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Alles begann, als die Familie Zill Post bekam. Alle wunderten sich sehr, denn sie hatten noch nie Post bekommen. Als die älteste Tochter Junie, die eigentlich June heiß, jedoch das Kuvert genauer betrachtete, fiel ihr auf, dass es gar nicht an Familie Zill adressiert war, sondern an Familie Rotschwanz, die Nachbarn. Enttäuscht trug sie das Kuvert zu ihnen. Frau Rotschwanz war eine seltsame Frau. Eigentlich gab es zwei Frauen Rotschwanz. Die alte und die junge. Die junge hatte den Sohn der alten geheiratet. Die alte trug ihr weißes Haar immer zu einem Knoten aufgesteckt. Junie fand, die junge Frau Rotschwanz machte ihrem Namen alle Ehre. Sie trug nur rotes Gewand und hatte sich die Haare rot gefärbt. Die alte hingegen trug nur schwarz und jammerte den ganzen Tag, und da die Familie Rotschwanz immer alle Fenster offen hatte, hörte man es im Garten der Zills wunderbar. Die Zills fanden das allerdings nicht so schön, im gegenteil zu den Zauns, die auf der anderen Seite der Familie Rotschwanz wohnte. Herr Zaun war ein alter, zorniger Mann. Er war früher mit der alten Frau Rotschwanz verheiratet, damals hieß sie Frau Zaun. Doch dann heiratete sie Herr Rotschwanz, der mittlerweile gestorben war. Nun waren die alte Frau Rotschwanz und der alte Herr Zaun verfeindet. Herr Zaun hatte schon Anzeige wegen Ruhestörung erstattet.
Gewiss, Junie hielt es auch nicht mehr aus. Aber mit ihren lächerlichen fünfzehn konnte sie auch nichts dagegen unternehmen. Junie war oft draußen. Schon als sie drei war, buk sie im Garten Sandkuchen. Ihre Eltern mochten die Rotschwanzs nicht besonders, aber sie hatten auch nichts gegen sie.
Als Junie bei Familie Rotschwanz klingelte, öffnete die alte Frau Rotschwanz. „Ach Kind, in deinem Alter muss man sooo glücklich sein. Du hast keine Sorgen, im Gegenteil zu mir. Bald kommt der duuunkle Toood und verschluckt mich, genauso wie meinen lieben Norbert. Ach, ich vermisse ihn so...“, erzählte die Alte. Junie unterbrach Leute nicht gerne. Aber manchmal konnte sie einfach nicht anders, denn die Alte hätte sicher noch Stunden lang weiter gequatscht. „Ähm, in unserer Post lag ein Kuvert und das war eindeutig an ihre Familie adressiert“, sagte Junie. Frau Rotschwanz guckte sie verwundert an und machte dann aber ein verärgertes Gesicht. „Ach, diese Post. Früher war sie immer viel genauer. Heute kamen bei uns schon fünf Falschbriefe an, fast so viele wie richtig adressierte“, seufzte Frau Rotschwanz. Junie dachte, dass die Alte sich freuen konnte. Sie bekam Post. Über fünf Briefe. Junies Familie bekam nie Post. Wieso eigentlich? Junie wusste es beim besten Willen nicht. Vielleicht sollte sie mal zur Post gehen und nachfragen. „June Zill, was machst du bei den Rotschwanzs? Komm sofort, dass Mittagessen ist fertig!“, rief Thea Zill, Junies Mum. Gehorsam verabschiedete sich Junie bei der Nachbarin und lief zu ihrer Mutter. Thea musterte ihre Tochter. „Was ist bloß los mit dir? Du gehst freiwillig zu unseren Nachbarn, die du nicht leiden kannst?“, fragte sie verwundert. Junie erklärte ihr die Sache mit dem Falschbrief. „Omi kommt am Nachmittag“, teilte Thea ihrer Tochter mit. Junie freute sich immer über Omis Besuche. Sie war eine alte Dame, aber noch nicht so alt wie die alte Rotschwanz. Außerdem war sie ungefähr das Gegenteil von der Nachbarin. Sie war voller Lebensfreude. „Junie, träum nicht schon wieder!“, lachte Thea und zog ihre Tochter ins Haus. Der Tisch war bereits gedeckt und es duftete gut nach Spaghetti, Junies Lieblingsspeise. Das Geschirr war neu. Ihr gefiel das Geschirr. Es war königsblau und weiß gemustert. Das silberne Besteck mit den blauen Griffen lag daneben, das Tischtuch war weiß und unter jedem Teller lag eine königsblaue Platzdecke. Junie ging in die Küche. Auf dem Herd stand ein Topf voller Spaghetti. Sie hob den Deckel und schnupperte. Ihre Mutter war eine hervorragende Köchin. Den Rest des Haushaltes konnte sie nicht. Deshalb hatten die Zills eine Putzfrau. Sie war sehr genau, aber nicht nett. Johanna hieß sie.
