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Prolog:
Selig lag sie schlafend in seinen Armen. Er strich ihr übers Haar und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. Ihre wunderschönen Augen waren geschlossen und ihre vollen Lippen waren leicht geöffnet. Er konnte sich nicht davon losreisen, sie anzusehen, aber dennoch musste er immer wieder daran denken, wie sie zueinander gefunden hatten...


Thomas:
Wieder ein normaler Arbeitstag. Er knotete sich die Krawatte, nahm seine Aktentasche vom Tisch und ging aus dem Haus. Draußen war strahlender Sonnenschein und die Vögel zwitscherten, als er zum Zug ging. Er löste seine Fahrkarte und ging auf den Bahnsteig. Er setzte sich wie immer nicht hin, sondern stand aufrecht an den Gleisen. Die Sonne brannte vom Himmel und er fing an, in seinem Anzug zu schwitzen. An solchen Tagen verfluchte er seinen Job, aber andererseits hatte er auch relativ angenehme Arbeitszeiten, da er schon nachmittags um 3 gehen durfte, weil er dafür morgens schon um 7 da war, da kann man auch darüber hinwegsehen, dass man einen Anzug tragen muss. Gedankenverloren schaute er auf seine Uhr. Der Zug hatte schon 2 Minuten Verspätung, aber er hatte noch genug Zeit. In diesem Moment fuhr der Zug auch schon in den Bahnhof ein. Er seufzte, als er sah, wie voll er war. Resignierend stieg er ein und ließ seinen Blick streifen...


Aline:
Seufzend schaute sie in den zerbrochenen Spiegel, den sie vom Sperrmüll mitgehen hatte lassen. Ihre ehemals seidig glänzenden braunen Haare hingen wirr und fettig hinunter. Sie hatte Augenringe und aufgesprungene Lippen. Aus ihrer Truhe schnappte sie sich irgendetwas zum Anziehen. Sie hatte es aus einer Kleidungsspende, die eigentlich für Afrika gedacht war. Wie gesagt, eigentlich. Warum spenden die Leute nur für Afrika und tun nichts gegen das Elend vor ihrer Haustür? Sie verstand es einfach nicht. Vorsichtig ging sie aus der, seit Jahren nicht benutzten Garage. Trotzdem... auch wenn sie offensichtlich seit Jahren nicht mehr benutzt worden ist... man kann nie vorsichtig genug sein.
Sie ging zum Bahnhof. Mist, zu wenig los. Also musste sie warten. Wie üblich steckte sie einfach irgendein Papier in die Stempelmaschine, damit es auf den Überwachungskameras so aussah, als ob sie eine Fahrkarte hätte. So würdevoll wie möglich setzte sie sich auf einen Sitz: wenn sie zu gemütlich dasitzen würde, könnte man sie eventuell für das halten, was sie war: eine Obdachlose. Als der Zug einfuhr sah sie auf und ein Lächeln erhellte ihr eigentlich hübschen Gesicht: der Zug war verhältnismäßig voll. Da würde sich kein Schaffner durchzwängen. Gedankenverloren schaute sie aus dem Fenster... erste Station... zweite Station.. dritte... jetzt müsste sie ihn wiedersehen. Ihren Mann ohne Namen. Ihren Sonnenschein in ihrem dunklen Leben, ihr Rettungsanker aus dem Ozean der Verzweiflung. Auch wenn er das nicht wusste, ja sie nicht einmal kannte, allein sein Anblick ließ ihr Herz höher schlagen und sie glaubte wieder an Hoffnung und an einen Ausweg aus diesem Sumpf. Da stand er auch schon. Stolz und gerade wartete er darauf, dass der Zug stehenblieb. Nur seinetwegen nahm sie dieses Risiko auf sich. Nur seinetwegen lief sie nicht, sondern fuhr mit der Bahn. Nur für diese Lichtblicke, die er ihr unwissentlich gab. Exakt 6 Minuten dauerte dieses Glück immer an. Die Türen öffneten sich und er trat ein. Sie sah ihn stumm an. Da ließ er seinen Blick aus den grünen Augen schweifen.


