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TAG 1

Bist du schon achtzehn?

Ja.

Gut. Und machst Du auch Ausgefallenes?

Zum Beispiel?

Was wohl?

SM? Kommt darauf an. Wollen Sie geschlagen werden oder so was?

Sehe ich so aus? Nein. Vielleicht will ich dabei zusehen, wie du dich schlägst.

Ja? Ich weiß nicht.

Ich zahle gut.

Wie viel?

Ich mag es nicht, wenn es hektisch zugeht. Ich lasse mir gerne Zeit. Drei Stunden, mindestens. Dreihundert fix und noch mal zweihundert als Prämie, je nach dem, worauf du dich einlässt.

Hm.

Denke darüber nach. Komm um acht ins Le Merle, wenn du Interesse hast. Und bring deinen Ausweis mit.

 

***

So habt ihr euch also kennengelernt?

Ja. Ich weiß nicht mehr, ob das der exakte Wortlaut war, aber so in etwa ist es gelaufen.

Was für einen Eindruck hattest du von ihm?

Er war gepflegt und hatte wirklich edle Klamotten an. Designerzeug, nichts von der Stange. Seine Stimme war tief und irgendwie sympathisch. Ich habe ihn für einen Geschäftsmann gehalten, wahrscheinlich einen, der irgendwo Familie hat.

Welchen Wagen ist er gefahren?

Keinen. Er kam zu Fuß. Wie ein Tourist, der sich zufällig an die Südstraße verirrt hat. Aber er wusste genau, was er wollte. Ich dachte noch, dieser Typ kann sich bestimmt jede Edelnutte und jeden Callboy leisten, den er haben will, aber er hat sich immer Jungs von der Straße geholt.

Weißt du, warum?

Nein. Nicht genau. Er hat einmal gesagt, was er bräuchte, sei ein bestimmter Blick, und den würde man bei Professionellen nicht finden.

Verstehe. Hast du über sein Angebot nachgedacht?

Sicher. Fünfhundert an einem Abend? Auf der Straße ist das nicht machbar, dafür muss man dafür verdammt lange schuften. Und sich auf die richtig schmierigen Typen einlassen, die zahlen normalerweise am besten, weil sie wissen, dass selbst wir uns sonst nicht mit ihnen abgeben würden. Ein kleines bisschen Stolz haben wir auch. Nicht viel, aber es reicht zum Überleben.

Also bist du am Abend ins Le Merle gegangen?

Ja. Er saß allein an der Bar, ich habe mich neben ihn gesetzt.

 

***

Da bist du ja. Hast du über mein Angebot nachgedacht?

Ja. Aber ich bin noch nicht ganz sicher.

So. Aber neugierig genug, um herzukommen, ja?

Ja, kann sein. Also was genau wollen Sie von mir?

Entschuldige bitte, aber du wirst verstehen, dass ich dir keine Details verraten werde, solange ich nicht weiß, ob wir im Geschäft sind.

Ich brauche zumindest die Rahmenbedingungen.

Rahmenbedingungen? Das gefällt mir. Du scheinst zu wissen, was du willst.

Das lernt man auf der Straße.

Ja, ich weiß. Also gut. Wir werden einen Treffpunkt und eine Uhrzeit vereinbaren, irgendwo in der Stadt. Ich hole dich ab und wir fahren zu meinem Haus. Unser Arrangement beginnt, sobald du in mein Auto steigst, deswegen erwarte ich, dass du auf der Fahrt eine Augenbinde trägst.

Eine Augenbinde? Das ist doch idiotisch!

Niemand zwingt dich, hierzubleiben. Möchtest du gehen?

Nein. Eine Augenbinde. Okay. Und dann?

Solange die Session dauert, wirst du tun, was ich dir sage. Ich erwarte nichts, was nicht innerhalb gängiger Praktiken liegt, auch wenn ich diesen Ausdruck nicht liebe.

Handschellen?

Ich bevorzuge Lederriemen.

Sex?

Natürlich.

Ich mache nichts, was mit Blut oder Kot oder solchem Zeug zu tun hat. Da muss ich kotzen.

