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Zweiter Teil

Kapitel 23

„Signoria Medici.“, sprach ein älterer Herr am Ende des Tisches. „Morgen wird mein Sohn ihren Töchtern die Grundbegriffe der Magie beibringen, wenn Sie einverstanden sind?“ Er blickte sie fragend an. Der Herr sah sympathisch aus, etwas herrisch und stur, aber seine braunen Augen blickten gütig und klug.
Ihre Mutter überlegte kurz. Eigentlich hatte sie ihren Töchtern gerne selber die Grundbegriffe beigebracht. Doch es war wahrscheinlich besser so.
„Das wäre sehr zuvorkommend.“, antwortete sie. Linda konnte es nicht fassen. Sie sprachen über sie, als wären sie nicht anwesend. Linda wollte nicht von irgendeinem Heini unterrichtet werden. Ihre Mutter wäre perfekt gewesen. Klar, sie hatte sie in die Magie unterwiesen, hatte sie für sie begreiflich gemacht, und das mit großem Erfolg. Dann hätte sie doch weitermachen können. Stattdessen sollten sie von dem Sohn von Monsieur Bourbon unterrichtet werden.
Sie hatte den Sohn noch nicht oft gesehen seit sie hier in Monaco waren. Vor ungefähr zwei Wochen waren sie mit den Winden der Magie, die Leonie erschaffen hatte, geflohen, vor Herrn Braun. Nach kurzer Zeit hatte ihre Mutter, Gabriella Medici, die Führung über die Winde übernommen und sie hierhin, nach Monaco, gebracht. Der alte Herr, Monsieur Bourbon, war ein alter Bekannter von ihr und sie wusste, dass sie bei ihm Geborgenheit und Schutz erhalten würden.
Er war sogar so zuvorkommend, dass er sie für immer hier einquartieren wollte und die Schwestern in seine Familie eingliedern wollte. Er hatte einen Sohn und eine Frau, trotzdem erschien er etwas einsam.
„Es wird ihm eine Ehre sein.“, antwortete Monsieur Bourbon lächelnd. „Er wird bald das Haus übernehmen.“ Das Haus war eine Untertreibung. Sie lebten in einem riesigen Palast. Die Schwestern und ihre Mutter hatten ungefähr die Fläche ihres Hauses in Italien zum leben. Aber für ihn war es scheinbar unspektakulär.
„Wie Sie vielleicht wissen, haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, junge Magier den Einstieg in die Magie zu erleichtern. Wir lehren Kontrolle.“ Klasse. Ein Typ, der ihnen sagte, was sie tun sollten und die steinharte Lehrweise, die die Meisten innehielten, wenn sie Kontrolle lehren wollten. Es war nur zu hoffen, dass sein Sohn noch nicht so hart ist wie er.
Sie wechselte einen Blick mit Marie. Diese schien etwas eingeschüchtert von Monsieur Bourbon und seinem Sohn. Sie war etwas ängstlich gegenüber Autoritätspersonen. Die Arme. Sie hatten einen Knicks vor Monsieur Bourbon gemacht, als sie ankamen.
Linda blickte den Tisch hinunter. Es saßen viele Personen an dem langen Tisch. Doch nur die wenigsten zeigten Interesse an ihnen. Ein paar Jugendliche, etwas jünger als sie, saßen an einem Ende des Tisches, sie waren bestimmt Schüler von Monsieur Bourbon.
Ein paar andere Bekannte, die gekommen waren, um ihn zu besuchen, saßen weiter mittig.
Dann, am anderen Tischende, saßen sie und die Familie Bourbon. Ein paar Nichten und Neffen des alten Herren und seine Schwestern.
Sie musterte alle. Es gab einen Jungen, der sah eigentlich richtig gut aus. Schwarzes, glattes Haar, das ihm auf die Stirn fiel, grüne, wunderschöne Augen, eine breite Brust, relativ groß.
Er lächelte ihr zu. Sie versuchte cool zu bleiben und sein Lächeln zu erwidern. Dann spielte sie mit einer ihrer Haarsträhnen.
Ihr Herz klopfte. Das war doch nicht möglich. Sie konnte sich nicht in ihn verliebt haben?
„Dann solltet ihr jetzt zu Bett gehen.“, sagte ihre Mutter. „Dann habt ihr noch einen Teil eurer Kräfte wieder, wenn ihr morgen zu Minestro Bourbon geht.“ Das war richtig. Als sie in Monaco angekommen waren, hatten sie nur noch einen Bruchteil ihrer Magie gehabt. Danach hatten sie ungefähr eine Woche nur im Bett gelegen, weil sie so schwach gewesen waren.
Elvira und Leonie hatte es am schlimmsten erwischt, Marie war jedoch relativ schnell wieder aufgestanden. Sie hatte immer noch ein schlechtes Gewissen, weil sie mit ihrer Magie die Schilde durchbrochen hatte. Sie sagte es nicht offen, aber sie spürten es irgendwie.
Gehorsam standen sie auf und verließen den Tisch. Linda blickte zurück und warf dem gutaussehenden Jungen ein, wie sie hoffte, verführerisches Lächeln zu.
„Linda?“, fragte Leonie lächelnd. Sie war wieder normal geworden. Wahrscheinlich konnte sie ihre negativen Gefühle in dem magischen Wirbelsturm loswerden.
„Ja?“, fragte sie unschuldig.
„Er sieht gut aus, nicht wahr?“, fragte Leonie, noch immer lächelnd.
„Ja. Umwerfend.“, bestätigte Linda errötend. Warum hatte Leonie es bemerkt?
„Er spricht kein Deutsch oder Italienisch.“, mischte Elvira sich ein. Linda blickte sich irritiert zu ihr um. Waren ihre Gefühle neuerdings für jeden zugänglich?
„Ce n’est pas un problème. “
Marie blickte erstaunt. „Du kannst Französisch sprechen?“
Linda zuckte mit den Achseln. „Un poco.“
„Du sprichst Spanisch?“, fragte Elvira noch erstaunter als Marie.
„Du kannst die Programmiersprachen fließend.“, meinte Linda nur milde beeindruckt.
„Nein. Eigentlich nur die Grundbegriffe. Die sind ja immer ähnlich.“, sagte Elvira einschränkend.
„Ich kann auch nur die Grundbegriffe. Auch die romanischen Sprachen sind ähnlich.“
„Warum gehst du dann nicht zu ihm?“, fragte Leonie.
Langsam wurde es ihr unangenehm. Es war doch immer noch ihr Leben, oder nicht?
„Ich will es etwas langsamer angehen lassen.“, antwortete sie.
„Das ist doch sonst nicht deine Art.“, meinte Leonie.
Das stimmte. Normalerweise war es nicht ihre Art. Also schien es ihr doch ernster damit zu sein als sonst.
„Ich bin müde.“, sagte sie ausweichend. Ihre Schwestern beließen es jetzt dabei. Sie wussten, wann ihre Grenze erreicht war.
„Wann glaubt ihr, dass unsere Magie wieder voll da ist?“, fragte Elvira.
Die Schwestern zuckten mit den Schultern. Sie alle hatten keine Erfahrung damit und gerade Elvira hatte viel Magie verloren.
„Ich fühle mich noch immer schwindlig. Besonders wenn ich morgens aufstehe.“
„Wirklich?“, Marie guckte besorgt.
„Vielleicht solltest du mal unsere Mutter fragen. Sie weiß bestimmt, was man tun kann. Komisch. Meine Magie ist schon fast vollständig wieder da.“
Die Schwestern blickten sie an.
„Woher weißt du das?“
Marie fühlte sich etwas unwohl im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Ihre Augen weiteten sich.
„Naja. Als ich nach meiner Magie gegriffen habe, um damit den Schilde, also, die Schilde zu durchbrechen…“, sie blickte zu Boden. Wieder hatte sie ein Schuldgefühl, weil sie Elvira so schutzlos gemacht hatte.
„Hör mal, Marie. Wir sind dir alle dankbar, dass du das gemacht hast. Es hätte nicht besser laufen können. Uns geht es gut.“
Zweifel standen in ihren Augen. Doch sie widersprach nicht.
„Marie. Ich bin dir wirklich dankbar dass du unseren Schild zerstört hast. Du hast mich damit gerettet.“ Elvira warf einen Seitenblick auf Leonie. Leonie hatte sich noch nicht dazu geäußert, dass sie Elvira als Energiequelle für den Schild genommen hatte.
„Erzähl. Wie kannst du sehen, wie viel Energie du noch hast?“
„Als ich nach meiner Magie griff, wusste ich zuerst nicht, wohin ich greifen sollte. Also bin ich in den Mikrokosmos runter, hab meine Zellen betrachtet und dann die Nukleobasen, und sie waren gefüllt mit Magie. Sie waren fast halb leer. Damals. Jetzt sind sie fast voll.“ Elvira gucke nachdenklich. Auch Linda dachte nach. Maries Verständnis von Magie war vollkommen anders als ihres. Auch als Elviras, wie es schien. War das immer so? Wichen die Verständnisse immer ab?
Vielleicht war Magie so abstrakt, dass man sie sich nur mit dem Bereich verständlich machen konnte, der ihm am meisten lag. Das machte Sinn. Deswegen wollte Gabriella sie alle einzeln in Magie unterweisen.
„Glaubst du, du könntest mal bei mir gucken, wie viel Magie ich noch habe?“, fragte Elvira. Marie blickte zweifelnd. „Ich weiß nicht…“, setzte sie an, doch Elvira blickte Marie an und sagte:
„Bitte Marie, versuch es.“
„Okay.“, willigte sie ein. Sie legte ihre Hand auf Elviras Arm. Sie waren stehengeblieben.

Marie versuchte in Elviras Körper einzusinken. Sie spürte Elviras Haut auf ihrer. Sie musste mit ihrem Geist, oder ihrer Magie, was auch immer, dadurch.
Wie immer machte sie sich klein, im Mikrokosmos war es viel einfacher. Sie musste durch Elviras Poren in ihren Körper. Vor zwei Wochen, bei dem Kampf gegen Herrn Braun, waren Elviras Poren geöffnet, sie konnte ihre Magie zu Elvira tun.
Doch jetzt waren sie geschlossen. Wie konnte das sein?
Sie tauchte wieder auf, wurde größer, bis ihr Geist wieder ihren Körper ausfüllte.
„Es geht nicht. Deine Poren sind verschlossen. Mit Magie. Ich komm nicht rein.“
Alle guckten verwirrt. Außer Elvira, sie schien zu verstehen.
„Ach ja. Das kann sein. Ich habe in dem Buch von Gabriella gelesen, dass es einen natürlichen Schutzzauber gibt, der mit der Haut zusammenarbeitet. Das ist der stärkste Schutzzauber überhaupt. Hmm. Ich hatte gedacht, ich könnte ihn senken. Willst du es noch einmal versuchen? Ich strenge mich dieses Mal mehr an.“
Marie nickte und schrumpfte wieder. Durch ihre Hand gelangte sie wieder zu Elviras Poren. Sie waren noch immer geschlossen.
Sie wartete, dass Elvira sie öffnete, doch es klappte nicht. Sie wurde wieder größer.
„Es geht nicht. Vielleicht kann man den Schutzzauber nicht senken.“
„Doch.“, widersprach Elvira. „Es gibt da eine Möglichkeit. Man muss die natürliche Barriere, also die Haut, verletzten, dann lässt da auch der Schutzzauber nach, weil er auf die Haut angewiesen ist.“
„Elvira!“, rief Linda erschrocken. „So wichtig kann dir das doch auch nicht sein, oder?“
„Nein, natürlich nicht. Aber es geht hier ums Prinzip. Ich würde gerne herausfinden, wie man andere Personen einlässt, in den eigenen Körper.“
Marie nickte. Sie konnte ihr nur zustimmen. Magie war ein Rätsel. Es wäre schön, wenn sie wenigstens einen Teil davon erforschen konnten.
„Okay.“ Elvira zog einen Splitter aus ihrer Tasche und stich sich damit, ohne zu zögern, in die Handfläche.
„Muss ich auch?“, fragte Marie etwas ängstlich.
„Ich glaube nicht. Versuch es mal.“ Sie hielt ihr die blutende Hand hin.
Marie legte zögernd ihre Hand auf Elviras. Dann schloss sie ihre Augen und machte sich zum dritten Mal ganz klein.
Als sie zu ihrer Hand kam, die das Blut von Elvira berührte, wurde sie unruhig. Wie würde das Blut aussehen? Wie sie sich es vorstellte?
Natürlich, sagte sie sich. Wie sollte es sonst aussehen. Das hier war ihre Vorstellung.
Sie purzelte in das Blut und dadurch in Elviras Körper hinein. Er sah anders aus als ihrer. Irgendwie klarer. Strukturierter. Neben ihr schwamm eine Fettsäure. Sie musste lachen. Das war zu komisch. Sie sah auch Monosaccharide und Aminosäuren im Blut. Unheimlich sahen die Blutkörperchen aus. Besonders die roten Blutkörperchen. Sie waren wie eine platte Scheibe geformt, in der Mitte etwas eingedellt.
Sie sollte sich vor den Fresszellen in Acht nehmen. Oder? War sie jetzt immer noch aus Proteinen aufgebaut? Aus fremden Eiweißen? Eigentlich war sie ja nur noch Magie.
Aber sie wollte weder ins Herz noch in die Lunge, also hielt sie an und klammerte sich an eine Zelle. Sie blickte in sie hinein. Durch die Plasmalemma, das Zytoplasma und die Kernporen hinein in den Zellkern. Sie verkleinerte sich, so lange, bis sie die einzelnen Nukleobasen sah. Der Code des Lebens.
Es war erschreckend wenig Magie in ihnen. Noch nicht einmal die Hälfte war gefüllt. Zurück im Blut stellte sie fest, dass außer den normalen Leukozyten, den Monozyten, Granulozyten und den Lymphozyten auch noch andere Monozyten gab, die gefüllt waren, mit etwas, das aussah wie Magie. Warum sollte Magie in den Leukozyten sein? Musste etwas in Elviras Körper magisch bekämpft werden?
Monozyten wurden auch Fresszellen genannt und waren Teil der Leukozyten, dem Immunsystem des Menschen. Sie verdauen Eiweißstoffe, die nicht vom Körper stammen und sich trotzdem im Blutkreislauf befinden. Also meistens Viren und Bakterien.
Sie musste die Ursache für die veränderten Monozyten finden. Als das nächste vorbeikam, hängte sie sich an ihn dran.
Sie musste wieder lachen. Es war so merkwürdig, sich plötzlich im menschlichen Körper zu befinden und auf Blutzellen durch den Körper zu schwimmen.
