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Ein sonniger Sonntag

„Mel beeil dich, wir kommen noch zu spät!“, rief meine Mutter die Wendeltreppe nach oben. Schnell streifte ich mir meine Lieblingsboots über, warf die abgetragene Jeansjacke um die Schultern und stolperte lautstark nach unten. Dort wurde ich bereits ungeduldig von meiner älteren Schwester Rose und meiner liebenswürdigen, chaotischen Mutter Clair erwartet.

Mit meinem rotem lockigem Haar, den grünen Augen und den Sommersprossen passte ich so gar nicht ins Bild. Alle in meiner Familie hatten graue Augen und blondes Haar, außer mir. Alle aus meiner Familie waren Träumende, ich war ein Mensch. So stink normal und durchschnittlich das man mich leicht übersah.

Träumende waren normale, wie sollte ich sagen „Wesen“ wie ich und du. Nur dass sie keinen Schlaf brauchten, wobei sie durchaus schliefen, wenig aßen und ab ihrem 16 Lebensjahr zaubern konnten. Keine kleinen Zaubertricks sondern echte Magie. Meine Mutter nahm von ihrer Zauberkraft nicht wirklich gebrauch, somit konnte ich nicht sagen was ein Träumender so auf dem Kasten hatte.

Meine Schwester Rose stand kurz vor ihrem 16 Geburtstag. Die Verwandlung in eine Träumende machte sich bereits mit Kopfweh und Schwindel bemerkbar. Im Schulunterricht musste sie schon des Öfteren die Klasse verlassen. Es würde wohl nicht mehr lange dauern bis ihre Magie ausbrach. Weswegen uns Mama überall hin brachte.

Heute waren wir auf dem Weg zum Kaffee bei Tante Melisa. Sie war eine der wenigen in der Familie die mich so akzeptierten wie ich war. Nicht zu Letzt weil sie selbst einen menschlichen, erwachsenen Sohn namens Simon hatte. Melisa war wie Mama um die 40, etwas mollig und hatte die typischen grauen Augen der Clearwaters. Allerdings war ihr Haar pechschwarz gefärbt. Sie wohnte in einer der noblen neuen Villen am Ende des Dorfes.

Nach der Autofahrt, die wir immer wieder unterbrechen mussten weil Rose sich übergab, betraten wir schließlich die Eingangshalle. Diese war riesig, nichts im Vergleich zum Rest des Hauses aber größer als unser Wohnzimmer. An den Wänden hingen Bilder von berühmten Malern und natürlich die kunstvoll verzierten Hacken für die Mäntel. Der Butler erwartete uns bereits, er trug eine schwarze Hose und ein weißes Hemd. Zum Glück war meine Tante nicht so spießig, dass sie einen Anzug verlangte. Er geleitete mich und meine Mutter in den Speisesaal, Rose ging sich noch frisch machen.

Meine Tante umarmte mich stürmisch. Ihr kleiner Hund Puka rannte bellend um mich herum. Ich beugte mich nach unten und begrüßte ihn herzlich. Auf dem Tisch standen bereits kleine Muffins und die Teekanne die ich Melisa letzte Weihnachten geschenkt hatte. Wir nahmen Platzt und Fritz der Butler schenkte uns Kaffee ein. Ich nahm mir zwei Stück Zucker aus der Dose und rührte geräuschvoll um. Die Muffins waren mit Schockladesplittern verziert und sahen zum Anbeißen aus. Ich griff nach einem und biss hinein.

Rose war endzwischen aus dem Bad zurück. Sie sah recht blas um die Nase aus. Morgen war es so weit. Ich konnte es kaum erwarten mit zu erleben wenn ihre Magie ausbrach. Mit mir wurde über solche Dinge, die Zauberei und Träumende betraf nicht geredet. Nicht dass meine Mutter mich weniger liebte, nein es war eine einfache schlichte Regel: Menschen durften keine Informationen der übersinnlichen Welt mitgeteilt werden. Ich hatte mich längst daran gewöhnt außen vor zu stehen.

Die nächste Stunde musste ich mir anhören wie aufregend das doch alles war. Ich fand es ja auch spannend aber es wurde einfach zu viel Wirbel darum gemacht. Irgendwann klinkte ich mich aus und begann mit Puka zu spielen. Der kleine Halunke hatte noch keine richtigen Zähne, wodurch seine verspielten Bisse nicht wehtaten. Doch nach und nach wurde dem Hund mit den süßen braunen Punkten langweilig und er begann seinen Schwanz zu jagen.

Bei der Heimfahrt waren Rose und Mama in ausgelassener Stimmung. Auch wenn Rose immer noch krampfte hatte der Besuch bei Tante Melisa dieselbe Wirkung wie immer: freudiges Erwarten auf den nächsten Besuch. Schließlich fing Mama sogar zu singen an, was des Öfteren vorkam. Mir blies ein warmer Wind die lockigen roten Haare ins Gesicht. Weite Felder mit Kühen flogen an uns vorbei bis uns schließlich die bekannten Häuserreihen des Dorfes entgegen kamen.

Zuhause erwartete mich Lilli meine beste Freundin. Lilli Budolfski und ich kannten uns schon seit wir in den Windeln lagen. Sie wohnte nur zwei Straßen weiter und war immer für mich da wenn ich sie brauchte. Mit ihren langen blonden Haaren und den blauen Augen war sie eine der Schönheiten in unserer Klasse, neben der zickigen Diane und der oberklugen Fleyr.

Heute gingen wir zusammen in den Park um dort eine Kugel von Paolos berühmten, italienischen Eis zu essen. Beim Eisstand war wie immer bei schönem sonnigem Wetter eine riesige Warteschlange. Uns begegneten Mitschüler, Nachbarn, die üblichen Verdächtigen eben mit denen man höfflichen, freundschaftlichen Smaltalk hielt. Wir entkamen gerade noch einem Vortrag über Moral von Herr Koläuski, dem Allgemeinmediziner des Dorfes. Hier kannte einfach jeder einander.

Das kleine Dörfchen Greenwitch war rege belebt und die stolzen Einwohner hatten an einem Sonntagnachmittag nichts Besseres zu tun als faul im Park in der Sonne zu schmoren. Wobei die meisten einen Sonnenbrand davontragen würden. Ansonsten besaß Greenwitch noch das bereits überfüllte Freibad und die zentral liegende Kneippanlage. Außerdem waren da noch die Schule, das Museum und die Bibliothek die zu den größeren Gebäuden des Dorfes gehörten.

Wir suchten im Schatten eines Baumes Schutz vor der senkenden Hitze. Mein Haselnusseis schmolz vor sich hin, wehrend ich mich vergebens abmüde nicht zu patzen. Ich zerbröselte die Waffel und warf sie den Vögeln zum Fraß vor. Hoch über unseren Köpfen war ein kleines Nest in dem fiepend zwei Vogeljungen saßen.

„Hat Rose immer noch so schlimme Krämpfe?“, fragte Lilli, während sie sich ihr Zitroneneis schmecken ließ. Eigentlich durfte ich niemanden von den Träumenden und deren Welt erzählen, aber Lilli war eben meine beste Freundin und damit die große Ausnahme. Allerdings hatte ich mir eine lange Standpauke von Mama anhören müssen und eine Woche Hausarrest bekommen als rauskam, dass sie es weiß. Das war die Sache aber wert, denn so konnte ich mich wenn es Probleme gab bei jemand über die Ungerechtigkeit und meine Unwissenheit auslassen.

Nun war Rose schon eine ganze Woche zuhause geblieben. Was nicht weiter schlimm war, es waren schließlich nur die letzten Monate vor Schulende und die Noten standen bereits fest. Ich und Rose, naja wie soll ich sagen, wir hatten eben eine typische Geschwisterbeziehung. Mal war die eine sauer auf die andere und so weiter …. Zurzeit schmollte ich, wegen der Dreamer Academy, die ach so tolle Schule auf die meine große Schwester im Herbst gehen würde. Nicht dass ich sie drum beneidete die Neue zu sein, doch mich nervte es die Unwissende zu sein und gerade mal den Namen der Schule zu kennen. Nicht mal den Ort hatte man mir verraten.

„Mhm.“, antworte ich meinen Gedanken nachhängend auf die Frage nach Rose Wohlbefinden. Etwas Gutes hatte das Ganze ja ich stand nicht länger im Schatten meiner großen Schwester und durfte auf der Jonifen High meine eigenen Fehler machen.

Nachdem die Sonne untergangen war verabschiedete ich mich von Lilli und nahm den letzten Bus nachhause. Während der Fahrt wurde ich von allen Seiten an gerebelt. Touristen verließen das Dörfchen und fuhren in die nahe liegende Stadt Menswill. Wir wohnten auf einem Hügel am Ende des Dorfes Greenwitch. Unser Haus war weder groß noch war es modern oder hatte sonst etwas Auffallendes. Es war schlicht und einfach gehalten, am Balkon standen Blumenkörbe mit Freesien und an der Tür hing ein Herzlichwillkommenschild.

Miss Wilitsch unsere Köchin bereitete schon das Abendessen vor, es würde wohl nicht mehr lange dauern, es duftete schon im ganzen Haus nach Rose Lieblingsessen Kartoffelgulasch. Schnell half ich den Tisch zu decken. Während Mama und Rose noch über dem Medikamentenschrank brüteten um eine lindernde Medizin gegen Krämpfe zu finden.

Plötzlich erklang ein Läuten. Nein, es war nicht die Haustür. Sondern die Glocke für die Post, welche bei uns etwas anders ankam. Natürlich hatten wir auch einen normalen Briefkasten, aber Dreamer Post kam eben gesondert. Herr Newton, der Maulwurf brachte die Post immer pünktlich auf die Minute durch einen Erdtunnel der bei uns im Wohnzimmer, versteckt hinter dem Sofa, endete.

Ich hob den Deckel der Grube auf und nahm die Briefe aus der erdigen Tatze von Herrn Newton entgegen. Als Bezahlung gab man ihm meist Regenwürmer die in einem Einmachglas auf dem Couchtisch standen. Wobei ich mich anfangs ziemlich ekelte. Doch mit der Zeit gewöhnte man sich eben an alles.

Wieder im Esszimmer nahm mir Mama dankend die Dreamer Post aus der Hand. Es war ein Brief für Rose von ihrer neuen Schule dabei und die Zeitschrift vom Adler, die über den Klatsch und Tratsch der Träumenden berichtete. Ich hatte mal in einer geschmökert die Mama versehentlich auf dem Küchentisch liegen ließ. Wunderschöne Traumfänger, Traumtagebücher und aller Hand mehr waren darin abgebildet. Allerdings hatte sie mich dabei erwischt und mir daraufhin Medienverbot gegeben. Das hieß eine Woche kein Computer und kein Fernsehen.

Nachdem Rose ihren Brief in ihr Zimmer gebracht hatte und Mama ihre Zeitschrift im oberen Stockwerk verstaut hatte, war es endlich zum Essen. Ich hatte einen mordsmäßigen Appetit und verdruckte gleich zwei Teller von dem leckeren Gulasch. Danach verzog ich mich in mein Zimmer. Mit den Kopfhörern im Ohr lag ich auf dem Bett und starrte auf die Decke. Völlig erschöpft vom Tag schlief ich schließlich ein.

 

Was für ein Geburtstag!

 Am nächsten Morgen klingelte natürlich kein Wecker. Komplett bekleidet wachte ich auf, es war schon nach acht, die erste Stunde würde ich wohl verpassen. Schnell sprang ich aus dem Bett zog mich um und eilte die Treppe hinunter. In der Küche schnappte ich mir einen Apfel und lief zum Bus. Während ich wartete dachte ich an Rose. Zum Geburtstag bekam sie von mir ein Tagebuch geschenkt, das ich bei Tante Emmas Schreibwarenladen gekauft hatte. Schon verpackt lag es zuhause auf meinem Schreibtisch.

In der Schule waren die Flure leer. Jede Minute würde es zum Ende der ersten Stunde läuten. Ich schlurfte zu meinem Spinnt und holte mein Mathebuch für das nächste Fach heraus. Ich ging zu Lillis Kasten um dort auf sie zu warten. Die Tür öffnete sich und Frau Luchs strafte mich mit einem missbilligendem Blick. Ein Schwung Schüler kam mir entgegen, darunter auch Lilli.

Mit einem kurzen Hey begrüßte sie mich und wir schlenderten zum nächsten Klassenzimmer. Keiner folgte mehr dem Unterricht, da wir so kurz vor den Ferien standen. Stattdessen drehten sich die Gespräche ums Wochenende, die Schulabschlussfeier oder das geplante Urlaubsziel.

In der großen Pause verzogen wir uns in eine Ecke des Schulhofes und ließen die Sonnenstrahlen auf unserer Haut tanzen. Mein Pausenbrot bestand aus einem Sandwich und einer Orange. Schweigend genossen wir die zehn Minuten. Umher lachten tratschende Schüler. Das war etwas was ich an Lilli besonders schätzte, ich konnte mit ihr schweigen.

