Cover

„So Kinder, ihr müsst das Rechteck genau zeichnen. Prima Judith. Nehmt euch an ihr ein Beispiel!“, rief die alte Lehrerin laut um das Getratsche zu übertönen.
Der armen Judith stieg die Röte ins Gesicht. Sie trug ihr langes, dunkelrotes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden und die restlichen lockigen Haare hingen links und rechts herunter. Ihre blauen Augen hatte sie meist versteckt, doch heute nicht. Janet, ihre rotblonde Sitznachbarin, die ihr Haar kinnlang und mit Haarreifen zurück gesteckt trug beäugte sie mit ihren blauen Augen mitleidig und flüsterte: „Die olle Müller hat mal wieder einen tollen Tag.“ Judith nickte, ließ die Professorin aber nicht aus den Augen. Prof. Müller stand an der Tafel und kritzelte mathematische Formeln darauf. Ein Raunen ging durch die Klasse. Die Lehrerin warf einen strengen Blick durch die Runde, worauf alle Kinder verstummten. Sie taten das nicht etwa aus Furcht, nein sie wollten die Alte bloß necken. Prof. Müller trug wieder einmal ihre Oma-Kleidung. Sie bestand aus einem gepunkteten rosa Rüschenkleidchen und braunen verwaschenen Stiefeln. Die weißen Haare hatte die Lehrerin hochgesteckt, nur ein paar Strähnen vielen ihr ins Gesicht. Auf der Nase saß ihre Brille, mit den runden Gläsern. Judith ließ ihre Augen durch die Klasse schweifen. Plötzlich zischte jemand hinter ihr: „Alte Krähe.“
Sie drehte sich blitzschnell um und sah in die giftgrünen Augen von Lea Walder.
Das Mädchen hatte ihr kurzes blondes Haar zerzaust und hinter die Ohren geschoben. „Nicht du, nur der Mathematikmüll“, flüsterte sie. Judith nickte und schmunzelte über den Spitznamen, den Prof. Müller schon seit drei Jahren hatte. Auch Janet war das Gemurmel nicht entgangen. Sie nahm ihr Mathematikheft und riss eine Seite heraus. Mit einem Bleistift kritzelte sie darauf:

Die Müller ist ne alte Krähe
Mit ner Mathematikzehe
Sie ist ein Mathematikmüll
Und hüllt sich ein mit feinem Tüll

Sie knüllte den Zettel zusammen und reichte ihn nach hinten. Lea fing ihn geschickt auf und faltete ihn geschickt auseinander. Janet beugte sich nach hinten um das Grinsen ihrer Freundin zu sehen. Zu ihrer Überraschung lachte diese nicht. Ihr war der Zettel auf den Boden gesegelt und die blauäugige Iris Korn hob ihn geschwind auf und zeigte auf. Janet wollte am liebsten im Erdboden versinken. „Diese bescheuerte Iris. Warum muss die uns immer verpetzen?“, dachte sie verärgert. Schon nahm Prof. Müller die braunhaarige Iris, die ihr Schulterlanges Haar brav zurück gekämmt trug, an die Reihe. „Bitte Frau Professor. Ich habe diesen Zettel Lea abgenommen und gesehen das er von Janet kam!“, rief sie wichtig tuerisch. „Zeig mal her“, sagte die Alte und nahm ihr den Zettel ab.
Sie warf einen Blick auf das Gekrakel und schüttelte den Kopf. „Ich kann das bei Gott nicht lesen“, murmelte sie und schob die Brille zurecht. Janet wollte schon aufatmen, da sagte die Professorin an sie gewandt: „Lies doch vor, was du da geschrieben hast. Es ist sicher nichts schlimmes, oder?“ Janet zuckte mit den Schultern und nahm den Zettel in die Hand. „Oh Gott, soll ich etwas falsches vorlesen? Oder das richtige eingestehen?“, fragte sie sich und entschiedt sich dann für die erste Version. Mit angehaltenem Atem lauschte sie ihren Worten.
„Freust du dich auch schon so auf die Sommerferien? Ich könnte in die Luft springen vor Freude. Nur vor dem Zeugnis habe ich Angst. Deine Janet“, las sie vor. Prof. Müller schüttelte noch einmal den Kopf und wollte den Zettel ins Altpapier stecken, da rief Iris: „Halt Professor! Janet hat gelogen, da steht etwas anderes!“ Prof. Müller gab der Petze den Zettel und ließ sie vorlesen.
Diese las voller Arroganz: “Die Müller ist ne alte Krähe, mit ner Mathematikzehe,
sie ist ein Mathematikmüll, und hüllt sich ein mit feinem Tüll.“ Die Lehrerin runzelte die Stirn und wandte sich an Janet und Lea: „Normaler Weise würdet ihr jetzt eine Strafe bekommen, vor allem du, Janet, weil du den Zettel geschrieben und mich auch noch angelogen hast. Da aber Schulschluss ist lasse ich das noch einmal durch gehen und es gibt nur eine Strafe.“
„Und wer erhält die?“, fragte Iris gespannt. „Du. Petzen ist das schlimmste, das ich mir in der Klassengemeinschaft vorstellen kann. Ich will das du ein A4 Blatt schreibst: Ich soll meine Klassenkameraden nicht verpetzen“, erwiderte die Alte streng. Iris erschrak sehr und wurde ganz rot im Gesicht. Dann funkelte sie Janet, Lea und Judith böse an.
Janet konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen: „Das geschieht der alten Petze nur recht. Immer zu muss sie uns verpetzen.“ Auch Judith musste lachen. Und Lea atmete erleichtert auf. Endlich läutete es. Alle Schüler riefen: „Pause!“ Und rannten die alte Müller fast nieder. Auch Judith, Lea und Janet sprangen auf und beeilten sich ihre Sachen in die Taschen zu bekommen. Prof. Müller ließ die Rollos hinunter und löschte die Tafel. Janet lief auf die Alte zu. „Frau Prof. Müller!“, rief sie. Die Lehrerin wandte sich suchend um: „Was ist denn, Janet?“
„Ich wollte mich wegen des Zettels entschuldigen. Das war nicht so gemeint. Sie sind eine außerordentlich gute Professorin!“, keuchte Janet. „Meinst du? Ich war als Kind auch immer nie still im Unterricht. Immer musste ich Zetteln schreiben. Das mochten meine Lehrer gar nicht. 5-mal mussten meine Eltern zu einem Gespräch in die Schule kommen. Ich bereitete ihnen viel Kummer und Sorgen.
Tut mir Leid, Janet aber ich muss mich jetzt beeilen“, erzählte sie und wollte neben der Tafel aus der Klasse gehen. „Halt Professor! Weg von der Tafel!“, schrie Janet plötzlich.
Die Lehrerin wandte sich verwundert um und sah auf die fallende Tafel.
Sie versuchte auf die Seite zu springen – doch es war zu spät.
Die Tafel viel mit vollem Karacho auf die Alte, welche wie verrückt kreischte, und schlug sie nieder.