Wieder einmal sah sie, dass das Blut eigentlich nicht rot ist. Es ist farblos, etwas gelblich. Doch es waren Unmengen von roten Blutkörperchen, den Erythrozyten, unterwegs, sodass es rot scheint.
Das Blutgefäß weitete sich. Sie verließ die Körperkapillaren. Sie überlegte, wie weit sie jetzt wohl schon gekommen war. Von den Körperkapillaren ging es ins Herz. Sie hoffte, dass der Monozyt, auf dem sie war, sein Ziel vor dem Herzen hatte.
Als das Blutgefäß sich noch weiter ausdehnte, schwanden ihre Hoffnungen. Stattdessen wuchs ihre Neugier. Das Herz. Von innen. Sie war die erste, die das Herz aus der Blutkörperchenperspektive von innen sah.
Sie wartete darauf, dass das Herz sich zusammenzog. Sie musste jetzt in der Hohlvene sein. Sie führte direkt ins Herz. Danach kam sie in den rechten Vorhof. Durch die Segelklappe in die rechte Herzkammer. Dann durch die Taschenklappen in die Lungenarterie.
Jetzt ziehen sich die Vorhöfe zusammen. Das Blut wurde ganz langsam. Marie fühlte sich wie auf einer Hauptverkehrsstraße vor einer roten Ampel. Dann, nach dem Zusammenziehen von den Herzkammern und der Ruhepause, sogen die Vorhöfe wieder Blut an. Sie wurden in einem Wirbel in den Vorhof gezogen. Die Segelklappen waren geöffnet. Als der Vorhof das Saugen beendet hatte, zog er sich zusammen, sodass sie weiter in die Herzkammer gedrückt wurden. Die rechte Herzkammer war viel größer als der Vorhof.
Es krachte laut und Marie zuckte zusammen. Die Segelklappen waren zugefallen. Vielleicht lauschten die Schwestern gerade Elviras Herztönen. Wenn ja, war es dieser Lärm, den sie als leises Klopfen wahrnahmen.
Noch bevor sich das Blut im inneren der Kammer beruhigt hatte, zog sich der Herzmuskel wieder zusammen. Das war jetzt die Systole. Sie wurden durch andere Klappen, die Segelklappen, wieder hinaus gedrückt. Als sie hinter ihnen zufielen, gab es wieder einen Krach. Es war unvorstellbar, dass man sonst den Herzton immer ausblenden konnte, dass man am Hals fühlen musste, um ihn mitzukriegen.
Nach der Ruhepause folgte wieder die Diastole, wenn sich die Vorhöfe zusammenziehen, danach wieder Systole, wenn die Kammern sich zusammenziehen. Dann wieder Pause.
Im Rhythmus des Herzen bewegten sie sich stetig in der Lungenarterie fort. Je weiter sie vom Herzen wegschwammen, desto schwächer waren die Herzphasen zu spüren.
Dann, endlich, hielt der Monozyt an einem Gewebe an.
Der Anblick, der sich ihr bot, war einzigartig. Ein riesiges, pulsierendes Etwas hatte sich in einem Gewebe eingenistet. Sie wusste nicht, wo sie sich befand, irgendwo zwischen Herz und Lunge.
Es war eine Art Tumor. Er leuchtete gelblich, eher braun. Es war ein magischer Schmarotzer.
Die Monozyten versuchten vergeblich, ihn mit Magie zu vernichten. Er war zu groß.
Das war zu viel für sie. Da musste Gabriella ihnen helfen.
Sie zog sich zurück, zurück in ihren Körper, dessen Sog jetzt groß war. Sie ließ sich einfach treiben, wartete darauf, dass sie wieder in ihrem eigenen Körper war.
Als sie die Augen aufschlug, merkte sie, dass alle sie anblickten. Sie fühlte sich unwohl. Sollte sie Elvira sagen, dass sie einen magischen Tumor hatte? Oder sollte sie allein mit ihrer Mutter reden?
„Und? Was ist los?“, fragte Elvira. Sie war ganz ruhig. Würde der magische Schmarotzer in ihr ihre Ruhe zerstören?
„Naja. Deine Magie ist noch nicht einmal zur Hälfte wieder aufgeladen.“, fing sie zögernd an. Vielleicht würden sie gar nicht nachfragen. Dann konnte sie ihre Mutter danach fragen, vielleicht war das ja gar nichts Schlimmes.
„Warum das denn?“, fragte Elvira jedoch direkt nach. Sie runzelte ihre Stirn. War sie besorgt?
„Naja. Da ist etwas in deinem Körper, ich weiß nicht genau was und wo, das zieht dir Magie ab. Das Immunsystem versucht mit Magie, dieses Ding zu bekämpfen.“, sie blickte Elvira an. Sie zog nur eine Augenbraue hoch.
„Erfolgreich?“ Marie zögerte, dann schüttelte sie den Kopf.
„Das erklärt natürlich einiges.“, meinte sie nachdenklich. Das war merkwürdig. Elvira sah nicht so aus, als wäre sie beunruhigt. Sie sagte, dass es einiges erkläre. Weiß sie mehr als wir? Hat sie irgendetwas davon gespürt?
„Lasst uns gehen.“, sagte Elvira dann, als wäre nichts passiert.
Sie folgten Elvira. Was hätten sie auch sonst tun sollen. Marie verstand nicht, warum Elvira so ruhig bleiben konnte. Verstand sie nicht, wie gefährlich so ein Tumor war, gerade wenn er magisch war?
„Wir müssen Gabriella fragen, wie wir diesen …, diesen Tumor loswerden!“, sagte Linda. Doch Elvira reagierte nicht. Sie lief einfach weiter. Da kam Marie ein erschreckender Gedanke. Was, wenn so ein magischer Tumor auch das Bewusstsein angreifen konnte? Wenn er von Elvira Besitz ergriff? Vielleicht war sie deshalb so ruhig. Weil sie es eigentlich gar nicht war, sondern das nur der Tumor war. Dieser Knoten aus Magie, es war nicht Elviras Magie gewesen. Aber welche Magie sollte es sonst sein?
Elvira war nur mit Herrn Brauns Magie in Kontakt gekommen. Als er versucht hatte, ihre Magie aufzunehmen. Mit einem Ruck hatten sie Elviras Magie wieder genommen. Dabei konnte etwas von Herrn Brauns eigener Magie in Elviras Körper gekommen sein.
Das war der Tumor. Fremde Magie. Feindliche Magie!
Morgen würde sie mit Gabriella sprechen. Vielleicht würde der Tumor aber noch wachsen? Aber nicht über Nacht. Jetzt würden sie erst einmal schlafen. Vielleicht nahm Elviras Magie ja auch noch zu und konnte den Tumor alleine bekämpfen.
Sie kamen bei ihrem Appartement an und schwiegen weiter. Marie sah, wie Leonie und Linda sich einen besorgten Blick zuwarfen und dann wegguckten. Sie zogen sich aus und ihre Schlafsachen an, dann legten sie sich ins Bett. So wenig hatten sie noch nie geredet.
Marie konnte nicht einschlafen. Das mit Elvira machte ihr zu schaffen. Sie konnte sich nicht mehr an ihrer Reise durch das Blutsystem des Körpers freuen.
Morgen würde sich alles klären, ganz bestimmt.
Doch trotzdem hatte sie ein beklemmendes Gefühl. Es drückte auf ihren Körper, zerquetschte ihre Lunge, sodass sie keine Luft mehr bekam. Dieses Gefühl hatte sie als letztes im Waisenhaus gespürt. Als Eleonora gestorben war. Eleonora. Sie war so weise und klug. Gewesen.
War Eleonora die Mutter von Gabriella oder ihrem Vater, Niccolò gewesen?
Sie hatten nicht über ihren Tod gesprochen. Sie hatte keine Beerdigung bekommen.
Das machte sie traurig.
Doch sie kannte dieses Trauergefühl noch zu gut. Im Waisenhaus war es viel schlimmer gewesen. Doch jetzt ist es viel schlimmer. Jetzt hat meine Schwester einen Tumor und meine Großmutter wurde nicht richtig beerdigt.
Aber sie hatte noch zwei andere Schwestern und eine Mutter. Jetzt war vielleicht die schlechte Seite größer als früher, aber die gute war auch gewachsen. Und das Verhältnis war jetzt besser. Insgesamt war es positiv.
Sie hörte, wie der Atem ihrer Schwestern langsamer ging. Elvira und Linda waren eingeschlafen. Spürte Linda es denn nicht auch?
Plötzlich lag eine Hand auf ihrer Schulter. Leonie war gekommen.
Von ihrer Hand ging ein warmes Gefühl aus. Das konnte nicht sein. Sie hatte eine Barriere in der Haut. Leonie konnte ihre Magie nicht in sie schicken.
Vielleicht war es ja auch keine Magie. Vielleicht war es einfach das Gefühl, dass jemand für sie da war.

Kapitel 24

„Guten Morgen!“, sagte eine Stimme laut in ihre Träume. Blinzelnd setzte Linda sich im Bett auf. Zuerst erkannte sie nichts, doch nach und nach erblickte sie ihre Mutter, die mitten in ihrem Appartement stand, vollkommen angezogen und wunderschön. Außerdem sah sie hellwach und ausgeschlafen aus. Mehr als sie von sich behaupten konnte.
„Ich wollte noch einmal mit euch reden.“, sagte sie dann.
„Klar.“, antwortete Linda. Sie war jetzt wach. Wenn auch nicht angezogen. Sie sprang aus dem Bett und bot ihrer Mutter den Sessel an. Dann setzte sie sich in die Nähe von ihr auf einen Stuhl.
Marie folgte schnell, sie war immer höflich, auch Leonie und Elvira kamen und ließen sich nieder.
„Ihr habt heute eure Übungsstunde mit dem Sohn von Monsieur Bourbon.“ Linda nickte. Das würde bestimmt langweilig werden. Üben.
Aber andererseits war es Magie und ihre Schwestern waren dabei.
„Nun. Ich kenne Monsieur Bourbon schon sehr lange.“ Das war Linda klar.
„Warum siezt du ihn dann?“, fragte Elvira. Es stimmte, sie hatte ihn gesiezt, obwohl sie angeblich so gute Bekannte waren.
„Das genau ist der Punkt. Wir Magier haben andere Vorstellungen von Höflichkeit. Wir sprechen uns immer mit Sie und dem Titel an. Es gibt verschiedene Titel. Je nachdem welche Aufgaben du in der Gemeinschaft erfüllst und wie gut du sie erfüllst. Früher war ich eine Mistra. Ein hoher Rang für eine Art Forscher oder Gelehrter. Man hatte mich dann immer mit Mistra Medici anzusprechen.“ Sie lächelte kurz. Es mussten alte Erinnerungen sein.
„Und natürlich zu siezen. Egal, wie oft sie mich ansprachen. Signoria durfte man nicht benutzen. Das Mistra hat einen höheren Rang und nimmt die Stellung von Signoria ein.
Deswegen könnt ihr den Sohn von Monsieur Bourbon, den wir eigentlich Maestro Bourbon nennen müssten, nicht einfach mit Monsieur ansprechen. Maestro ist ein hoher Rang eines Lehrers, oder Ausbilders, sein Sohn ist ein Minestro. Noch nicht ganz so hoch. Aber er hat einen gewissen Rang von seinem Vater geerbt.
Er muss euch mit Signa ansprechen, denn ihr habt leider keinen besonderen Rang von mir oder euerm Vater geerbt. Weil ihr eigentlich nicht mehr existiert.“ Ein Lächeln quälte sich auf ihren Lippen. Es tat ihr leid.
„Höflichkeit ist sehr bedeutsam in der magischen Gemeinschaft. Es kann über eure spätere Laufbahn entscheiden. Ich konnte euch leider nicht so erziehen, aber ich hoffe, ihr werdet es schaffen. Mir zuliebe.“
„Natürlich!“, sagte Linda impulsiv. Als ob sie ihre Mutter beschämen würden, indem sie sich schlecht benahmen.
„Das ist nett von euch. Es tut mir leid, ich würde so gerne noch bleiben, aber ich kann nicht. Ich muss los. Es gibt viel mit Maestro Bourbon zu besprechen.“ Sie erhob sich.
Aufrecht ging sie aus dem Raum. Es war eine beeindruckende Geste.
„Wann müssen wir denn zu Minestro Bourbon?“, fragte Linda.
„Am besten jetzt gleich.“, antwortete Elvira. „Er sagte, wir sollen gegen neun bei ihm sein. Es ist gleich halb.“
Das war zu schaffen. Linda stand auf. Sie ging meistens als Erste ins Bad.
Während sie sich fertig machte, dachte sie nach. Würde der Junge wieder zum Mittagessen kommen? Frühstück gab es hier ja nicht. Stattdessen ein ausgiebiges Mittagessen, Kaffee und ein kleines Abendessen. Man konnte eigentlich immer etwas zu essen bekommen, außer Morgens.
Da fiel es ihr wieder ein. Der magische Tumor in Elvira. Die Reaktion von ihr darauf. So kalt.
Sie beobachtete Elvira. Sie war angezogen und bürstete gerade ihre Haare. Sie waren so lang. Lockig. Sie waren wirklich schön.
Was sollten sie jetzt machen? Zu Minestro Bourbon gehen und ihm verheimlichen, dass Elvira keine Magie ausüben konnte, weil sie einen magischen Tumor hatte?
Doch Elvira schien das nicht zu stören. Vielleicht ging es ihr jetzt auch etwas besser. Vielleicht hatte sie über Nacht wieder genug Magie gesammelt um den Tumor zu besiegen?
Doch sie wollte sich nichts vormachen. Das war sehr unwahrscheinlich. Doch alle schwiegen wieder. Elvira redete nicht mit ihnen, Leonie dachte nach, Marie war traurig. Und sie? Konnte sie nichts machen, um den Kontakt wieder herzustellen?
Jetzt noch nicht. Sie mussten sich erst einmal auf den Unterricht von Minestro Bourbon konzentrieren.
Schweigend gingen sie die Korridore entlang. Treppen hinauf und wieder hinunter, durch unzählige Gänge, bis sie vor einer großen Tür standen, die zu dem Saal führte, zu dem sie kommen sollten.
Linda war aufgeregt. Vielleicht bekamen sie eine Antwort. Eine Antwort auf die Frage, warum ihre Magie angeblich schlecht sein soll. Weshalb man sie vernichten sollte.
Sie klopften.