Im überfüllten Bus fragte Lilli noch mal nach Rose und gab mir Glückwünsche mit auf den Weg. Zuhause erwartete mich Mama bereits mit einer noch nicht ganz dekorierten Torte für Rose. Sie war aus rosa Marzipan und hatte Schokoladesplitter als Verzierung. Mama zündete die Kerzen an und wir gingen die Wendeltreppe hinauf.

Auf ein Klopfen hin, öffnete Rose die Tür. Wir sangen ein schiefes Happy Birthday. Rose strahlte uns entgegen. Ich überreichte ihr das in rosa, ihre Lieblingsfarbe, verpackte Päckchen. Von Mama bekam sie einen Laptop für die Dreamer Academy. Auf der Terrasse tanzten wir zu ein paar alten Platten von bekannten Bands. Plötzlich wurde Rose schwarz vor Augen, sie musste sich setzten um nicht aus den Latschen zu kippen. Ein magisches Surren lag in der Luft. Um Rose zierte das Licht und ein seltsamer Schimmer lag in ihren grauen Augen.

Dann begann die Teekanne zum Takt der Musik zu pfeifen. Die Kuchengabeln drehten sich in Pierretten um die eigene Achse und Rose Haare standen zu Berge als hätte sie in eine Steckdose gegriffen. Es wäre zum todlachen gewesen, wenn Rose bloß nicht so gezittert hätte.

Ich schaltete die Musik aus und der Spuk war vorbei. Doch das Zittern wollte nicht aufhören. Ihre Haare hingen ihr nun wild ins Gesicht, sie hatte einen starren Blick der in die Ferne gerichtet war und ihre Haut schimmerte leichenblas. Völlig schockiert über Roses Zustand stützte ich sie um ihr ins Haus zu helfen. Im Wohnzimmer ließ sie sich auf die Coach sinken. Mama holte einen kalten Waschschlappen und hielt ihr die Hand. „Mehr können wir nicht tun, jetzt heißt es warten.“, murmelte sie vor sich hin. Die Stehlampe begann zu brummen, der Fernseher surrte und die Gardienen wehten wild umher.

Obgleich ich mir viele Gedanken über diesen Zeitpunkt gemacht hatte, schockierter mich die Intensität des Anblicks von Rose Zustand. Ganz zu schweigen von der Magie die den Raum erfüllte. Jeder Gegenstand wurde kurz von Zauberei berührt in die Luft gehoben und sank schließlich wieder auf seinen ursprünglichen Platz. „Was für ein tolles Geburtstagsgeschenk.“, dachte ich sarkastisch.

So schnell wie alles begann, so fand es auch ein abruptes Ende. Langsam kam auch wieder etwas Farbe in Roses Gesicht, wobei sie gegen die Wand immer noch ziemlich bleich wirkte. „Was ist geschähen? Bin ich eine Strome oder eine Tim?“, fragte sie mit einem erschöpften Zittern in der Stimme. Ich stand da und verstand zwar kein Wort von was sie sprach, aber war froh, dass sie übern Berg war. Mama antwortete: „Du bist ein Tim, aber das ist nichts Schlimmes.“ Anscheinend vergasen die beiden meine Anwesenheit vollkommend. Bevor sie den Fehler bemerkten, machte ich mich aus dem Staub.

Ich schlüpfte in meine blauen Roller Plates, rief Lilli an und vereinbarte ein Treffen am Big Hill. Die erste Kurve nahm ich mit links. Doch in der dritten Kerbe legte ich zu viel Schwung in meine Bewegung und ich krachte auf den Asphalt. Meine Knie schmerzten wie verrückt, sie waren aufgeschürft und das Blut rann mir das Schienbein hinunter.

Etwas zu spät erreichte ich den Big Hill. Lilli wartete bereits ungeduldig auf mich. Als sie meine zerschundenen Knie sah holte sie ihr Notfallköfferchen aus ihrer Tasche und klebte mir nach dem reinigen der Wunde zwei Pflaster auf.

Wir setzten uns auf eine Bank und ich berichtete von den Geschehnisse des Nachmittags. Sobald ich von dem tanzendem Besteck und dem ganzen Zeugs anfing, stand ihr Mund ungläubig offen. Ich versuchte die Atmosphäre so gut wie möglich zu beschreiben. Schließlich schloss ich mit meinem grandiosen Verschwinden, um keinen Hausarrest wegen den Wörtern Strome und Tim zu bekommen.

Die Spekulationen über die Bedeutung der Worte begannen. Meine Schwester war also eine Tim. Es war sicher etwas banales, aber wir malten uns die wildesten Sachen aus. Zum Beispiel das Träumende die Stromes waren Drachen halten durften und auf Besen flogen oder so.

Unsere Unterhaltung wurde von dem Läuten meines Handys unterbrochen. Es war Mama, ob ich zum Abendessen nach Hause käme. Ich umarmte Lilli, schnallte mir meine Roller Plates auf den Rücken und trat den Heimweg an.

Rose führte nach dem Geburtstagsschmaus, von dem sie nicht sonderlich viel aß, ihre neue Schuluniform vor. Sie bestand aus einer weißen Bluse mit Schullogo, einer blauen baumwollen Hose und einer roten Haarschleife. Außerdem hatte Rose noch silberne Ohrringe, die das ganze etwas aufpeppten. Ihr Gesicht strahlte richtig, so sehr freute sie sich auf diese Schule.

Mama war unglaublich stolz auf sie, was mich etwas eifersüchtig machte. „Wo ist dein Zauberhut, Schwesterherz.“, scherzte ich um meinen Neid zu überspielen. Ausgelassen verbrachten wir den Abend beim Kartenspielen. Wobei mein Pokerface miserabel war. Rose konnte es kaum mehr erwarten endlich weg zu kommen. Die Begriffe Tim und Strome erklärte mir natürlich mal wieder niemand. Ich hasste diese große Geheimnistuerei um meine Familie. Es frustrierte mich jedes Mal aufs Neue.

Der letzte Schultag kam und ging. Mein Jahresabschlusszeugnis war akzeptabel, das von Rose war ausgezeichnet. Die Abschlussparty fand in der Turnhalle statt. Thomas, aus meiner Parallelklasse legte die Musik auf, Diane war für die Deko zuständig und ich und Lilli sorgten für Getränke und Snacks. Es wurde eine geniale Feier. Ich tanzte mit Paul Hamolten und einigen anderen Jungs aus meiner Klasse. Lilli rockte das Paket mit Ralf aus der Oberstufe und selbst Rose gesellte sich unter die Tanzenden.

Um drei Uhr morgens fand die Party ein Ende. Mit ein paar anderen half ich noch beim Aufräumen. Die Mutter von Lilli brachte uns nach Hause. Mama hatte auf uns gewartet und war auf dem Sofa eingeschlafen. Rose und ich schlichen die Treppe hoch, um sie nicht zu wecken. Ich öffnete die Tür zu meinem Schlafzimmer. Darin war es stockfinster, nur etwas Mondlicht erhellte die Szenerie. Suchend tastete ich nach dem Lichtschalter, links neben der Tür. Nachdem Zähneputzen und dem Ausziehen meines schwarzen Partykleides, das ich mir extra für diesen Anlass gekauft hatte, übermannte mich die Müdigkeit und ich sank in die Kissen.

In dieser Nacht begannen die Träume und alles änderte sich.

Träume, Magie und die Telefonzelle

 Ein weißer Sandstrand breitete sich vor meinen Augen aus. Am Rande sah man das blau schillernde Meer. Barfuß rannte ich auf die Felsen zu. Über mir kreisten Vögel, die Sonne brannte vom Himmel herab und mir rann der Schweiß von der Stirn. Immer weiter ging ich, doch mein Ziel kam nicht näher. Ich blieb stehen, atmete tief ein ohne Luft zu bekommen und wachte schließlich auf.

Schweiß gebadet schreckte ich aus dem Bett hoch. Die Morgensonne schien durchs Fenster. Mein Zimmer war das pure Chaos. Aber wie hieß es so schön nur ein Genie beherrscht es. Auf dem Schreibtisch stapelten sich Bücher, die Regale waren randvoll mit allem möglichem Zeugs. Meine Kleider hingen nicht in den Kästen sondern lagen am Boden verstreut.

Ich schnappte mir meine Lieblingsshorts und ein rotes ärmelloses Top. Im Bad wusch ich mir zuerst das Gesicht. Zwischen meinen Zehen fand ich weißen Sandstrand. War der Traum real gewesen? Ich wusste irgendetwas stimmte nicht, ganz und gar nicht. Sollte ich jemandem von meinem Traum erzählen?

Frau Wilitsch bereitete mir noch ein spätes Frühstuck. Der Honig rann über die warmen Waffeln, mit einer Tasse Kakao und einem Buttertoast war das ein perfektes Ferienfrühstuck. Genussvoll verschlang ich eine der leckeren Kalorienbomben nach der anderen. Der Traum von letzter Nacht war nur mehr eine schwache Erinnerung, die zu verblassen begannen.

Rose schlief noch als ich das Haus Richtung Schwimmbad verließ. Die Badetasche um die Schultern marschierte ich durch den Park. „Hey Mel, wie geht’s?“, rief Paul Hamolten schon von weitem. Vor der Kasse standen bereits Lilli, Hillary und Stefanie. Ich war die letzte die eintrudelte. Ich winkte Paul und gesellte mich zu den anderen.

Der Badesee lag schillernd vor uns. „Wer zuerst im Wasser ist!“, schrie Lilli und riss sich während sie rannte die Kleider vom Leib. Ich machte es ihr nach und landete mit einer Arschbombe neben ihr im See. Wir planschten fröhlich im Seichten. Nach einer Weile legten wir uns gemütlich in die Sonne, bis sich schwarze Gewitterwolken vor sie schoben. Eilig backten wir unsere Sachen und verabschiedeten uns.

Ich kam gerade noch trocken zuhause an, bevor das Gewitter los brach. Der Wind sauste nur so ums Haus, kleine Hagelkörner trommelten an die Fenster und Blitze erhellten den Himmel. Ich schnappte mir den ersten Band von Eragon und begann zu lesen, während draußen das Unwetter tobte.

Die meisten Tage verbrachte ich im Freibad mit Lilli, doch in den Nächten wanderte ich immer wieder auf demselben Sandstrand. Was wohl hinter den weit entfernten Felsen lag. Bisher hatte ich noch niemanden von meinem wiederkehrenden Traum erzählt. Es waren die Ferien einfach zu kurz ums sich über so was den Kopf zu zerbrechen.

Der Herbst kam und die ersten bunten Blätter fielen von den Bäumen. Bald würde die Schule wieder beginnen. Rose war bereits das reinste Nervenbündel. Sie packte ihren Koffer immer wieder neu und auch bei Mama lagen die Nerven blank. Schließlich kam der Tag der Abreise, ich hatte immer noch keine Ahnung wo sie hinreisten, mir wurde nur mitgeteilt, dass Mama in drei Tagen zurück sein würde. Während ihrer Abwesenheit hatte ich also sturmfrei.

Lilli und Stefanie kamen am ersten Tag zu mir, wir planten eine Pyjamaparty. Das mag jetzt etwas kindisch erscheinen, aber wir hatten den größten Spaß daran uns gegenseitig die Nägel zu lackieren und lustige Spiele zu spielen. Abends wurde das Licht abgeschaltet und wir begannen uns Gruselgeschichten zu erzählen. So richtig fürchtete sich aber keine von uns. Irgendwann schlief ich während der Erzählungen ein.

Wieder war ich auf dem Sandstrand. Es wehte ein eiskalter Wind, der an meinen Kleidern riss. Der Geruch des Meers stieg mir in die Nase und die Wellen schlugen geräuschvoll an die Küste. Ich rannte auf die Klippen zu, ohne ihnen auch nur einen Meter näher zu kommen. Auf einmal veränderte sich die Szenerie. Ich rannte nicht länger, sondern stand auf den felsigen Klippen und blickte in die Tiefe. Der Sprung kam und ich glaubte zu fallen. Doch ich schwebte in der Luft.

Das Erwachen war seltsam. Meine beiden Freundinnen betrachteten mich als wäre ich der Geist aus einer der Geschichten die sie erzählten. „Du bist geflogen Mel.“, stellte Stefanie sachlich fest. Lilli war zu überrumpelt um etwas zu sagen. Schließlich kam sie mir doch zur Hilfe, wenn ich wirklich fliegen konnte brauchte das niemand zu wissen. „Das war bloß eine optische Täuschung. Nicht war Mel?“, sagte Lilli mit einem aufgesetzten Lächeln. Nach längerem Zureden konnten wir Stefanie davon überzeugen, dass sie sich das Ganze nur eingebildet hatte. Am nächsten Morgen wurden die beiden abgeholt. Wenige Minuten nach ihrem Aufbruch rief mich Lilli an. „Was war das? Die Luft hat geflirrt und du bist geflogen! Bist du etwa auch eine Träumende?“, schrie sie mir aufgeregt ins Ohr. Die Wahrheit war ich hatte keine Ahnung. Schulterzuckend stand ich da, bis mir einfiel dass sie mich ja nicht sah.

„Nein, ich bin noch keine 16. Ich hab erst in drei Wochen Geburtstag. Rose ist sicher nie im Schlaf geflogen, das wüsste ich. Eine Träumende bin ich nicht.“, war meine schnelle Antwort. Doch als ich länger darüber nachdachte. Was könnte es sonst sein? Eine Hexe vielleicht oder so….

