In meiner Familie gibt und gab es ganz besondere Verwandte. Hierzu zählten mein Bruder Peter und mein Neffe Dieter. Beide sind schon verstorben. Peter wurde 1954 als zweites Kind meines Vaters und seiner damaligen Frau Thekla geboren. Sie war in zwei Dingen sehr gut: Geld ausgeben und Schulden machen. Das führte zur Scheidung im Jahre 1956. Mein Vater war davon so deprimiert, dass er versuchte, sich mit Schlaftabletten das Leben zu nehmen. Er wurde etwa eine Woche nach dem Versuch leblos in einem Gebüsch gefunden. Die Folge davon war eine versteifte rechte Hand. Erst als er meine Mutter kennen lernte und heiratete, ging es ihm wieder besser.
1968 starb Thekla, Peter kam daraufhin zu uns. Anfangs lief alles sehr gut, Peter war froh, endlich vernünftiges Essen zu bekommen. Ich verstand mich auch sehr gut mit ihm. Doch dann begann das Verhängnis. Peter bekam einen Job als Zeitschriftenausträger, ebenso seine Freundin Heike. Einmal in der Woche wurden die Magazine an die Abonnenten verteilt, direkt in die Briefkästen. Und einmal im Monat wurde das Geld dafür abkassiert, in bar. Da kam schon ein ganz schöne Summe zusammen. Dann geschah es, dass Peters Freundin Heike krank wurde und Peter ihre Tour mit übernahm. So hatte er die doppelte Summe in der Tasche. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen. Als Peter an diesem Abend noch nicht zu Hause war, rief mein Vater bei der Polizei an. Dort beruhigte man ihn erst einmal. Am nächsten Morgen klärte sich das teilweise. Der Vertrieb rief an und teilte mit, dass Peter das Geld dort nicht abgegeben hatte. Zwei Tage später meldete sich die Polizei bei uns. Man hatte Peter aufgegriffen, in Käsdorf. Das ist ein kleiner Ort in der Nähe von Gifhorn. Das Geld hatte er fast komplett auf den Kopf gehauen, unter anderem für einen Flitzebogen mit Pfeilen und anderes sinnloses Zeug. Mein Vater war darüber sehr wütend und sorgte dafür, dass mein Bruder in der Badewanne übernachten musste. Am nächsten Tag setzte mein Vater alles daran, dass Peter uns verlassen musste und in ein Heim kam. Das machte mich sehr traurig.
Die darauf folgenden Jahre verliefen für Peter wenig erfreulich. Er begann zwei Lehrstellen, als Bäcker und als Maler. Aus gesundheitlichen Gründen war das fatal, da er die gleiche Lungenkrankheit hatte, an die auch unsere Schwester Christa starb, nämlich Alpha I Anti-Trypsin-Mangel. Seinen Traumberuf, nämlich Filmvorführer, hat Peter nie ausgeübt. Da es heutzutage nur noch sehr wenige Kinos gibt, wäre das auch keine gute Wahl gewesen. Dessen ungeachtet hat Peter fast sein ganzes Leben lang von Sozialleistungen gelebt. Daran änderte sich auch nichts, als er geheiratet hat, übrigens eine wesentlich ältere Frau. Die beiden wohnten damals in einer Straße im hannoverschen Stadtteil Ricklingen, die seinerzeit einen sehr schlechten Ruf hatte. Einige Jahre später wurde diese Straße deswegen umbenannt und einige Häuser abgerissen und diese durch Einfamilienhäuser ersetzt.
Peter starb am 16.09.2015. Er fand seine letzte Ruhestätte auf dem Ricklinger Friedhof, direkt neben seiner Frau, die etwa zwei Jahre zuvor verstarb.
Dieter, der Sohn meiner Schwester Christa, wurde am 22. Januar 1970 geboren. Sowohl seine Mutter als auch sein Vater waren schwerste Alkoholiker. Das hatte Auswirkungen auf seine geistigen Fähigkeiten. Er hatte einen sehr niedrigen IQ. Daher verwundert es nicht, dass er als Kind seinem Goldhamster den Kopf abbiss. Das hat uns alle damals sehr schockiert. Dieser und weitere ähnliche Vorfälle führten dazu, dass meine Schwester und ihr Mann entschieden, dass Dieter in ein Kinderheim kommen sollte. Das tat der weiteren Entwicklung seines Lebens nicht gut. Dieter wurde bis zu seinem Tode ein Kleinkrimineller. Leider wurde er auch zum Alkoholiker. Schon zum Frühstück trank er einen Tetrapack Rotwein und ein kleines Fläschchen Jägermeister. Außerdem hat Dieter öfters Feuer gelegt, nicht nur aus Spaß, sondern auch im Auftrag. Er war also beides, Pyromane und Brandstifter. Natürlich wurde er bei seinen Brandstiftungen immer wieder erwischt, weswegen Dieter irgendwann im Gefängnis landete. Daher war er polizeilich sehr bekannt. Als ich vor ein paar Jahren in einer dienstlichen Angelegenheit bei einem Polizeirevier in der Nähe von Dieters Wohnung aussagen musste, fragte mich der Polizist, ob ich mit Dieter verwandt sei. Das konnte ich nicht abstreiten, denn zum Einen führten wir den gleichen Nachnamen und zum Anderen sah er mir ziemlich ähnlich. Es war mir sehr unangenehm gegenüber dem Polizeibeamten.
Dieter machte zwar eine Ausbildung zum Dachdecker, übte diesen Beruf aber kaum aus, nicht nur, weil er unfähig war, er war auch ziemlich faul. „Ich will mich nicht ändern“, sagte er, als ich ihn darauf ansprach. Er bezog das wohl eher auf seinen extremen Alkoholkonsum als auf seine Faulheit, aber ich bezog das auf sein Verhältnis zum Arbeiten. Mein Bruder Peter und mein Schwager Ernst sahen das auch so, aber Dieter war stets uneinsichtig. Bis zu seinem Tode hat sich das leider nicht viel geändert, auch wenn er kurzzeitig auf einem Golfplatz als Caddie gearbeitet hat.
Dieter war allerdings auch bei Facebook und Co sehr präsent. Seine Postings waren dort zahlreich aber zumeist ziemlich peinlich. Peinlich war auch seine Teilnahme bei einer dieser Sendungen eines Privatfernsehsenders, wo angebliche Dramen dargestellt werden. Allerdings habe ich mir die Folgen, in denen Dieter mitgespielt hat, nie angesehen. Versäumt habe ich dabei wohl nichts. Das Niveau solcher Produktionen ist jedoch hinlänglich bekannt.
Er starb am 20. April 2022, hoch verschuldet. Deswegen mussten meine Verwandten und ich das Erbe ausschlagen. Das war unvermeidlich, hatte aber auch zur Folge, dass seine gesamte Wohnungseinrichtung vernichtet werden musste, einschließlich der Fotoalben. Dieters Bruder Stefan bedauerte das sehr. Er hätte noch gerne die Fotos von seiner Mutter gehabt. Auch ich bedauerte, dass die Aufnahmen meiner Schwester verloren gingen.
Sowohl Peter als auch Dieter haben es nicht leicht in ihren Leben gehabt. Es ist mir unangenehm, dass ich hier meine beiden Verwandten hier so negativ darstellen musste, aber es musste sein. Ich wollte nichts beschönigen. Ob man im Jenseits Internetempfang hat, weiß ich nicht. Sollte das der Fall sein, wird es Peter und Dieter nicht gefallen, was sie hier lesen.
Tag der Veröffentlichung: 25.03.2025
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