„Herein.“, die angenehme Stimme von Minestro Bourbon hallte durch die Tür zu ihnen heraus. Linda blickte Marie an. Sie zitterte. Sie hatte Angst vor dem Mann. Linda fasste ihre Hand. Marie lächelte sie schüchtern an. Linda wollte gerne irgendeinen Scherz machen, doch alle Scherze, die ihr einfielen, waren nicht lustig. Sie hatten wirklich in tödlicher Gefahr geschwebt und Elvira tat es vielleicht noch immer. Das war wirklich nicht witzig.
Leonie öffnete die Tür.
Der Saal war wunderschön. Die ganze hintere Wand war verglast, sodass das Sonnenlicht in den Saal fiel. Merkwürdige Symbole, Kreise und Labyrinthe waren auf den Boden gemalt und in einer Ecke standen ein Tisch und mehrere Stühle.
Minestro Bourbon saß in der Mitte eines großen Kreises. Er stand auf und kam auf die Schwestern zu, die die Tür jetzt hinter sich geschlossen hatten und in einer Reihe vor ihm standen.
„Minestro Bourbon.“, sagte Elvira und neigte den Kopf. Sie ging ganz alltäglich mit den Höflichkeitsformeln um, die ihre Mutter ihnen gesagt hatte.
„Minestro Bourbon.“, wiederholten auch Marie, Leonie und Linda. Minestro Bourbon lächelte und neigte seinerseits den Kopf.
„Mage figlie. Signa Medici.“ Wow. Linda hatte Minestro Bourbon unterschätzt. Er sprach sie mit dem italienischen Ausdruck für Magiertöchter an.
„Kommen sie herein. Setzen sie sich.“, Minestro Bourbon deutete auf den Boden, wo er zuvor gesessen hatte.
Gehorsam setzten sie sich. Das Siezen war ungewöhnlich. Es hörte sich irgendwie falsch an.
„Sie wissen wahrscheinlich, dass wir in Monaco versuchen, den Jugendlichen die magischen Werte zu vermitteln. Meistens ist es so, dass wir Jugendlich hier haben, die schon ihr ganzes Leben Magie ausgeübt haben, die mit der Magie aufgewachsen sind. Sie wissen die Magie meist nicht wirklich zu schätzen. Es ist für sie normal geworden. Sie kennen auch nicht das Ausmaß der Aufgaben, die die magische Gesellschaft erfüllt.
Bei ihnen ist das anders. Ihnen muss ich nicht sagen, dass magische Kräfte etwas Besonderes sind.“ Linda lächelte. Der Unterricht schien ja doch nicht so schrecklich zu werden. Minestro Bourbon sah nicht schlecht aus, und war scheinbar nicht dumm.
„Sie muss ich dagegen einführen. In die Magie.“
„Unsere Mutter hat uns schon in die Magie eingeführt.“, widersprach Elvira.
„Ja. Mistra Medici hat mich informiert.“ Mistra. Minestro Bourbon sprach Gabriella noch immer mit Mistra an. Das war ja wunderschön. Er schien sie wirklich zu mögen. Er ist echt nett.
„Trotzdem gibt es noch eine Menge, die sie lernen müssen. Das System der Magier ist sehr vielschichtig.“ Das System der Magier. Das waren diejenigen, die alles kontrollierten. Die, die überwachten, dass die Menschen keine Fehler machen.
„Wir fangen aber mit dem Umgang mit Magie an. Ich bin ja dafür, dass man sich alleine erarbeitet, was Magie für sich ganz persönlich bedeutet. Doch trotzdem kann ich sie ja auf den richtigen Pfad der Erkenntnis, der Illumination lenken.“
Linda mochte ihn. Der Unterricht wurde doch nicht langweilig.
„Bei der Magie sind zwei Eigenschaften von ganz besonderer Bedeutung. Könnt ihr euch vorstellen welche?“ Linda dachte nach. Was war wichtig für die Magie? Sie dachte, dass die Magie, war sie vorhanden, genau nach den Regeln der Vorstellung desjenigen, der die Magie besaß, war. Das man keine bestimmten Eigenschaften brauche.
Welche Eigenschaften hatten sie schon gemeinsam?
„Phantasie und Konzentration.“, antwortete Elvira. Minestro Bourbon blickte sie verwundert an.
„Ja. Das ist richtig. Konzentration, um die Magie zu kontrollieren und Phantasie um sie reagieren zu lassen. Und die perfekte Übung um die Konzentration zu schärfen ist die Meditation.“ Woher wusste Elvira das? Klar, sie war immer schon die Intelligenteste gewesen, schon im Waisenhaus hatte sie alles gewusst. Aber von Magie hatte sie keine Ahnung. Das hatten sie alle neu gelernt. Damit hatten sie alle angefangen. Das war ihr gemeinsamer Anfang.
Ach ja. Sie hatte ja ein Buch gelesen. Oder zwei. Als es ihr nicht so gut ging und im Bett lag. Das war ihnen bestimmt von Vorteil.
„Die Meditation ist einfach. Bestimmt habt ihr damit schon Erfahrungen gemacht?“, fragte Minestro Bourbon. Ja klar. Sie meditierten immer. Vor dem Einschlafen.
„Nein. Haben wir nicht, Minestro Bourbon.“
„Das ist auch kein Problem. Ich kann euch ja erst einmal etwas über das Meditieren an sich erzählen.
Das Meditieren wurde schon von jeher als wirksames Mittel zur Entspannung und gleichzeitigen Konzentration gebraucht. Ein Magier aus früher Zeit kam auf die Idee einen Tranceartigen Zustand zu schaffen, in dem wir uns untereinander verständigen können. Sein Zustand war mehr eine Art schlafen, daher die Entspannung. Das mit dem Kommunizieren hat nicht geklappt, obwohl er über viele Jahre hinweg nach einer Methode gesucht hat. Er lehrte die Methode seinem Sohn, auf dass er nach seinem Tod weitersuchte. Möglicherweise hat er das getan, das wissen wir nicht. Auf jeden Fall ging die Methode weiter die Familie entlang und verbreitete sich. Die Magier waren zufrieden mit der Meditation an sich, sie brauchten keine Kommunikation. So wurde die Meditation zu einer Pflichtübung für Magier.
Das trickreiche an der Meditation ist genau das Gleichgewicht zwischen Entspannung und Konzentration zu finden. Das ist am Anfang nicht immer leicht, doch man gewöhnt sich daran.
Setzt euch mal bequem hin. Lehnt euch an und schließt die Augen.“
Linda versuchte ihm Folge zu leisten. Sie lehnte sich an den Stuhl und die Lehne stach ihr unsanft in den Rücken. Sie seufzte leise und verlagerte ihr Gewicht auf einen anderen Teil. Dann schloss sie die Augen und lauschte nach Minestro Bourbon. Sie fühlte sich unwohl mit geschlossenen Augen vor ihm, weil sie ganz genau wusste, dass er nur wenige Meter neben ihr saß. Doch sie hörte nur seinen Atem, kein Knarzen des Stuhles oder leise Schritte auf dem Boden.
„Konzentriert euch darauf, euch auf nichts zu konzentrieren außer euern leeren Geist. Stellt euch vor, ihr könntet eure Gedanken einfach abfließen lassen.

Es war einfach. Ganz einfach. Genau der Zustand, den sie bei der Meditation anstrebten, erreichte sie, wenn sie sich in den tranceartigen Magiezustand versetzte. Wenn sie sich so stark konzentrierte, dass sie das höchste Level der Konzentration erreichte.
Doch jetzt versetzt sie sich nicht in diesen Zustand. Dafür brauchte sie ausreichend Magie und die hatte sie nicht. Das einfache Atmen und Leben zog schon Magie ab, sie war froh, wenn sie abends genug Magie hatte um weiterleben zu können und so zu tun, als wäre nichts.
Sie tat so, als würde sie meditieren, sie glaubte nicht, dass Minestro Bourbon es merken würde, wenn sie nicht meditierte, er wusste ja nicht, dass sie normalerweise anfangen würde, sich in die Luft zu erheben. Und ihre Schwestern wussten ja, dass sie keine Magie einsetzen konnte.
Und sie wusste weshalb. Es war klar, dass etwas passiert sein musste, an dem Abend, dass sie verändert hatte. Ihr Körper schien etwas von Herrn Brauns Magie aufgenommen zu haben, als sie versucht hatten ihre Magie wieder in den Körper zu ziehen. Dann hatte sich das winzige bisschen Magie eingenistet und ernährte sich von ihrer Magie. Deshalb hatte sie nicht genügend.
Fragte sich nur, wie man diese Magie wieder los wurde. Es musste so bald wie möglich sein, sonst wuchs die Magie einfach noch weiter und wurde noch stärker. Dann wurde es umso schwerer, sie aus ihrem Körper zu entfernen.
Sie brauchte ihre Schwestern dafür, das war klar. Nur sie waren stark genug die Magie aus ihrem Körper zu holen. Wenn sie sich an den Händen fassen würden und mit Marie in ihren Körper kommen würden, vielleicht konnten sie dann das tun, wozu Marie nicht in der Lage gewesen war. Das müssten sie ausprobieren.
Elvira wartete geduldig auf das Ende der Meditation. Doch Minestro Bourbon schien selber zu meditieren, vielleicht wollte er ihnen ein Beispiel geben, und merkte nicht, dass die Schwestern sich langweilten.
Marie und Leonie hatten die Augen noch geschlossen, aber die Lider zuckten, dass deutete darauf hin, dass auch sie unruhig waren und Linda linste durch halb geöffnete Lider zu ihnen hinüber. Vielleicht hoffte sie, dass keiner merkte, dass sie nicht meditierte. Doch das stimmte nicht. Es war kaum zu übersehen.
Da klopfte es an der Tür. Minestro Bourbon öffnete seine Augen und rief:
„Entrez!“, was wohl so viel wie „Kommen sie herein.“ Bedeuten sollte. Elvira konnte keine Fremdsprachen. Es war etwas ungünstig, weil die Staatssprache in Monaco ja Französisch war, doch Linda sprach Französisch tadellos und konnte meistens übersetzten.
Ein Mädchen kam herein und sprach:
„Excusez-moi, Minestro Bourbon, le cuisinier vous demande de venir chez il, parce qu’il voudrait discuter quelque chose avec vous.“ Das Mädchen blickte erwartungsvoll und zugleich ängstlich zu Minestro Bourbon auf.
„Merci Anita. Transmets-lui que je viens immédiatement. “ Das Mädchen verbeugte sich und trat wieder aus dem Raum.
„Das tut mir Leid. Der Koch wünscht mich zu sprechen. Ihr könnt ja weiter meditieren, wir führen die Stunde nach dem Mittagsmahl weiter. Falls es eines gibt.“, fügte er scherzhaft hinzu, doch Elvira lächelte nicht. Der Witz war schlechter als Lindas Witze, die sie bei jeder Gelegenheit machte.
Er verließ den Raum und die Schwestern blieben allein zurück. Eine peinliche Stille entstand. Niemand sagte etwas. Elvira nahm an, dass es wegen ihres Problems war, aber warum sie so merkwürdig reagierten, nur weil sie feindliche Magie in sich hatte?
„Ich habe eine Idee.“, sagte sie. „Möglicherweise könnt ihr zu dritt die Magie wieder aus mir herausziehen. Wir könnten uns an den Händen fassen, ich ritze mir wieder etwas Haut auf, dann nimmt Marie euch mit zu der Magie. Das ist bestimmt effektiver.“
Niemand sagte etwas. Was hatten ihre Schwestern? Wollten sie ihr nicht helfen? Hatte sie nicht vor einiger Zeit noch festgestellt, dass es toll war, eine Familie zu haben, weil jeder für jeden da war? Was war mit jetzt? Keiner würde sie unterstützen. Wie immer.
„Okay. Dann nicht.“ Sie würde es alleine versuchen. Und wenn es nicht klappte… Es würde klappen. Es hatte immer geklappt. Es würde schon nicht schlimm werden. Sie würde nur etwas abwarten…
„Nein. Das meinte ich nicht.“, sagte Linda schnell. „Es ist nur… willst du nicht Gabriella fragen, was wir tun können? Wir könnten es verschlimmern.“
„Nein. Das glaube ich nicht.“, sagte Elvira. Sie war seltsam erleichtert. Ihre Schwestern wollten ihr helfen. Ihr unterstützen. Doch sie hatten Angst, dass etwas mit ihr passierte.
„Ihr wisst doch. Magie ist noch nicht erforscht. Gabriella könnte auch nicht viel mehr für uns tun. Sie weiß auch nicht viel mehr. Auf einen Versuch kommt es nicht an.“
Damit hatte sie recht. Dass wussten auch ihre Schwestern. Doch trotzdem sah sie noch Zweifel auf dem Gesicht von Leonie. Was hatte sie jetzt? Wollte sie sie wieder nicht unterstützen?
Sie blickte mit einer hochgezogenen Augenbraue zu Leonie hinüber. Was war falsch mit ihr? Sie war immer so ein netter Mensch gewesen. Okay. Nicht zu ihr. Aber sie war nie feindlich zu ihr gewesen. Dass sie Elvira mit dem Schutzzauber verbunden hatte, sodass er ihre Magie zog, war für Elvira eine schreckliche Erfahrung gewesen. Wie konnte jemand sie so hassen, dass er so etwas tat?
Jetzt wollte sie wohl die Gelegenheit nutzen, um sie endlich loszuwerden. Konnte das sein? Konnte Leonie, die nette und freundliche Leonie so gehässig sein?
„Ich weiß,“, fing Elvira an. Sie konnte nicht mehr zusehen, wie Leonie versuchte, sie zu demütigen. „Ich weiß, dass du mich nicht leiden kannst, Leonie. Doch du warst früher immer so nett, du warst nett und freundlich und hast dich um die Leute gekümmert, die deine Hilfe brauchten. Ja, du hast dich nie um mich geschert, aber könntest du wenigstens jetzt etwas für mich tun?“ Sie bereute ihre Worte sofort. Sie waren unkontrolliert gewesen. Sie hatte die Kontrolle über ihren Körper verloren. Das war traurig. Und niederschmetternd.
„Ja. Das mag alles stimmen, was du sagst. Ich war freundlich und nett und habe mich um bedürftige gekümmert. Aber dann habe ich versucht, einem Mädchen zu helfen. Denn es hat nichts gespürt. Es hatte keine Gefühle, es war skrupellos. Es hat andere Leute vor den Kopf gestoßen, immer wieder. Es hatte keine Freunde. Ich versuchte mich um sie zu kümmern, aber ich konnte es nicht, weil es nichts gefühlt hat.