Nach einer längeren Diskussion am Telefon mit Lilli, machte ich mir erst mal eine Portion Spaghetti. Mein Hunger war riesig und Teller bald leer. Dann beschloss ich Mama anzurufen. Das sollte ich zwar nur im Notfall, aber im Schlaf fliegen gehörte gewiss dazu. „Hallo, Mel ist alles in Ordnung?“, erklang Mamas Stimme am anderen Ende. Ich zögerte, würde sie mir überhaupt glauben? Ich räusperte mich und sagte dann: „Mama, ist es sicher dass ich keine Träumende bin?“

Obgleich die Stimme meiner Mutter gelassen ruhig blieb, hörte ich die Überraschung über das Geschehene heraus. Das Gespräch am Telefon war mit einem „Ich komme sofort nach Haus“ kurzerhand beendet worden. Wenige Stunden nach dieser Aussage, stand Clair Clearwater mit ihren Koffern auf der Terrasse.

Sie sah mir in die Augen und ein merkwürdiger Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht. Ich konnte ihn nicht einordnen. War es Schrecken, Neugierde oder schlicht Überraschung? Was stimmte nicht? Wortlos zog sie mich nach oben ins Bad vor den Spiegel. Dort erblickte ich mich und doch war es nicht mein Spiegelbild das mir entgegen schaute. Meine grünen Augen hatten ein goldenes Glänzen, mein rotes, lockiges Haar sah aus als wäre der Wind hindurchgefahren und da in der Mulde zwischen Schlüsselbein und Hals war ein schwarzes Zeichen tätowiert. „War das vorher als Lilli und Stefanie gingen auch schon da?“, wunderte ich mich.

Meine Mutter rückte ihre Brille zurecht und nahm das Mal genauer unter die Lupe. „Es sieht fast so aus wie…“, sie stockte im Satz. Sie sah mich stirnrunzelnd an. „Mel, du bist eine Strome. Das heißt sicher bin ich mir nicht, weil so ein Mal nur die Höchsten magischen Träumenden bekommen. Auch Stromes mit großen Zauberkünsten besitzen meist keines. Geh und pack schnell deine Koffer, wir fliegen zur Dreamer Academy. Beeil dich!“, sagte sie und ließ mich dabei nicht zu Wort kommen.

Ich schmiss alles Mögliche in meinen Koffer: Verbandszeug, Blöcke und Schreibzeugs, Klamotten, Schuhe und Tollet Artikel. Bis nichts mehr hinein passte. Draußen wartete bereits ein Taxi, in dem Mama ungeduldig hin und her wippte. Der Taxifahrer ein dünner, schlaksiger Mann nahm mein Gepäck und hievte es in den Kofferraum.

Die Sitze waren aus Leder, eine Trennscheibe war zwischen der Fahrerkabine und uns aufgezogen. Ich trug ein rotes Sommerkleid das gut zu meiner Haarfarbe passte. Mein Mal hatte ich mit Makeup überdeckt, damit nicht jeder merkte, dass mit mir etwas nicht stimmte. Mama quittierte das mit einem Du-solltest-stolz-darauf-sein Blick.

Als wir schließlich hielten, war es bereits später Nachmittag. Mein Bauch grummelte, ich hatte seit den Spaghetti nichts mehr gegessen. „Das ist seltsam, wir essen eigentlich sehr wenig und du verdrückst ja immer Mengen von Nahrung.“, meinte meine Mutter. Wir stiegen aus dem Wagen.

Am Kiosk beim Flughafen holte ich mir ein Sandwich. Mama checkte für uns ein. Die kleine Notfallhandtasche die ich gepackt hatte hing über meinen Schultern. Darin befanden sich mein Handy, Makeup und ein Pfefferspray. Das Pfefferspray war eher aus Gewohnheit als aus wirklichen Bedenken dabei und das Makeup diente ausschließlich zum Verdecken des Mals.

Hoffentlich war am Abend Zeit um Lilli anzurufen und ihr von allen Ereignissen zu erzählen. Während des Fluges musste mein Handy ausgeschaltet werden. Ich hatte immer noch keinen Schimmer wo wir eigentlich hin wollten. Mama verriet mir nur das nötigste bis sicher war, das ich auch eine Träumende sei.

Der Flug dauerte geschlagene zwei Stunden. Irgendwann dazwischen döste ich ein. Das Rütteln des Landeanflugs weckte mich. Die Treppe wurde zur Tür gerollt und die Leute stiegen aus. Wir mischten uns unter die Passagiere. Der Flughafen war riesig, ich war noch nicht oft geflogen aber wir waren definitiv in einer größeren Stadt. Es war ja bereits das hier, größer als der Park in Greenwitch.

Nach einer weiteren Taxifahrt blieben wir an einer roten, altmodischen Telefonzelle stehen. An ihr klebten unzählige Plakate. Sie wirkte etwas fehl am Platz, um sie stand weit und breit kein einziges Haus. Zu zweit zwängten wir uns in die enge Kabine. „Ich ruf jetzt deine Direktorin an. Sie wird überrascht sein von dir.“, meinte meine Mutter etwas unbeholfen. Das Gespräch verlief ziemlich kurz. So in die Richtung ist sie eine Träumende, ja aber…. Kaum war der Hörer aufgelegt, schob sich der Boden unter unseren Füßen weg. Unser Absturz, aus dem engen Raum, wurde von etwas weichem aufgefangen.

Eine mechanische Stimme ertönte: „Willkommen in der Biblitch, Underground Dreamer Academy

Willkommen an der Dreamer Acedemy!

Wir lagen auf einem Haufen Daunenmatratzen. Etwa zwanzig Meter unter der Erde. Ober uns befand sich also Biblitsch, die bekannte Stadt für Handel und den unglaublichsten Erdbeeren. Ich verschlang immer Tonnen von Erdbeeren mit Zucker und Sahne. Wir waren also in Biblitsch Underground. Es sah hier aus wie Oben eine ganz normale Schule aussehen würde.

Ein schmaler Kiesweg führte von den Matratzen zu einem Eisentor. Es öffnete sich wie von allein. Dahinter lag ein Pausenhof mit Holzbänken und an den Felswänden standen steinerne Wasserspeier. Das Hauptgebäude ragte bis zur Decke, an der hangen gedämpfte Lichter, was dem ganzen etwas Grusliges verlieh.

Die riesige Eingangshalle war gähnend leer. Mama ging schnurstracks auf die Stiegen, die in den zweiten Stock führten zu. Dort kamen wir an vielen wie ich annahm Klassentüren vorbei. Vor einer blieb sie stehen. Auf einem Schild rechts stand Büro.

Sie klopfte und ein kleiner Gnom öffnete die Tür. Seine Ohren liefen spitz zusammen, er trug so etwas wie einen Hut und seine Nase glich der eines Schweines. Er grüßte höfflich, doch mir war sein Aussehen so suspekt, dass ich nichts erwiderte. Mama grüßte und bat, dass er uns zu Direktorin Dorefy bringen möge.

Das kleine Vorzimmer hatte drei Türen. Die eine auf welche wir zugingen war in die Höhlenwand eingelassen. Der Gang führte an schrägen Skulpturen und Bildern vorbei zu einem Schreibtisch. An dem saß eine Frau mit hoch gestecktem blondem Haar und grauen weit aufgerissenen Augen.

„Warum bringst du einen Mensch hier her Clair!“, rief sie aus, als ihr Blick auf mich fiel. Meine Mutter nahm ein Taschentuch und wischte das Make-up weg. Miss Dorefy schnappte nach Luft. „Aber das ist…“, wieder brach jemand einen Satz bei diesem Anblick ab.

Meine grünen Augen und mein rotes Haar würde sicher noch einige denken lassen ich sei menschlich. Anders zu sein war nicht schlimm, aber anders und neu, war eine gefährliche Kombination. „Ach du meine Güte! Willkommen auf der Dreamer Acedemy, Mel Clearwater. Darf ich dein Mal anfassen?“, fragte die Direktorin. Ich nickte und sie strich mit den Fingerspitzen über das Symbol. „Wir werden dich in die gleiche Klasse wie Rose geben. Es ist höchst seltsam, dass du ein Mal hast und noch keine 16 bist. Du hast doch erst in drei Wochen Geburtstag oder?“, sagte sie in einem Atemzug. „Ja, aber woher wissen sie das?“, antwortete ich mit einer Gegenfrage. „Alle Kinder von Träumenden werden registriert. Es gibt vieles das du noch nicht über uns weißt, aber ich denke Rose könnte dir diesbezüglich helfen.“, stellte sie nüchtern fest.

Mama verabschiedete sich. Ich bekam einen Stundenplan, eine Schuluniform und einen Lageplan des Schulgeländes. Die Koffer sollten später vom Flughafen mit dem Undergroundexpress auf mein neues Zimmer gebracht werden. Ob der Undergroundexpress auch eine Telefonzelle war?

Ich kleidete mich auf den Damentoiletten in die ungewohnte Uniform, überdeckte mein Mal und brachte meine Frisur in Ordnung. Meine roten Ringellocken hingen mir wild ins Gesicht und es beanspruchte seine Zeit.

Der erste Kurs sollte in dem Klassenzimmer über der großen Halle stattfinden. Als es läutete schlenderte ich den Flur entlang. Bemüht die Blicke aus den grauen Augen zu ignorieren, setzte ich meinen Weg fort. Am Ziel angelangt, öffnete sich die Klassentür und Rose kam heraus. Sie sah mich etwas ungläubig an.

Rose hatte sich schnell wieder unter Kontrolle. Sie führte mich in den mit Fackeln beleuchteten Höhlenraum. Auch hier wurde ich von allen angestarrt. Doch außer mir besaßen auch noch drei andere keine grauen Augen, wie ich beim Vorbeigehen bemerkte. „Ich weiß ja nicht was du getan hast, dass Mama glaubt du wärst eine Strome, aber der Fehler wird sich in der ersten Zauberstunde wieder legen.“, meinte Rose bissig.

Verwirrt über ihren Ärger, setzte ich mich in die zweite Reihe und versuchte nicht allzu irritiert zu wirken. Mit einem Knall und einer Rauchwolke erschien an der Tafel ein unglaublich attraktiver Mann. Schwarze Haare, grüne Augen und kantige Gesichtszüge gaben ihm etwas Verwegenes. Er kam mir etwas zu jung vor, um Lehrer zu sein. Aber was wusste ich schon.

„Hallo und herzlich Willkommen auf der Dreamer Acedemy. Ich bin Professor Longwood. Ihr seid hier im Kurs für Anfangende Zauberei.“, begrüßte er uns sogleich mit einer angenehmen tiefen Stimme. Rose saß in der ersten Reihe und ich merkte wie begeistert sie von Herrn Longwood war. Alle Mädchen im Raum schienen beeindruckt, die Jungs dagegen wirkten eher gelangweilt. „Die meisten von euch sind wie ich sehe Tims. Graue Augen und blondes Haar sind typische Merkmale für Träumende Tims. Die Stromes unter euch Zack Rost, Ulli Moor und Mel Clearwater, ihr werdet auch Einzelunterricht in manchen Fächern bekommen. Und jetzt lasst uns mit dem Unterricht beginnen.“, meinte er in seinem angenehmen Tonfall.

Das rüttelte die Jungs wach, die nicht wie die Mädchen an jedem Wort seiner Lippen hingen. Der Kurs begann mit einer wie es hieß „Grundübung um Magie“ zu bündeln. Ich fand Mandala auszumalen von innen nach außen und von außen nach innen ja ganz nett, aber was hatte das mit Zauberei zu tun?

Als es zum Ende der Stunde läutete war ich nicht die einzige, die mit einem zweifelnden Blick auf ihr Gekritzeltes sah. „Mel, du hast jetzt Einzel bei mir. Alle anderen wünsche ich noch einen schönen Tag und bis morgen.“, sagte Herr Longwood, während er seine Sachen in die Tasche packte. Ich bekam einige böse, eifersüchtige und hasserfüllte Blicke zugeworfen. Auch Rose blitzte mich aus ihren grauen Augen an. Ob sie sich verguckt hatte? Auf ihre Hilfe bei der Geschichte der Träumenden konnte ich wohl nicht hoffen.

Ein Stockwerk höher fand in einem kleinen gemütlichen Raum mit Sofa mein Einzelunterricht statt. „Also, Mel du weißt noch nicht sehr viel über uns Träumenden.“, stellte Herr Longwood sachlich fest. „Deshalb gebe ich dir zuerst Geschichteunterricht. Es war einmal ein Mensch, der sah in seinen Träumen eine Frau. Er wollte sie in seinem Leben haben und so betete er zu Gott. Dann eines Nachts als er ihr im Traum begegnete passierte es, er wachte neben der Schönheit auf. Doch sie verließ ihn und alles was ihm blieb war eine Erinnerung. Das war eine der einfacheren Entstehungsgeschichten, die anderen kannst du hier drin Nach lesen.“, erzählte er mir mit feierlicher Miene.

