Bandit Braveheart
oder wie ein Kater zu seinem Namen kam.
Nein, nein, das Leben war kein Sahneschlecken! Zumindest nicht für den kleinen, schwarz-weißen Kater, der in einer ziemlich kühlen Frühlingsnacht im Jahr 2006 in einer Scheune zur Welt kam.
In den ersten Wochen, ja, da war alles irgendwie noch einfach, auch wenn er sich gar nicht mehr so richtig an diese Zeit erinnern konnte. Immer wenn er aufwachte, sah er als erstes seinen Bruder, mit dem er spielen und auf Erkundungsgänge gehen konnte und dessen Schnurren ihn in den Schlaf wiegte. Und Mama war natürlich auch da, stillte den Hunger und massierte den Bauch und tat noch ganz viele andere Dinge, die sehr, sehr schön waren.
Aber dann, eines Morgens, war der kleine Körper neben ihm plötzlich leblos und kalt, sein Bruder wollte nicht mehr mit ihm spielen, noch nicht einmal den Holzbalken wollte er hinaufklettern, obwohl er darin doch so gut war. Und Mama ... wo war eigentlich Mama? Sie kam nicht mehr, brachte kein Futter, massierte ihm nicht mehr den Bauch. Er konnte nicht schlafen, weil ihm ihr Schnurren fehlte, stattdessen knurrte der Hunger in seinem Bauch und er beschloss, etwas zu unternehmen.
Er kletterte alleine den Holzbalken hinauf, bis an den offenen Giebel und dort setzte er sich hin und rief so laut er konnte. Doch Mama kam nicht. Die einzigen beiden Wesen, die auf ihn reagierten, waren eine Zweibeinerin – seine Mutter hatte gesagt, vor denen müsse man sich in Acht nehmen – und ein riesiges, weißes, bellendes Ungetüm – seine Mutter hatte gesagt, vor denen müsse man sich noch viel mehr in Acht nehmen!
Vor Schreck verstummte er sofort, aber die Zweibeinerin und das Belltier schlichen trotzdem um die Scheune herum und suchten nach ihm. Sicherheitshalber kroch er noch höher. Er beobachtete erleichtert, wie sie verschwanden, doch es dauerte nicht lange, da kam die Zweibeinerin zurück!
Zum Glück blieb sie nicht lange, der kleine schwarz-weiße Kater entspannte sich und mit einem Mal stieg ihm ein wirklich interessanter Duft in die Nase. Es roch fast ein bisschen so wie an dem Tag, an dem Mama ihm und seinem Bruder die tote Maus mitgebracht hatte.
Weniger von Mut als von Hunger getrieben, kletterte er nach unten und fand schnell die Quelle des Duftes. Und diese Quelle fand noch viel schneller den Weg in seinen Magen.
Am nächsten Morgen kam die Zweibeinerin wieder und stellte ihm etwas zu fressen hin, als er sie am Nachmittag hörte, entfuhr ihm, beinahe ohne es zu wollen, ein Begrüßungsruf. Diesmal ging sie nicht weg, sie blieb in der Nähe stehen und dieses große, weiße Ungetüm auch. Er musste ein paar Mal durchatmen, doch dann traute er sich und futterte schnell den Teller leer.
Futter war das eine, dachte er sich in der Nacht. Aber alleine fühlte er sich trotzdem noch. Und als die Zweibeinerin am nächsten Tag wiederkam, beschloss er, ihr einfach mal hinterher zu laufen. Das weiße Ungetüm schaute ihn skeptisch an, es kam sogar langsam auf ihn zu und wollte ihn beschnuppern, aber er konnte ihm entwischen.
Er folgte den beiden bis zu einem Haus, die Tür blieb offen stehen, er ging sehr vorsichtig hinein, schaute sich um und beschloss, sein Quartier in der Scheune aufzugeben und fortan hier zu verweilen.