Ich bin an meine Grenzen gegangen und das Mädchen hat diesen Augenblick genutzt um mich anzugreifen. Das war der schlimmste Augenblick in meinem Leben.“
So war das also. Aber wer war das Mädchen? Sie konnte es nicht sein. Das war nicht möglich. Wann hatte Leonie versucht ihr zu helfen und wann sollte sie sie verletzt haben? Und sie hatte auch nicht keine Gefühle. Schön wäre es, dann würden die Demütigungen sie nicht so treffen. Nein, sie musste von jemand anderem gesprochen haben. Deshalb war sie so verbittert.
Elvira fühlte sich bedrängt. Dazu gezwungen, etwas zu antworten, doch sie konnte nicht. Stattdessen nahm sie den Splitter aus der Tasche, den sie auch schon am Vortag benutzt hatte und stach sich damit in die Hand.
Es war tiefer als beabsichtigt, aber der Schmerz war nicht das Problem. Sie hatte die Präzision verloren, die sie immer so geschätzt hatte. Die vollständige Kontrolle über ihren Körper.
Sie hielt ihren Schwestern auffordernd die Hand entgegen und wartete.
Marie und Linda fassten sich an den Händen und Marie legte ihre zitternde Hand auf Elviras blutende. Leonie ließ es nicht so weit kommen, dass alle sie erwartungsvoll anschauten und ging zu Elviras anderer Hand und umfasste sie, während sie Lindas Hand mit der anderen umfasste.
Elvira schloss die Augen und konzentrierte sich auf ihren Körper. Die fremde Magie war irgendwo darin. Irgendwo. Es musste sich doch auch anders anfühlen. Sie musste erkennen können, wo die Magie hingezogen wurde.
Nur kurze Zeit später öffnete Marie wieder die Augen.
„Es geht nicht.“, flüsterte sie Elvira zu. „Linda. Sie ist so zappelig. Ich kann sie nicht mitnehmen.“ Dann schloss sie wieder die Augen.
Vielleicht mussten sie jetzt meditieren. Damit Linda ruhiger wurde.
„Meditieren. Vielleicht ist das der Schlüssel. Wir müssen meditieren, damit unsere Körper sich entspannen. Dann könnt ihr in meinen Körper.“, sagte Elvira, als die arme Marie immer blasser wurde.
„Gute Idee.“, sagte Linda. Jetzt versuchten sie alle wirklich zu meditieren. Sie taten nicht nur so, sondern strengten sich an. Sie wollten sich entspannen und gleichzeitig wollten sie sich auch konzentrieren. Also konzentrierten sie sich auf die Entspannung. Das klappte ganz gut. Die Lage war brenzlig.
Es lag eine fordernde Stimmung im Raum. Auch Elvira versuchte zu meditieren. Dabei musste sie so wenig Magie wie möglich verbrauchen.
Mittlerweile saßen sie zu viert auf dem Boden im Kreis. Elvira hielt Leonies Hand. Das war ein ungewöhnliches Bild.
Doch das alles waren nur Bruchteile von Sekunden, dann hatten die Schwestern dieses Bild aus ihren Gedanken verbannt. Sie meditierten endlich. Sie hatten das Gleichgewicht zwischen Konzentration und Entspannung gefunden.
Es geschah etwas Merkwürdiges. Als Marie mit Linda und Leonie durch Elviras Poren in ihren Körper wollte, löste sich Elviras Geist oder magisches Abbild aus ihrem Körper und schloss sich ihnen an und ging zusammen mit den Schwestern wieder in den Körper hinein. Sie betrat ihren eigenen Körper.
Es war ein tolles und gleichzeitig beunruhigendes Gefühl. Ihr Körper sah aus wie ein hochkomplexer Computer, Leitungen verbanden verschiedene Systeme. Ionen wanderten zwischen ihnen hin und her, angetrieben von einer Stromquelle.
Den falschen Teil dieses Systems erkannte Elvira von weitem. Er hatte eine ganz andere Farbe als der Rest und war nicht so symmetrisch aufgebaut wie der Rest. Es war ein improvisiertes Kuddelmuddel.
Das störte Elvira. Alles war geordnet, nur das passte nicht.
Was konnte sie tun, um das zu entfernen? Wenn Marie Recht hatte, war das fremde Magie. Doch Magie konnte nicht einfach irgendwo existieren. Magie brauchte immer Materie und Energie um sich irgendwo zu halten. Schließlich war sie das Verbindungsteil zwischen Materie und Energie, sie hing von ihnen ab. Das war genauso wie Software und Hardware und Energie. Nur Hardware war zwar etwas, aber das brachte einem wenig. Auch Energie und Software waren toll, aber nur mit Energie und Software konnte man mit der Hardware etwas anfangen.
Also hatte sie hier Energie, Materie und fremde Magie vor sich. Wenn sie nicht vorsichtig war, zerstörte sie das Gewebe und damit schädigte sie sich selber.
Sie blickte sich nach ihren Schwestern um. Vielleicht wussten sie, was sie tun konnten. Schließlich war Marie diejenige, die sich mit der Anatomie am besten auskannte.
Marie? Fragte sie, doch sie konnte ihren Mund nicht öffnen. Klar, schließlich waren sie ja nur Abbilder ihrer Körper, sie bestanden im Moment nur aus Magie.
Aber, ging das? Sie hatte selber doch noch eben an einem Beispiel klar gemacht, dass Magie nicht allein bestehen konnte. Doch eindeutig war sie jetzt keine Energie oder Materie mehr. Ob sie aus Magie bestand, wusste sie nicht. Doch ihr Bewusstsein war auf jeden Fall gerade nicht in ihrem Körper. Also. Schon in ihrem Körper aber nicht wie normalerweise.
Egal. Da konnte sie sich später drum kümmern. Jetzt war erst einmal wichtig, diese Unordnung zu entfernen.
Ja. Ich bin hier. Seht ihr die fremde Magie? Sagte Marie. Sie hatte ihr geantwortet. Also konnte sie sie schon hören. Nur auf einer anderen Ebene. Auf der magischen Ebene, auf der sie sich gerade befand.
Ja. Antworteten die Schwestern.
Was können wir tun? Fragte Linda.
Egal was wir tun, es muss vorsichtig sein. Sagte Marie. Sonst zerstören wir das Gewebe. Vielleicht können wir ganz vorsichtig Teile von dem Fremden abtragen. Aber… Einen Moment.
Marie blickte sich um und war dann plötzlich weg.
Wo ist sie? Fragte Linda.
Ich weiß es nicht. Antwortete Elvira. Vielleicht muss sie sich orientieren. Nach einer Weile kam Marie wieder.
Also. Wir sind hier in der Nähe von der Lunge. Wenn wir einen Zugang legen würden, könnten wir das fremde Gewebe mit der fremden Magie in die Bronchien leiten, sodass du es ausatmen kannst, Elvira.
Und wie legt man einen solchen Zugang? Fragte Elvira. Ihr war schleierhaft, wie Marie herausgefunden hatte, dass sie bei der Lunge waren. Vielleicht war ihre Ansicht des Körpers anders. Biologisch. Das machte Sinn. Jeder sah die Magie so, wie er es am besten verstehen konnte. Sie waren hier auf der magischen Ebene, also erschien für sie alles mathematisch, geordnet, und für Marie alles biologisch. Da fragt sich nur, wie es für Linda oder Leonie aussehen würde.
Ich weiß es nicht. Es ist ziemlich kompliziert. Marie wirkte leicht verzweifelt. Elvira war klar, dass nur sie den Zugang legen konnte, denn ihre Ansicht zeigte nicht die biologischen Einzelheiten und Gefahrenzonen.
Wie werden denn sonst Stoffe innerhalb des Körpers transportiert? Ohne die Blutgefäße? Fragte sie, um Marie auf die Sprünge zu helfen. Wenn Marie ihr das erklärte, konnten sie vielleicht zusammen nach einer Lösung suchen.
Es gibt da mehrere Möglichkeiten. Entweder durch die Membran oder mit einer Membran. Das heißt entweder wird er Stoff von einer Membran eingeschlossen und transportiert, oder er wird einfach durch die Membran hindurch transportiert.
Dann wäre es besser, wenn wir den Stoff mit einer Membran transportieren. Kannst du so eine Membran herstellen?
Ich denke, ich kann einfach einen Teil einer Zellmembran verwenden. Vielleicht kann ich auch einfach eine rote Blutzelle umfunktionieren. Dazu muss ich nur das Hämoglobin in der Zelle entfernen. Blutzellen haben ja keinen Zellkern.
Okay. Kann ich dir dabei helfen?
Einen Moment. Wir müssen ja noch gucken, wie wir den Stoff mit der Zelle dann zu den Bronchien bringen.
Die Bronchien sind doch mit Blutgefäßen verbunden. Gerade die sind doch stark durchblutet. Könnten wir nicht einfach eines dieser Blutgefäße zu einer Leitung umfunktionieren?
Naja. Die Bronchien sind nicht stark durchblutet. Wäre schlecht. Aber die Idee an sich ist nicht schlecht. Der Mensch nutzt ja nur einen relativ geringen Teil der Lunge. Ein Lungenbläschen kann man sicher dafür nutzen. Ich suche mal eben das nächste.
Marie verschwand wieder und Elvira blieb schweigend bei Linda und Leonie. Leonie hatte noch nichts zu ihr gesagt und Linda hielt sich auch raus.
Sie waren beide heute etwas distanziert. Sie hätte nie gedacht, dass ihr so etwas einmal auffallen würde oder gar negativ auffallen würde. Doch ihre Situation hatte sich so drastisch geändert, dass alles anders war. Sie
Kannst du das schaffen, kannst du einen Zugang legen? Fragte Elvira, als Marie zurückkam.
Sie war blass und ihre Hände zitterten. Elvira wollte sie in den Arm nehmen, doch sie wusste nicht, wie das ankommen würde. Vor Leonie sollte sie das ganz gewiss nicht tun. Dann wäre sie noch unfreundlicher. Vielleicht sollte sie versuchen nett zu Leonie zu sein. Es war so schwer, mit ihr auf gutem Fuße zu kommen. Aber was sollte nur werden, wenn sie auf längere Zeit zusammen wohnen würden. Sie wusste ganz genau, auch wenn es sie jetzt nicht störte, Leonie war ihre Schwester; und ihr ganzes Leben lag noch vor ihnen.
Ich denke schon. Aber es wird nicht leicht. Antwortete Marie.
Du kriegst unsere Kraft. Sagte Linda sofort.
Elvira war erleichtert. Zumindest sie stand auf ihrer Seite. Sie lächelte Linda an und diese zwinkerte ihr zu.
Ich werde jetzt einen Mechanismus in Gang setzten. Dann läuft die weitere Zerstörung des Tumors von alleine. Gebt mir einfach etwas von eurer Magie. Sie taten, was Marie ihnen gesagt hatte. Marie war blass, jedoch sah man die Entschlossenheit in ihren Augen. Sie würde es schaffen. Marie schloss ihre Augen.
Elvira spürte die Magie, die Marie benutzte, um den Zugang zu legen. Es war nicht nur Maries Magie, auch Linda, Leonie und sie waren darin enthalten. Es war beeindruckend.
Elvira spürte plötzlich einen leichten Sog. Sie konnte sich das nicht erklären, doch er schien von Marie zu kommen. Sie wurde zu Marie gezogen. Vielleicht brauchte sie noch mehr Magie von ihnen. Auch Linda und Leonie bewegten sich auf Marie zu.
Nach einer Weile befanden sie sich bei Marie und bildeten einen Kreis – genau wie in der anderen Welt. Sie fassten sich an den Händen. Sie wussten, dass es so sein musste.
Es war ein wundervolles Gefühl als die Magie durch sie hindurch strömte. Da sie nicht mehr auf der körperlichen Ebene waren, brauchte Elvira nicht auf ihren Körper und den Tumor zu achten. Alles, was sie an Magie zu Verfügung hatte, floss durch den Kreis der Schwestern. Sie spürte einen Teil von Maries Magie in ihr, von Lindas und Leonies. Sie waren alle so verschieden und trotzdem schien eine gewisse Harmonik zu bestehen wie ihre Magie zusammenwirkte. Sie vermischte sich, ihr Ordnungssinn zu Lindas Flüchtigkeit, Maries Tierliebe und ihre Gleichgültigkeit Tieren gegenüber.
Marie konzentrierte sich auf den Zugang und den Tumor des Körpers, der ja ihrer war, während sie das wundersame Gefühl der strömenden Magie genoss.
Sie verlor das Zeitgefühl.
Elvira merkte jedoch, dass der Magiestrom kleiner wurde. Weniger Magie floss. Marie brauchte sehr viel.
Dann brach der Fluss ganz zusammen. Ich bin fertig. Sagte Marie, bevor sie sich wegen dem Abbruch sorgen machen konnten.
Sehr gut. Dann raus hier. Sagte Linda. Sorry, Elvira, das sollte nichts gegen dich sein.
Schon okay. Sagte Elvira und versuchte ein Lächeln.
Marie nahm sie wieder mit, aus den Poren der Haut hinaus.
Sie landeten wieder in ihren Körpern. Elvira wollte gerade tief einatmen, da wurde alles schwarz und etwas wie ein kleiner, harter Brocken schien ihre Luftröhre zu versperren.

Kapitel 25
Linda öffnete die Augen, langsam und behaglich. Es war ein wunderbares Gefühl gewesen als ihre vermischte Magie durch sie hindurch strömte.
Da hörte sie jemanden scharf einatmen und schreckte hoch. Es störte dieses Feeling, was aufgekommen war. Schnell riss sie die Augen auf, doch was sie sah, war nicht gut.
Elvira lag auf dem Boden, regungslos, und Marie war über sie gebeugt.
Was hat sie? Schrie Linda.
Sie atmet nicht! Sagte Marie, sie war ganz blass.
Linda rannte zur Tür. „Hilfe!“, schrie sie. „Wir brauchen Hilfe!“ Jemand kam den Gang entlang gelaufen, angelockt von Lindas Rufen. Sie sah nur die schwarzen Umrisse der Gestalt, aber es war ihr gleichgültig, wer da kam.
Sie rannte zurück in den Raum.
Marie und Leonie hatten sich besorgt über Elvira gebeugt. Auch Linda lief wieder zu Elvira hinüber.
„Geht zur Seite!“, durchschnitt eine Stimme die Stille. Sie gehorchten Augenblicklich, nur Marie blieb an Elviras Seite.
Die Frau fühlte Elviras Puls und beugte sich weit über sie. Linda konnte nicht still daneben stehen, sie lief auf und ab.