In Ordnung. Während der Session verlässt du mein Haus nicht, anschließend bringe ich dich wieder in die Stadt.

Mit Augenbinde?

Sicher.

Na schön. Woher weiß ich, dass Sie kein Perverser sind, der ein halbes Dutzend Jungs in seinem Keller eingesperrt hat? Woher weiß ich, dass ich nach dieser Session, wie Sie es nennen, nicht zwei Wochen lang im Krankenhaus liege?

Weißt du es denn, wenn du zu einem deiner anderen Kunden ins Auto steigst?

Die? Pah. Das sind arme Schweine, die nicht den Mumm haben, die Nutten am Norddamm anzusprechen oder ihren Frauen zu Hause die Meinung zu sagen. Sie lassen sich von ihren Chefs herumkommandieren und von ihren Müttern sagen, was sie alles falsch gemacht haben. Und dann kommen sie zu uns und wenn wir ihnen den Schwanz lutschen, bilden sie sich ein paar Minuten lang ein, sie hätten Kontrolle über ihr Leben und Macht über uns. Vor diesen Typen habe ich keine Angst.

Hast du Angst vor mir?

Ich weiß es nicht genau.

Du bist ehrlich. Sehr gut. Wenn wir zu mir kommen, kannst du dir mein Haus ansehen, bevor wir anfangen. Auch den Keller. Und was deine andere Sorge angeht: Ich habe wirklich Besseres zu tun, als ständig nach neuen Arrangements Ausschau zu halten. Meine Ansprüche sind recht hoch und ich mag es nicht, wenn ich mich andauernd umstellen muss. Daher bevorzuge ich längerfristige Vereinbarungen. Solltest du nicht meinen Vorstellungen entsprechen, ist die Sache sowieso beendet, und zwar so schnell und diskret wie möglich. Wenn ich hingegen Interesse an weiteren Sessions mit dir habe, wäre es wohl ausgesprochen dumm von mir, dir schwerwiegende Verletzungen zuzufügen, nicht wahr?

Hm. Klingt irgendwie logisch.

Noch etwas. Nimmst du Crack oder Heroin?

Ähm … nein.

Gut. Den Eindruck hatte ich auch nicht. Ich arbeite nicht mit Junkies. Solltest du zugedröhnt zu einer Session kommen, ist unsere Verbindung sofort beendet. Verstanden?

Ja, klar.

Außerdem erwarte ich absolute Diskretion. Du wirst weder über mich reden, noch über das, was du in meinem Haus erlebst. Und komm bloß nicht auf die Idee, irgendwann mit drei Freunden dazustehen, die ebenfalls dringend Geld brauchen.

So viele habe ich gar nicht.

Gut. Dann will ich jetzt deinen Ausweis sehen.

Hier ist er.

Dein Name ist Lennart?

Lenny, meistens.

Wir bleiben bei Lennart. Du bist erst letzten Monat achtzehn geworden?

Ja. Ist das ein Problem?

Für mich nicht. Ich würde es auf einen Versuch ankommen lassen. Was ist mit dir?

Hm.

Immer noch unentschlossen? Mir scheint, das ist in deinem Metier keine sonderlich förderliche Eigenschaft.

Na ja. Normalerweise kommen die Typen mit dem Auto an und ich habe nur ein paar Sekunden, um zu entscheiden, ob ich einsteige oder nicht. Vielleicht bin ich es einfach nicht gewohnt, soviel Zeit zu haben.

So, so. Weißt du was? Du bekommst noch mehr davon. Ich bin übermorgen um 14.00 Uhr am Parkplatz am Rosenbrunnen. Weißt du, wo das ist?

Klar.

Gut. Ich hasse Unpünktlichkeit und werde nicht länger als fünf Minuten warten. Wenn du da bist und in meinen Wagen steigst, haben wir ein Arrangement. Mein Name ist übrigens Paul. Auf Wiedersehen, Lennart.

 

***

Paul? So hat er sich dir vorgestellt? Und wie weiter?