Er hielt mir ein Buch hin. „Der Beginn Träumenden“ stand auf dem dicken, ledernen Einband. Es hatte bereits vergilbte Seiten und wog mehr als mein Gepäck, das ich in der schnelle gepackt hatte. „Und nun kommen wir zum schwierigen Teil, des Unterrichts. Du musst deine Magie finden.“, sagte Herr Longwood in einem fröhlichen Tonfall. „Stell dich breitbeinig hin, mach deinen Kopf frei, atme tief ein und schlinge deine Arme um deinen Körper.“, kamen sofort die Anordnungen.

Nach mehreren Versuchen war genau nichts passiert. Ich stand da hielt meinen Körper fest umschlungen und wartete auf ein Zeichen, ein Kribbeln oder irgendein Anzeichen für Magie. Doch es blieb aus.

„Manchmal kann es etwas dauern, bis Magie sich bei jemandem bemerkbar macht. Vor allem hattest du noch nicht Geburtstag.“, quittierte Herr Longwood meine jämmerlichen Versuche.

Nach der Unterrichtseinheit brachte mich Herr Longwood in den Mädchentrakt. Am Ende eines Flures befand sich ein Zimmer, in ihm waren zwei Betten. Es war modern und flächengroß eingerichtet. Die Vorhänge waren grün, die Bettwäsche aus Baumwolle beige und mit einem schönen goldenen Muster verziert. Auf einem Stuhl am Schreibtisch saß ein nett aussehendes Mädchen mit langen blonden Haaren, Sommersprossen im Gesicht und natürlich den grauen Augen, die sie als, wie ich nun wusste, Tim auszeichneten.

„Gloria, zeigst du bitte Mel wo alles ist und hilfst ihr wenn sie Fragen hat. Sie ist mehr oder weniger neu in der Traumwelt.“, zwinkerte er dem Mädchen zu, die ein strahlendes Lächeln aufsetzte.

Gloria war ein wirklicher Wirbelwind. Als die Tür zufiel umarmte sie mich stürmisch. „Willkommen auf der Dreamer Acedemy. Mel Clearwater, richtig? Wow, ist das cool da glaubst du dein ganzes Leben lang du wärst ein Mensch und dann kommt die Explosion und dein ganzes Leben gerät aus dem Gleichgewicht.“, quasselte sie los wie ein Wasserfall. „Ja ziemlich arg.“, erwiderte ich lahm als sie mich zu Wort kommen ließ.

Sie führte mich durch das alte, unterirdische Gewölbe. Überall fand man eine neue Tür hinter der man einen Geheimgang vermuten könnte. Doch Gloria schien sich bestens auszukennen und führte mich zielsicher durch das Gebäude. Wir kamen an der Bibliothek vorbei, an der großen Halle, in der ich bereits mit Mama gewesen war und in weiteren kleineren Räumen, in denen sich Sitzsäcke, ein Fernseher und ein Tischfußballautomat befanden.

In einigen dieser Räume, hatten sich Grüppchen gebildet und alle quatschten heillos durcheinander. Da fiel ich wenigstens nicht auf. Gloria zog mich weiter auf die Tür zu, die wie ich vermutete in den Keller führte. Die Tür ging auf und es erwartete mich Finsternis.

Der Beginn der Träumenden

 

Das Licht ging an und mein Blick fiel auf eine schmale, marmorne Wendeltreppe. An ihrem Ende befand sich eine hölzerne Bühne. Im ganzen Raum stank es nach faulen Eiern. Ich entdeckte die Ursache für den Gestank, ein heißes Schwefelbecken breitete sich vor mir aus. Aus einer Schleuse im Felsen floss ein Wasserfall in das große Becken. Ich rümpfte die Nase und war froh, als wir den Keller wieder verließen.

Zurück auf unserem Zimmer begann ich meine wenigen Habseligkeiten auszupacken. Meine Kleidungsstücke hängte ich fein säuberlich in den Schrank, die Fantasyromane kamen ins Regal über dem Bett und meine Schulsachen verstaute ich im Schreibtisch.

Dabei fiel mir das Buch „Der Beginn der Träumenden“, das mir Herr Longwood zuvor gab, in die Hände. Ich kramte in meiner Tasche nach meiner Lesebrille. Ich strich über den ledernen Einband, der sich glatt, wie die Haut einer Schlange anfühlte. Vorsichtig schlug den Deckel zurück, um dem alten Schinken nicht zu schaden. Auf der ersten Seite befand sich ein Symbol. Es hatte Ähnlichkeit mit meinem Träumendenmal.

Erstaunt fuhr ich mit dem Finger die Konturen nach. Plötzlich begann das Symbol auf dem Papier zu leuchten. Gloria sah überrascht auf. Das Leuchten breitete sich im Zimmer aus und zeigte mir Bilder aus einer längst vergangenen Zeit.

Die Bilder erzählten die Geschichte: Es begann auf einer Wiese, mit vielen Wildblumen, dort saß ein Liebespärchen. Die Frau trug ein weißes Sommerkleid und ihre langen roten Haare trug sie in zwei geflochtenen Zöpfen. Sie sah mir ähnlich. Der Mann mit schwarzen, kurzen Haaren hatte einen ganz verzückten Ausdruck auf seinem Gesicht. Die Szenerie veränderte sich und Alles wurde düsterer. Der Mann von der Lichtung war in eine Rüstung gekleidet, er lieferte sich mit einem Gegner einen bitterlichen Schwertkamp. Die Frau schwebte in der Luft, an Ketten gefesselt. Ein Schwerthieb und der Schwarzhaarige ging zu Boden. Die Gefangene schrie auf, der Körper ihres Geliebten lag reglos am Grund. Sie riss sich von ihrem Gefängnis los, beugte sich über ihn und begann zu weinen. Die erste Träne die von ihrer Wange rollte, floss nicht einfach herab, sondern verformte sich zu einem Körper. Durch die Träne der Liebe war ein Wesen mit blonden Haar und grauen Augen entstanden. Der Sieger des Kampfes stand bewegungslos neben dem Geschehen. Die Frau die mir so ähnlich sah, nahm allen Mut zusammen und rammte das Schwert ihres verstorbenen Geliebten in die Brust des Kriegers.

Das Strahlen erlosch und langsam kehrte ich in die Realität zurück. Was wohl nach dieser Geschichte geschah? Nun kam auch Gloria zu sich. Verblüfft sah sie mich an, als wäre ich das siebte Weltwunder oder so. „Du und …“, brachte sie schließlich japsend hervor. Sie zeigte auf das Buch, dessen Deckel sich von allein wieder geschlossen hatte. Das war zu viel für heute, ich nahm das Buch und verstaute es in der untersten Schublade des Schreibtisches. Mir war das Ganze nicht geheuer. Zuerst das Mal das meinem so ähnlich war und dann die Geschichte in dem ein Abbild von mir die Hauptrolle spielte.

Gloria hatte es anscheinend die Sprache verschlagen. Bevor sie wieder zu Wort kommen konnte und mehr Gebrabbel von sich geben konnte, als ich heute noch vertrug, schnappte ich mir meinen Pyjama und verschwand im Bad. Nach einer halben Stunde unter der Dusche fiel ich todmüde ins Bett. Gloria startete noch einen Versuch mit mir zu reden, doch davon bekam ich schon nichts mehr mit.

Am nächsten Morgen klingelte der Wecker und warf mich aus dem Bett. Verschlafen sah ich mich um. Noch nicht ganz wach, kannte ich mich erst nicht aus wo ich war. Doch dann fiel mir alles wieder ein. Ich tastete nach meinem Träumendenmal. Die Ornamente, mit denen es verziert war fühlten sich an als wären sie ein Teil meiner Haut. Als seien sie schon immer da gewesen. Im runden Spiegel der ober dem Waschbecken befestigt war, blickte mir mein zerstreutes Spiegelbild entgegen. Meine Haare standen wild zu Berge, auch als ich versuchte sie mit dem Glätteisen zu richten. Schließlich band ich mir meine Haare zu einem Dutt hoch.

Ein Blick auf meinen Stundenplan und den Lageplan der Schule, zeigte mir, dass ich in den zweiten Stock ins Schlaflabor zu Madam Writt musste. Ich irrte etwas herum doch schließlich fand ich die richtige Tür. Gloria war in meiner Parallelklasse und war bereits etwas früher auf den Beinen als ich.

Der Unterricht begann ganz seltsam. Das Schlaflabor war keines Falls so, wie eins der Menschen. Man nahm zwar auch hier EEG-Messungen vor, allerdings an Tieren, genau genommen an einem Eichhörnchen. Die Kappe mit den Elektronen zeigte auf einem Bildschirm was das Eichhörnchen träumte. Fürs erste war unser Auftrag nur uns Bilder auszudenken, welche das kleine Tierchen dann sehen sollte und sie so genau wie möglich zu beschreiben. Ich mahlte mir aus, dass es eine riesige Eichel fände und daran zu knabbern begann.

In der nächsten Stunde bastelten wir uns selbstgemachte Traumfänger. Das Fach Traummystik bei Frau Match machte mir bisher am meisten Spaß. Mein Traumfänger glich zwar eher einem Ei als einem Kreis doch dafür bekam ich das Knotenmuster ziemlich gut hin. Uns wurde die Bedeutung der Traumfänger genau erklärt und jeder Knoten den wir einbauten hatte eine andere.

Schließlich hatten wir Praxis bei Herrn Longwood. Der Inhalt des Unterrichts war mittlerweile vom Malen zum Legen von verschiedenen Mustern mit Zweigen gewechselt. Darauf folgte eine weitere Einzelstunde bei ihm, in der nichts passierte. Ich behielt das was gestern mit dem Buch geschah für mich. Zwar war ich neugierig wieso es geschehen war, aber ich wollte nicht, dass mich Nicklas, ich meine natürlich Herr Longwood als seltsam betrachtete.

Zum tausensten mal ermahnte mich Herr Longwood nun zur Konzentration. Doch schließlich beschlossen wir den Unterricht etwas früher. Somit begann mein erster Nachmittag in Biblitsch Underground.

Ich betrat den Hoff mit den Wasserspeiern an den Wänden. Das Wasser floss aus dem Maul der Steinfiguren und wurde von marmornen Becken aufgefangen. Am Rande einer dieser Becken setzte ich mich eine Weile hin, bis ein Quietschen mich aus meinen Gedanken ries. Das eiserne Tor war aufgegangen. Daraus traten Nicklas und ein schüchtern wirkendes Mädchen. Sie umklammerte eine braune Handtasche, die gut zu ihren grauen Augen passte.

„Oh, hallo Mel! Das ist Lola eine neue Schülerin.“, wandte er sich sofort an mich. Verlegen schüttelte ich ihr die Hand. Darauf folgte eine unangenehme Stille. Schließlich liefen wir zu dritt auf die Eingangstür zu.

 

Happy Birthday

Ich verabschiedete mich von den Beiden und verbrachte den restlichen Nachmittag mit lesen. Dabei fiel mein Blick auf die Schreibtischschublade mit dem mysteriösen Buch. Doch ich kam nicht dazu, es heraus zu holen, denn die Tür flog auf und Gloria kam mit einer Schar Mädchen ins Zimmer. Ich hätte getrost auf den Klatsch und Tratsch verzichten können, den die drei Mädchen brühwarm erzählten. Wenn interessierte schon das Neuste aus Klatschzeitschriften von den Sternchen des Jahrhunderts.

Zurzeit war das Spannendste der Geburtstag der verschollenen Prinzessin. Die königliche Familie Olivs hatte vor genau 16 Jahren eine Tochter Namens Samantha bekommen. Die im Alter von zwei Jahren entführt wurde.

Im Grunde war es wie jedes Jahr, der Trubel um die Prinzessin fand seinen Höhepunkt in einer Gedenkfeier. Bis auf die Tatsache das Samantha mit ihrem 16 Geburtstag eine vollwertige Strome sein würde. Die verschollene Prinzessin wurde erwachsen und blieb doch verschwunden. Das ständige Gerede, dass sie wieder kommen und ihren rechtmäßigen Platz einnehmen würde, ging einem richtig auf die Nerven.

Mein Geburtstag war auch morgen. Ich erwartete nicht viel. Vielleicht Anrufe von Lilli und Mama. Aber Rose würde mir sicher nicht gratulieren, dazu war sie einfach noch zu sauer. Wobei ich nicht ganz verstand warum sie zornig war. Schließlich konnte ich nichts dafür wie sich die Dinge entwickelt hatten. Dass ich jetzt eine Strome war, war nicht geplant. Irgendwie war es gar nicht so toll, dass ich jetzt eine Träumende war. Ich fühlte mich fehl am Platz, Lilli fehlte und ich kam mir ganzschön einsam vor. Gloria war zwar nett zu mir, doch sobald eine ihrer Freundinnen auftauchte, lies sie mich links liegen. Vielleicht könnte ich mich mit Lola, der Neuen, anfreunden. Wenigstens hatte ich bisher noch keinen „zauberhaften“ Traum. Doch auch dies sollte sich in jener Nacht ändern.