Leicht war es nicht! Er freute sich so, als er entdeckte, dass außer dem weißen Ungetüm auch noch drei andere Katzen hier lebten! Er rannte gleich auf sie zu, um mit ihnen zu kuscheln, vielleicht würde ihm eine ja auch den Bauch massieren ... doch er holte sich nur eine blutige Nase. Der alte Kater war richtig gemein zu ihm! Der jüngere Kater, ein Grautiger, war nicht so fies, aber am Anfang zeigte er ihm die kalte Schulter und seine Schwester, die fast genauso aussah wie er, streckte die Nase in die Höhe und spuckte ihn an, wenn er ihr zu nahe kam.
Nein, es war nun wirklich nicht das Paradies. Gut, zu fressen gab es ausreichend, es war trocken und warm, die Zweibeinerin massierte ihm den Bauch und das weiße Ungetüm konnte man auch irgendwie ertragen. Nur die Missachtung der drei anderen Katzen machte ihm zu schaffen. Sie wollten ihn nicht haben und er wollte keinen Ärger und nicht noch eine blutige Nase riskieren.
Er überlegte ernsthaft, wieder zurück in die Scheune zu ziehen, vielleicht würde die Zweibeinerin ihm ja ab und zu etwas Futter vorbeibringen. Schließlich hatte sie ihm inzwischen einen Namen gegeben, Bandit sagte sie zu ihm, weil es aussah, als würde er eine schwarze Augenklappe tragen.
Der Grautiger rettete ihn. Aus heiterem Himmel fragte er ihn eines Tages, ob sie nicht Kumpel sein wollten. Er hieß Linus, erklärte er, aber die Zweibeinerin würde ihn manchmal auch „mein kleiner Bodhisattva“ nennen. Was auch immer das zu bedeuten hatte.
von li oben: der böse Kater Puschkin, das weiße Ungetüm, ich und der nette Kater Linus
Jedenfalls zogen sie von diesem Tag an miteinander herum, er und der Grautiger namens Linus und fast alles wurde besser. Trotzdem gab es noch vieles, das ihm Angst machte. Der alte Kater machte ihm Angst, wenn er ihn nur anschaute. Das weiße Ungetüm machte ihm Angst, wenn es auf ihn zurannte. Plötzliche Geräusche machten ihm Angst und am allerschlimmsten waren andere Zweibeiner. An die konnte er sich beim besten Willen nicht gewöhnen.
Eines Tages stellte der schwarz-weiße Kater etwas erstaunliches fest. Wenn Zweibeiner in die Nähe des Hauses kamen, oder sogar hinein, bellte das weiße Ungetüm und die Zweibeiner zögerten. Konnte es wohl sein, dass sie ebenfalls Angst hatten? Dann wäre er gut beraten, sich in der Nähe des Belltiers aufzuhalten. Aber das war gar nicht so einfach.
Die Zweibeinerin und das weiße Ungetüm waren nämlich oft gar nicht da, sie fuhren mit der lauten Stinkekiste weg, vor der er auch höllische Angst hatte. Und dann gab es in diesem Haus noch ein anderes, seltsames Ritual. Jeden Morgen und jeden Nachmittag verließen die Zweibeinerin und das weiße Ungetüm das Haus, sie liefen einfach los, mal in die eine, mal in die andere Richtung. Wahrscheinlich machten sie einen Reviergang, aber ein so großes Revier konnte doch niemand haben!
Sein Kumpel Linus und dessen Schwester, die ihn immer noch anspuckte, begleiteten die beiden manchmal sogar. Linus erzählte ihm, wie aufregend es war und fragte, ob er nicht mal mitkommen wollte. Aber das traute sich der kleine Kater namens Bandit nicht. Er begleitete sie ein kleines Stückchen, bis zur Wegkreuzung, und dort blieb er sitzen und sah ihnen wehmütig nach. Manchmal entfuhr ihm auch ein trauriger Schrei. Die Zweibeinerin drehte sich um und lockte ihn, aber er ging lieber wieder nach Hause.