„Wie geht es ihr?“, fragte sie schließlich ungeduldig, doch die Frau antwortete nicht. Auch Marie sagte kein Wort. Also war es nicht gut. Sie trat wieder näher an Elvira.
Da erkannte sie die Frau. Es war Anywa.
„Anywa!“, sagte sie überrascht.
„Das ist richtig.“, sagte diese abwesend.
„Wo kommen Sie her?“
„Von Maestro Bourbon.“
„Das meinte ich nicht.“, sagte sie schlecht gelaunt. Sie wollte wissen, wie Anywa nach Monaco gekommen war. Woher wusste sie überhaupt, dass sie da waren? Doch Anywa sagte nichts mehr. Stattdessen fing sie an, auf Elviras Brust rhythmisch zu klopfen.
So etwas hatte sie noch nie gesehen. Das wird Elvira doch nicht wieder gesund machen. Elviras Gesicht wurde ganz blau.
„Was machen sie denn da?“, brüllte Linda. Doch Anywa ließ sich nicht beirren. Sie klopfte und massierte Elviras Brust. Ihr Kopf lief immer dunkler an.
Anywa würde sie noch umbringen! Sie stürzte auf Anywa zu. Doch Marie rief: Nicht, Linda! Sieh doch hin, sie atmet wieder!
Es stimmte. Zittrig und unregelmäßig, doch Elviras Brust hob und senkte sich.
„Keine Ursache.“, sagte Anywa zu Linda gewandt. „Würden Sie mir helfen, sie in ihr Bett zu bringen? Sie braucht Ruhe.“ Linda biss sich auf die Lippe. Sie war nicht besonders nett zu Anywa gewesen, und sie hatte das Leben von Elvira gerettet.
„Es tut mir leid.“, sagte Linda zerknirscht. Sie fasste Elvira unter den Achseln und zog sie hoch. Elvira war ganz leicht und fühlte sich zerbrechlich an.
„Schon gut. Aber überlegen sie es sich nächstes Mal vorher, ob du die Leute von ihrere Arbeit abhalten solltest oder nicht.“
„Ja.“, sagte sie kleinlaut. Sie trug Elvira zu ihrem Zimmer.
„Wo haben Sie das gelernt?“, fragte Marie neugierig.
„Was? Das Heilen? Ich habe mal als Krankenschwester gearbeitet.“
„Da haben Sie das gelernt?“
„Es war in Australien.“ Wow. Anywa hatte in Australien als Krankenschwester gearbeitet. Sie war wirklich herumgekommen. Sie wollte auch mal nach Australien.
„Die Medizin ist dort im Busch etwas begrenzt. Deswegen haben sie mit den Mitteln mehr oder minder erfolgreiche Methoden entwickelt. Das Klopfen löst Schleim und Verstopfungen in der Lunge und den Bronchien.“ Marie nickte. Sie kamen zu ihrem Zimmer.
„Ich werde Minestro Bourbon benachrichtigen.“ Anywa ging, ohne die Schwestern noch eines Blickes zu würdigen.
Linda legte Elvira ins Bett.
Wieso ist sie so dünn? Sie ist richtig mager. Fragte Linda, an Marie gerichtet.
Sie ist wenig. Ist euch das noch nicht aufgefallen? Antwortete Marie.
Nein. Linda war besorgt.
Was habe ich wohl falsch gemacht? Fragte sich Marie besorgt. Es war jetzt das zweite Mal, dass sie Elvira fast umgebracht hatte.
Das war nicht deine Schuld. Du hast sie gerettet. Marie nickte, wenig überzeugt.
Was können wir jetzt für sie tun? Fragte Leonie. Es war das erste Mal, dass sie etwas sagte, nachdem sie Elvira angefahren hatte.
Naja. Wir müssen auf jeden Fall aufpassen, dass sie weiteratmet, ihr Blutdruck konstant bleibt, der Puls in Ordnung ist und dass sie kein zu hohes Fieber bekommt. Wir müssen ihr auch etwas zu essen und trinken zu sich nimmt. So mager wie sie ist, ist das ganz besonders wichtig. Leonie nickte. Linda fragte sich, ob das Mädchen, von dem Leonie erzählt hatte, Elvira war. Eigentlich musste es ja sein, sonst hätte sie es nicht in dem Zusammenhang erzählt. Es hatte sie unglaublich verletzt. Ihr gequälter Gesichtsausdruck hatte Bände gesprochen. Konnte Elvira Leonie das antun? Konnte sie so grausam sein? So wie sie da im Bett lag, konnte sie sich das nicht vorstellen. Aber, früher war sie auch nicht so begeistert von Elvira gewesen. Es war noch nicht lange her, aber es war so viel passiert und sie hatte, so dachte sie, sie hatte Elvira besser kennengelernt. Elvira war nicht grausam und gefühllos. Sie war nur in sich gekehrt. Linda glaubte fest daran, dass Elvira nett war. Sie vertraute ihr.
Es musste ein Missverständnis sein.
Die Tür öffnete sich und Gabriella kam herein.
„Wie geht es ihr?“, fragte sie besorgt und kam zu Elviras Bett.
„Besser, jetzt. Anywa hat ihr geholfen.“, antwortete Linda. Sollten sie ihr die Sache mit dem Tumor erzählen?
Gabriella setzte sich auf die Bettkante und nahm Elviras Hand.
„Was ist passiert? Was habt ihr gemacht?“ Linda blickte zu Marie.
„Naja. Elvira hatte ja gesagt, dass sie sich noch immer nicht gut fühlt. Da habe ich geguckt, wie viel von ihrer Magie sie wieder hatte und es war nicht mehr als die Hälfte. Also habe ich versucht herauszufinden warum. Ich fand in ihrem Körper Reste fremder Magie. Eine Art magischer Tumor. Wir haben zusammen einen Mechanismus in Gang gesetzt um ihn durch einen der Lungenbläschen abzutragen. Natürlich nur in ganz kleinen Stückchen. Aber das scheint sich abgelagert zu haben, denn sie konnte nicht mehr atmen. Anywa hat sie gerettet. Mit eine Klopfmethode aus Australien.“
Gabriella schwieg.
„Warum seid ihr nicht zu mir gekommen? Das hätte schief gehen können.“ Sie blickten betreten auf den Boden. Gabriellas Enttäuschung war schwer auszuhalten.
„Elvira hat es aufgeschoben. Und dann… Ja. Wir dachten wir könnten das schaffen.“, sagte Linda dann.
„Das könnt ihr ja auch. Aber ihr hättet das einfach mit uns absprechen können. Dann wäre wir dabei gewesen und hätten sofort eingreifen können, wenn etwas schiefgegangen wäre.“
Sie strich Elvira sanft über die Haare. Linda fühlte sich schlecht. Sie hatten ihre Mutter ausgeschlossen. Warum hatten sie das getan? Sie hatten endlich eine Mutter und was taten sie?
„Das nächste Mal kommt ihr erst zu mir, ja?“
„Natürlich.“, antworten sie gemeinsam.
Gabriella nickte. „Anywa sagte mir, sie darf nicht allein bleiben. Sorgt ihr dafür, dass immer jemand aufpasst? Und ihr müsst ihr etwas zu essen und trinken geben. Das ist wichtig.“
„Ja. Dafür sorgen wir.“ Während Gabriella liebevoll an Elviras Bett saß entstand eine Stille.
Glaubst du, dass die fremde Magie vollständig entfern werden konnte? Fragte Leonie besorgt.
„Ich weiß es nicht genau, aber ich bin mir ziemlich sicher.“, antwortete Marie.
„Worüber?“, fragte Gabriella verwirrt.
„Na, ob Elviras fremde Magie vollkommen weg ist.“, sagte Linda, genauso verwirrt wie ihre Mutter.
„Wer hat das denn gefragt?“, meinte die Mutter noch verwirrter.
„Ich.“, sagte Leonie und blickte ihre Mutter besorgt an. „Hast du es nicht gehört?“
„Nein.“, erwiderte diese. „Du hast noch nicht einmal die Lippen bewegt.“ Leonie blickte sie verwirrt an. Dann schaute sie zu Marie und Linda, doch diese zuckten mit den Achseln.
„Wir haben es gehört. Klar und deutlich.“, sagte Linda. Warum hatte ihre Mutter nicht gesehen, wie Leonie ihre Lippen bewegt hatte? War das denn jetzt auch wichtig?
„Komisch.“, meinte ihre Mutter nur noch, dann wandte sie sich wieder Elvira zu. Leonie blickte auf ihre Armbanduhr. Es war Zeit für das Mittagsmahl. Doch sie konnten Gabriella und Elvira jetzt nicht allein lassen.
„Geht nur zum Mahl.“, sagte Gabriella leise. Sie hatte wohl Leonies Blick auf die Uhr gesehen. Linda öffnete den Mund um zu widersprechen, doch Gabriella kam ihr zuvor. „Geht. Ich brauche nicht noch drei abgemagerte Töchter.“ Gehorsam ließen sie die beiden alleine. Vielleicht wollte Gabriella auch einfach nur mit Elvira alleine sein.
Linda, Leonie und Marie liefen die Korridore entlang. Mittlerweile fanden sie sogar den Weg zum Speisesaal alleine. Es wurden immer riesige Mengen an Essen aufgetischt, mehr, als sie je essen würden. Es blieben riesige Mengen über.
„Was machen sie eigentlich mit dem Essen, das bei jeder Mahlzeit über bleibt?“, fragte sie, in Gedanken versunken.
„Das kriegen die Angestellten. Der Koch, die Helfer, und diese Angestellten, die sich wohl besser Diener nennen.“ Stimmt, dachte Linda. Dass sie nicht selber darauf gekommen war.
Sie kamen am Speisesaal an und traten ein. An dem langen Tisch saßen schon etliche Leute. Minestro Bourbon saß auf seinem Platz direkt neben Maestro Bourbon. Sonst saß Maestro Bourbons Frau neben ihm, doch die saß heute an dem anderen Ende des Tisches mit zwei Frauen, die etwa um die vierzig waren. Auch die Frau von Maestro Bourbon war schon relativ alt, ihr faltiges Gesicht blickte freundlich und sie hatte ihre weißen Haare zu einem Dutt zusammengesteckt.
Neben Maestro Bourbon saß Anywa. Ungläubig blickte Linda zu ihr hinüber. Zuhause in Italien bestand sie darauf, dass sie alleine aß, aber hier saß sie direkt neben Maestro Bourbon und unterhielt sich mit ihm.
„Maestro Bourbon. Minestro Bourbon.“, grüßten sie die Anwesenden und senkten kurz den Kopf. Dann gingen sie zu Mitte der Tafel, wo ihre Plätze waren.
„Maestra Bourbon.“, grüßten sie auch die Frau von Maestro Bourbon.
„Signa Medici.“, grüßte diese zurück und senkte ihrerseits den Kopf. Heute saß sie ihnen fast gegenüber. Bis jetzt hatten sie noch nicht oft mit Maestra Bourbon gesprochen. Auch sie betreute Schüler und hatte damit alle Hände voll zu tun.
„Wie geht es eurer Schwester? Signa Elvira?“
„Es geht ihr dank Anywa relativ gut. Den Umständen entsprechend.“, antwortete Leonie. In Umgang mit den Magiern führte Leonie das Wort. Marie bekam kaum den Mund auf und Elvira hatte meistens nichts zu sagen. Und sie hielt sich zurück, denn sie konnte sich nicht so mühelos wie Leonie an die Umgangsformen mit Magiern halten.
„Das freut mich zu hören.“, sagte Maestra Bourbon. Eine Weile blieb es still. Dann fragte sie:
„Kommt ihr mit den magischen Lektionen zurecht?“ Sie musterte sie mit den grauen Augen, die unheimlich klug blickten.
„Wir hatten bisher nur eine Stunde. Und die war kurz. Minestro Bourbon wurde in die Küchen gerufen.“, antwortete Leonie. Sie fühlten sich etwas unwohl unter Maestra Bourbons grauen Augen.
„In die Küchen?“, fragte sie und ihre grauen Augen blitzten ärgerlich. „Was wollte er denn da?“
„Der Koch hatte etwas mit ihm zu besprechen.“, antwortete Linda ihr. Das ungewöhnliche Interesse der Frau an dieser nebensächlichen Sache beunruhigte sie.
„Hmm.“, machte sie nachdenklich, dann fuhr sie fort, als wäre nichts gewesen. „Eure Magie ist ganz besonders.“, stellte sie fest.
„Stimmt es, dass ihr Vierlinge seid?“, fragte sie interessiert.
„Ja. Ich glaube schon. Aber viereiig.“, meinte Leonie.
„Von so einem Fall habe ich noch nie gehört. Eure Magie ist deswegen einzigartig. Sie ist vollkommen anders als die Magie von normalen Magiern. Schon Zwillinge sind etwas ganz besonderes. Vielleicht sollte ich euch Melissa und Lina vorstellen.“ Sie sprach eher zu sich selber als zu den Schwestern. Dann wandte sie sich wieder ihrem Essen zu.
Auch die Schwestern aßen. Als sie das Essen beendet hatten und gerade aufstehen wollten, kam ein Küchenmädchen auf sie zu.
„Signa Medici.“, sagte diese und verbeugte sich. „Est-ce que vous voulez que je apporte un peu de le repas chez Signa Elvira ?“
Leonie und Marie blickten zu Linda.
„Sie fragt, ob sie etwas Essen zu Elvira bringen soll.“, übersetzte Linda. „Natürlich. Oui. C’est très gentil.“
Das Mädchen verbeugte sich abermals und verschwand wieder in die Küchen zurück.
„Ob Minestro Bourbon die Stunde wohl trotzdem machen wird?“, fragte Linda, der gerade wieder eingefallen war, dass er die abgebrochene Stunde des Vormittags ja jetzt weiterführen wollte.
„Ich weiß es nicht.“, antwortete Leonie und blickte stirnrunzelnd zu Minestro Bourbon.
Als habe er den Blick gespürt, verabschiedete er sich und stand auf. Er sah sie unschlüssig vor der Tür stehen und kam zu ihnen herüber.
„Wollen wir?“, fragte er sie Lächelnd, als bemerke er nicht, dass Elvira fehlte.
„Ja. Wenn sie es für sinnvoll halten.“, antwortete Leonie schlicht. Sie betrachtete ihn mit einem abschätzigen Blick.
„Natürlich. Signa Elvira wird schon zurechtkommen.“ Leonies Blick wurde noch schärfer. Sie schien es gar nicht zu schätzen, dass Minestro Bourbon Elviras Abwesenheit nicht zu Wort brachte. Minestro Bourbon schien Elvira nicht besonders zu mögen. Damit hatte Leonie aber ein Problem.
