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Wie ich meinen Vater kennenlernte




Das Familiengeheimnis, das eigentlich keines ist, dreht sich also um meinen Vater. Ja, ich habe einen Vater, aber ich kannte ihn nicht.

Mir war als Kind nie besonders bewußt, daß ich mich von den anderen Kindern unterscheide. Erst in bestimmten Situationen, z.B. wenn bei Kindergeburtstagen die ältliche Tante von jemand kam und fragte, wo ich denn herkomme. Dann wurde mir bewußt, daß ich eben anders aussehe. Ach ja, ich habe dunkle Haut und krause Haare, aber ist das was besonderes? Allen anderen in der Familie und im Freundeskreis war das egal. Ich war Katja, basta.
Meine Mutter hat mir schon früh erzählt, daß Sie keinen Kontakt mehr zu meinem Vater hat. Er war ein amerikanischer Soldat, für einige Jahre in Deutschland stationiert. Als meine Mutter herausfand, daß er in den USA noch verheiratet war, hat sie die Beziehung beendet. Der Kontakt brach ganz ab, als er dann nach Vietnam geschickt wurde. Seinen Namen, Joe S. kannte ich aber. Als Kind hat er mir überhaupt nicht gefehlt. Ich war zufrieden mit meiner vorhandenen Familie. Das war nicht nur meine Mutter, sondern auch noch meine Großtante- und Onkel mit Sohn. Ich hatte also sozusagen 2 Mütter, einen Vater und einen großen Bruder.

Wir wohnten in einer Großstadt in einem Viertel, in dem fast alle Leute sich kannten. Viele 1-2-Familien-Häuser, die in der Nachkriegszeit selbst gebaut wurden. Als Kinder konnten wir noch auf der Strasse spielen, weil nicht jeder ein Auto besaß. Wir waren nicht wenige Kinder, da ich zur 67-er Generation gehöre, ein geburtenstarker Jahrgang. Es war nie ein Geheimnis, daß ich ohne Vater aufwuchs und meinen Vater nicht kannte. Es war keine große Besonderheit mehr, daß meine Mutter alleinerziehend war. Das kam inzwischen häufiger vor. Einige Kinder wurden auch von den Großeltern betreut, weil die Eltern so viel arbeiteten oder die Situation in der Familie schwierig war.
Meine Mutter und ich wohnten auf der gleichen Straße wie meine Großtante mit ihrer Familie. Während meine Mutter tagsüber arbeitete, hat mich meine Großtante in den Kindergarten gebracht, Mittagessen gekocht und später meine Schularbeiten betreut. In der Elternarbeit für die Schule war meine Mutter aktiv. Ich wuchs also ganz normal auf. Auch im Kindergarten oder in der Schule gab es nie irgendwelche Schwierigkeiten. Die einzige Phase mit ein paar dummen Sprüchen gab es, als die Fernsehserie „Roots“ lief. Ein paar Idioten meinten daraufhin, mich mit den Namen von dort vorkommenden Sklavenmädchen zu rufen. Das hat sich aber schnell wieder gelegt, da ich nicht darauf reagiert habe.

Erst mit der Teenager-Zeit habe ich mir mehr Gedanken über meinen Vater gemacht. Man fragt sich, wer man ist, wo man herkommt. Ich konnte gut erkennen, welche Eigenschaften ich von meiner Mutter hatte. Das Zuhören können, für andere einstehen, selbständig sein, Verantwortung übernehmen, der ruhigere Part in mir ist stark von ihr geprägt. Aus den Erzählungen meiner Mutter über meinen Vater konnte ich mir aber kein genaues Bild von meinem Vater machen. Ich hatte das Gefühl, daß mir ein erheblicher Teil fehlte, um herauszufinden, was meinen ureigenen Kern ausmachte. Hatte ich überhaupt Eigenschaften von meinem Vater? Wo ich dies schreibe, fällt mir auf, daß ich meine Mutter dies nie gefragt habe. Meine Mutter antwortete auf meine Fragen, wenn ich ab und zu mal wieder neugierig wurde.

Das Thema hat mich aber nie besonders stark beherrscht. Ich hatte auch nie das Bedürfnis mich selber auf die Suche nach ihm zu machen. Hätte es damals schon die elektronischen Möglichkeiten gegeben, die heute selbstverständlich sind, wäre das vielleicht etwas anderes gewesen. Ich habe mir allerdings zeitweise Gedanken gemacht, über die ich heute lachen muß. Irgendwann hatte ich zum Beispiel eine Phase, in der ich viel Reggae hörte, nur weil ich meinte, das gehört wegen meiner Hautfarbe und meinem Hintergrund dazu. Irgendwann mußte ich mir dann eingestehen, daß ich das nicht bin und auch nicht erzwingen kann. Oder, wie traurig ich war, als sich herausstellte, daß ich keine tolle Jazzstimme wie andere Afroamerikaner hatte. Meine Mutter hat mir in dieser Beziehung jede Illusion geraubt. Aber ist schon lustig, auf was für Ideen man als Jugendliche so kommt.