Keinen Nachnamen. Auch später nicht. Immer nur Paul. Ich habe nie geglaubt, dass das sein richtiger Name ist, aber ich hatte keinen Grund, nachzufragen.

Was hast du nach diesem Treffen gemacht?

Ich bin nach Hause gegangen.

Du wohnst noch bei deiner Mutter, stimmt's?

Ja. Ich wollte einfach nicht mehr an die Südstraße, obwohl es Freitagabend war, ich wusste, ich werde ein paar Stammkunden verpassen. Aber ich habe meinen Kopf nicht freibekommen.

Weil du an die Begegnung mit diesem Paul gedacht hast?

Sicher. Ich habe zwei Nächte lang kein Auge zugetan. Ich war drauf und dran, mir etwas zum Runterkommen zu holen, aber er hatte ja gesagt, dass er so was nicht mag. Sie müssen das verstehen. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie jemanden wie ihn getroffen, jemanden mit so viel Geld, jemanden, der so wahnsinnig selbstsicher ist. Jemanden, der immer bekommt, was er will, weil er jeden Preis dafür zahlen kann. Und offenbar wollte er mich. Ich stand am Sonntag schon um halb zwei am Rosenbrunnen, weil ich Angst hatte, ihn zu verpassen. Er saß in einem schwarzen Mercedes SL.

 

***

Du bist also gekommen. Und du bist pünktlich. Das ist gut.

Mhm.

Was ist los? Du siehst aus, als ob du schlecht geschlafen hättest.

Kann sein. Ich weiß einfach immer noch nicht genau, was mich erwartet.

Ich habe dir die Rahmenbedingungen genannt. Und da du jetzt hier in meinem Auto sitzt, gehe ich davon aus, dass du dich damit einverstanden erklärst.

Ja. Ich denke schon.

Gut. Im Handschuhfach sind dreihundert Euro. Und die Augenbinde.

Das sieht doch total albern aus, wenn wir durch die Stadt fahren und ich dieses Ding aufhabe. Was ist, wenn wir in eine Polizeikontrolle kommen?

Dann wirst du dich an das halten, was ich dir sage und den Rest meine Sorge sein lassen. Ich würde jetzt gerne losfahren.

Oh. In Ordnung.

 

***

Du hast sie aufgesetzt?

Klar habe ich sie aufgesetzt. Er hätte mich sofort rausgeschmissen, wenn ich es nicht getan oder sie unterwegs abgezogen hätte. Es war … na ja, ich fühle mich nicht besonders wohl, wenn ich nichts sehe, aber das Ding war nicht ganz dunkel. Es ging halbwegs.

Hast du versucht, herauszubekommen, wohin er fährt?

Natürlich. Jedes Mal. Aber damit hat er gerechnet. Er hat andauernd eine andere Strecke genommen. Einmal haben wir dreißig Minuten, einmal über eine Stunde gebraucht. Manchmal ist er Autobahn gefahren, manchmal Landstraße, manchmal hatte ich den Eindruck, er dreht einfach ein paar Runden über den Stadtring. Ich habe versucht, die Geräusche zu deuten und er hat gelacht, wenn er mein angespanntes Gesicht gesehen hat. Ich wusste bis zum Schluss nicht, wo genau sein Haus steht. Das Villenviertel an der Seepromenade hatte ich recht lange im Verdacht.

Du musst doch zumindest beim Aussteigen etwas erkannt haben.

Nein. Er ist mit dem Mercedes direkt in seine Garage gefahren. Beim ersten Mal war ich total überrumpelt, weil wir so unvermutet angehalten haben.

 

***

Was ist das für ein Geräusch?

Das Garagentor. Warte noch einen Moment. Jetzt kannst du die Augenbinde abnehmen. Lege sie zurück ins Handschuhfach.

Meine Herren, diese Garage ist beinahe so groß wie unsere Wohnung!

Ja? Dann steig mal aus.

Und was jetzt?

Durch diese Tür. Ich habe dir gesagt, du kannst in Ruhe das Haus anschauen. Die Bedingung ist allerdings, dass du nicht versuchst, es zu verlassen.