Dann passierte etwas Schlimmes. Der Grautiger Linus lag eines Morgens vorne an der Straße und rührte sich nicht mehr. Die Zweibeinerin war sehr traurig und der kleine schwarz-weiße Kater war es auch. Er hatte keinen Kumpel mehr und dachte sich, er könnte Linus’ Schwester ein bisschen trösten, aber die wollte immer noch nichts von ihm wissen und zog sich ganz zurück. Sie ging auch nicht mehr mit der Zweibeinerin und dem Belltier auf Reviergang.
Der kleine Kater namens Bandit war wieder einmal schrecklich einsam. Er hielt sich immer häufiger in der Nähe des weißen Ungetüms auf, das gab ihm irgendwie Sicherheit. Morgens begleitete er das Ungetüm und die Zweibeinerin wie üblich bis zur Wegkreuzung. Zu sehen, wie sie ohne ihn weitergingen, zerriss ihm schier das Herz und er rief kläglich nach ihnen.
Die Zweibeinerin lockte ihn freundlich, selbst das Belltier kam und stupste ihn an, also nahm er seinen Mut zusammen und folgte ihnen, immer mit Abstand, immer wieder Deckung suchend und sich durch Rufe versichernd, dass sie ihn nicht alleine lassen und auf ihn warten würden.
Eine ganze Weile ging es gut. Es gab so viel Neues zu sehen und zu riechen, der kleine Kater vergaß beinahe seine Angst und blickte neugierig umher. Doch plötzlich tauchte wie aus dem Nichts ein fremder Zweibeiner auf. Das weiße Ungetüm bellte kurz und der kleine Kater flüchtete sofort in ein Gebüsch. Sein Herz raste in Panik, selbst als der Zweibeiner schon lange vorbeigegangen war. Das hier war fremdes Terrain, er war in ein anderes Revier eingedrungen, so etwas konnte nur Ärger geben, das hatte seine Mutter ihm schon beigebracht. Er wollte nur noch nach Hause, aber er würde auf keinen Fall dieses Gebüsch verlassen, komme was da wolle!
Die Zweibeinerin rief seinen Namen und lockte ihn, immer und immer wieder. Das Belltier rannte um das Gebüsch herum und steckte seine Nase hinein, konnte ihn aber nicht erreichen. Sie wollten ihn davon überzeugen, herauszukommen und mit ihnen zurückzugehen, sie begriffen einfach nicht, dass er viel zu viel Angst hatte.
Doch irgendwann beruhigte sich sein klopfendes Herz, irgendwann wurden seine Pupillen wieder schmaler, irgendwann konnte er sich aus seiner Starre lösen. Die Zweibeinerin war immer noch da, sie hatte ihn tatsächlich nicht alleine gelassen. Der kleine Kater wäre gerne mit ihr nach Hause gegangen, das Gebüsch zu verlassen erschien ihm allerdings immer noch sehr gewagt.
Aber etwas musste er tun! Er hatte es ins Gebüsch hineingeschafft, also würde er es auch hinausschaffen. Er holte ein paar Mal tief Luft, spannte sich an und – hopp – mit einem einzigen Satz stand er wieder auf dem Weg.
So schwer war das gar nicht gewesen! Die Zweibeinerin streichelte und lobte ihn, selbst das Ungetüm stupste ihn anerkennend an, und das gefiel dem Kater namens Bandit richtig gut. Von neuem Selbstbewusstsein erfüllt machte er sich mit den beiden auf den Rückweg, allerdings nicht mehr schleichend und geduckt hinter ihnen, nein, jetzt lief er vorneweg, mit erhobenem Schwanz. Ab und zu drehte er sich um und fragte: „Was ist? Kommt ihr endlich?“
Von da an ging er beinahe jeden Morgen mit auf Reviergang. Anfangs ging er nur bis zu diesem einen Gestrüpp, doch bald lief er die ganze Runde mit. Die Zweibeinerin nannte ihn jetzt Bandit Braveheart und er fand, wer so ein großes Revier durchstreifen konnte, der hatte diesen Namen auch verdient.
Unsere Schlafcouch für alle - nur die Zweibeinerin muss am Boden sitzen
Texte: by Katja Rübsaat
Bildmaterialien: Archivbilder
Tag der Veröffentlichung: 26.05.2012
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