Gerade Leonie.
„Im Meditieren ward ihr ja wirklich gut. Also dachte ich, machen wir jetzt mit etwas anderem weiter.“ Linda konnte gerade noch ein Schnauben unterdrücken. Sie waren nicht gut im Meditieren gewesen. Keiner von ihnen hatte wirklich meditiert. Elvira hätte es gekonnt, aber sie durfte ja nicht.
„Maik!“, rief da jemand hinter ihnen, als sie den Übungsraum schon fast erreicht hatten. Sie drehten sich um. Maestra Bourbon kam auf sie zu, hinter ihr eilten zwei Mädchen, die groß und schlank waren, scheinbar ein oder zwei Jahre älter als sie.
Als die Mädchen etwas näher gekommen waren, stockte Linda der Atem. Solche Mädchen hatte sie noch nie gesehen.
Man erkannte zwar, dass die Mädchen Zwillinge sein mussten, da sie genau die gleiche Form von Nase, Kinn, Händen und dem ganzen Körper hatten, jedoch konnten sie sich nicht stärker unterscheiden. Während die Linke ihr Haar kurz und glatt trug, war das Haar der linken lang und gewellt. Ihr Haar war von einem leuchtenden Rot, wohingegen das der Linken silberblond war. Die Linke sah schmächtig aus und ihre Augen leuchteten grau und intelligent. Die der Rechten waren braun, warm braun und sie wirkte insgesamt eher kurvenreicher.
Auch der Kleidungsstil war vollkommen verschieden. Während die Linke ein schlichtes blaugraues Oberteil und eine helle Jeans trug, hatte die andere einen weiten roten Rock und ein schwarzes Top an.
„Darf ich vorstellen: Das sind Signa Melissa und Signa Lina.“, sagte Maestra Bourbon, während sie zuerst auf die Linke und dann auf die Rechte deutete. Die Schwestern neigten leicht den Kopf, während Signa Melissa und Signa Lina nur dastanden und kühl lächelten.
„Ich wollte sie euch mal vorstellen, weil auch sie Zwillingsmagie haben.“ Maestra Bourbon nickte Minestro Bourbon zu und trat an die Tür um sie zu öffnen.
Melissa und Linda stolzierten als erste in den Raum. Leonie konnte sie jetzt schon nicht leiden. So arrogant und selbstherrlich wie sie waren.
Minestro Bourbon trottete ihnen hinterher. Maestra Bourbon lächelte und bedeutete ihnen noch vor ihr den Raum zu betreten.
Melissa, Linda und Minestro Bourbon hatten sich schon an den langen Tisch gesetzt und die Schwestern folgten ihrem Beispiel. Maestra Bourbon schloss die Tür hinter sich und setzte sich ebenfalls an den Tisch, neben Melissa, Linda und Minestro Bourbon.
So saßen die drei Schwestern gegenüber von ihnen. Leonie blickte zu Minestro Bourbon hinüber. Eigentlich hätte er als ihr Lehrer bei ihnen sitzen müssen.
„Zwillingsmagie ist etwas ganz Besonderes.“, fing Maestra Bourbon an zu erklären. „Könnt ihr euch vorstellen, warum?“ Leonie dachte nach. Für sie war es selbstverständlich, dass Zwillingsmagie etwas ganz Besonderes sein musste. Weil auch Zwillinge etwas ganz Besonderes waren.
Auch Linda und Marie fiel nichts Besseres ein und sie schüttelten den Kopf.
„Ihr wisst ja, jeder Mensch baut in seinem Leben Beziehungen zu anderen Personen auf. Die Menschen denken, dass sie im Herzen entstehen. Doch das ist nicht richtig. Zum Einen ist das Herz nur ein Muskel. Zum Anderen entstehen bei Beziehungen eine Art Band, die diese Personen verbindet. Bei Zwillingen ist dies ein ganz besonderes Band. Man kann damit also erklären, warum der eine Zwilling spürt, dass der andere krank oder traurig ist. Bei magischen Zwillingen ist es jedoch noch ausgeprägter. Die Verbindung zwischen ihnen ist dazu fähig, Magie zu leiten. Natürlich nur, wenn diese Verbindung mächtig genug ist. Das liegt daran, dass die Embryos im Mutterleib die gleiche Magie der Mutter zugeführt bekommen. Erst nach der Geburt entwickelt jedes Kind seine eigene Magie.“
Leonie lächelte. Das waren schöne Geschichten. Besonders wenn sie wahr sind. Sie liebte Geschichten von Kindern bzw. Babys. Manchmal erzählte ihre Mutter ihnen Geschichten aus ihrer Kindheit. Das war immer wunderschön. Sie konnte sich selber nur an Bruchstück aus ihrer Kindheit erinnern. Eine Mutter zu haben, die sie liebte war noch immer eine wundersame Sache.
Sie spürte, dass Marie und Linda genauso fühlten wie sie. Einen Moment überlegte sie, ob ihre Gabe, Gefühle zu lesen, auf diesen Beziehungsbändern beruhte.
„Deshalb habe ich heute Melissa und Lina mitgebracht. Sie sind eineiige Zwillinge und haben ein sehr ausgeprägtes Band. Zeigt mal eure Fähigkeiten. Einzeln.“
Melissa und Lina sahen sich an und lächelten. Dann standen sie auf und stellten sich in den Kreis in der Mitte des Raumes. Dass Maestra Bourbon gesagt hatte, dass sie es einzeln machen sollten, schien sie nicht zu stören. Dann öffnete Melissa, die Kalte, ihren Mund und blies einmal sanft. Einen Moment lang fragte sich Leonie, was das bewirken sollte, bis eine extrem kalte Brise über sie hinweg wehte. Kam sie von Melissa? Wieder öffnete sie ihren Mund und blies, diesmal stärker als vorher.
In Sekundenschnelle wurde es eiskalt am Tisch. Marie zitterte vor Kälte.
Melissa öffnete wieder den Mund, nur einen Spalt breit und richtete ihn auf den Boden. Sie blies, blies und sie konnten die Nebelwolke sehen, die sich gebildet hatte. Als sie sich langsam lichtete, sahen sie, dass der Boden vor Melissa mit einer Eisschicht bedeckt war. Melissa lächelte kühl und trat zurück, sodass Lina jetzt im Vordergrund war.
Auch sie öffnete ihren Mund und Marie zuckte zurück. Doch sie blies nicht, sondern sog Luft ein. Erstaunlicherweise wurde es auch nicht kalt, sondern deutlich wärmer. Vielleicht konnte sie die kalte Luft ihrer Schwester wieder absaugen. Doch je länger sie die Luft einsog, was sie extrem lange konnte, desto wärmer wurde es am Tisch. Die Eisspalte auf dem Boden schmolz jedoch nicht.
Es wurde immer wärmer, bis es sich schließlich anfühlte, als wäre sie in einer Sauna.
Jetzt könnte ich gut einmal die kalte Luft von Signa Melissa vertragen, sagte Linda und fächelte sich Luft zu.
Maestra Bourbon lächelte ihr zu.
Lina hörte auf und richtete ihren Sog auf die Eisspalte am Boden. Sie schmolz. Jedoch ohne eine Wasserpfütze am Boden zu hinterlassen.
Als sie fertig war, blickte sie Maestra Bourbon fragend an. Diese nickte und nahm eine Mandarine aus der Tasche, die sie kurzerhand in zwei Hälften teilte. Man konnte das Fruchtfleisch erkennen; orange und saftig. Sie warf die Mandarinenhälften den Zwillingen zu.
Sie fingen sie nicht auf, sondern bliesen und sogen Luft. Melissa blies Luft und Lina sog Luft ein. Dieses Mal schien sich die Temperatur nicht zu ändern. Die Beiden Mandarinenhälften schwebten in der Luft, ohne ihre Position zu ändern.
Wie funktioniert das?, fragte Linda verblüfft, doch niemand antwortete. Sie blickte verwirrt zu Minestro Bourbon und Maestra Bourbon.
„Ich sagte ja, die Verbindung zwischen Lina und Melissa ist sehr stark. Melissa kann alleine nur kalte Luft blasen. Lina kann Luft Luft einsaugen, sodass es warum wird. Jetzt haben sie über ihre Verbindung ihre Magie zusammengetan, sodass es weder warum noch kalt wird. Auch finden sie ein Mittelmaß zwischen Saugen und Blasen, sodass die Mandarinenhälften in der Luft scheinbar schweben.“, erklärte Maestra Bourbon dann.
„Lasst los.“, befahl sie den Zwillingen. Sie gehorchten.
Die Magie war wieder nur von einer allein.
Die eine Hälfte gefror augenblicklich und krachte durch einen Schub an die Wand hinter ihnen. Die andere Hälfte verbrannte zu einem Klumpen schwarzer Reste und landete in Linas Hand.
Maestra Bourbon sah stolz zu den Schwestern.
„Und, habt ihr noch Fragen?“, fragte sie.
„Ja.“, antworteten Marie, Linda und Leonie gemeinsam. Maestra Bourbon lächelte.
„Na dann… Schießt los.“ Die Schwestern blickten sich an und beschlossen still, dass Leonie zuerst fragen sollte.
„Müssen sich diese Verbindungen entwickeln oder kommen sie allein durch die embryonale Phase?“
„Beides. Die Grundvoraussetzung entsteht in der embryonalen Phase, aber die Stärke und Ausgeprägtheit müssen entwickelt werden.“ Leonie nickte. So hatte sie sich das gedacht. Deswegen wurde ihre Magie langsam stärker, desto näher sie sich kamen. Sie hatte gespürt, dass sie immer mehr, immer komplexere Gefühle erkennen konnte.
„Können nur Menschen solche Beziehungsbänder entwickeln oder auch Tiere?“, fragte Marie.
„Das ist eine gute Frage. Ich habe mich damit noch nicht beschäftig. Es gibt Leute, die das als ihr Spezialgebiet haben, an die solltest du dich wenden. Sie haben bestimmt mehr Ahnung. Prinzipiell vertrete ich jedoch die Meinung, dass auch Tiere dazu fähig sein müssten. Gerade Tiere, die als Haustier gehalten werden.“
„Kann man über solche Bände kommunizieren?“, fragte Linda, ihre Augen leuchteten. Sie war richtig aufgeregt.
„Hm. Das haben wir noch nie erlebt, aber es müsste möglich sein. Man kann Gefühle und Magie hinüberschicken, warum nicht auch Gedanken? Allerding s sind diese Beziehungsbände auf einer anderen Ebene. Ich sage immer, dass es drei Ebenen gibt, die sich teilweise überschneiden; die Materielle, also die, die wir sehen; die der Energie, die man oftmals messen kann; und die Magische.
Gedanken, Gefühle und zwischenmenschliche Beziehungen sind natürlich auf der magischen Ebene.“
Leonie spürte Lindas Aufregung und merkte zuerst nicht, dass auch sie aufgeregt war.
Das ist die Lösung!, dachte sie. Ganz einfach. Deshalb konnten sie miteinander reden, ohne dass ihre Mutter oder Maestra Bourbon etwas davon mitbekamen. Sie haben über die magische Ebene miteinander kommuniziert, weil sie vorher ja in Elviras Blutbahnen gewesen waren, also auch auf der magischen Ebene, und dort nur magisch kommunizieren konnten, hatten sie nachher weiter auf magische Weise kommuniziert. Deswegen konnte ihre Mutter Linda nicht hören.
„Sind diese Verbindungen von Raum und Zeit abhängig?“, fragte Marie.
„Naja. Eigentlich sind sie wie normale Beziehungen. Manchmal besser, manchmal schlechter. Wenn man sich länger nicht gesehen hat ist es nicht mehr so toll. Aber der Raum hat selber keinen Einfluss darauf. Auf jeden Fall nicht auf die Zwillingsverbindung. Manche Beziehungen, die Flüchtigen, basieren darauf, dass man sich sieht, aber das ist eigentlich nebensächlich.“
„Kann es sein, dass manche magischen Fähigkeiten darauf zurückgreifen?“, fragte Leonie.
„Nein. Auf jeden Fall nicht direkt. Jeder Mensch hat einen natürlichen Ausfluss von Daten auf der magischen Ebene. Manche Magier können diese abrufen. Alle Leute, die Gedanken oder Gefühle von anderen auffangen zum Beispiel. Du hast diese Kraft, nicht wahr?“
Leonie nickte. Das war es also. Sie griff auf den natürlichen Datenausfluss eines Menschen auf der magischen Ebene zurück. Magie brachte da also keine Wertung hinein. Sie war lediglich das Medium, sodass sie darauf zugreifen konnte. Das hatte zwar das Rätsel um die Magie nicht gelöst, aber es zerstreute ihre Zweifel über die Neutralität der Magie.
Es war also nicht so, wie ihre Mutter gesagt hatte. Dass sie über Magie schon alles wussten, was zu wissen war.
Aber auch das war wieder nur Ansichtssache. Denn jede Gemeinschaft glaubt andere Dinge über die Magie zu wissen. Fragt sich nur, wer Recht hat.
„Habt ihr schon einmal mit der Zwillingsverbindung gearbeitet?“, fragte Maestra Bourbon.
„Nein, Maestra Bourbon.“, antwortete Leonie. Maestra Bourbon blickte zu Marie. Leonie spürte, wie Marie nervös wurde. Sie hatte unglaubliche Angst davor, dass jemand sie ansprach oder sie um etwas bat. Im Interagieren mit anderen Personen war sie eine Katastrophe. Wieder fragte Leonie sich, wie Marie so geworden war. Sie hatte ein paar Erinnerungen an sie, da war sie noch nicht so verschlossen gewesen. Im Waisenhaus hatte sie sie zwar gekannt, aber richtig beschäftigt hatte sie sich mit ihr erst vor ca. einem Jahr.
Warum eigentlich? Sie hatten sich doch so gut gekannt. Ihre Mutter hatte zwar ihre Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit und Magie gesperrt, aber wie konnte ihre Zusammenarbeit, die davor noch so gut gelaufen war, plötzlich weg sein?
Vielleicht lag es an dem Schock. Dem Schock, nichts mehr von der Vergangenheit zu wissen. Vielleicht auch das vage Gefühl eine Familie verloren zu haben. Leonie wusste es nicht genau. Aber das zählte jetzt auch nicht mehr, denn es ging darum, die Macke, die dadurch entstanden war, wieder auszumerzen. Aber wie?
„Signa, Marie, haben sie schon einmal etwas von ihren Schwestern empfangen, von dem sie nicht wussten, wie?“
Marie bekam einen roten Kopf. Dann schüttelte sie ihn. Leonie spürte bei ihr eine Aufregung, die sie sich nicht erklären konnte.