Wenn, dann nur in Ihrem Wagen mit verbundenen Augen. Das habe ich verstanden.

Scheinst ein schlaues Kerlchen zu sein.

Machen Sie sich über mich lustig?

Kommt es dir so vor?

Ich weiß … keine Ahnung. Was ist das hier? Die Waschküche? Vorratsraum? Abstellkammer?

Ein wenig von allem. Hier geht es weiter.

Boa. Wahnsinn. Wie viele Zimmer hat diese Hütte?

Ausreichend, würde ich sagen.

Scheint mir auch so. Und wer macht das alles sauber? Sie haben doch bestimmt eine Putzfrau, oder? Und wahrscheinlich auch eine Köchin, einen Butler und einen Gärtner, stimmt's? Okay. Sie wollen nicht, dass ich solche Fragen stelle.

Hier ist das Wohnzimmer.

Meine Scheiße, was ist das denn?

Ein Plasmafernseher. Kennst du so etwas nicht?

Das ist eine halbe Kinoleinwand! Haben Sie DVDs?

Sicher. Hier geht es weiter in die Küche.

Sieht nicht so aus, als ob Sie die oft benutzen würden.

Nein? Ich koche recht gerne.

Echt? Ein paar Sachen kann ich auch. Ich kann uns irgendwann mal Spiegeleier machen, wenn Sie wollen. Eher nicht, was? Na gut. Was gibt es im ersten Stock?

Sieh es dir an.

 

***

Ich glaube, ich war doch ganz schön nervös an diesem Tag. Deswegen habe ich so viel Blödsinn geredet.

Er war nicht nervös? Er wusste immerhin auch noch nicht, woran er mit dir war.

Überhaupt nicht. Zumindest hat er sich nichts anmerken lassen. Ich meine, wir waren auf seinem Terrain, in seinem Hoheitsgebiet, da hätte er sich niemals eine Blöße gegeben.

Hast du etwas von der Umgebung erkennen können?

Natürlich nicht. Er hatte blickdichte Rollos vor jedem Fenster, bei einigen waren auch die Jalousien heruntergelassen. Oben im Schlafzimmer habe ich meine Finger unter das Rollo geschoben. Ich glaube, ich wollte ihn ein bisschen aus der Reserve locken und sehen, was passiert.

 

***

Wenn ich da jetzt durchschaue, was ist dann?

Dann siehst du den Garten.

Oh. Und danach fahren Sie mich zurück in die Stadt?

Könnte schon sein.

Hm. Na gut. Was jetzt? Soll ich mich ausziehen?

Wieso das?

Na ja, wir sind im Schlafzimmer, ich dachte …

Ich arbeite nicht im meinem Schlafzimmer.

Sondern?

Im Keller.

Oh.

Macht dich das nervös? Du wolltest doch sowieso nachsehen, ob ich dort unten irgendwelche Jungs eingesperrt habe.

Wollte ich das?

Willst du nicht?

Habe ich eine Alternative?

Du hast immer eine Alternative.

Die Augenbinde. Ich weiß.

Klingt, als wäre es eine schwere Entscheidung.

Irgendwie schon. Ich könnte Ihnen hier auf dem Bett einen blasen. Ich bin echt gut.

Das entspricht nicht unseren Rahmenbedingungen. Glaubst du wirklich, ich betreibe diesen ganzen Aufwand und bringe dich in mein Haus, nur um mir von dir einen blasen zu lassen? Das ist demütigend, Lennart. Wie es aussieht, brauchst du immer noch Bedenkzeit. Du bekommst noch welche. Du warst ganz verzückt vorhin, als du das Badezimmer gesehen hast. Willst du es benutzen? Ich werde sowieso erst mit dir arbeiten, wenn du geduscht hast. Lass dir Zeit, ich werde im Wohnzimmer auf dich warten. Innen an der Tür hängt ein Bademantel. Wenn du nach unten kommst und deine eigenen Sachen anhast, werde ich dich ohne weitere Diskussion zurückfahren. Allerdings verlange ich dann auch mein Geld zurück, weil ich davon ausgehe, dass unser Arrangement nicht zustande gekommen ist. Wenn du den Bademantel trägst, zeige ich dir den Keller. Ich werde vorausgehen und die Türen werden offenbleiben. Denke darüber nach. Bis gleich.