Thea nahm den Topf und trug ihn auf den Tisch. Dann rief sie laut: „Mittagessen ist fertig! Wer nicht kommt muss schauen, was übrig bleibt!“ Junie nahm Platz. Sie legte ihre Hände auf die Platzdecke. Mum hatte sie sicher mit Weichspüler gewaschen. Junie liebte Weichspüler, genauso wie ihr Vater und ihre Geschwister. Thea hasste ihn, aber sie sagte immer, dass es ja die Hauptsache sei, dass es die anderen mochten, und sie war ja egal. Dann kamen Junie, ihr Paps und ihre Geschwister an Mams Bett, wo sie sich immer verkroch, wenn sie sich benachteiligt fühlte und trösteten sie. Und nachher buk die ganze Familie Zill einen Zuckerkuchen, den Thea besonders gern mochte. Mum konnte dann wieder lachen.
Plötzlich kam Paps lachend aus dem Wohnzimmer. Er trug seinen Lieblingspulli, der so schön weiß und warm war. Auf seinen Schultern lachte ein kleiner Junge. „Sebastian, rate mal, was es gibt!“, rief Thea. Sebastian roch und rief dann: „Natürlich Spaghetti!“ Thea nickte stolz. Junie sah ihren kleinen Bruder an. Er sah ihr ziemlich ähnlich. Er hatte ihre blonden Haare und ihr blasses Gesicht. Auch die hellblauen Augen hatte er, genauso wie sie. „Wo sind denn die anderen?“, fragte Thea. Ihr Mann zuckte mit den Schultern. Wie auf Kommando stürzten die anderen ins Zimmer. Meggie ließ sich auf den Stuhl neben Junie fallen. Lea nahm neben ihrer Mam Platz und Hannah setzte sich zu Paps. Milly nahm alleine Platz. „Fehlt nur noch Katja“, seufzte Georg, der Paps war. Katja kam unter dem Tisch hervor gekrochen und setzte sich auf die andere Seite neben Junie.
Sebastian war der jüngste. Er war erst fünf. Dann kam Katja mit ihren sieben Jahren. Als nächstes waren Lea und Hannah geboren. Sie waren Zwillinge und zehn. Milly war elf. Und dann folgte noch Meggie mit zwölf. Junie hatte noch einen Bruder. Er war aber schon zwanzig und lebte in Amerika. Manchmal vermisste sie ihn. Gustav hatte ihr das Laufen beigebracht. Die Zill Eltern hatten es schwer mit ihren sieben Kindern.
Alle begannen, Spaghetti zu futtern. Thea freute sich das es jedem so gut schmeckte. Georg erzählte von der Arbeit. Er arbeitete als Praktischer Arzt. Thea erzählte vom Haushalt. Junie erzählte von dem Falschbrief und Frau Rotschwanz, die dauernd meckerte. Meggie erzählte von Dan und Pam, die Zwillinge, bei denen sie Babysittete. Milly erzählte von Mira, der Hündin der Zills, die in das Swimmingpool gefallen war. Lea erzählte, dass Omi heute kommen würde, obwohl es schon jeder wusste. Hannah erzählte, dass sie sich das Knie aufgeschürft hatte. Katja erzählte von Felix, der Katze von Familie Rotschwanz, die über den Zaun gekommen war und gleich wieder kehrt machte, als sie Mira sah. Sebastian erzählte, dass Spaghetti seine Lieblingsspeise waren.
Als alle mit ihren Spaghettis fertig waren, sagte Thea, dass sie dieses Jahr nach Griechenland in den Urlaub fliegen würden. Die Zills flogen jedes Jahr in ein anderes Land auf Urlaub. Junie kannte schon vierzehn Urlaubsländer, und dieses Jahr würden es fünfzehn werden. „Wo genau in Griechenland?“, fragte sie ihren Paps.
„Samos, eine Insel. Wir waren noch nie dort, haben aber Bilder im Reisekatalog gesehen“
Hannah und Lea kicherten. Sie wussten, dass die Familie Zill niemals in den gleichen Urlaubsort noch einmal fliegen wird. Das war Tradition. Junie stand auf und trug die Teller in die Küche. Dort wusch sie sie gleich ab. „June, schon vergessen, wir haben einen Geschirrspüler“, lachte Thea. Junie hatte es nicht vergessen. Sie liebte es, mit der Hand über Teller zu fahren, und zu sehen wie sie sauber wurden. Es war faszinierend. Junie schüttelte ihren Kopf. Thea lachte noch mal. Dann ging sie mit Sebastian in sein Zimmer, um ihm sein Spaghetti bekleckertes T-Shirt zu wechseln. Junie legte sich auf das Sofa und schaltete den Fernseher an. Es lief bloß Werbung. Aber sie mochte Werbung. Überhaupt gerne hatte sie die über Shampoos, Waschmittel und Kaffee. Und Schokolade. Es lief gerade eine über Schokolade. Junie holte sich eine Tafel aus dem Kühlschrank. Nugat Schokolade war es und die hatte sie besonders gern. Sofort waren Hannah und Lea bei ihr. „Lecker, dürfen wir auch was?“, fragten sie mit Hundeaugen. Junie stöhnte, brach aber jeder drei Reihen ab. Mira war auch gleich zur Stelle. „Nein, für dich gibt es nichts“, schimpfte Junie und streichelte die Hündin, die fast traurig schaute. Mum sagte immer, Hunde und Katzen konnten weder lächeln noch traurig schauen. Das glaubte Junie nicht. Sie wollte einmal Tierärztin werden. Sie kannte sich sehr gut mit Tieren aus.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 23.12.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle, die den Sommer vermissen und ihn genauso lieben wie ich.

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