Wieder befand ich mich am weißen Sandstrand. Meine nackten Füße gruben sich in den Sand. Die Sonne stand hoch am Himmel. Doch dieses Mal war irgendetwas anders. Ich fühlte mich entspannt und ausgeruht. Die felsige Klippe war vor mir, ich stand am Abgrund und ich breitete meine Arme aus und flog.

Ich erwachte, einen Meter schwebend über dem Bett. Mit meinem schrillen Schrei weckte ich sicher das halbe Haus. Gloria sprang aus dem Bett, sie sah gerade noch wie ich langsam aufs Bett fiel. Auch sie sah mich schockiert an. Langsam fand ich zurück ins Jetzt. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Herr Longwood platzte in unser Zimmer, im Schlafanzug und mit einem Gewehr.

„Sie ist geschwebt und ….“, stotterte Gloria. Ehrleichtert nahm Nicklas die Waffe herunter. „Wenn´s nur das war, ist ja alles in Ordnung.“, meinte er gelassen. Ich blickte auf meinen Wecker, es wäre noch eine Stunde zu schlafen gewesen. „Übrigens alles Gute zum Geburtstag Mel.“, gratulierte mir Nicklas. Ich schenkte ihm ein Lächeln. Der Tag begann ja ganz gut.

Auch im Unterricht zeigte ich endlich Vorschritte in Angewandter Magie. Nun konnte ich wenigstens irgendetwas bei diesen komischen Übungen spüren. Es war nur ein Kribbeln, doch es war greifbar und dort und da sah man einen goldenen Schimmer. Herr Longwood nahm die Funken auch war. „Konzentrier dich auf das Kribbeln und den Glanz der Funken. Dann kannst du auch mehr Energie freisetzen.“, meinte er aufmunternd.

Plötzlich schoss ein unkontrollierter Schwall glitzernder, stoppender Funken mit einem Knall in die Luft. Wie goldenes Konfetti schwebten sie zu Boden. „Super, ich dachte mir schon das es heute klappen würde.“, kam ein weiteres Lob von Nicklas. Die nächste Stufe war die goldenen Pünktchen zu verfärben. Was sich als schwieriger herausstellte als es klang. Am Schluss hatte ich es zu wegen gebracht, das es leuchtend rote Funken waren. Damit war die Stunde ein voller Erfolg für mich.

In Traummystik gelang es mir meinen Traumfänger fertig zu machen. Ich analysierte den letzten Knoten, der etwas wie langes Leben bedeutete. Frau Match legte ein kleines Büchlein auf meinen Tisch. „Das ist ein Traumtagebuch. Führt doch bitte ab heute alle Register über eure Träume.“, wand sie sich an alle. Den Rest der Stunde verbrachte ich damit meinen Umschlag für das Buch zu basteln. Es sah ganz hübsch aus, ein Umschlag mit blau gepressten Veilchen und Gänseblümchen.

Zu Mittag aß ich in der Mensa. Sie war wenig besucht, da wir Träumenden nur seltenen Appetit hatten. Doch mit meinem Kohldampf verdrückte ich zwei Teller Puttenstreifensalat. Auf dem Weg zurück zu meinem Zimmer, begegnete ich Lola. Wir gingen ein Stück und quatschten über dies und jenes.

Ich vermisste den Himmel. Hier unten, unter der Erde war die Deckenbeleuchtung, die über dem Gebäude hing zwar so eingestellt, dass sie abends gedämpft leuchtete, doch obgleich sie so hell wie die Sonne scheinen konnte, war es bei weitem kein Ersatz. Auch die Öllampen, die die Gänge und Zimmer beleuchteten konnten nicht mit dem Tageslicht gleichziehen. Wobei die Lampen abends eine romantische Stimmung schufen. Am Wochenende durften wir an die Oberfläche. Dazu betätigten wir den Telefonzellenexpress.

In meinem Zimmer klingelte mein Handy. Es war Mama, sie sang mir ein schiefes Lied und brach dabei in Tränen aus. Ich verstand ihren Emotionsausbruch nicht ganz. Verwirrt und etwas aus dem Konzept gebracht, verabschiedete ich sie. Meine Mutter war zwar chaotisch, doch so einen Gefühlsausbruch passte auch zu ihr nicht. Da musste noch etwas anderes dahinter stecken. Doch ich beschloss diese Vermutungen, dass etwas im Busch lag, auf später zu verschieben.

Rose ließ sich im Laufe des Nachmittages kurz in meinem Zimmer blicken. Ein kühles Happy Birthday war die Begrüßung. Ich freute mich einfach riesig, dass sie doch noch über ihren Schatten gesprungen war und mir gratulierte. So sehr, dass ich sie stürmisch umarmte. Schließlich erwiderte sie die Umarmung. „Du bist tatsächlich eine Strome, ich kann es immer noch nicht glauben.“, machte sie ihrer Überraschung Luft. Ich lachte. „Ja das bin ich.“, meinte ich nur nickend. War ich froh, dass wir uns wieder verstanden.

Sie hatte auch ein kleines Geschenk für mich. Einen Traumengel, den stellte man sich ans Bett und erwachte über deine Träume. Vielleicht würden so endlich meine Magieträume enden. Die Gesichtszüge des kleinen Tonnengel waren feinstens herausgearbeitet. Sein Mund lächelte und seine Hände waren zum Beten gefaltet. Rose hatte in bei Miss Match im Unterricht angefertigt.

Spät am Abend, kurz vor Bettruhe rief Lilli an. Ich beschloss das Verbot zu missachten und erzählte ihr was bis her geschehen war. Sie kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Am Ende des Telefonats war ich dabei ihr Nicklas, ich meine Herr Longwood, genauestens zu beschreiben. Danach schloss ich meine Augen und träumte das erste Mal von etwas komplett normalen. Wenn man das so nennen konnte.

Wochenende

Ich trug ein Ballkleid. Alle im Saal trugen Ballkleider. Die Halle war edel geschmückt, die Kerzen der Kronleuchter warfen ein schimmerndes Licht auf die Tanzgäste und das Sirren der Magie lag in der Luft. Die Blumengestecke bestanden aus weißen und roten Rosen. Mein Ballkleid war weiß mit Spitzen verziert, mein rotes Haar hing mir lockig über die Schulter und meine Hände steckten in ellbogenlangen Handschuhen. Nur meine Schuhe waren zu eng. Die Musik erklang und alle begannen zu tanzen. Auch ich tanzte, mit einem Mann mit Maske. Die Uhr schlug Mitternacht und er ließ die Maske fallen. Sein Gesicht war das von Nicklas.

Sabbernd erwachte ich. Wie peinlich, wie konnte man nur von seinem Lehrer träumen. Ich schlug mein Traumtagebuch auf und trug das Datum und den Traum ein. Das Ende ließ ich aus. Wenn das jemand lesen würde, sollte er nicht über meine geheime Schwärmerei Bescheid wissen.

So vergingen die Tage und dann kam das Wochenende. Endlich an die Oberfläche, Frischluft danken. Ich trug meinen neuen Faltenrock, schwarze Sneakers und eine bequeme Bluse. Außer mir wollten noch fünfzehn andere nach Biblitsch. Unter ihnen war auch Lola die sich sofort zu mir gesellte. Neben der Telefonrutsche und dem Matratzenbett gab es noch drei Telefonröhren, die wieder nach Oben führten. Man betrat die Kabine tippte die Postleitzahl 3462 von Biblitsch und schoss mit Hochdruck auf einer eisernen Blattform die Rohre hoch.

Oben angekommen blendete zuerst mal das Sonnenlicht. Es dauerte eine Weile bis sich die Augen ans Licht gewöhnten, das durch die verdreckten Fensterscheiben der Telefonzelle schien. Ich hatte meine Sonnenbrille vergessen, weil ich sie in Biblitsch Underground schlicht nicht brauchte.

Lola und ich traten auf die Straße. Eine Ecke weiter befand sich der große Markt. Auf ihm wurden bei verschiedenen Ständen Kleider, Schmuck und weiter hinten Lebensmittel und Süßigkeiten verkauft. Bei einem Stand gab es sogar Schuhe. Nicht die tollste Qualität, dafür hübsch und unbequem. Ich fand eine nette Halskette, die aus einem roten Stein und einem Silberband bestand. Sie schimmerte leicht im Licht der Sonne. Als ich sie berührte glitt ein warmes Kribbeln, fast so als würde ich zaubern, meine Finger entlang. Lola fand ein paar Ohrringe die ihre grauen Augen leuchten ließen.

Fröhlich und mit Sonne aufgetankt machten wir uns im Schein der Abendsonne auf den Rückweg. Uns war bei unserem kleinen Bummel, der ein oder andere Mitschüler begegnet. Darunter auch Zack, der Strome aus meiner Klasse. Er grüßte freundlich und eilte dann in die andere Richtung davon. Lola wurde leicht rot, als sie ein schüchternes Hallo heraus brachte. Zack schien es jedoch nicht mal zu bemerken.

Zurück in Biblitsch Underground trugen wir die Einkäufe in unsere Zimmer und beschlossen das Schwefelbad im Keller zu besuchen. Als Lola und ich in unsere Handtücher gewickelt die Holztreppe betraten kam uns der beißende Geruch der Schwefelbäder bereit entgegen. Unten blubberten die zwei heißen Bäder vor sich hin. Ein paar andere Mädchen aus der Oberstufe saßen relaxt in den Becken. Mein schwarzer Badeanzug und Lolas pinker Bikini waren die genauen Gegenteile. Das Wasser war angenehm, wenn man mal vom Geruch absah, hätte ich Stunden in ihm verbringen können. Man sollte jedoch nicht länger als eine halbe Stunde in den heißen Gewässer sein. Danach verabschiedete ich mich von Lola und nahm eine schnelle, kalte Dusche.

Das restliche Wochenende verlief ziemlich ereignislos. Doch am Sonntagabend sollte es ein gemeinsames Essen in der Mensa geben. Alle drei Jahrgänge würden teilnehmen und wir sollten uns etwas Nettes anziehen. Ich hoffte mit einem schwarzen Kleid und der roten Halskette nicht overdressed zu sein. Auf dem Weg zu Lolas Zimmer, welches gleich im Erdgeschoss neben dem Eingang lag, wuselte es auf den Gängen nur so von Schülern.

Der Speiseraum war festlich geschmückt, ein riesen Buffet war aufgetischt und aus einer Anlage erklang Musik. Wir suchten uns Plätze in der hintersten Reihe, um das Geschehen gut beobachten zu können. Gloria saß mit ihrer Gänseschar am vordersten Tisch.

Auf einer Anhöhe neben den Tischreihen saßen die Lehrer. Unter ihnen befand sich natürlich auch Nicklas, mit Blue-Jeans und Hemd. Was richtig schick aussah. Die Schüler hatten sich in kleine Grüppchen aufgeteilt. Dort saßen die Reichen, Beliebten und da die Schlauen und Schüchternen.

Als Vorspeise gab es Kürbiscremsuppe mit Kürbiskernöl. Die Hauptspeise war Kaiserschmarren mit Kirschmuss und die Krönung war die Nachspeise, Schokomuss mit Erdbeeren. Alles war liebevoll und aufwendig zubereitet worden. So ein Festessen hatte ich schon lange nicht mehr gehabt und ich ließ es mir so richtig schmecken.

Nach dem Essen wurden die Tische verrückt und die Musik laut aufgedreht. Einige begannen zu tanzen. Es tippte mir jemand auf die Schulter, worauf ich mich umdrehte. Da stand Nicklas vor allen und fragte mich um einen Tanz. Überrumpelt willigte ich ein. Man konnte eine Stecknadel fallen hören, während wir uns auf der Tanzfläche bewegten. Nur die Musik durchdrang die Stille. Alle, ausnahmslos alle gafften uns an.

In meinem Traum hatte ich auch mit Nicklas getanzt. Doch in der Realität war es so viel besser. Ob ich jetzt wohl öfter etwas träumte was wahr wurde. Nicklas geleitete mich nach dem Tanz zurück zu Lola an unseren Tisch und verschwand aus der Halle. Lola sah mich mit offenem Mund an. Natürlich verstand ich ihre Überraschung, war ich doch nicht minder überrascht. So endete ein traumvolles, im wahrsten Sinne des Wortes, Wochenende.

Fragen und keine Antworten

 

Auch in der folgenden Woche musste ich noch oft ans Wochenende denken. Eigentlich war alles wundervoll, im Unterricht lief es mit meiner Magie auch schon besser und dank Lola fühlte ich mich nicht mehr allein. Natürlich fehlten mir Lilli, Mama und mein Zuhause. Dann waren da noch meine magischen Träume und die normalen, die immer öfter von Nicklas handelten.

Im Einzelunterricht gab es Momente in denen ich mich beobachtet fühlte, was mich meistens aus dem Konzept brachte. Mein goldener Funkenregen war nur die Vorstufe für schwere Übungen, in denen wir die Muster, die wir aufs Papier zeichneten, in der Luft entstehen ließen. Manchmal gelang es mir besser und manchmal schlechter.

