SSSSSSRRRRRRR
Die Maschine brummt, als sich die ersten Tropfen der braunen Flüssigkeit in die Tasse ergießen. Der herrliche Duft des Kaffees steigen mir in die Nase. Noch leicht müde schütte ich die Hälfte der Tasse mit Milch auf, die Dosierung reicht sehr gekonnt bis direkt zum Tassenrand. Ich stelle die Maschine wieder aus und tapse in den Wohnbereich während ich schon mal einen Schluck abtrinke. Milchkaffee am Morgen heißt für mich Wochenende.
Mittlerweile heißt das nicht mehr lange zu schlafen. Es bedeutet, dass ich früh wach bin.
Ich öffne die Tür im Erker und während die frische Luft hereinströmt habe ich nur einen Gedanken: Es stört mich nicht.
Ich genieße die Zeit die ich jetzt habe. Die Ruhe bevor alle Welt erwacht.
Ich freue mich auf die Welt. Vor allem wenn sie in Form meines Freundes in knapp zwei Stunden aus dem Nebenzimmer tappst und wir ausgiebig zusammen frühstücken werden.
Aber im Moment lasse ich mich in aller Ruhe auf meinem Puff nieder direkt am offenen Fenster und genieße meinen Kaffee. Das Stroh mit dem das Drahtgestell überzogen ist, knistert leise bei jeder Bewegung die ich mache.
Ich atme tief ein und aus, so wie ich es oft gelesen habe. Bewusst atmen, tief atmen. Ich schließe meine Augen und lausche den Vögeln die schon putzmunter in den Baumkronen unterwegs sind. Beim wieder öffnen blicke ich direkt auf die Häuser auf der anderen Straßenseite. Dort Wohnen Familien, ältere Paare. Eines kann ich grade in der Küche beobachten, die beiden stehen häufig am Küchenfenster. Vor einiger Zeit bin ich traurig geworden beim Anblick der beleuchteten Häuser, der Familien hinter den Fenstern. Da habe ich mich allein gefühlt, weit weg von meiner Familie. Zufrieden stoße ich einen weiteren langen Atemzug aus.
Jetzt kann ich diese Häuser beobachten ohne traurig zu sein. Jetzt beobachte ich diese Familien aus meinem Zuhause, aus dem Ort, der mir all das gibt, was ich zu der Zeit vermisst habe.
Im Nebenzimmer höre ich die Bettdecke rascheln, als mein Freund sich auf die andere Seite dreht.
Ich hebe die Arme über den Kopf um noch tiefer einzuatmen. An meinen Schulterblättern machen sich vereinzelte Muskeln bemerkbar. Die regelmäßige Sporteinheit von gestern war wieder sehr effektiv. In aller Ruhe lehne ich mich mit dem rechten Arm über dem Kopf zur Seite auf den linken Unterarm.
Der Puff raschelt.
Ich genieße das leichte ziehen in der Seite, konzentriere mich auf den linken Unterarm auf dem Boden. Innere Ruhe, Verbindung zum Boden. Oft klingen diese Sätze sehr hochtrabend und eigentlich weiß man nicht, was man damit anfangen soll. Ich sehe es einfach als Moment an, in dem ich bewusst spüre, dass da ein solider Boden ist, der mich trägt, den ich nutzen kann.
Ich wackle ein bisschen mit den Fingerspitzen der rechten Hand und bringe damit die Ausläufer der Grünlilie ins Wanken. Wir haben einige Pflanzen angesammelt und ich liebe es zu sehen, wie an allen die frischen Triebe sprießen. Ich hatte immer schon ein Faible für gut wildernde Gärten und Häuser, die hinter ihrem Grün schon etwas verschwinden. Auf mich wirken diese Orte fast magisch.
Ich wechsle die Seite und schaue meinem linken Arm hinterher. Die Kaffeetasse steht direkt unter meiner Nase und ich sauge den schönen Geruch nochmal ein, während ich die Pflanze die dort auf dem Beistelltischen steht betrachte.
