts.
Parvin war das Gegenteil. Sie war klein und sehr (ich betone das sehr!) unsportlich. Ihre Haare färbte sie schwarz und passend dazu wurden auch die Augen schwarz umrandet. Parvin trug überhaupt nur schwarz. Im Gegenteil zu Nicky hatte auch sie eine Handtasche, allerdings etwas kleiner als Normalgröße und diese war gefüllt, mit allem was Parvin zum überleben brauchte. Von Parfüm hinweg über eine uralte verschimmelte Wurstsemmel bis zu einem Hochzeitskleid für Hunde befand sich alles darin.
Kennengelernt hatten sie sich durch ein wahnsinniges Missgeschick. Als erstes hatte Mom Nicky bei einem Speeddating (ich betone das Dating!) getroffen. Mom und Dad waren nämlich geschieden und seit der Trennung besuchte meine Mutter regelmäßig solche Dates.
Und eines tages nach einem Wechsel saß auf einmal Nicky ihr gegenüber. „Hi, mein Name ist Nicky Sommer und ich bin 29 Jahre alt .... blablabla...“, plapperte Nicky drauf los. Da merkte sie plötzlich, dass ihr gegenüber gar kein Mann, sondern Mom saß. „Ähm... Ich fürchte fast, du sitzt in der Männer Reihe“, hatte Mom gelächelt, doch da lag sie leider falsch. Sie war die jenige, die in der Männerreihe saß! Als das Speeddating endlich zu Ende war, bekam Mom wie immer einen Bogen, bei dem sie ankreuzen durfte, mit wem sie Kontakt halten wollte. Und Mom kreuzte keinen einzigen Mann an, sondern schrieb quer über den Bogen Nicky Sommer. Diese machte das zufällig auch. Bald darauf trafen sie sich wieder.
So entstand die seltsame Freundschaft zwischen Mom und Nicky. Aber ich fürchte fast, die von Parvin war noch schlimmer:
Meine Klasse hatte in Deutsch auf, der besten Freundin seiner Mutter einen Brief zu schreiben. Natürlich wollte ich Nicky nehmen. Auf einmal klingelte das Telefon. Mom hob ab. Es war Parvin, die sich verwählt hatte. „Tut mir leid, ich fürchte, sie haben sich ver...“ weiter kam Mom nicht. Ich rief nämlich aus meinem Zimmer. „Mom? In welcher Straße wohnt Nicky?“ Und Mom antwortete. Natürlich konnte das auch Parvin hören.
Am nächsten Tag klingelte es an unserer Haustüre. „Parvin Blume stand vor kurzer Zeit vor meiner Haustüre und meinte, gestern habe sie sich verwählt und ich habe ihr meine Adresse gesagt“, lachte Nicky. Natürlich hatte sie gewusst, dass Mom dafür verantwortlich war. Parvin war wirklich eine neugierige Nase.
Mom, Nicky und Parvin waren leidenschaftliche Berufswechsler. Einmal hatte Nicky die Idee gehabt, einen Vergnügungspark für Fantasiebegeisterte 3-jährige zu bauen. Die drei hatten ein halbes Jahr daran gearbeitet (in dem sie Ideen auf einen Collegblock kritzelten) und dann aufgegeben. Als nächstes wollte Parvin ein Hochzeitsservice. Dieses wurde fertig, doch leider meldete sich in einem Jahr nur eine alte Dame, die eine Hundehochzeit wollte (was Mom und ihre Freundinnen leider ablehnten, ich hätte meinen Spaß gehabt), fünf Frauen und Männer aus dem Irrenhaus, die eine Hochzeit absagen wollten, die gar nicht geplant war und tausende Scherzanrufe. So gaben sie auch dieses Unternehmen auf. Als letztes hatte Mom eine Idee für einen Frauennotruf. Das Trio richtete sich im Keller von Nickys riesiger Villa ein Funkstudio ein und nahm Anrufe entgegen. Bisher haben sie noch diesen Job, aber sicher fällt ihnen demnächst etwas neues ein. Hoffentlich kommen sie nicht in den Pausen in meine Schule und heitern Schüler auf, die böse oder traurig treinschauen. Auf so was kann ich nämlich gut und gerne verzichten.
Mom, meine Schwester Laurie und ich wohnten in einem supertollen Haus, dass mein Vater entworfen hat. Mein Dad ist nämlich Architekt, aber wenn mich jemand nach seinem Beruf fragte, sagte ich viel lieber, dass mein Dad „Häuserdesiner“ sei.
Laurie ist 17 und findet auch, dass Mom durchgeknallt ist. Manchmal sagt sie, sie will beim Psychologen eine Gruppentherapie für unsere Mutter, Nicky und Parvin buchen. Und sie meint auch immer, dass Mom in der Midlifecrises steckt. Aber sie ist erst 36 Jahre alt und bekanntlicher Weise bekommt man diese Phase erst Mitte 40 bis 50.
Ich mag Laurie sehr gerne. Sie ist für mich wie eine gute Freundin und eine Ersatzmutter zugleich. Mit ihr kann ich über alles reden und ihr wirklich ausnahmslos alles erzählen.
Laurie führt Tagebuch (ich übrigens auch) und lässt mich gelegentlich darin lesen. Auch Mom hat ein Tagebuch. Aber wir dürfen nicht einmal den Cover bewundern.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 23.12.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle, die 13 Jahre alt sind oder es zumindestens schon bzw. wieder wären.

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