 

***

Er hat mich einfach stehenlassen, mitten in seinem Schlafzimmer. Ich konnte hören, wie er die Treppe runtergeht. Ich meine, ich hätte alles mögliche tun können, aus dem Fenster schauen oder gleich nach draußen klettern, sein Schlafzimmer nach Wertsachen durchsuchen, Feuer legen … Er kannte mich doch überhaupt nicht!

Aber all das hast du nicht gemacht?

Nein. Haben Sie sein Bad gesehen? Das ist … ich kannte so was höchstens aus dem Fernsehen. Ich bin rübergegangen und habe genau das getan, was er gesagt hat. Er hat eine Dusche mit Massagestrahl und allem möglichen Schnickschnack. Ich kam mir vor wie ein Gott!

Hattest du keine Angst, dass er hochkommt und sich zu dir unter die Dusche stellt?

Nein.

Nein?

Nein.

Warum nicht?

Weil er dafür einfach nicht der Typ ist. Ich glaube, das wusste ich damals schon. Er hat es nicht nötig, sich irgendwo heimlich reinzuschleichen, zumal nicht in seinem eigenen Haus. Außerdem, ich bin ein Stricherjunge, verdammt noch mal. Er hat dafür bezahlt, dass er an mir herumfummeln durfte.

Verstehe. Tut mir leid.

Schon gut. Als ich fertig war, habe ich bestimmt zehn Mal hintereinander auf den Bademantel und auf meine Klamotten geschaut. Und dann habe ich mich entschieden. Der Bademantel war weiß, ich glaube nicht, dass ich jemals etwas so Weiches auf meiner Haut hatte. Meine anderen Sachen habe ich mit nach unten genommen und einfach zu meinem Rucksack über die Stuhllehne gehängt. Er hat mich beobachtet, dann ist er aufgestanden, ohne ein Wort zu sagen.

Ihr seid in den Keller gegangen?

Ja. Er war echt fair. Ist tatsächlich vor mir die Treppe hinunter und hat alle Türen offen gelassen. Die Kellertür ist aus Stahl, mir war schon klar, dass sie normalerweise zugemacht wird. Sein Keller ist riesig. Sie kennen es ja.

Versuche, es zu beschreiben. So, wie du es damals bei deinem ersten Besuch gesehen hast.

Na ja. Riesig eben. Er hat mir erst den Fitnessraum gezeigt, dann den Whirlpool und die Sauna, ich war zu angespannt, um irgendwas dazu zu sagen. Er hat mir sogar den Heizungskeller aufgemacht. Damit ich nicht denke, dahinter seien die Gefängniszellen, hat er gesagt. Und dann kamen die beiden Arbeitsräume. So hat er sie genannt. Seine Arbeitsräume. In dem einen sah es so aus wie im Spielzimmer eines Edelpuffs, zumindest habe ich es mir immer so vorgestellt. Ein großes Bett mit Messingverzierungen, eine Chaiselongue, Sessel, überall Tücher und Teppiche, nichts Hartes oder Kantiges in diesem Raum. Schummrige Beleuchtung, sogar eine Diskokugel an der Decke. Ich fand es kitschig und irgendwie hat es weder zu ihm noch zum Rest des Hauses gepasst. Es gab eine vertäfelte Schiebetür, die direkt in den Nebenraum geführt hat. Und der war …

Alles in Ordnung?

Ja.

Sollen wir eine Pause machen?

Nein. Kann ich eine rauchen?

Sicher. Hier. Und kann mal jemand ein Glas Wasser besorgen? Und Kaffee gleich dazu.

Zu wem haben Sie das jetzt gesagt? Ist das tatsächlich so ein Spiegel, durch den man von der anderen Seite durchschauen kann?

Ja, allerdings. Und ich könnte mir vorstellen, dass da drüben gerade einige Kollegen stehen, die deine Geschichte hören wollen. Also. Ihr seid durch die Schiebetür in den anderen Raum gegangen.