Sie sieht noch etwas kläglich aus. Es ist ein Teil der Pflanze, die mein Bruder mir vor drei Jahren mitgebracht hat. Ich habe sie etwas vernachlässigt, bis nicht mehr viel übrig war. Dann habe ich mein Zuhause hier gefunden und habe die vertrockneten Äste weggeschnitten und den noch grünen Zweig neu eingepflanzt. Jetzt sprießen wieder neue Blätter nach.
Langsam richte ich mich wieder auf.
Dieser Ort ist vieles von dem was ich immer wollte. Ein unheimlich schönes Gefühl.
Und ich weiß, dass die Sachen die nicht so schön sind mir diesen Ort trotzdem nicht nehmen können. Dieser Ort ist mein solider Boden.
BBBBRRRMMM
Mein Tablet vibriert auf dem Wohnzimmertisch hinter mir.
Es ist Wochenende, Familienzeit. Von dem Bildschirm lachen mich die Fotos meiner Eltern und meines Bruders an. Mit einem Wischen meines Fingers nehme ich den Videoanruf entgegen.
Ich bin nah bei meiner Familie.
Die kühle Luft streift über meine Haut und macht für einen kurzen Moment die drückende Luft in der Wohnung vergessen. Mit anhaltendem Surren wendet sich der Ventilator wieder von mir ab und ich höre das leise Kratzen, als die Fotos sich im Luftzug an ihrer Kordel über die Wand bewegen.
Ich stehe auf und gehe hinüber, drehe das Bild am Ende der Schnur wieder auf die richtige Seite.
Diese satten Farben, sie ziehen mich sofort wieder in ihren Bann. Ich sehe nichts anderes mehr so als ob das Bild sich ausdehnt und mich verschluckt.
Zuerst fließt sattes dunkles Blau von oben herab, in einem wunderschönen Farbverlauf. Am unteren Ende des Sichtfeldes formt sich hieraus langsam ein unebener Boden. Jede Schicht taucht einzeln auf, jede Schicht hat eine leicht andere Nuance an Orange-, Braun- und Rottönen. Und über diesem perfekten Kontrast steigt Dampf auf. Nicht grau, nicht schmuddelig, weiß.
Voller, fast flauschiger Dampf.
Oft habe ich gedacht, dass diese Kombination an Farben und Oberflächen an allen anderen Orten der Welt unangenehm im Auge stechen würde. Nirgendwo würde man dafür solche Sympathie empfinden, nirgendwo sehen die Farben derartig voll und wohltuend aus, nirgendwo wirken eigentlich schroffe, raue Oberflächen so einladend. Nirgendwo, außer an diesem Ort.
Und schon bin ich wieder vollkommen gefangen, stehe in meiner Wohnung aber bin schon lange in diesen Spiegelungen einer magischen Welt versunken.
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Die Straße ist unendlich.
Seit einer guten Stunde fahren wir immer grade aus. Über uns strahlt dieser wahnsinnig blaue Himmel. Aus dem Radio erklingt leise Rockmusik während ich die immer gleiche Landschaft zu unserer Linken und Rechten betrachte. Kein Gras, überall schwarze Lava von Moos überwachsen. Dieser Anblick ist hier nicht selten. Und in der Ferne, direkt vor uns, an dem Punkt an dem die Straße am Horizont verschwindet, liegen Berge. Weite Hänge mit Gras, das braun und grün schimmert in der Sonne und die dann übergehen in hohe schneebedeckte Wipfel. Die Kontraste in diesem Land sind wirklich atemberaubend.
Ich werfe einen erneuten Blick auf unser Navi. In 30 Minuten sollen wir an unserem Ziel ankommen: Ein Nationalpark, an dessen Rand wir heute Abend campen wollen.
Wieder blicke ich die Gebirgskette vor uns an. Obwohl wir dieser Straße nun schon sehr lange folgen ist sie nicht näher gekommen. Und davor ist weit und breit nichts zu erkennen, dass auf unser Ziel schließen lassen würde. In meinem Magen macht sich ein flaues Gefühl breit: Wird unser Ziel im Gebirge liegen? Sind die Straßen gut zu passieren oder werden wir uns einen neuen Ort zum Übernachten suchen müssen? Hier bedeutete eine solche Routenänderung meist einen zusätzlichen Weg von etwa einer Stunde.