„Doch, hast du.“, widersprach Linda. Maries Augen weiteten sich. Leonie wollte sie so nicht sehen, also sprang sie ein.
„Wir glauben das auf jeden Fall. Wir glauben, dass wir magisch kommunizieren können.“ Maestra Bourbon hob überrascht die Brauen.
„Wirklich? Das ist neu. Das erfordert riesige Aufmerksamkeit und eine sehr ausgeprägte Verbindung, weil Gedanken ja sehr konkret sind und nicht nur wie Gefühle eine Andeutung oder ein Hauch davon reicht, um es zu verstehen.“
Eine Pause entstand, während keiner etwas sagte. Dann fragte Maestra Bourbon:
„War das noch mit Elvira oder nachdem sie fast erstickt war, oder im Augenblick, indem sie fast erstickt ist?“ Leonie überlegte. Angefangen hatte es wahrscheinlich in Elviras Blutbahnen.
„Davor. Aber wir haben auch danach noch so kommuniziert. Allerdings unbeabsichtigt.“
Leonie kam ein Gedanke. Konnte die Magie von Herrn Braun in Elvira der Schlüssel dazu gewesen sein?
„Wissen sie von der fremden Magie, die in Elvira war?“, fragte Leonie sie. Maestra Bourbon nickte. Automatisch versuchte Leonie, Maestra Bourbons emotionale Reaktion abzuschätzen, die sie an die Erinnerung an Elviras missliche Lage zeigte. Doch sie spürte nichts. Ihre Augen verengten sich fast unmerklich. Warum konnte sie nichts spüren?
„Ja?“, fragte Maestra Bourbon und riss Leonie aus ihren Gedanken.
„Wir haben versucht sie und das betroffene Gewebe abzubauen und durch ein Lungenbläschen abzutransportieren. Doch sie bekam daraufhin keine Luft und ist fast erstickt. So wie Marie es eingerichtete hatte, hätte das gar nicht passieren dürfen. Kann es sein, das das magische Gewebe es darauf angelegt hat, Elviras Luftröhre zu verstopfen? Dass die Magie im Gewebe also eigenmächtig gehandelt hat?“
Maestra Bourbon dachte eine Weile nach. Dann antwortete sie vorsichtig:
„ Es ist wahrscheinlich so, dass sie Magie in einer Person einen Teil der Persönlichkeit von der Person in sich aufnimmt. Als ihr versucht habt, die Magie abzutransportieren, hat die Magie vielleicht einfach nur nach dem Überlebensinstinkt der Person gehandelt und die einzige Möglichkeit ergriffen, sich zu helfen. Wissen tun wir allerdings nichts.“
„Könnte die fremde Magie in Elvira der Schlüssel gewesen sein? Der Auslöser für die magische Verbindung?“, fragte Leonie dann.
„Nein. Die magische Verbindung bestand ja auch schon vorher. Daran kann auch die fremde Magie nichts geändert haben. Außerdem habt ihr, wie du gesagt hast, ja auch noch danach magische kommuniziert.“
Eine Weile war es wieder still, und Leonie dachte angestrengt nach. Es kam ihr komisch vor, dass die Verbindung zwischen ihnen so plötzlich so stark war. Sie hatten vorher gar nichts davon gespürt. Das konnte nicht sein. Es war unlogisch.
„Wie kommt es dann, dass wir ganz plötzlich erst über die magische Verbindung kommunizieren konnten? Davor haben wir nichts davon gespürt.“
„Das ist in der Tat etwas merkwürdig. Seid ihr sicher, dass ihr früher davon nichts gespürt habt? Keine ungewöhnlich starken Gefühlen, die ihr euch nicht erklären konntet? Eine emotionale Reaktion auf etwas Alltägliches?“ Leonie dachte nach. Als sie ihre Schwestern wiederentdeckt hatte, hatte sie genug zu tun gehabt mit ihrer neuen Magie. Da hatte sie ständig die Gefühle von irgendwelchen Leuten gespürt. Ein paar mehr hatten da auch nichts geändert. Sie schüttelte den Kopf. Auch Linda hatte keine Idee. Zu Leonies Verwunderung jedoch öffnete Marie den Mund.
„Ich bin mir nicht ganz sicher. Aber ich meine ich hätte manchmal zusätzlich negative Gefühle von Elvira aufgefangen.“ Überrascht blickten Leonie, Linda und Maestra Bourbon zu Marie. Melissa und Lina blickten unbeteiligt in eine Ecke des Raumes.
„Wann?“, fragte Leonie neugierig. Marie fühlte sich sichtlich unwohl im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.
„Ich weiß es nicht genau. Ungefähr zu dem Zeitpunkt, als ich beschloss, Vegetarier zu werden. Da haben wir sie ja öfter gesehen.“ Leonie nickte. Das war auch ungefähr der Zeitpunkt, als sie ihre Magie wiederentdeckt hatte.
„Das war ungefähr zu dem Zeitpunkt, als unsere Magie wieder zum Vorschein kam. Deswegen konnte ich Elviras Gefühle auch nicht spüren. Ich hatte ohnehin so viele neue Gefühle in mir. Aber mir kam es immer so vor, als hätte sie kaum Gefühle.“, sagte sie nachdenklich, dann hielt sie erschrocken inne. „Ich meine, so erschien es mir. Das sollte nicht heißen, dass sie keine hatte, ich konnte sie entgegengesetzt meiner Erfahrungen nur nicht spüren.“
„Das muss nicht unbedingt etwas heißen. Erfahrene Magier können unter Umständen diesen magischen Ausfluss unterdrücken oder auf jeden Fall minimieren, sodass es für Magier mit solchen Fähigkeiten schwieriger wird. Das ist bisweilen ziemlich nützlich.“ Natürlich, dachte Leonie. Deswegen kann ich ihre Gefühle nicht spüren. Es konnte ja kein Zufall sein, dass ich gerade die Gefühle einer so guten Magierin nicht spüren konnte. Wie sollte das gehen, den magischen Ausfluss zu minimieren? Warum konnte Elvira es, obwohl sie überhaupt nicht wusste, dass sie magisch war?
Weil Elvira alles kann. Sagte sie sich bitter. Alles was sie will, ist ihr möglich.
Maestra Bourbon lächelte in die Runde. Sie lächelten höflich zurück, doch Melissa und Lina hielten es offensichtlich nicht für nötig. Lina blickte nur kalt zurück und Melissa übersah sie ganz. Das schien Maestra Bourbon ein schlechtes Gewissen zu vermitteln und sie stand auf.
„Ich denke, wir können dann auch gehen.“, sagte sie zu Melissa und Lina. „Das heißt, wenn ihr soweit keine Fragen mehr habt.“, sie blickte die Schwestern an. Leonie wunderte sich, dass Maestra Bourbon so auf die gute Laune von Melissa und Lina hinarbeitete. Wie konnte eine Lehrerin von der Meinung der Schüler von ihr abhängig sein? Mit Lehrern hatten doch die Meisten Schüler Probleme.
Da ihnen auf die Schnelle keine weitere Frage einfiel, und sie auch keine Dringlichkeit dazu hatten, Maestra Bourbon im Gehen noch etwas zu fragen, schüttelten sie den Kopf.
Als Maestra Bourbon und die Schwestern aus dem Raum getreten waren und die Tür hinter sich geschlossen hatten, blickten sie erwartungsvoll zu Minestro Bourbon.
„Ihr habt heute ja viel gelernt. Wahrscheinlich habt ihr viel, worüber ihr nachdenken müsst. Also sage ich, bis morgen dann.“ Und auch er stand auf und ging zur Tür.
„Ach ja, wenn ihr wollt, könnt ihr hier gerne den Umgang mit der Magie üben. Das ist sehr wichtig, damit ihr besser damit umgehen könnt. Der Raum hier ist versiegelt, das heißt, dass fehlgegangene Aktionen nicht an die Außenwelt abgegeben werden können. Bleibt hier ruhig solange ihr wollt.“ Dann verließ auch er den Raum.
Leonie, Linda und Marie blickten sich an, dann schüttelten sie die Köpfe. Sie waren sich einig, sie wollten zu Marie und ihrer Mutter. Sich im Umgang mit der Magie üben konnten sie noch lange.
Also verließen auch sie den Raum und gingen zu ihrem Appartement.
Als sie eintraten, sahen sie ihre Mutter auf der Bettkante von Elviras Bett sitzen und ihre Stirn mit einem nassen Waschlappen abtupfen. Sie hörte ihre Töchter den Raum betreten und blickte sich um.
„Sie hat leichtes Fieber gekriegt.“, sagte sie dann und wandte sich wieder Elvira zu. Leonie fühlte sich schlecht. Ihre Mutter beachtete sie kaum. Sie wusste nicht, ob es daran lag, dass sie Elvira in diese Lage gebracht hatten oder ob es einfach an ihrer Sorge um Elvira lag, aber sie fühlte sich schlecht aufgrund des mangelnden Interesses ihrer Mutter an ihnen. Wollte sie sie für die Aktion bestrafen, wollte sie ihnen zeigen, wie sie sich fühlte, als die Schwestern sie nicht in ihre Pläne eingeweiht hatten?
„Wenn ihr jetzt hier seid, könnt ihr ja aufpassen. Ich wollte noch zu Maik. Wenn etwas ist, könnt ihr zu Anywa gehen, sie wird euch helfen.“
Damit verließ sie das Zimmer und die Schwestern waren wieder alleine.
Leonie saß wie betäubt auf Elviras Bettkante. Sie hatte etwas bei ihrer Mutter gespürt, was nicht sein durfte. Nicht sein konnte.
„Habt ihr das gespürt?“, fragte sie ihre Schwestern. Doch sie schüttelten den Kopf. Wie sollten sie auch.
„Was denn?“, fragte Linda ungeduldig, als Leonie nicht gleich antwortete.
„Zwischen unserer Mutter und Minestro Bourbon läuft etwas.“
Linda riss die Augen auf. Marie blickte sie erschrocken an.
„Bist du dir sicher?“, fragte Linda schockiert. Leonie konnte nur nicken. Sie bekam kein Wort über die Lippen.
„Wie kann das sein?“, fragte Marie. Sie war blass geworden und ihr Atem hatte sich beschleunigt. „Was ist mit unserem Vater?“
Doch keiner Antwortete. Elvira schlug im Schlaf um sich. Marie nahm den kalten Waschlappen und begann, wie in Trance, Elviras Stirn abzutupfen.
„Ich konnte Minestro Bourbon von Anfang an nicht leiden.“, meinte Linda. Alle nickten nur bestätigend und eine Weile herrschte Stille.
Elvira stöhnte im Schlaf.
„Ich glaube ihr geht es schlechter.“, meinte Marie.
„Wen wunderts.“, war Lindas Kommentar dazu.
„Ich sollte zu Anywa gehen.“, sagte Marie. Sie drückte Leonie den Waschlappen in die Hand und verließ den Raum.
Sie wollte nicht da im Raum sitzen und sich nur fragen, warum ihre Mutter ihnen das antat.
Anywa wollte noch etwas mit Maestro Bourbon besprechen. Meistens taten sie das nach dem Essen in dem Speisesaal. Hoffentlich störte sie sie nicht. Aber es ging ja um Elvira.
Sie klopfte an die Tür zum Speisesaal. Von drinnen hörte sie die erhoffte Antwort und trat ein.
Anywa und Maestro Bourbon saßen am Tisch, Notizen waren über ihn ausgebreitet.
„Ja?“, fragte Anywa.
„Elvira hat Fieber bekommen. Wir haben ihre Stirn schon mit einem kalten Waschlappen abgetupft, aber es ist noch schlimmer geworden. Sie schlägt außerdem um sich im Schlaf.“
„Alles klar. Geh schon mal vor, ich komme gleich nach.“ Marie nickte und verließ den Raum wieder.
Ihre Mutter und Minestro Bourbon. Sie passten nicht zusammen. Das ging einfach nicht. Sie waren doch erst ein paar Wochen hier. Sie wären so glücklich gewesen, wenn ihre Mutter ein bisschen Zeit mit ihnen verbracht hätte. Doch sie war dauernd bei den Bourbons. Es war bestimmt toll für sie, endlich wieder unter Magiern zu sein, nachdem sie zehn Jahre im Verborgenen Leben musste. Aber das hieß doch nicht, dass sie sie vollkommen vergessen durfte. Sie hatte doch auch ihre Töchter lange nicht gesehen. Waren sie ihr nicht so wichtig?
Marie traten Tränen in die Augen. Sie wusste, dass Familien nicht immer total das wunderbare Leben hatten, dass sie nicht immer total liebten, aber bei ihnen war das anders, sie hatten sich ja zehn Jahre nicht gesehen. Da musste doch jetzt die Zeit wundervoll sein?
Sie kam zurück zu ihrem Appartement und trat ein. Leonie, Elvira und Linda saßen da, wie sie sie verlassen hatte. Leonie blickte auf, als sie Marie sah, und lächelte traurig, als sie die Tränen in ihren Augen sah.
„Ich habe schon wieder alles falsch gemacht.“, sagte Leonie unvermutet.
„Warum?“, fragte Linda verwundert.
„Ich wollte dafür sorgen, dass niemand wieder zu früh beurteilt wird. Dass wir fair sind. Ich habe mir das Ziel gesetzt, alle Situationen aus allen Blickwinkeln zu betrachten, um euch sagen zu können, wenn wir falsch gehandelt haben. Doch hier habe ich versagt.“
Linda verstand wieder nicht viel.
„Drück dich mal klarer aus.“, verlangte sie. Leonie runzelte die Stirn über Lindas rüden Ton, doch sie fuhr fort.
„Ich denke, wir sollten uns für unsere Mutter freuen. Und auch Minestro Bourbon weiterhin nett gegenüberstehen, wenn er sie glücklich macht. Ja, sie hat kaum Zeit mit uns verbracht, seitdem wir hier sind, aber es ist auch für sie eine schwere Zeit. Jetzt ist sie endlich wieder unter Menschen, denen sie nichts verheimlichen muss, sie ist endlich wieder unter Magiern. Zehn Jahre musste sie sowohl auf ihre Töchter verzichten, konnte nicht nach ihrem Mann sehen, obwohl sie ihn in einer so schrecklichen Situation alleingelassen hat und sie durfte nicht einmal ihre Magie anwenden bzw mit Magiern überhaupt sprechen. Es muss schrecklich für sie gewesen sein. Sie hat sich mit Sicherheit so auf unser Zusammentreffen gefreut, wie wir es uns nicht vorstellen konnten. Aber dann, sie nimmt den Job als Lehrerin an, als sie merkt, dass wir unsere Magie wiederhaben um uns damit zu helfen und zu überwachen. Sie darf ihre vermissten Töchter also jeden Tag sehen, aber nicht in den Arm nehmen, sie darf nicht offenbaren, wer sie wirklich ist. Es muss ein Martyrium gewesen sein.“
Leonie blickte von Marie zu Linda und merkte, dass sie die anderen nachdenklich gemacht hatte.