Ja. Einen größeren Gegensatz kann es kaum geben. Dieser Raum war weiß gefliest und gekachelt, natürlich war es viel heller, aber eigentlich nicht unangenehm, er hat so spezielle Tageslichtlampen. Es hat nur im ersten Moment ein bisschen geblendet, wenn man von drüben kam. Na ja. Es gab einige Metallspinde, eine große, eine kleine Truhe. Hinten eine Behandlungsliege mit Fixierringen. An der Decke eine Haken mit elektrischer Seilwinde. Die Räume sind erstaunlich hoch, dafür, dass sie im Keller liegen. Ist Ihnen das aufgefallen? Er hat mir einmal erzählt, er hätte das Haus gekauft und ein paar Dinge umbauen lassen, vielleicht hat er den Keller irgendwie tiefer legen lassen? Geht so etwas?

Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.

Isoliert hat er ihn definitiv. Na ja. Wo war ich? Die Seilwinde, ja. An den Wänden einige Metallringe und Stangen. Vorne ein Waschbecken. Da stand eine Packung Latexhandschuhe drauf, das weiß ich noch, weil es das einzig halbwegs farbige in diesem Raum war. Er wirkte vollkommen steril, als hätte ihn vor uns noch nie jemand betreten. Aber ich wusste genau, dass ich nicht der Erste war. Keine Ahnung, woher. Ich habe mich zu ihm umgedreht.


***

Also entweder Doktorspiele oder Darkroom, ja?

Oder etwas ganz anderes.

Vielleicht noch ein bisschen Petplay? Oder ich blase Ihnen einen im Whirlpool. Das ist natürlich viel cooler als im Schlafzimmer.

Ich habe dir schon gesagt, dass ich diese Begriffe nicht besonders mag. Und ich würde vorschlagen, dass wir allmählich mit dieser albernen Fragerei aufhören. Zieh dich aus. Den Bademantel kannst du hier auf die Truhe legen.

Okay. Sie sind der Boss.

Ich bin der, der zahlt, Lennart. Und ich würde mir gerne anschauen, wofür. Du hast einen schönen Körper.

Danke.

Woher stammen diese Narben? Von Freiern?

Ein paar.

Das hier sieht aus, wie … Ich verachte so etwas. Es ist unverzeihlich, wenn man die Beherrschung verliert. Solche Leute sind für mich Abschaum. Verstehst du das?

Ich glaube schon.

Ich glaube nicht, dass du es schon verstehen kannst. Na gut. Strecke deine Hände nach vorne. Genau so. Das ist gefettetes Rindsleder. Wenn du nicht unnötig daran herumzerrst, werden sie kaum einschneiden. Was ist?

Nichts.

Gut. Normalerweise arbeite ich mit richtigen Knebeln, aber du wolltest dir ja erst einmal die Rahmenbedingungen anschauen. Also nehmen wir dieses Klebeband, das kannst du im Zweifelsfall abziehen. Ist übrigens medizinisch und extrem hautverträglich.

Moment noch. Ich habe ja nicht viel Erfahrung mit diesen Dingen, aber wird nicht normalerweise ein Codewort oder eine bestimmte Geste vereinbart, falls es dem anderen zu viel wird?

Du bekommst 100 Euro die Stunde und willst ein Safeword?

Ich dachte nur … Entschuldigung.

Keine Ursache. So. Jetzt komm hier her. Gib mir deine Hände. Wie du siehst, ist das ein offener Haken. Für heute. Wenn du dich ein bisschen streckst, kommst du raus. Wenn wir irgendwann richtig miteinander arbeiten, sind die Türen verschlossen und alles andere auch. Du wirst hier stehen und keine Chance haben, wegzukommen. Das muss dir klar sein.

Mhm.

Gut. Sage hinterher nicht, ich sei nicht aufrichtig zu dir gewesen. Warte hier. Ich komme gleich wieder. Wenn ich sehe, dass du dich bewegt hast, oder dass eine Ecke des Klebebands lose ist, ist die Session beendet.