Eine halbe Stunde später standen Janet, Lea und Judith in der Aula. Eine ganze Gruppe von anderen Mädchen umringte sie. Die Mädchen hatten nach dem Unfall der Professorin sofort die Rettung angerufen und diese war mit Prof. Müller ins Spital gefahren. Nun wollten alle die Story genau wissen.
Plötzlich wurde es in der ganzen Aula still. Die Direktorin Frau Mag. Scheer war gekommen. Jedes Jahr übergab sie den Schülern und Schülerinnen ihre Zeugnisse. Lea, Judith und Janet ließen sich auf den Holzstühlen nieder und lauschten der langweiligen Rede der Direktorin. Sie berichtete über das vollendete Schuljahr und über die Projekte der einzelnen Klassen. Auch erwähnte sie den bedauernswerten Unfall der Frau Prof. Müller. Endlich holte sie das erste Zeugnis aus ihrer Tasche. „Iris Korn“, rief sie in die Runde und Iris erhob sich und ging mit der Nase nach oben zur Direktorin. Weil sie ihre Nase so hoch trug, bemerkte sie nicht, dass der Teppich unter ihren Schuhen eine Falte schlug, und viel der Länge nach hin. „Aua!“, schrie sie und streckte ihren Arm in die Höhe, in der Hoffnung, jemand wolle ihr auf helfen. Doch niemand erfüllte diese Bitte. Iris sprang auf die Beine und ging hinkend weiter.
Die Direktorin lächelte ihr zu. „Dein Schuljahr war sehr erfolgreich. Du bist die Klassenbeste. Lauter Einser“, sagte sie und drückte ihr das Zeugnis in die Hand.
Stolz ging sie wieder auf ihren Platz. „Streberin“, zischte Lea. Iris hatte es scheinbar nicht gehört, sie war tief in ihr Zeugnis versunken. „Und schon muss sie das Zeugnis auswendig lernen, sie ist ja der Liebling aller Lehrer und das will sie ja auch bleiben“, flüsterte Janet. Judith und Lea warfen ihr einen mitleidigen Blick zu. Nun kam Lea an die Reihe. „Lea Walder, dein Schuljahr war nicht gerade hervorragend. Dennoch hast du erwiesen, das die Klassengemeinschaft mit deiner Hilfe zusammenbleibt. Du hast zwei Vierer, vier dreier und der Rest sind zweier und ein Einser in Geschichte. Lea schüttelte der Mag. Scheer die Hand und lief dann zu Janet und Judith zurück. „Ich habe 2 Vierer! Ist das zu glauben? In Mathe und Chemie. Mein Vater bringt mich um, er war ein Mathegenie“, keuchte sie.


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 23.12.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle, die keine Streber sind.

Nächste Seite
Seite 1 /