In diesem Land sind die Entfernungen anders.
Hier ist alles anders.
Ich glaube tatsächlich, dass diese so vielfältige, ursprüngliche Natur alles prägt was hier geschieht und dass der Ursprung dieses ANDERS SEINS ist. Sogar die unendlichen Lavafelder ziehen mich in ihren Bann. Eine erstarrte Naturgewalt, eine Erinnerung und Mahnung.
Tief versunken in meine Betrachtungen werde ich vollkommen überrascht, als unser Campingplatz plötzlich vor uns auftaucht.
Auch das scheint hier normal zu sein. Urplötzlich kann sich alles ändern.
Wo Stundenlang nur Gras war, taucht ohne Vorwarnung Schnee auf, Regen kann urplötzlich von Sonne abgelöst werden, ein Campingplatz erscheint dort wo man sich zuvor ganz allein wähnte.
Der Campingplatz ist wenig besucht. Zu dieser Jahreszeit, in der man immer mit Schnee rechnen muss, kommen nicht viele Touristen her.
Wir melden uns in der Rezeption an und suchen uns dann einen schönen Platz für unseren Campervan. Der Campingplatz ist eine Aneinanderreihung mehrerer kleiner Plätze, an deren Verbindungspunkten sich jeweils ein Häuschen mit Sanitärräumen und einer außen liegenden Küchenzeile befinden.
Diese Art zu Reisen ist vollkommen neu für mich. Ehrlich gesagt war ich mir nicht mal sicher, ob ich damit klarkommen würde. Schlafen in einem Auto auf sehr begrenztem Platz, zu einer Jahreszeit in der die Kälte sich überall einschleicht.
Wir haben unsere Reise erst vor ein paar Tagen begonnen, aber ich kann bereits sagen, dass dieses reduzierte Leben mir sehr gut tut. Vorgestern haben wir in der Nähe eines Wasserfalls übernachtet. Durch die Gardinen viel früh am Morgen bereits das Licht, das Rauschen des Wassers zu dem wir am Abend eingeschlafen waren drang zu uns herein. Eingepackt in meine Leggings, die Sporthose, Stulpen an den Füßen und drei Oberteilen schlüpfte ich direkt in meine Winterstiefel, zog die Mütze auf und kletterte aus dem Van. Die frische Luft und der atemberaubende Anblick, an so einem Morgen muss man sich einfach glücklich schätzen, es ist pure Freiheit.
Es ist später Nachmittag, zu früh um den Abend zu beginnen und zu spät für eine große Wanderung. Wir wollen nicht in der Dunkelheit an der Schlucht herumkraxeln.
Wir schauen uns eine Karte der Wanderwege an und entschließen uns für eine der kurzen Routen.
Vom Campingplatz aus geht es ein kurzes Stück durch hohe Vegetation bevor es über viele Treppen direkt hinauf geht auf den Grat der Schlucht.
Wieder bin ich innerlich sehr angetan davon, dass mich dieser Aufstieg nicht in die Knie zwingt, auch wenn ich zugeben muss sehr froh zu sein als wir oben ankommen.
Hier herrschen Grün- und Brauntöne in allen Varianten. Sicherlich könnte man nüchtern sagen, dass die Pflanzen etwas trocken aussehen, etwas kahl sind. Aber diesen Eindruck gewinnt man hier nie. Eher sehen diese Hänge aus wie eine weiche Wiese. Ich bin überzeugt, würde ich mit der Hand darüber streichen, es würde angenehm weich kitzeln. An diese Szenerie, die einem ein Versprechen von Wärme gibt, reihen sich in der Ferne die weißen Gipfelspitzen der Berge an.