***

Er hat dich schon wieder allein gelassen?

Ja. Er ist durch die Schiebetür raus.

Hattest du Angst? Oh. Moment. Hier kommt dein Wasser. Danke für den Kaffee. Willst du auch einen?

Ja. Mit Zucker, wenn es geht.

Kein Problem. Also noch mal. Hattest du Angst?

Nicht wirklich. Ich hätte weggekonnt. Gut, die Riemen hätte ich allein nicht aufbekommen, ich habe nie ganz verstanden, wie er das macht, sie so eng zu binden, ohne dass es einem alle Gefäße abschnürt. Aber ich wusste ja, dass es oben in der Küche Messer gab. Ich hätte meine Sachen packen und abhauen können.

Hm. Aber während du da gestanden bist, nackt, an die Wand gefesselt und geknebelt, hätte er doch zum Beispiel ganz leicht die Kellertür abschließen können.

Ja? Stimmt. Daran habe ich gar nicht gedacht.

Mir scheint, du hast an eine Menge nicht gedacht.

Sie verstehen das nicht! Kann ich noch mal Feuer haben? Ich habe mein ganzes Leben in einer beschissenen Sozialwohnung verbracht, mit einer Mutter, die säuft und Tabletten schluckt, und drei Geschwistern, von denen zwei noch halbe Kinder sind. Mein komplettes Dasein war ein einziger Scheißhaufen. Und ich war gerade achtzehn geworden. Seit ich sieben bin, habe ich mir gewünscht, so schnell wie möglich volljährig zu werden, weil ich dachte, dass der ganze Dreck dann aufhört. Ich dachte wahrscheinlich, irgendjemand schenkt mir eine gute Fee zum Geburtstag. Ich habe mit ein paar Kumpels ein riesiges Besäufnis veranstaltet und war eine Woche lang nicht auf der Südstraße. Und dann war der Kühlschrank leer, die Kleinen hatten Hunger und Mama ist ausgetickt, weil sie nichts mehr zu saufen hatte. Anne hat zu mir gesagt: Lenny, du musst etwas unternehmen!

Anne ist deine große Schwester?

Ja. Also bin ich wieder Geld verdienen gegangen. Aber ich bin mir dabei noch mieser und dreckiger vorgekommen als früher.

Weiß deine Familie, dass du anschaffen gehst?

Die Kleinen natürlich nicht. Und meiner Mutter ist es sowieso egal. Anne? Kann sein, dass sie etwas ahnt. Gefragt hat sie nie. Sie hat genug um die Ohren mit den Kleinen und der Wohnung und allem. Sie war einfach immer froh, dass ich Geld heimgebracht habe.

Okay. Und dort im Keller? Wie bist du dir da vorgekommen?

Jedenfalls nicht mies und dreckig. Ich war nervös und hatte ein bisschen Schiss, klar. Aber das hat sich gar nicht so schlecht angefühlt. Lebendig irgendwie. Außerdem habe ich mir gedacht: Wenn er dich jetzt foltert und anschließend umbringt, ist es auch nicht schade drum. Zumindest hatte ich einmal in meinem Leben in einem Bad mit Marmorfliesen geduscht.
Ich weiß nicht genau, wie lange es gedauert hat, bis er zurückkam, wieder durch die Schiebetür. Er trug auch einen Bademantel, aus schwarzer Seide, diese japanischen Dinger, wie heißen die?

Einen Kimono?

Genau. Auf dem Rücken war ein gesticktes Drachenmotiv, vorne auf der Brust noch mal eins in klein. Es war wirklich … ich meine, wie viele Männer kennen Sie, die in einem japanischen Kimono eine gute Figur machen?

Darüber habe ich mir ehrlich gesagt noch keine Gedanken gemacht.

Sollten Sie mal. Ich kann Ihnen sagen, es gibt mit Sicherheit nicht viele. Aber er sah selbst in diesem Stofffetzen noch gut aus. Er sah aus wie ein verdammter Samurai.

Klingt, als hättest du dich ein wenig in ihn verliebt. Was ist? Warum schaust du mich jetzt so an?