Der Tag, mit dem sich etwas änderte, ist mir nicht besonders in Erinnerung geblieben. Ich war inzwischen 17 Jahre alt und ging in die 12. Klasse einer Kollegschule mit dem Ziel, das Abitur und gleichzeitig den Abschluß als Erzieherin zu schaffen. Diese Doppelqualifikation war innerhalb von 4 Jahren möglich. Erst hinterher ist mir die Leistung bewußt geworden. Damals hatte ich dies nicht so empfunden. Durch die vielen Stunden kam ich erst immer nachmittags nach Hause, machte mir meist inzwischen selber mein Essen und arbeitete dann weiter.

Eines Nachmittags klingelte das Telefon, während ich beim Lernen im Wohnzimmer saß. Ich nahm den Hörer und es meldete sich ein Manni vom Mannheimer Anzeiger oder so ähnlich. Er wollte wissen, ob er mit Isolde O. sprach. „Nein, das ist meine Mutter und sie ist im Büro.“ „Kann ich sie dort anrufen?“ „Ja, ich kann Ihnen die Telefonnummer geben.“. Ich gab ihm die Nummer und schon war das Gespräch beendet. Ich kam gar nicht auf die Idee zu fragen, warum er mit ihr sprechen wollte. Ich fand nur die Namenskombination witzig. Dann habe ich mich wieder ans Lernen gemacht. Auch als meine Mutter abends nach Hause kam, war ich nicht neugierig und habe nachgefragt. Ich glaube, ich hatte den Anruf schon total vergessen. Andere Sachen waren wichtiger.

Erst ein paar Tage später erinnerte ich mich wieder daran. Nach dem Abendbrot saß meine Mutter im Wohnzimmer auf unserer großen, gemütlichen Couch. Ich wollte gerade in mein Zimmer gehen, als Sie mich aufhielt. „Komm, setz dich mal zu mir.“ „Oho“, dachte ich, „was ist denn jetzt?“ „Ich hatte vor einigen Tagen einen Anruf, darin ging es um deinen Vater. Er hat lange nach uns gesucht und möchte gerne Kontakt mit uns aufnehmen.“ Im ersten Moment fiel mir nichts ein. Dann machte es irgendwie klick. „Hat das was mit dem Anruf von diesem Manni zu tun, dem ich deine Büronummer gegeben habe?“, fragte ich meine Mutter. „Ja, darüber ist der Kontakt zustande gekommen.“ „Wie ist das denn passiert?“ Das hat mich seltsamerweise in diesem Moment mehr interessiert als mein Vater selber. „Anscheinend hat Joe über alle möglichen Wege gesucht. Die deutsche Botschaft, das Rote Kreuz und andere wie eben den Mannheimer Anzeiger. Wohl weil wir da ja damals gewohnt haben. Er hatte nur noch meinen Namen und mehr nicht. Und dieser Manni hat uns irgendwie hier in D. ausfindig gemacht.“ „Und hast du schon mit ihm, Joe, gesprochen?“ „Ja, ich habe mit ihm telefoniert. Er würde gerne mit dir in Kontakt treten. Das ist aber deine Entscheidung. Ob du das möchtest, und wie das dann aussieht, das entscheidest du allein.“ „Was ist denn mit dir? Willst du wieder Kontakt haben?“ Ich war neugierig, wie sie sich dabei fühlte. „Für mich ist das nicht wichtig. Ich richte mich nach dir.“
Meine Mutter schien das Thema sehr gelassen anzugehen. „Nimm dir die Zeit, um in Ruhe darüber nachzudenken. Das ist allein deine Entscheidung, ob du Kontakt zu deinem Vater haben willst oder nicht.“

An diesem Abend bin ich nur mit einem Gedanken ins Bett gegangen. Warum meldet er sich ausgerechnet jetzt? Ich bin dabei meinen Abschluß zu machen, dann zu studieren, das häusliche Nest zu verlassen, also eher meine Familienbande etwas zu reduzieren. Und dann kommt jetzt, ausgerechnet jetzt mein Vater an und will Kontakt zu mir haben … . Das ist schon irgendwie merkwürdig.
Die nächsten Tage habe ich dann viel mit meinen Freundinnen gesprochen und diskutiert. Meine Gefühlslage schwankte ein bißchen hin und her. Mal das Gefühl, wenn ich ihn jetzt nicht kennenlerne, dann nie, dann wieder, das passt mir jetzt gar nicht. Letztendlich war der Wunsch ihn kennenzulernen dann doch zu groß. Ich war neugierig auf ihn und auch auf seine Familie, ob ich noch Großeltern habe und Cousins und Cousinen. Das Wichtigste war aber, was für ein Mensch mein Vater war und dabei festzustellen, was ich möglicherweise von ihm hatte. Ich war doch froh, daß ich überhaupt die Chance dazu hatte.
Für mich war dann die Frage, ob ich ihn zuerst anrufen oder per Brief anschreiben sollte. Ich entschied mich für den Anruf, weil ich gerne seine Stimme hören wollte. Ich bat meine Mutter um die Telefonnummer. Sie war mit meiner Entscheidung einverstanden. Ich nahm den Hörer und drückte die Tasten. Es klingelte mehrmals, der Hörer wurde abgenommen und ich hörte zum ersten Mal die Stimme meines Vaters. Ich sagte: „Hello Joe, here is Katja.“


So begann das Kennenlernen mit meinem Vater. Nach diesem ersten Telefongespräch haben wir sehr viele Briefe miteinander ausgetauscht. Im nächsten Jahr habe ich ihn dann in Amerika besucht. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.


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Texte: Alle Rechte bei der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 04.12.2012

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