Rose gesellte sich ab und zu, zu mir und Lola. Sie war ein Genie was Hausaufgaben oder andere Fragen über Träumende betraf. Eines Nachmittags waren wir mit lernen beschäftigt, dass wir nicht merkten wie die Zeit verging, als Rose nach dem Buch „Die Geschichte der Träumenden“ fragte. Es war schon spät und ich wollte nicht noch so eine übersinnliche Erzählung in meinem Zimmer. Mit einer Ausrede, ich hätte es schon zurückgegeben, verabschiedete ich die zwei.

Allein im Zimmer, Gloria war noch bei einer Freundin, holte ich das Buch aus der Schreibtischschublade. Sorgsam strich ich über den Ledereinband. Da spürte ich ein Kribbeln, es war das gleich, das ich spürte wenn ich zauberte. Ich schlug den Deckel beiseite und da war es wieder, das wappenähnliche Symbol, das dem in meiner Halsmulde so ähnlich sah. Nun hatten wir schon lange genug Geschichte, dass ich wusste, wofür das Wappen stand. Es war das Zeichen der ersten Gründerfamilie, welche die Welt der Träumenden als erste regierten. Die Familie Zacreb, nach deren Vernichtung im ersten Träumendenkrieg, die Adelsfamilie Olivs die Regentschaft übernahm. Laut Gerüchten sollte jemand der Zacrebs die Revolution überlebt haben.

Ich dachte an Mamas Worte, dass nur hochrangige Träumende so ein Mal wie meines hatten. Im Bad wusch ich mir das Makeup von meinem Mal. In der einen Hand hatte ich ein Buch mit den Wappen der Träumenden Adelsfamilien. Plötzlich klopfte es und Gloria stand in der Tür. Sie sah das Mal und fiel in eine Schockstarre. Schnell drückte ich den Stoff meines Kragens gegen das Mal. Dann geschah etwas Unfassbares, Gloria, die Gloria die mich keines Blickes würdigte, wenn andere, beliebtere Mädchen in der Nähe sind, verbeugte sich vor mir. Vor mir, einer gleichaltrigen Träumenden. Verwirrt stand ich vorm Spiegel. Ich nutzte die Gelegenheit und verdeckte mein Mal, während Gloria sich langsam wieder aufrichtete.

Im Buch hatte ich mein Mal nicht gefunden. „Behalt es für dich.“, zischte ich Gloria zu und drängte mich, mit dem Buch in der Hand, aus dem Bad. Ich warf mich aufs Bett, klappte das Buch zu und ließ die Sache auf sich beruhen. Erst in den nächsten Tagen sollte ich herausfinden was es mit meinem Mal wirklich auf sich hatte.

Gloria verhielt sich am nächsten Tag wie ausgewechselt. Im Bruchteil eines einzigen Momentes, nämlich der in dem sie mein Mal sah, hatte sich mein Status für sie grundlegend verändert. Was für mich nur ein weiterer Beweis war, dass es eine gute Idee sei, weiter mit verdeckten Mal herum zu laufen. Ich musste dringend mehr über mein Mal und seine Bedeutung erfahren. Zuerst würde ich Mama anrufen, schließlich müsste sie es wissen, wenn mein Vater adelig war. Ich krallte mir mein Handy und wählte die Nummer von zuhause. Dort ging nur der Anrufbeantworter an den Apparat. Endtäuscht legte ich auf, ich würde es später noch einmal probieren.

Jede Minute verstrich elend langsam, während ich am Bett lag und an die Decke starrte. Eigentlich sollte ich für meine Prüfungen pauken, doch meine Konzentration war im Eimer. Ich hatte mir nie viele Gedanken über meinen Vater gemacht. Mama sprach nicht über ihn und ich hatte gelernt nicht zu fragen. Rose hatte nicht den gleichen Vater wie ich. Mit ihrem Vater, Manfred hatte sie noch Kontakt. Er war auch ein Träumender und traf Rose etwa einmal im Monat.

Mitten in meinem Gedankengang über Väter und der Gleichen, platzte Lola ins Zimmer. Mit einem richtigen Knall fiel die Tür ins Schloss, so aufgeregt war sie. „Du glaubst nicht was grade passiert ist.“, kreischte sie ausgelassen. „Los erzähl schon.“, erwiderte ich mit angehender Spannung. „Also, ich saß in der Mensa am Tisch hinter Glorias Tratschtanten und da hab ich mitbekommen, dass Gloria anscheinend jemanden mit einem Mal kennt. Wer es ist hab ich nicht mitbekommen, aber weißt du was das bedeutet?“, ratterte sie das Geschehene herunter, so dass ich fast nicht mitkam. „Nein. Was ist denn so besonders an so einem Mal.“, antwortete ich in der Hoffnung endlich mehr über das Symbol auf meiner Haut zu erfahren.

„Erst mal brauch ich was zu trinken. Dann erzähl ich dir alles, was ich weiß.“, meinte sie und setzte sich im Schneidersitz aufs Bett. Ich reichte ihr ein Glas Wasser, das sie in einem Zug austrank. „Also Folgendes, jemand mit Mal hat ja bekanntlich besondere Fähigkeiten. Ein Mal mit Ornamenten zeigt nicht nur einen sehr hohen Adelstand an, sondern der Träger soll anscheinend auch individuelle Begabungen haben. So wie unsere Königin zum Beispiel, sie kann Wasser kontrollieren. Genau so jemanden, mit so einem Mal soll Gloria kennen. Und jedes Mal ist anders und besonders.“, sagte sie.

Jetzt wusste ich mehr. Aber ich verstand Lolas Aufregung über die Neuigkeit nicht. Gloria hatte sich also verplappert. Anscheinend hatte sie aber nicht gesagt, dass ich das Mal habe. „Du Lola, ich muss dir was sagen.“, druckste ich etwas wiederwillig herum. „Schieß los!“, sagte sie mit einem Lächeln im Gesicht. Ich ging kurz ins Bad und holte einen nassen Lappen. Während ich mir das Make-up von der Haut rieb, wurden Lolas Augen immer größer. Ihr Mund klappte auf und wieder zu. Kurz war es still im Raum. Dann berührte sie zaghaft mein Träumendenmal.

„Warum verdeckst du es? Sei doch stolz drauf und trag es mit Würde.“, meinte sie immer noch schockiert über meine Enthüllung. Auch sie behandelte mich anderes. „Lass das. Ich bin immer noch Mel Clearwater und will keine Sonderbehandlung, nur weil mein Vater anscheinend adelig war.“, meinte ich sofort. „Du verstehst nicht, ein Mal hat nur Ornamente, wenn beide Elternteile adelig sind.“, meinte sie, immer noch ziemlich aufgeregt. „Aber ich wüsste es doch wenn Mama …“, ich stockte. Warum hatte ich plötzlich das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmte? Völlig verwirrt und mit einem Anflug von Endsätzen saß ich da.

Später als Lola nach vielen Fragen, auf die wir beide keine Antwort hatten, gegangen war, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und wählte die Nummer von zuhause. Ich brauchte eine Antwort, am besten gleich auf alle Fragen. Wer war mein Vater? Hatte Mama auch ein Mal? Waren wir, Rose, Mama und ich adelig? Was für Kräfte würde ich haben? Sollte ich es weiterhin verdecken?

„Hallo Spätzchen, wie geht´s dir?“, erklang Mamas Stimme am Ende der Leitung. Ich war den Tränen nahe. Doch ich riss mich zusammen und antwortete: „Mama, du musst jetzt ehrlich zu mir sein. Was verheimlichst du mir?“ Meine Stimme klang entschlossener als ich war. Die Sekunden verstrichen, in denen meine Mutter schwieg. „Mel.“, sagte sie nach einer gefühlten Ewigkeit. „Das will ich nicht am Telefon sagen.“, meinte sie mit leiser, brüchiger Stimme.

Tränen

 

Mama hatte sich für nächstes Wochenende zu Besuch angekündigt. „Sie würde alles erklären.“, das waren ihre Worte am Telefon. In ihrer Stimme lag eine tiefe Traurigkeit, die meine Ängste nährte, dass irgendetwas gewaltig falsch lief.

Nach einem anstrengenden Vormittag, zogen ich und Lola, Rose ins Vertrauen. Sie war entsetzt und von der Idee wir wären adelig begeistert. Doch ich bezweifelte stark, dass wen das der Fall wäre wir in dem kleinen, schnuckeligen Haus wohnen würden, in dem wir die letzten sechzehn Jahre gelebt hatten. Jetzt wussten von den Schülern genau vier Personen über mein Mal Bescheid. Gloria die bereits etwas ausgeplaudert hatte, meine Schwester und Lola. Wir hatten ein Geheimnis, beziehungsweise eines, das selbst für uns, einige Mysterien aufwarf.

Trotzdem mussten wir uns jetzt auf etwas anderes konzentrieren. In den verschiedenen Fächern standen die ersten Prüfungen bevor. Bei Miss Match bestand der Prüfungsbogen aus vier leeren Blättern, auf denen wir einen Traumfänger analysieren sollten. Jeder Knoten stand für ein anderes Mantra. Im Kurs von Nicklas wurden die ersten Magiezeichen abgefragt und auch im Einzelunterricht sollte mir ein schwieriger Test bevorstehen.

Dieser fand am Freitag statt. Die erste praktische Aufgabe bestand darin einen Stein schweben zu lassen. Der Schwebezauber war einer meiner leichtesten Übungen und bereitete mir keine Probleme. Danach folgte ein Farbenzauber der den Stein von Grau in Rot verwandelte und zu guter Letzt sollte ich den Stein in zwei Teile zertrennen.

Ich bestand mit Bravur. Doch der richtig schwierige Teil folgte erst in der Übungsstunde darauf. „Mel, du weißt sicher das Träumende mit einem Mal wie deinem, besondere Fähigkeiten haben. Und die wollen wir jetzt herausfinden.“, meinte er ganz beiläufig, als wäre es nichts außergewöhnliches. Er war der erste der mich nicht behandelte als wär ich ein Popstar oder dergleichen.

Nun standen vier Schüsseln vor mir. Eine mit Erde, eine mit Wasser, eine leere für Luft und eine mit brennenden Kohlen für Feuer. Hier sollte sich herausstellen welches Element ich beherrschte. Mit geschlossenen Augen bewegte ich meine Hand über die Schalen. „Wo spürst du etwas?“, fragte mein Lehrer. Konzentriert versuchte ich ein Kribbeln oder dergleichen Magisches zu fühlen. Da war nichts. Nicht bei der Erde, nicht beim Wasser, nicht beim Feuer und bei Luft auch nicht. Stirnrunzelnd schaute Nicklas mich an, was so richtig sexy aussah. Jetzt könnte ich mich in den grünen, glänzenden Augen verlieren.

Am Ende der Übung stand noch immer nicht fest welches Element meines war. „Vielleicht, brauchen deine Fähigkeiten noch etwas Zeit.“, meinte Nicklas mit Zweifel in der Stimme. Oder mein Mal war doch nicht so etwas Besonderes und die Ornamente, die kleinen schwarzen Steinchen, waren bloß ein Zeichen dafür, dass die Ausnahme die Regel bestätigte.

Ehrleichtert, dass die Prüfung vorbei war, bog ich in den Gang zu Glorias und meinem Zimmer. Vielleicht war es ganz gut, dass ich mich noch für kein Element spezialisiert hatte. Wenn das jetzt auch noch zu den ganzen Fragen und Prüfungsstress gekommen wäre, ich wüsste nicht ob ich meine Nerven behalten hätte.

Samstags war es dann so weit, ich sollte endlich Antworten auf meine Fragen bekommen. Mama kam per Telefonzellenexpress um 14:00 Uhr. Wir schlenderten den Kiesweg entlang, in einem einvernehmlichen Schweigen. Als die Stille unerträglich wurde, begann ich mir Sorgen zu machen. „Mama, bitte sag endlich was.“, flehte ich. „Ich weiß nur nicht wo ich beginnen soll.“, sagte sie, nach weiteren Schweigesekunden. „Am besten beim Anfang.“, meinte ich mit wachsender Spannung.

„Mein Schatz, egal was ich dir jetzt erzähle, vergiss nicht dass ich dich liebe. Also Folgendes, du bist eines nachts, in einem Korb vor unserer Tür gestanden. Ich nahm dich bei uns auf und hab dich immer geliebt wie eine eigene Tochter.“, sagte sie schließlich unter Tränen. Meine schlimmste Befürchtung hatte sich bewahrheitet, ich war nicht das Kind meiner Mutter.

Fassungslos kullerten mir die stummen Tränen über die Wange. Na super, jetzt flennten wir beide. „Und …“, begann ich zu stottern. „Es war für mich eine totale Überraschung dass du eine Träumende mit Mal, also eine Adelige bist. Ich dachte immer du wärst ein Menschenkind.“, erklärte sie seufzend. „Hättest du mir überhaupt mal erzählt, dass du mich nur gefunden hast?“, schrie ich nun schon fast.

Die wenigen herumstehenden Schüler am Pausenhof warfen uns neugierige Blicke zu. „Hör auf zu schreien. Ich hätte dir davon erzählt wenn du 16 geworden wärst. Aber an deinem Geburtstag am Telefon konnte ich es einfach nicht.“, sagte sie und ich konnte nicht anders, ich verstand sie. Trotzdem war meine Wut auf sie und diese beschissene Situation etwas was das Fass zum Überlaufen brachte.