Zur linken tut sich die Schlucht auf, nicht steil sondern weit und einaldend. Der Weg führt in sachtem Schwung an der Schlucht entlang. Unten, im Schatten gelegen da die Sonne bereits seitlich hinter der Schlucht untergeht, fließt der Fluss. An den vielen Steinen im Flussbett bricht sich der Wasserstrom und das plätschernde blau-grau bekommt weiße Schaumkronen. An der Stelle an dem der kleine Wasserfall tost, sieht die Felswand aus als wäre sie aus tausenden von Säulen zusammengesetzt worden. Lava die erstarrt ist. Diesen Anblick kenne ich bereits von anderen Orten und es ist wohl das einzige das mir an diesem Ort wirklich spitz und kantig vorkommt. Stellen, an denen die rauere Seite der Natur hervorbricht.
Wir beginnen den Abstieg in die Schlucht. Eine der Sachen die ich hier sehr lieb gewonnen habe: man ist nicht gezwungen hinter Absperrbändern alles vom Weiten zu betrachten. Die Wege sind nicht verdichtet damit es einfacher ist darauf zu laufen. Hier pirsche ich mich langsam voran, setze vorsichtig den Fuß ab, um nicht doch noch mit den kleinen Steinchen nach unten zu rutschen. Etwa auf der Hälfte passieren wir die Grenze die die letzten Sonnenstrahlen am Hang markieren, sofort ist es kälter.
Unten angekommen bleibe ich erstmal stehen. Ich brauche diese Zeit um die Umgebung in mich aufzusaugen. Die Lichtstrahlen am Hang über uns, die Steine die im Wasser zu meinen Füßen glänzen und der Himmel, der langsam vom tiefen blau in ein sachtes gelb wechselt.
Wir überqueren die Holzbrücke und beginnen den Aufstieg. Auch die Treppenstufen sind aus Holz. Glücklicherweise hat es nicht geregnet und die Stufen sind nicht glitschig, denn die Höhe der Stufen allein ist eine kleine Herausforderung.
Die wenigen Menschen die sich momentan an der Schlucht aufhalten scheinen den etwas beschwerlichen Weg an dieser Seite der Schlucht meiden zu wollen. Ich kann sie sehen, wie sie sich auf der Aussichtsplattform der anderen Seite aufhalten und den Wasserfall fotografieren.
Wir genießen von unserer Seite aus den Blick zurück auf den Wasserfall und die Schlucht. Feiner Wassertröpfchennebel umgibt die Felsen dort unten und versetzt die Umgebung in eine geheimnisvolle Atmosphäre.
Irgendwann wenden wir uns ab und gehen weiter in Richtung der untergehenden Sonne, die wie ein Feuerball über der weiten Landschaft unter uns hängt.
Da bleibt mein Freund plötzlich stehen. „Hörst du das?“
Ich lausche. Ich suche nach dem was er meinen könnte. Aber da ist nichts. Ich horche noch einmal genauer.
„Was..?“
Aber da weiß ich es schon.
Nichts.
Wir stehen beide vollkommen still. Es weht kein Wind, keine Pflanze rührt sich, nirgends ist das Rascheln eines Tieres im Gebüsch zu hören.
Es ist ein ganz eigentümliches Gefühl. Ich muss an einen komplett isolierten Raum denken, verwerfe das aber wieder. Nie habe ich so eine Stille gekannt. Fast drückt es auf den Ohren. Man sucht nach einem Geräusch, es kann ja unmöglich nichts zu hören sein. Aber da ist NICHTS.
Der Ausblick ist noch da, genau wie vor ein paar Sekunden. Aber jetzt hat jemand den Ton dazu abgestellt. Es ist unwirklich. Als hätte man die Welt enttarnt. Alles abgeschaltet, was nicht dazu gehört und nur das Wichtigste ist zurück geblieben.
Mein Freund nimmt mich in den Arm und wir stehen einfach da.
Nach langer Zeit fängt ein einzelner Vogel an zu singen.
Und wir machen uns auf den Weg wieder zurück in die Welt, dahin wo Steine unter den Schuhen knirschen und die Holzbohlen der Treppenstufen und Stege über dem Wasser knarzen.
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Die kühle Luft des Ventilators streicht über meine Haut.
Ich bekomme Gänsehaut.
Tag der Veröffentlichung: 21.05.2020
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