Thomas:
Dunkelblaue, intelligente Augen, die ihn sofort fesselten. Warum war sie ihm nur nie aufgefallen? Doch nach und nach nahm er den Rest von ihr war. Die fettigen Haare, die Augenringe, die schmutzige Kleidung. Eine Obdachlose. Was hatte sie nur in diesen Sumpf getrieben? Wieder Willen bewunderte er sie: die klassischen Gesichtszüge, die aufrechte Haltung, im krassen Gegensatz zu ihrem Erscheinungsbild. Seine Augen zuckten zu ihren zurück. Die Blauen Teiche weiteten sich erstaunt, bis sie schließlich den Kopf abwandte. Aber nicht errötend auf den Boden, wie es bei seinem Blick sogar taffe Buissnesfrauen zu tun pflegten. Nein, stolz und erhaben, als wären ihre Rollen vertauscht und sie hätte ihn nur zufällig erblickt. Traurig registrierte er die abgemagerte Hand, die sich um die Haltestange schlang. In diesem Moment bemerkte er, dass er sich noch nie gefragt hatte, warum Leute obdachlos werden. Er hatte es immer als gegeben angenommen. Aber sich nie wirklich darüber Gedanken gemacht. Doch sie, mit ihrem hübschen Gesicht, den blauen Augen und der stolzen Haltung, was war mit ihr geschehen?


Aline:
Dieser Gesichtsausdruck, mit dem er sie musterte bestätigte alle ihre Wünsche, er sah sie nicht angeekelt an, wie alle anderen, nein er musterte sie mit ehrlichem Interesse und Bestürzung, bei der sie sich mal wieder für ihr Leben schämte, aber sie hatte es ja selbst gewählt. Er schüttelte den Kopf, genau wie sie, wenn sie einen Gedanken loswerden wollte, schreckte auf, als er bemerkte, dass der Zug an seiner Haltestelle hielt und stieg aus. Anders als sonst ging er aber nicht sofort weiter, sondern drehte sich noch mal um, mit einem Blick, bei dem es ihr ihr Herz zerriss. Als er sich bald darauf umdrehte und ging, schossen ihr die Tränen in die Augen. An der nächsten Haltestelle angekommen, stieg sie aus und machte sich wie immer als erstes auf den Weg zur Suppenküche, bevor sie sich zu ihrem gewohnten Platz in der Fußgängerzone begab. Sie fand es erniedrigend, sich so bloßzustellen, aber die einzige Möglichkeit, die sie sonst hätte, an die wollte sie nicht einmal denken: Prostitution. Sie schüttelte es. Sie wusste, sie hätte den Körper und das Aussehen dafür und würde auch mehr Geld bekommen, aber sie brachte es nicht über sich, denn allein bei dem Gedanken kam ihr das eh schon spärliche Frühstück wieder hoch. Also ließ sie es lieber. Heute war kein guter Tag. Durch das sonnige Wetter konnte man von fast keinem das Herz erweichen. Deshalb mochte sie den Regen lieber. Auch deshalb, weil sie im Regen das Gefühl hatte, wieder einigermaßen sauber zu werden. Den ganzen Tag saß sie in der brütenden Hitze und als sie nach 4 Stunden endlich 5¤ zusammenhatte, ging sie sich etwas zum trinken kaufen. Gegen Abend, als es kalt wurde ging sie zurück in ihre Garage. Sie schlang die dünne und kratzige Decke um ihren ausgemergelten Körper und versuchte zu schlafen. Aber die ganze Zeit musste sie an seinen Gesichtsausdruck denken und ihr kamen schon wieder die Tränen und als sie nach stundenlangem Herumwälzen endlich eingeschlafen war, war der alte Schlafsack völlig durchnässt.


