Ich schenkte ihm einen grossen Karton Lego-Steine. Er durfte sich sogar aussuchen, welchen er am liebsten hätte. Geburtstag? - Nein.
Eine besonders gute Leistung in der Schule? Wieder falsch geraten.
Denn eigentlich war ich verzweifelt und ratlos. Der kleine Kerl hatte eine riesen Dummheit begangen, die einen Denkzettel verlangte. Das war die eine Seite.
Doch, was mit Worten nicht zu bereinigen war, war sein Gefühl, es sei schlimm, so schrecklich schlimm, was er angestellt hatte. Nichts erschien mir nun wichtiger, als ihm zu zeigen: Du, ja du, bist mir wichtiger und unendlich viel wert. Ja, scheinbar wider die Vernunft fühlte ich, genau das musste jetzt veranschaulicht werden. Er musste es begreifen, anfassen können, um nicht in einem schlechten Gewissen zu versinken, sondern um zu Mut zu fassen, etwas auszugleichen und Freude zurück zu schenken. Das ist Leben. Miteinander leben!
So fuhren wir in das grosse Spielwarengeschäft. Alles mochte er erwartet haben, aber nicht das. Seine grossen, ungläubigen Augen, ich musste unwillkürlich lächeln. Ja, dann sein lieber, vertrauter Blick, das Leuchten das zurückkehrte. ... Mein Sohn!
Ich sah, er hatte verstanden, ich hatte sein kleines Herz erreicht. Wieviel mehr man manchmal durch eine Geste sagen kann.
In den nächsten Tagen, ja, Wochen, bastelte und baute er. Schenkte mir beinahe täglich eine neue “Erfindung“, die er ausgetüfftelt hatte.
Das schlechte Gewissen, das ihn sonst bedrückt hätte, machte durch sein Geben einem Gefühl der Freude Platz. Freude darüber, geschätzt und gebraucht zu werden, und noch mehr.
Denn ...
Einige Zeit später, an einem Tag zwischen Fensterputzen und Mittagessen, da sieht er mich mit seinen treuen Kinderaugen an: “Duuu?" klingt es gedehnt, "ich überlege, ob du jemals einen ganz, ganz grossen Wunsch hattest, als du klein gewesen bist.“
“Hm ... ja doch, ich hatte manchmal wirklich einen grossen Wunsch.“
“Und dein aller-, allergrösster? ...“
Wie schön, eine kleine Pause einlegen zu können und zu träumen. Ich nehme meinen kleinen Sohn und schlendere in Gedanken nahezu vergessene Wege meines Lebens zurück.
“Nun, weisst du, einmal, da hatte ich einen ganz, ganz grossen Wunsch. Viele Jahre lang sogar.“
“Ja ...?“ gespannt schaut er mich an, “und als du es dann bekamst, - das war toll?“ Er strahlt, erwartet das freudige Ende der Geschichte.
“Ich bekam es nie.“
“Waaas ? Nie?“ Ungläubig schaut er mich an. “Was hast du dir denn gewünscht?“
“Einen Vogel, - einen Wellensittich,“ antworte ich und mir wird es noch immer warm bei der Erinnerung an das kleine Federknäuel. Ja, ich fühle heute noch genau, wie sehr ich mir dieses Tierchen wünschte.
“Weisst du, unsere Nachbarn hatten einen zahmen Wellensittich," erzähle ich meinem Sohn. “Ich war noch jünger gewesen als du jetzt bist und bin sehr oft bei ihnen gewesen. Ich weiss noch ganz genau wie sehr ich mich täglich auf ihn freute. Wenn er auf meine Schulter flog und bei mir blieb, war ich richtig stolz. Doch später zogen wir um und ich vermisste meinen kleinen Freund sehr.“
"Wie hieß der Vogel denn?"
"Bubi, alle nannten ihn Bubi."
“Und so ein Vogel, so ein Bubi, ist er sehr teuer?“
Nachdenklich schaut der Kleine vor sich hin. “Nein, so teuer wie du jetzt denkst ist ein Wellensittich wohl nicht, aber ich glaube, man muss heute ungefähr 10 bis 15 Euro für ihn bezahlen. Aber das war ja nicht der Grund; meine Mutter mochte einfach keine Tiere in der Wohnung, noch nicht einmal ´ne kleine Maus.“
Ich lache und schicke den kleinen Kerl zum Spielen nach draussen. Kinder ... Wie schön! Sie können mit uns Jahre zurückgehen, träumen, sogar Gefühle wieder wach werden lassen. Als wäre es erst gestern gewesen. Ach Mensch, wie arm wäre ich ohne meine Kinder, ohne dich, mein Sohn! Ich seufze unwillkürlich.
Und nun sitzt er da, auf seinen Rollschuhen und mir scheint es, er grübelt über unsere kleine Plauderei.
"Ich geh´ mal zu meinem Freund," sagt er mir ...
Kaum eine Stunde später kommt er wieder: Ganz, ganz langsam kommt er auf mich zu. Behutsam hält er einen kleinen Karton in seinen Händen ...
Seine Augen leuchten: “Für dich, Mama. Ein Geschenk!“ Jubelnd und erwartungsvoll blickt er mich an. ...
Nun, was glaubt ihr, was in diesem kleinen Karton steckt? Richtig! Ein Wellensitich! Mein grösster, unerfüllter Kindheitstraum. ...
Nun: Sagen, ich glaube, man kann es nachempfinden, sagen kann ich gar nichts mehr. Jedenfalls nicht in diesem Moment. Dafür kullert eine Träne ... Mein Kleiner strahlt vor Stolz über meine Freude. Ich nehme meinen Sohn in den Arm und das ist es auch, was er am besten versteht.
Am liebsten hätte ich ihm jetzt verraten: “Weisst du was: Am allermeisten wünschte ich mir früher einen grossen Bruder. Der hätte aber ganz genauso sein müssen wie du. Seltsam, das hatte ich bereits vergessen, es fiel mir erst gerade wieder ein...“
Doch für manches gibt es keine Worte.
Texte: Gisela Mach
Bildmaterialien: Gisela Mach
Tag der Veröffentlichung: 01.04.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
für Thomas