Plötzlich lag Magie in der Luft. Wind kam aus dem nichts auf und wirbelte durch mein Haar. Eine Windböe riss Mama von den Füßen und sie landete unsanft auf ihrem Hintern. Mein Element stand also fest. Verwirrt, zornig und ratlos was nun zu tun war rannte ich in mein Zimmer. Mama schrie mir noch etwas nach, doch ich hörte es nicht mehr.

„Schatz mach auf!“, rief meine Mutter durch die verschlossene Tür, meines Zimmers. Eine zweite Stimme erklang am Gang. „Du hast es ihr also endlich gesagt.“, meinte die Stimme die zweifellos zu Rose gehörte. Was? Mein Entsetzen war so groß, dass mir die Kinnlade runter klappte. Rose hatte es gewusst. Sie hatte kein Sterbenswörtchen darüber verloren. Wie konnten die beiden nur so etwas für sich behalten, andererseits wurde das Leben der Träumenden auch vor mir verheimlicht. Ich hatte eine riesen Wut auf beide.

„Komm las sie Mama. Ich glaub sei braucht jetzt Zeit für sich.“, hörte ich Rose noch sagen. Dann war es still. Nur mein leises Schluchzen durchdrang die Ruhe. Nach einer Zeit verebbten meine Tränen und ich atmete ruhig und gleichmäßig.

Ich musste wohl eingeschlafen sein. Denn als Gloria das Zimmer betrat war es bereits sieben Uhr abends. Volle vier Stunden waren vergangen. Gloria hantierte lautstark im Badezimmer. Stöhnend stand ich auf. Mein Schädel brummte und mein Mund war staubtrocken. Mit Müh und Not schaffte ich es um zwei Uhr morgens endlich wieder einzuschlafen.

Die durchheulte Nacht zeichnete sich am nächsten Tag im Spiegel ab. Unter meinen Augen lagen fette, tiefsitzende Augenringe. Vergebens versuchte ich meine Haare zu bändigen, doch keine einzige Locke wollte dahin, wo sie hin gehörte. Gloria war wieder mal überpünktlich aufgestanden, obwohl doch eigentlich Wochenende war. Mühsam quälte ich mich in meine Klamotten. Dieser Morgen war grauenvoll. Launisch vergrub ich mein Gesicht erneut im Kissen und versuchte noch mal ein zu schlafen. Mit wenig Erfolg, denn alle zehn Minuten klingelte mein Handy. Es war Mama, mit der ich nicht reden wollte. Hier liegen zu bleiben und den ganzen Tag Nichts zu tun, war leider keine Option. Denn auch Rose machte sich große Sorgen um mich und rannte mir fast die Tür ein.

Wiederwillig ließ ich sie ins Zimmer. Sie trug ein blaues Kleid mit weißen Pünktchen und hohe Pumps. Mein Tränenausbruch und die kaum verständliche Zornespredigt ließ sie stillschweigend über sich ergehen. Schließlich fiel ich wieder aufs Bett und Rose setzte sich neben mich.

„Weiß du, es gibt Schlimmeres. Ich verstehe wenn du sauer bist, doch wir wollen alle nur dein Bestes. Und nachdem du es aus einem anderen Blickwinkel betrachtest, hat das Ganze auch seine positiven Seiten.“, versuchte sie mich vergebens zu trösten. Klar irgendwann würde ich auf jetzt zurück schauen und vielleicht darüber schmunzeln können. Aber im Moment war ich vollkommen fertig.

Wer waren meine richtigen Eltern? Warum haben sie mich fortgegeben? Lauter solche Fragen kommen mir in den Sinn. Wieder Fragen, auf die es keine Antworten gab. Wer stellt ein kleines Träumendenbaby vor einer fremden Haustür aus? Noch dazu eines, das einmal ein Mal bekommen würde.

Durch einen Tränenschleier sah ich Rose an. Sie strich mir immer noch tröstend über den Rücken, doch ihr Blick war leer, als hinge sie irgendwelchen Gedanken nach. Schniefend rang ich nach Fassung. Dann sah ich sie ernst an und sagte: „Rose, ich brauche deine Hilfe.“

Flocken aus Schnee

 Verständnislos schaute Rose mich an. „Helfen wobei?“, fragte sie. „Ich will herausfinden wer mich ausgesetzt hat. Woher ich komme und wer meine Eltern sind.“, erklärte ich lang und breit. „Nein, ich werde dir nicht dabei helfen hier auszubrechen um jemanden zu finden, der dich nicht wollte.“, schrie sie zornentbrannt.

„Hast du vergessen, dass du schon eine Familie hast, die dich liebt!“, sagte sie mit Verzweiflung in der Stimme. „Aber ich will meine Familie, dich und Mama, doch nicht ersetzten. Ich will doch nur wissen, woher ich bin. Wenn dir das passiert wäre, wärst du nicht neugierig? Hättest du keine Fragen?“, setzte ich entgegen.

Verständnislos sah sie mich aus ihren grauen Augen an und verlies dann wortlos das Zimmer. War es wirklich so schwer zu verstehen, dass ich meine Wurzeln finden wollte? Das war einfach natürliche Neugierde, oder reagierte ich falsch? Sollte ich auf Rose hören und alles, mein Mal, meinen wirklichen Eltern und diese quälenden Fragen einfach vergessen? Doch mein Entschluss stand fest und ich hatte so eine Ahnung, wo meine Suche beginnen würde.

Mein Mal passte zu keinem der Familienwappen. Doch laut Lola, war ja jedes Mal individuell, vielleicht wich es vom eigentlichen Wappen ab. Es gab in etwa zehn Wappen die meinem Mal ähnelten. Es gab nur einen, den ich fragen konnte, ohne großes Aufsehen zu erregen und das war Nicklas Longwood, mein Lehrer und heimlicher Schwarm. Außerdem musste ich ihm von dem Geschehen mit dem Element Luft erzählen. Würde er mir helfen können, einen weiteren Anhaltspunkt über meine Familie zu bekommen?

Die Woche begann mit den Prüfungsergebnissen in Traummystik. Doch ich war so von den Geschehnissen am Wochenende abgelenkt, dass mir meine gute Note so was von egal war. Rose die neben mir saß, konnte ihren neidischen Blick nicht ganz verstecken. Ich schielte auf ihren Testbogen, eine Drei war ja kein Weltuntergang. Auch die Note bei Professor Longwood konnte sich sehen lassen. War ich eine Streberin, weil ich gute Zensuren in den Fächern bekam? Vielleicht, doch mit meinen Sorgen, war das wohl mein geringstes Problem.

Mit angespannten Nerven wartete ich auf den Beginn meines Einzelunterrichts. Während des Wartens in der Pause blätterte ich zum dutzenden Mal, das Buch mit den Wappen durch. Immer wieder blieb ich an einem Familiensymbol hängen und zwar an dem der Familie Oliv. Meine Gedanken schweiften unteranderem auch zur verschwundenen Prinzessin. Könnte ich das verschwundene Kind sein? Die Finger überkreuzt, fuhr ich über das Wappen.

Das Leuten der Schulglocke riss mich aus meinen wirren Gedanken. Ich fühlte mich einsam und allein. Meine Mutter hatte des Öfteren versucht mich anzurufen, doch ich blockte ihre Anrufe ab. Ich war noch nicht bereit mit ihr zu reden. Rose hatte seit dem Streit in meinem Zimmer, nicht ein Wort mehr als notwendig mit mir gesprochen. Nur Lola wusste von meinem Vorhaben, meinen Professor zu Rate zu ziehen.

Zu Beginn der Stunde machte ich brav meine Übungen. Dann als das Ganze sich zum Ende neigte und noch zehn Minuten verblieben, versuchte ich eine passende Überleitung zum Gespräch zu finden. Wie sollte ich meine Bitte, mir Auskunft über Male und Adelsfamilien zu geben, vorbringen?

Da spielte die Tatsache, dass ich mein Element gefunden hatte mir gewaltig in die Hände. Zögernd begann ich davon zu erzählen. Mit Worten beschrieb ich das Gefühl, wen die Luft um mich, mir zu gehorchen schien. Nicklas hörte mir gespannt zu. Dann nahm ich all meinen Mut zusammen und wischte das Make-up herunter. Zuerst sah er etwas perplex auf die Tätowierung unter meinem Schlusselbeins. Dann sah er mir ins Gesicht und sagte: „Du hast sicher Fragen. Also schieß los.“ Freudig überrascht holte ich das Buch mit den Wappen hervor. Mit einem Seufzer beim Anblick des Exemplars meinte er: „Leider kann ich dir nicht sagen zu welcher Familie du gehörst, Mel. Aber eins ist sicher, du wurdest nicht ohne Grund vor dem Haus der Clearwaters ausgesetzt. Vielleicht bist du sogar die verschwundene Prinzessin, wie manche Kollegen bereits mutmaßen, aber ein Mal ist bei jedem vom Familienwappen abweichend.“

Nach diesen nicht besonders guten Neuigkeiten schloss er die Erklärung mit einem aufmunternden Lächeln. „Was ist wenn ich die Prinzessin bin? Wollen die Olivs den nicht, ihre „vielleicht wieder gefundene Tochter“, kennen lernen?“, fragte ich etwas benommen. „Das sollte ich dir Ausrichten. Der König und die Königin werden uns am Winterball vor den Ferien die Ehre ihrer Anwesenheit geben. Sie wollen feststellen ob du die Prinzessin bist. Was sich mit einem einfachen Bluttest bestimmen lässt.“, erzählte er mit einem angespannten Unterton, der mich aufhorchen ließ. Doch seine Gesichtszüge verrieten nicht das Geringste. Aufregung machte sich in mir breit. Die Königin und der König würden auf unseren Weihnachtsball kommen. Vielleicht waren sie meine Eltern und wenn nicht würde ich weiter suchen.

Jetzt war meine Neugierde Geweckt. In der Bibliothek versuchte ich so viel wie nur irgendwie möglich über Samantha Oliv und ihre Eltern heraus zu finden. Gloria konnte ihre Überraschung, dass ich mit Stapeln des Magazins Adler auf meinem Bett lag und wie besessen eines nach dem anderen durchblätterte, nicht überspielen. Sie machte sich sicher so ihre Gedanken, ich konnte nur hoffen, dass sie so weit wie möglich von der Wahrheit entfernt lag.

Die Zeit verstrich gähnend langsam. Mit jedem Tag wurde es kälter unter der Erde. An einem Wochenende bei einem Ausflug an der Oberfläche, fiel der erste Schnee. Begeistert machten wir, ein paar Leute aus meiner Klasse Rose und Lola, mit dem wenigen Patzen eine Schneeballschlacht. Rose hatte sich nach einigen Wochen bei mir entschuldigt. Sie wusste nichts von dem Bluttest den ich machen würde. Nur Lilli und Lola hatte ich davon erzähl. Weil ich meinen Gedanken nachhing, traf mich eine Kugel Schnee direkt im Genick. Nass und kalt schmolz er dort langsam vor sich hin. Ich versteckte mich hinter einem Busch um den Schnee aus meinem Kragen zu holen.

Nach einer gewonnenen Schlacht, gingen wir drei noch ins Café Titus. Ich bestellte mir heiße Schokolade mit allem Drum und Dran. Das heißt mit Schlagobers und Marschmelos. Rose trank Tee und Lola versuchte ihr Glück mit einem Latte Machado. Nach einer Stunde im Warmen, wagten wir uns schließlich wieder in die eisige Kälte. Ich zog meinen Schal enger um mich und betrachtete staunend die fallenden Flocken.

Weihnachten stand vor der Tür und in den Schaufenstern wurde schon dem entsprechend dekoriert. Ich hasste den Kaufrausch, das Ganze rund um Weihnachten. Zuhause hatte Weihnachten eine andere Bedeutung. Es stand für Familientreffen, Frieden und Ruhe. Bei uns Träumenden hatte Weihnachten einen hohen Stellenwert. Wir feierten Christis Geburt zwar wie alle anderen, doch waren wir es die den Menschen am Heiligabend schöne Träume brachten. All dies erfuhr ich erst durch den Unterricht in Traumgeschichte, doch ich freute mich schon darauf dem ersten Kind einen wundervollen Traum zu bescheren.

Wolken wie Watte

Die Lehrer gestalteten den Unterricht nun so, dass wir die bestmögliche Vorbereitung für unseren ersten Weihnachtstraum hatten. In Geschichte ging es vor allem um die traditionellen Märchen über die Entstehung der Weihnachtstraumnacht. Was eigentlich ganz interessant war. Die allgemeine Erklärung lautete das ein König nach dem langjährigen Träumendenkrieg zu ehren seiner verstorbenen Frau diese Träume einführte, um die Menschen an den Kern von Weihnachten zu erinnern, das traute Miteinander, das feiern mit der Familie und die Liebe zueinander.

Bei Frau Match gab es abends Unterrichtsstunden in denen Freiwillige sich in Schlafmodus versetzten ließen und wir mit Hilfe einer Wasserschale und unseren Gedanken, versuchten den Traum, den die jeweilige Person träumte, auf die Wasseroberfläche zu projizieren. Die nächste Stufe war dann, den Traum im Hintergrund zu verändern. Sie ließ uns das ziemlich oft üben, bis wir die Handlung beeinflussen durften.