„Dann irgendwann beschließt sie, dass der Zeitpunkt gekommen ist und klärt ihre Töchter auf. Sie freut sich so auf die nächste Zeit, wenn sie mit ihren Töchtern endlich nach Italien zurückfahren darf.
Doch schon nach wenigen Wochen stört uns Herr Braun und wir müssen fliehen. Sie weiß ganz genau, dass sie wieder ein Geheimnis vor uns bewahren muss.
Jetzt ist Elvira krank und wir versuchten sie zu retten, was sie in eine lebensbedrohende Situation brachte, ohne sie einzuweihen.“
Marie schaute schuldbewusst auf ihre Hände, Linda rieb sich die Nase. Das tat sie immer, wenn sie nicht zufrieden mit sich war.
„Und jetzt, als sie wieder einen Grund zum Glücklichsein gefunden hat, gönnen ihre Töchter ihr das nicht. Deswegen verlässt sie Minestro Bourbon, denn ihre Töchter sind ihr noch wichtiger. Doch sie ist nicht glücklich und die Töchter haben ihren Respekt verloren.“ Sie machte eine Pause und eine Weile lang sagten sie nichts. Marie fühlte sich schuldig.
„Wir haben uns da in etwas hineingesteigert. Das kann passieren. Man sollte nur darauf achten, dass das nicht zu oft passiert.“ Wieder entstand eine Pause.
Da öffnete sich die Tür und Anywa trat in den Raum.
„Alles in Ordnung mit euch?“, fragte sie, als sie die betretenen Gesichter von den Schwestern sah.
„Mit Elvira nicht“, antwortete Marie schnell, ohne richtig auf die Frage von Anywa einzugehen.
„Ja. Ich werde sie jetzt noch einmal untersuchen um zu gucken, ob noch fremde Magie in ihr ist. Das würde das Fieber zwar nicht erklären, aber vielleicht finde ich diese Quelle. Denn Fieber ist keine Krankheit sondern nur ein Symptom. Ich hoffe, dass wisst ihr.“
„Deswegen kam ich ja zu ihnen.“, sagte Marie. Sie wollte ihr zeigen, dass sie sehr wohl etwas von Bio verstand.
„Und das war auch gut von dir.“
Anywa ging zum Bett, wo Elvira lag, noch immer unruhig schlafend.
Anywa legte ihre Hände auf Elviras Schläfen und schloss die Augen. Marie hätte zu gerne gewusst, was Anywa da tat, doch sie wollte die Frau nicht stören.

In Elviras Kopf ging alles drunter und drüber. Sie konnte sich auf nichts richtig konzentrieren. Es fühlte sich an, als ob ihr Kopf heiß laufen würde. Sie hasste dieses Gefühl.
Plötzlich wurde sie still gehalten, irgendjemand legte ihr die Hände an die Schläfen. Die Hände waren rau, aber angenehm kühl. Sie wehrte sich nicht dagegen, diese Hände versprachen Linderung.
Plötzlich wurde der Druck auf ihre Haut an diesen Stellen heftiger. Sie schrie auf. Die Hände bohrten sich in ihr Fleisch zerstörten ihren Kopf.
Sie schrie und wehrte sich, schlug um sich, tritt, aber die Hände lockerten ihren Griff nicht.
Dann, endlich, lösten sich die Hände von ihr. Sie rollte sich zusammen, ihr Kopf war so heiß, nichts war besser geworden.
Die Gedanken flogen in ihrem Kopf hin und her, als würde jemand ihn kräftig schütteln. Sie wollte, dass es aufhörte. Jetzt.
Sie wusste, dass sie etwas schlafen sollte, dass es dann besser werden würde, aber sie konnte nicht schlafen, sie war zu aufgeregt. Sie konnte auch nicht darüber nachdenken, wem die Hände gehört hatten.

„Es geht nicht.“, sagte Anywa und nahm ihre Hände von Elviras Schläfen. „Sie ist zwar schwach, aber der Schild ihrer Haut ist noch immer zu stark.“ Doch die Schwestern hörten ihr nicht zu. Elvira hatte geschrien, als würde sie Todesqualen ausstehen.
„Was haben sie ihr angetan?“, fragte Linda fassungslos. Sie hatten Anywa vertraut. Nie würde sie Elviras Schrei vergessen. Er hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt. War wie ein Schrei um sie zu fragen, warum sie ihr das antaten. Ob Elvira gewusst hatte, dass sie, ihre Schwestern, Anywa geholt hatten, um ihr zu helfen?
„Nichts.“, erwiderte Anywa. „Ich wollte helfen. Ich wollte gucken, ob sie noch immer fremde Magie in ihrem Körper hat und was die Ursache für das Fieber ist.“
„Ja, aber doch nicht so.“, erwiderte Marie angewidert. Linda blickte Marie an und versuchte ihr zu vermitteln, dass sie es stattdessen versuchen sollte.
Du kannst es. Sagte sie in Gedanken. Marie blickte sie überrascht an. Also hatte sie es geschafft. Über ihre Verbindung kommuniziert.
Marie! Sagte da eine Stimme, die weder Linda, Marie noch Leonie gehörte. Anywa reagierte nicht, doch sie blickten automatisch zu Elvira hinüber. War sie es? Fragte Linda verwundert. Sie hatte gedacht, dass Elvira zu schwach war um mit ihnen zu kommunizieren.
Marie war berührt, dass Elvira ihren Namen genannt hatte, das erste was sie gesagt hatte.
Sie trat zu ihr hinüber und setzte sich auf die Bettkante.
Sofort entdeckte sie die kleine blutige Stelle auf ihrem Handrücken. Hatte Elvira sie sich selber zugefügt, damit Marie in ihren Körper eingelassen werden konnte, oder war es Zufall?
Sie fasste Elvira an der Hand, wobei sie die blutige Stelle bedeckte. Dann machte sie sich ganz klein und gelang durch den Blutkreislauf in Elviras Körper.
Wieder hängte sie sich an eine Leukocyte um zu dem Ort des Aufruhrs zu gelangen.
Es war die gleiche Stelle, an der sie letztes Mal die fremde Magie gefunden hatte. Das Gewebe sah zwar nicht gesund aus, aber Marie konnte deutlich erkennen, dass keine fremde Magie mehr vorhanden war. Stattdessen wurden über das Blut die nötigen Blutplättchen und Nährstoffe geliefert, um die Stelle zu reparieren. Das konnte Elviras Körper alleine, dafür brauchte er sie nicht.
Also trieb sie weiter, sie versuchte das Lungenbläschen zu untersuchen, das für den Abtransport verantwortlich war. Es hatte sich leicht entzündet. Auch das war nicht weiter verwunderlich. Es würde abheilen, da war sie sich sicher.
Das Fieber kam wahrscheinlich nur vom Heilungsprozess. Sie wollte nicht weiter in Elviras Körper bleiben, nur zu gut erinnerte sie sich an Elviras Schrei, der ihre Qualen gezeigt hatte, als ein fremder Geist in ihrem Körper gewesen war.
Als sie wieder in ihrem Körper war, nahm sie die Hand von Elviras Hand und stand vom Bett auf.
„Es geht ihr den Umständen entsprechend. Nicht schlimmer, als es sein darf. Trotzdem hat sie Fieber. Wir machen ihr kalte Wickel.“
Sofort eilten Linda und Leonie ins Bad, um die Wickel vorzubereiten. Marie stand Anywa allein gegenüber. Sie konnte sich nicht erklären, weshalb, aber sie fühlte sich zum ersten Mal in ihrer Gegenwart bedroht.
„Du hast eine angeborene Fähigkeit zu heilen. Das solltest du weiter verfolgen.“, lobte Anywa sie. Doch Marie sagte nichts und blickte Anywa nur schüchtern an.
„Wirklich. Ich meine das ernst. Es gibt heutzutage viele Möglichkeiten, das Heilen zu erlernen. Das Interessanteste und auch Informativste ist es umherzureisen. Dann lernt man neue Kulturen kennen, neue Heilmetoden und neue Arten, mit Magie umzugehen. Jeder Magier, der etwas auf sich hält und genug Geld hat, macht das einmal.
Ich kann mal mit Gabi sprechen, dann legen wir das fest.“
Marie sah sie weiterhin nur an, traute sich nicht, etwas dagegen zu sagen. Es klang zwar toll, aber sie wusste, dass es unmöglich war. Solange Herr Braun noch hinter ihnen her war, konnten sie hier bestimmt nicht weg. Sie wäre so gerne frei und ungebunden. Würde irgendwo in der Steppe umherziehen. Lernen und Menschen heilen.
Leonie und Linda kamen wieder, sie hatten die Wickel vorbereitet und legte sie Elvira um Beine und Arme.
Marie spürte, dass es Elvira gut tat und entspannte sich etwas. Es entstand eine Pause, keiner sagte etwas. Es gab nichts, was sie hätten sagen können.
Marie fühlte sich, als wären sie an einen toten Punkt gelangt. In eine Sackgasse. Ihr fehlten Ideen, wie sie wieder hinaus kommen könnten und auch die anderen taten nichts.
Sie fand es scheußlich.
Was sollen wir jetzt machen? Fragte Linda. Sie beherrschte das Kommunizieren über die Magie am besten. Marie konnte es nicht so gut, aber wenn sie einmal drin war, fiel es ihr auch nicht mehr schwer.
Bitte, lasst uns irgendetwas tun! Sagte Marie. Sie wollte hier weg, und zwar so schnell wie möglich.
Wir könnten dieses Haus ein wenig erkunden. Schlug Leonie vor. Sie spürte genau, dass Marie immer nervöser wurde.
„Ich denke, wir können Elvira jetzt für eine Weile alleine lassen. Sie sollte etwas schlafen.“, sagte da Anywa, als hätte sie das Gespräch von den Schwestern irgendwie gehört.
Leonie nickte Marie und Linda zu, dann erklärte sie Anywa, dass sie etwas im Haus umherschweifen wollten und sie verließen den Raum.
Das Haus war prachtvoll eingerichtet. Die Gänge waren sehr breit und sollten eher Korridore genannt werden. Von ihnen zweigten andere Korridore ab und viele Türen führten hier auf die Korridore. Alle Türen waren verschlossen und sie wussten nicht, wozu die vielen Räume in diesem Haus dienten.
Sie wussten, dass auch Bedienstete hier im Haus wohnten und zusätzlich Schüler von der Familie Bourbon. Auch ein paar Freunde von der Familie hielten sich hier auf, trotzdem erschien ihnen die Größe des Hauses überdimensionalisiert.
Sie gingen weiter den langen Korridor hinunter und bewunderten die Sitzecken, die in den Nischen des Korridors angebracht waren und die vielen Gemälde, die an den Wänden hingen.
Sie bogen um eine Ecke und stiegen einen kleine Treppe hinauf. Oben bot sich ihnen ein wunderschöner Anblick. Die ganze rechte Seite des Gangs war verglast und zeigte den wunderschönen Park, der das Haus umgab. Marie sah einen See mit tief hängenden Bäumen am Ufer. Um den See herum war hohes Gras, dieser Teil des Parks war verwildert, auf der vorderen Seite war es ein wunderschön symmetrischer Garten.
Da will ich mal hin. Sagte Marie. Langsam gingen sie an der verglasten Seite entlang, ihr Blick war von der Natur draußen gebannt.
Sollen wir uns einen Weg nach draußen suchen? Fragte Marie aufgeregt.
Von mir aus. Sagte Linda und auch Leonie nickte zustimmend. Also streiften sie weiter durch das Haus auf der Suche nach einer Tür zum Garten. Nach einer Weile fragte Leonie:
Wisst ihr, wo wir sind? Marie schüttelte betreten den Kopf. Sie hatte gehofft, dass Leonie oder Linda wussten, wo sie waren. Das Haus war so groß und so verwinkelt, dass es schwer war, sich zu orientieren. Es sah alles gleich aus für sie.
Schade. Meinte Linda und kicherte. Dann müssen wir irgendwen fragen. Aber hier läuft keiner rum. Hmm. Ich klopf mal hier.
Nein! Rief Marie erschrocken. Du könntest sie stören. Vielleicht ist ein privater Raum.
Naja. Deswegen klopfe ich. Wenn sie uns nicht wollen, werden sie nicht antworten und wir sie nicht stören. Antwortete Linda gelassen. Marie sah nicht beruhigt aus, aber sie sagte nichts mehr.
Linda trat zur Tür und klopfte. Fast augenblicklich kam die Antwort von drinnen.
„Herein!“ Linda sah ihre Schwestern grinsend an und öffnete die Tür.
Der Raum war groß und hell. Der Boden war mit Parkett bedeckt und an den Seiten waren Spiegel angebracht.
Eine junge Frau mit blonden Haaren stand vom Boden auf und kam auf sie zu.
„Hallo?“, sagte sie fragend. Sie war hübsch, hatte sanfte Gesichtszüge und einen durchtrainierten Körper.
„Hallo. Wir sind Linda, Leonie und Marie Medici aus Italien. Wir haben uns verirrt und wissen nicht mehr, wie wir zurück zu unserem Appartement kommen.“
„Guten Tag, Signa Marie, Signa Linda und Signa Leonie.“, sagte die Frau und machte einen Knicks. „Ich bin Sara Bourbon.“ Leonie dachte schnell nach. Wie sollten sie Sara Bourbon begrüßen? Sie hatte ihren Titel nicht genannt und sie kannten ihn nicht. Wie sollten sie sie also ansprechen?
„Guten Tag.“, sagte sie schließlich und machte ebenfalls einen Knicks, den Marie und Linda imitierten.
„Sie brauchen nicht vor mir zu knicksen, Signa. Ich bin Sara. Einfach nur Sara.“ Gab es das? Eine Magierin ohne Titel? War sie denn überhaupt eine Magierin?
Meint ihr, dass sie eine Magierin ist? Wandte sie sich mit ihrer Frage an Linda und Marie.
Naja. Sie gehört zu der Familie Bourbon. Dann müsste sie eine sein. Antwortete ihr Linda.
„Dann brauchen sie uns aber auch nicht zu siezen.“

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Tag der Veröffentlichung: 11.03.2010

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