Thomas:
Heute konnte er sich gar nicht auf seine Arbeit konzentrieren... die ganze Zeit spukten ihm diese blauen Augen durch den Kopf und bei allem was er tat musste er an sie denken und daran, wo sie sich jetzt wohl gerade aufhielt. Was sie machte und wie sie sich über Wasser hielt. Dabei sah sie so jung aus... höchstens 22, denn älter als er konnte sie kaum sein. Doch als er nach Hause kam musste er alles verdrängen und gegenüber seiner Freundin mal wieder den perfekten Gentleman mimen. Natasha wartete schon auf ihn. Sie trug lediglich knappe, heiße Unterwäsche und wollte ihn gleich zu sich ins Bett ziehen. Thomas verstand das da sie schon lange nicht mehr miteinander geschlafen hatten, aber er hatte Hunger und bekam diese blauen Augen nicht mehr aus dem Kopf. Gegen dieses faszinierende blau wirkten Natashas braune Augen trübe und dumpf. Wie ein Moor, das ihn zu verschlingen drohte. Was ja auch auf Natasha zutraf... zurzeit war sie schrecklich eifersüchtig und würde Thomas am liebsten überall hin begleiten. Das nervte ihn gewaltig, aber nach über 5 Jahren Beziehung macht man nicht so leicht Schluss. Im Gegenteil. Sie war bei ihm eingezogen. Er müsste sie auf die Straße setzten und eventuell würde sie sogar wie die junge Frau aus dem Zug enden. Das durfte er nicht zulassen. Aber da Natasha keinen Job hatte, konnte er sie nicht einfach rauswerfen... klar, sie könnte zu ihren Eltern, aber da war es sehr eng und sie konnte von ihnen kein Geld erwarten, da sie jeden Cent 2-mal umdrehen mussten.
Als er in der Nacht neben Natasha lag, schlief er erst weit nach Mitternacht ein und gewiss nicht, weil er an seine Freundin gedacht hatte.


Aline:
Samstag. So ein Mist. Er hat samstags immer frei. Resigniert schaute sie in den Spiegel und ekelte sich vor sich selbst. Doch sie musste irgendwie überleben. Also machte sie sich auf den Weg in die Fußgängerzone. Zu Fuß natürlich. Ohne ihn lohnte sich das Risiko einfach nicht. Wenigstens war es heute kühler als am Tag davor und wenn sie die Gespräche der Leute richtig deutete, sollte es sogar noch regnen. Sie setzte sich an ihren gewohnten Platz und wartete... Sie beobachtete stundenlang die Passanten, bis sie plötzlich erstarrte. Der Mann aus dem Zug kam gerade aus einem Laden heraus. Und an seiner Seite eine Frau. Wunderschön mit faszinierenden roten Haaren, Sommersprossen auf der bleichen Haut und ellenlangen Beinen, die sie durch die passende Kleidung noch zusätzlich betonte. Aline spürte einen Stich im Herzen, als sie bemerkte, dass das Paar, denn sie waren eindeutig ein Paar, direkt auf sie zukam.


Thomas:
„Hey! Was willst du den bei dieser Pennerin? Sag bloß, du willst ihr auch noch Geld geben, damit sie sich Alkohol oder Drogen kaufen kann?“ „Halt bloß die Klappe“, dachte sich Thomas, aber äußerlich verdrehte er nur die Augen. Natasha war so egoistisch und selbstverliebt, sie dachte gar nicht daran, jemand anderem einmal etwas gutes zu tun. „Doch, ich möchte ihr Geld geben und eigentlich möchte ich sogar mit ihr reden. Wenn es dir nicht passt, geh doch derweil shoppen, anders bist du doch nicht zufrieden zu stellen.“ Geschockt schaute sie ihn an. „Ich werde einkaufen gehen. Mit solchem Abschaum gebe ich mich nicht ab.“ Erneut verdrehte er die Augen. „Könntest du dich bitte EINMAL nicht für was Besseres halten? Geh doch und hol’ dir Schuhe oder noch mehr Klamotten, ist mir eigentlich egal, solang du mich einmal auch das machen lässt, was ich will! Etwas anderes als die neuesten Trends interessiert dich doch eh nicht. Bist du mal auf die Idee gekommen, dir deine Eskapaden selbst zu finanzieren? Du könntest dir das gar nicht leisten!“ Mit diesen Worten drehte er sich um und ging auf die Obdachlose zu. Als er sich neben sie knien wollte schauten ihn diese blauen Augen, die noch schöner als in seiner Erinnerung waren nur geschockt an.