Zuerst waren es kleine Dinge die man veränderte. Zum Beispiel eine Vase fallen lassen, dann kamen schwierigere Sachen, wie einen Vogel singen lassen, jemanden etwas schmecken lassen und das wohl schwerste jemanden fühlen lassen. Meine ersten Versuche scheiterten, doch mit der Übung bekam ich den Bogen raus. Man hatte vor Augen was die Zielperson sah und musste sich darauf konzentrieren was sie sehen sollte.

Im Einzelunterricht wurde hauptsächlich mit meinen Element gearbeitet. Nun konnte ich schon ein paar kleine Kunststücke mit Luft aufführen. Die Tricks die ich im Unterricht lernte, zeigte ich später immer Rose und Lola, die ganz begeistert davon waren, wenn der Wind um sie wehte und mit ihren Haaren spielte.

An einem dieser vielen Wintertagen fand der Einzelunterricht an der Oberfläche statt. Wir befanden uns auf einer schneebedeckten Wiese. Der Himmel war blau, bis auf ein paar kleiner weißer Wölkchen. „So, die heutige Aufgabe ist etwas, sehr Komplexes. Aber ich bin sicher du kannst es schaffen.“, meinte Nicklas mit einem gewissenhaften Lächeln.

„Sieh dir die Wolken an. Konzentrier dich auf eine und versuch sie durch die Luft zu schieben.“, sagte er mit Neugierde, ob es mir wohl gelänge, in der Stimme. Ich schloss die Augen und ließ die Form der kleinsten Wolke vor meinem inneren Auge auftauchen. Die Wolke fokussierend, fühlte ich die Faser des Wölkchens. Es fühlte sich weich und geschmeidig an. Vorsichtig gab ich der Wolke einen kleinen Schubs und siehe da sie schoss den Himmel entlang, hinter eine Bergspitze.

„Super, nur das nächste Mal mit ein bisschen weniger Schwung.“, meinte Nicklas lachend. Wir übten bis auch die letzte Wolke verschwunden war. Lachend machten wir uns auf den Weg zur nächsten Telefonzelle. An der Ecke vor der roten Zelle, stoppte Nicklas plötzlich. Ich wäre fast in ihn hineingerannt.

Eine rote Locke hatte sich aus meiner Frisur gelöst und er strich sie mir zärtlich wieder hinters Ohr. Er sah mir in die Augen und küsste mich. Zaghaft und flüchtig. Der Moment verstrich, so dass ich keine Chance hatte den Kuss zu erwidern. Es war nur ein Augenblick, kurz, nur einen Augenaufschlag lang. Doch es war ein Kuss.

Ein unbeschreiblicher Ausdruck huschte über sein Gesicht. Dann wurde er wieder ernst und ging weiter auf die Telefonzelle zu, als wäre der Kuss nie gewesen. Ich wollte etwas sagen, doch ich hatte Angst er würde mich ignorieren oder gar auslachen, weil ich mir Hoffnungen machte, er könnte etwas für mich empfinden.

Wir landeten auf der Matratze, ich rollte mich zur Seite und lag plötzlich auf Nicklas. Wieder blickte er in meine Augen. „So grün wie Bergquarz.“, murmelte er vor sich hin. Auf dem Kiesweg der zum Metalltor führte, drehte er sich noch einmal zu mir. „Mel, du bist mir wichtig. Das solltest du wissen egal was zu Weihnachten geschieht.“, sagte er mit einem rätselhaften Unterton.

Total verwirrt und mit einem Berg ungeklärter Gefühle kam ich in meinem Zimmer an. Nicklas war trotz allem noch immer mein Lehrer. Er würde von der Schule fliegen wenn das was zwischen uns war, ich konnte es noch nicht mal benennen, von irgendjemand auch nur erahnt wurde. Der Tanz an dem einen Wochenende im Herbst, war nicht weiter schlimm. Doch ein Kuss konnte ihn leicht seinen Job kosten.

Ich versuchte meinen Kopf frei zu bekommen. Mit Beziehungskisten hatte ich schon immer so meine Probleme. Im Kindergarten hatte mich mein erster Freund am Traualtar stehen lassen, um mit einer anderen rum zu knutschen. Na gut wir waren Kinder aber trotzdem. Dann mein erster Freund in der Mittelschule, der nur Schwachsinn und Sex im Kopf hatte. Tja, und jetzt Nicklas. Der mein Lehrer war und somit ein absolutes Tabu.

Am Nachmittag saß ich mit Lola in Zimmer an den Hausaufgaben. Wir saßen an einer Liste von großen Träumenden, die irgendwann, irgendwas Wichtiges gemacht hatten. Da war zum Beispiel Wendy Times, die Leonardo Da Vinci, die Mona Lisa malen lies. Berta Morgen, die Neil Armstrong vom Mondflug träumen lies und so weiter….

Mir fielen nach den ersten zwanzig Seiten fast die Augen zu. Ein lautes Gähnen von Lola und wir beschlossen die Hausarbeit auf morgen zu verschieben. Stattdessen erzählte ich von meiner Einzelstunde und den unvergesslichen Kuss. Lola kuckte total erstaunt. Wenige Minuten danach erzählte sie mir warum.

Nicklas Longwood, Lehrer an der Dreamer Acedemy und außerdem Sohn von Lady Roseham. Besitzer eines Träumendenmals und der beliebteste Junggeselle schlecht hin. Vater unbekannt, jedoch definitiv adlig. Besondere Fähigkeiten, Macht über das Feuer. All dies und mehr las man anscheinend aus den Klatschzeitschriften. Komisch in meinen Zeitschriften vom Adler fiel darin kein Wort.

Doch der Grund warum Lola so eigenartig reagiert, den zeigte sie mir in einer Bloom, einem besonders gemeinen dieser Klatschteile. Die Schlagzeile: „Nicklas Longwood, geschätztes Hofsmitglied, verlobt.“ Natürlich wurde mit keinem Wort erwähnt wer die Glückliche war. TopSecret und so.

Das hatte die seltsame Aussage am Schluss also bedeutet. „Du bist mir wichtig, egal wenn ich zur Verlobten habe.“ Es war zu viel, mir kamen die Tränen. Plötzlich aus heiterem Himmel rannen sie heiß und dick über meine Wangen.

Irgendwann schaffte es Lola, mich mit tröstenden Worten und viel Zuspruch, zum Lachen zu bringen. Wir saßen noch zusammen. Es tat gut jemanden an seiner Seite zu wissen, auch wenn es nicht meine beste Freundin Lilli, die ich schrecklich vermisste, war. Schließlich ließ sich auch Gloria im Zimmer blicken und wir beschlossen den Nachmittag. Unser Hausarbeit halb fertig und meine Augen ganz rot vom vielen weinen.

Versprochen

Der Weihnachtsball stand vor der Tür. Lustlos nahm ich am Shoppen dafür teil. Klar war ich super nervös, doch was ich dabei trug war mir so was von egal. Am Schluss nahm ich ein schickes rotes Kleid, das seitlich einen Schlitz hatte, der bis zum Knie reichte und schwarze Pumps. Rose hatte ein schlichtes blaues Kleid gefunden und Lola konnte sich bis zuletzt nicht zwischen einem rosa Rüschenkleid und dem süßen Schwarzen entscheiden.

Mit meiner Mutter hatte ich einen Waffenstillstand geschlossen. Versöhnung hieß was anderes, doch ich redete wieder mit ihr. Sie wusste vom Weihnachtsball und dem Test. Es traf sie mehr, als sie zugeben wollte, das hatte ich im Gefühl.

Meine Blutabnahme fand eine Woche vorher statt. Mit nüchternen Margen fand ich mich Montagmorgen im Direktorat ein. Der Gnom, Herr Whilan hatte sich bei meiner Ankunft fast überschlagen, vor lautem Verbeugen. Die Direktorin Dorefy trat ein. In der Hand eine kleine goldene Ampulle, in die mein Blut kam. Bei mir war das so eine Sache mit der Suche nach Venen. Nach fünf versuchen gelang es etwa die halbe Ampulle zu füllen.

Seit dem Tag an der Oberfläche und dem Kuss, hatte ich Nicklas nicht mehr zu Gesicht bekommen. Wenn ich es nicht besser wüsste würde ich sagen, er ging mir aus dem Weg. Doch es war egal, er war verlobt! Mir wollte nicht in den Kopf, warum er mich dann küsste. Nervös wartete ich auf die letzte Einzelstunde vor den Ferien. Vor dem Ball, vor dem Blutergebnis.

Was würde sein, wenn ich die Prinzessin war? An den Namen Samantha würde ich mich nie gewöhnen. Würd ich umziehen müssen. Plötzlich wurde mir bewusst, was das alles für meine Familie heißen konnte. Sie würde eine harte Feuerprobe überstehen müssen. Doch noch war nichts gesagt. Würde ich weiter suchen? War es vielleicht besser wenn alles beim Alten bliebe?

Ich schüttelte meinen Kopf, um die Gedanken zu vertreiben. Jetzt, was war Jetzt? Jetzt hatte ich Unterricht bei meinem Lehrer, in den ich verliebt war und der verlobt war. Mein Leben war ein einziges Drama. Mit einem tiefen Seufzer, ging ich in den oberen Stock in den Raum, wo unser heutiges Treffen stattfinden sollte. Nicklas war schon da. Als meine Augen auf die seinen trafen, begann ein Kribbeln in meinem Bauch. Die Luft reagierte sofort und kleine Windböen wehten durch meine Haare. Ich konnte den Blick nicht von ihm wenden. In den blauen Augen von Nicklas, spiegelte sich etwas, das ich nicht definieren konnte. Schließlich war ich es, die den Blick senkte. Betretene Stille trat ein.

„Mel, heute …“, begann er. Doch ich unterbrach ihn. „Warum haben sie mich geküsst? Sie sind doch verlobt! Oder?“, platzte es aus mir heraus. „Nein ich bin nicht verlobt, nur versprochen. Meine Eltern haben mich Samantha Oliv versprochen.“, entgegnete er. Schockiert sah ich ihn an. Wenn das stimmte und ich diese Samantha war, dann war ich ihm versprochen.

Ich rannte davon. Meine Schultasche fest umklammernd und keuchend nach Luft japsend kam ich vor einer Telefonzelle zum Stehen. Hatte er mich nur geküsst weil ich vielleicht seine versprochene Samantha war? War das alles nur Show gewesen, der Tanz im September am Wochenende? Warum war ich weg gerannt? Ich wusste wieso, weil ich Angst hatte, er könnte mich nur mögen weil ich diese bescheuerte Prinzessin sein könnte.

Geknickt und total am Boden verließ ich das Schulgelände. Mein Weg führte mich auf die Wiese auf der mich Nicklas zum ersten und sicher auch zum letzten Mal geküsst hatte. Ich warf mich ins Gras und blickte gen Himmel. Eine Zeit verschob ich wahllos ein paar Wolken. Bis ich eine an stupste aus der ein Schwall Regenwasser kam. Mein ganzer Körper begann zu zittern und die bekannten, heißen Tränen begannen zu strömen.

Zurück im Schulgebäude, bekam ich erst einmal eine Standpauke von Frau Liebering, deren Fach ich heute zum wiederholten Mal schwänzte. Beim letzten Mal hatte ich grausame Kopfschmerzen, jetzt gab ich einfach Magenkrämpfe als Entschuldigung an. Aber ehrlich, wer hörte sich schon gern die Politik der Träumendengesellschafft, mit ihren ganzen Bürgermeistern, Oberhäuptern und so weiter an.

Die Woche neigte sich dem Ende zu und mit jedem Tag kam der Winterball näher. Meine Nerven lagen blank, ich war regelhaft schreckhaft und zuckte bei jeder Berührung zusammen. Ob der Blutest positiv war? Das Ergebnis, das über mein Leben bestimmen sollte, lag sicher bereits vor.

Am Vortag des Balls wurde die große Halle mit Weihnachtsdeko geschmückt. Auf den Tischen gab es leckere Plätzchen, die von unseren Schülern selbstgebacken worden waren. Es duftete überall nach Zimt und Orangen. Natürlich gab es auch einen Weihnachtsbaum.Ich hatte Geschenke für Rose und Lola. Meine Mutter bekam eine hübsch bemalte Vase und Lilli eine Weihnachtsstola.

Dann kam der Tag. Ständig rannten Leute, die zu Gloria wollten, durchs Zimmer. Mich beachtete man höchstens am Rande. Lola und Rose kamen eine Stunde vorher um bei Frisur und Make-up zu helfen. Selbst waren sie natürlich schon fertig und ich noch im schlapper Lock mit verknoteten Haaren auf dem Bett sitzend.

Kurz bevor der Ball begann holte mich Mister Whilan ins Sekretariat. Mit steigender Nervosität wartete ich. Bis sich schließlich die Tür des Büros öffnete. Vor mir stand eine kleine Frau mit demselben roten Haaren wie ich und neben ihr ein Mann mit, mir nur allzu vertrauten, grünen Augen.

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Tag der Veröffentlichung: 14.04.2016

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