Sie kapieren wirklich überhaupt nichts, oder?

Erkläre es mir.

Mann, es war … okay. Erstens bin ich nicht schwul. Das sind die wenigsten Jungs von der Südstraße. Aber Sie sind ja nicht von der Sitte, sonst wüssten Sie das wahrscheinlich. Zweitens … Ich hatte beinahe jeden Tag mit irgendwelchen seltsamen Typen zu tun. Richtige Männer waren nur selten darunter.

Was verstehst du denn unter einem richtigen Mann? Du lachst?

Ja. Damals dachte ich wohl, ein richtiger Mann muss mindestens so laut und so aggressiv sein wie mein Stiefvater. Kein Wunder, dass ich die Typen auf dem Strich alle für Schlappschwänze gehalten habe. Und dann kam Paul. Er war mit Sicherheit kein Schlappschwanz. Laut und aggressiv war er allerdings auch nicht.

Das konntest du damals doch noch gar nicht wissen. Ihr hattet gerade erst angefangen.

Trotzdem. Wenn Sie acht Jahre mit meinem Stiefvater verbracht hätten, wüssten Sie, was ich meine. Für so etwas entwickelt man irgendwann ein Gespür. Ich kenne genügend Jungs, die von ihren Freiern grün und blau geschlagen worden sind. Mir ist das nie passiert, weil ich mit Typen, die mir komisch vorkamen, gar nicht erst mitgegangen bin.

Du hast vorhin etwas von Narben gesagt. Lennart?

Darum geht es hier nicht, oder?

Nein. Also. Du willst sagen, Paul war anders als alle Männer, denen du vorher begegnet bist.

Paul war männlicher als alle Männer, denen ich vorher begegnet bin. Wie auch immer. Hinten bei der Liege stand so ein Drehhocker, wie ihn Ärzte benutzen. Den hat er sich geholt, hat sich vor mich gesetzt, ist ein bisschen hin und her gefahren und hat mich angeschaut. Einfach nur angeschaut. Nicht wie ein Objekt. Nicht, als würde er sich gerade irgendeine Strafe für mich überlegen. Er hat einfach nur geschaut.

Und dann hat er sich auf dem Drehhocker einen runtergeholt.

Was soll der ganze Scheiß hier? Sie haben gesagt …

Setze dich wieder hin, Lennart!

Sie hören mir nicht zu, verdammt noch mal!

Okay. Okay. Ganz ruhig jetzt. Setze dich. Also. Er hat dich angeschaut?

Ja. Eben nicht so wie die Typen in ihren Wagen. Da war keine Geilheit oder so was. Da war auch keine Wut. Da war einfach nur Interesse.

Wie hast du dich dabei gefühlt? Du warst nackt und gefesselt.

Zuerst war es mir irgendwie peinlich. Ich habe einfach nicht kapiert, was er von mir will. Ich habe überall hingeguckt, nur nicht zu ihm, am liebsten hätte ich ihm gesagt, er soll damit aufhören, aber ich konnte ja nicht wegen des Klebebands. Richtig wegdrehen konnte ich mich auch nicht. Dann bin ich trotzig geworden und habe ihm direkt ins Gesicht gestarrt. Er hat nur spöttisch die Mundwinkel verzogen. Und dann habe ich irgendwann gedacht: Na schön. Wenn er gucken will, soll er gucken. Ist ja schließlich nicht der hässlichste Körper, den er da vor sich hat. Und bezahlt hat er auch dafür. Ich habe wieder zu ihm geschaut und mich gefragt … ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll. Ich wollte wissen, worauf er schaut. Nicht, ob ich ihm gefalle oder so, darum ging es nicht. Ich wollte sehen, was er sieht. Im nächsten Moment hat er gelächelt und gesagt: Genau so. Er hat mich von dem Haken losgemacht, nach nebenan

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Katja Rübsaat
Bildmaterialien: Fotos: http://www.shutterstock.com, Bearbeitung: bonnyb. bendix - mit herzlichem Dank ;-)
Tag der Veröffentlichung: 13.09.2013
ISBN: 978-3-7309-5563-5

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