Aline:
Er hatte seine Freundin weggeschickt. Ihretwegen. Jetzt kam er auf sie zu und sie schaute ihn geschockt an. Was wollte er? Ihr Herz setzte für eine kurze Zeit aus, als er sich neben sie setzte. Sie sagte nichts und starrte ihn einfach nur an. Er hingegen griff in seine Tasche und zog einen Geldbeutel hervor. Ihre Augenbrauen schossen in die Höhe, als er auch noch Geld herauszog. Er streckte ihr einen fünfziger entgegen. „Hier, du bist mir gestern im Zug aufgefallen. Kann ich mich zu dir setzten?“ Etwas in ihrem Inneren zerbrach. Hatte sie sich so in ihm getäuscht? War er etwa genauso wie die anderen? Wollte er sie auch bezahlen? Erst fürs reden und dann für mehr? Sie sah rot: „Du hast wohl zu viel Geld übrig, was? Jetzt bezahlst du mich dafür, dass du neben mir sitzen darfst und für was willst du mich als nächstes bezahlen? Ich habe zwar kein Geld, aber ich habe immer noch meinen Stolz!“ Sie funkelte ihn an.


Thomas:
Verschreckt zuckte er zurück. Was hatte er nur falsch gemacht? Wie hatte sie ihn nur so falsch verstehen können? „Bitte, ich wollte wirklich nur mit dir reden, das Geld ist nicht dafür, dass ich mich mit dir unterhalten darf, sondern weil ich will, dass du ein besseres Leben hast.“ Sie zog eine ihrer feinen Augenbrauen in die Höhe und fragte spöttisch: „Das soll ich dir jetzt glauben, ja?“ Er sah sie nur schweigend an, denn er wusste nicht, wie er sie vom Gegenteil hätte überzeugen können. Ihre blauen Augen begannen verräterisch zu glänzen. Sie stockte. „Was soll ich denn sonst tun? Ich habe doch keine Wahl. Mein Stolz ist alles, was ich noch habe, wie soll ich da irgendjemanden trauen können? Ihr Männer wollt doch alle nur das gleiche.“ Sie wandte sich ab, räumte ihre wenigen Sachen zusammen und ging langsam weg. Er konnte sich nicht rühren und starrte ihr hinterher. Sein Herz fühlte sich an, als hätte sie einen Teil von ihm mitgenommen.


Aline:
Ihr Herz fühlte sich nicht mehr komplett an, doch sie musste gehen, sie hätte es keine Sekunde länger dort ausgehalten... die Tränen rannen ihr übers Gesicht, denn er war genau wie alle anderen. Wer würde sich schon mit einer Obdachlosen abgeben um wirklich nur zu reden… Die Menschen dachten immer, für Geld würde man alles tun. Traurig ging sie zurück zur Garage und versuchte zu schlafen. Doch es fiel ihr so schwer, dass sie erst in den frühen Morgenstunden einschlief.


Thomas:
Sie drehte sich nicht einmal um. In seinen Beinen zuckte es und er war nahe daran, ihr hinterherzulaufen, als er Natasha aus einem Dessous-Shop gehen sah. Er schluckte. Sie erwartete sicher, dass er sie in diesem Fummel auch noch attraktiv fand, aber in Wahrheit gefiel sie ihm schon lange nicht mehr. Aber er spielte das Spiel weiter. Heute Abend würde er wahrscheinlich wieder an dieses geheimnisvolle Mädchen denken müssen, um Natasha zu befriedigen. Doch er hatte nicht wirklich ein schlechtes Gewissen dabei. Trotzdem lächelte er sie an, legte seinen Arm um ihre Hüfte und eng umschlungen gingen sie nach Hause. Aber auch Thomas hatte Probleme mit dem Einschlafen.

Impressum

Texte: Cover by Me
Tag der Veröffentlichung: 19.06.2010

Alle Rechte vorbehalten

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