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Die letzte Klassenfahrt

 

Es war das Ende des Schuljahres 1978/79. Ich hatte die Versetzung in die 11. Klasse nicht geschafft und musste ohne den Sekundar II – Abschluss die Schule verlassen. Zum Abschluss hatte unser Klassenlehrer, Herr L. eine Klassenfahrt geplant. Es sollte in ein Schullandheim in Zwingenberg an der Bergstraße gehen, einer kleinen Stadt in Hessen, in der Nähe von Darmstadt.

 

Wir waren alle sehr aufgeregt und erhofften uns viel Spaß, auch mit dem anderen Geschlecht. „Aber dieses elende Kaff. Ich wüsste wirklich gerne, wie der Alte darauf gekommen ist“, sagte mein Freund Michael zu mir in der Pause, nachdem wir von dem Ziel erfahren hatten. „Er hat bestimmt die alphabetische Liste zur Deutschlandkarte durchgesehen und den Ort genommen, der ganz hinten steht“, mutmaßte ich. „Da hätte er lieber den Anfang nehmen sollen, dann würden wir jetzt nach Aachen fahren“, entgegnete Michael.

 

Michael teilte mein Schicksal zur schulischen Laufbahn. Auch er würde das Gymnasium alsbald verlassen und eine Ausbildung Groß- und Außenhandelskaufmann bei einer Pharmaziefirma beginnen, ich eine als Einzelhandelskaufmann bei Betten-Raymond. Immerhin waren wir froh, Lehrstellen gefunden zu haben und nicht gleich zur Bundeswehr zu müssen.

 

Wir malten uns aus, mit den von uns favorisierten Mädels anzubändeln. Michael hatte sich in Ulrike und Karin verguckt, ich war immer noch in Brigitte und Kerstin verliebt. In Dagmar jedoch nicht mehr. Die junge Dame hatte sich unterdessen in eine ziemliche Zimtzicke verwandelt. Mit ihr wollte ich nichts mehr zu tun haben.

 

Nun war es soweit. Die einwöchige Klassenfahrt stand bevor. Wir trafen uns alle vor dem hannoverschen Hauptbahnhof versammelt. Alle waren pünktlich, sehr zur Freude unseres Klassenlehrers, der uns auch in Mathematik und Physik unterrichtete. Herr L. roch wie immer nach Zigarettenrauch und hatte in der kurzen Zeit, bis alle von uns eingetroffen waren mindestens fünf Kippen geraucht. Die zweite Lehrkraft, die uns auf der Fahrt begleitete, war Frau S., die Sportlehrerin der Mädchen. Sie machte einen gelangweilten Eindruck.

 

Wir begaben uns zum Bahnsteig, der Zug nach Frankfurt stand schon bereit. Herr L. hatte einen ganzen Wagon für uns reserviert, so dass mehr als genug Platz für alle war. Dennoch gab es Gerangel um die Plätze. Seinerzeit gab es noch Abteile, keine Großraumplätze. Aber nicht jeder wollte mit jedem zusammensitzen. Schließlich klappte das aber doch. Der Zug fuhr los. Es gab keine Verspätung, wir kamen pünktlich in Frankfurt an. Zum Glück stand der Anschlusszug nach Darmstadt auf dem gegenüberliegenden Gleis, es war ein kurzer Weg. In Darmstadt mussten wir erneut umsteigen. Ein Nahverkehrszug brachte uns an unser Ziel.

 

Zu unserem Bedauern mussten wir vom Zwingenberger Bahnhof bis zum Schullandheim laufen, es gab keine Busverbindung zu unserer einwöchigen Unterkunft. Das Heim war so, wie wir es erwartet hatten, schlicht mit wenig Komfort. Wir bekamen zwei Etagen zugeteilt, die Jungs im ersten Stock, die Mädchen im zweiten. Es waren karg ausgestattete Zimmer ohne jeglichen Luxus mit jeweils drei Doppelstockbetten. Viel wichtiger waren uns die Freizeiteinrichtungen. Es gab eine Tischtennisplatte und einen Krökel. Außerhalb von Hannover nennt man das Spiel Tischfußball oder Kicker. In dem großen Gemeinschaftsraum trafen wir nach dem schlichten Abendessen zusammen, um zu singen und uns zu unterhalten. Manche der Jungs spielten Skat. Dafür konnte ich mich nie begeistern.

 

Am nächsten Morgen verkündete Herr L., dass wir uns an diesen Tag den Ort ansehen sollten. „Zwingenberg wurde in Dreißigjährigen Krieg fast vollständig verwüstet und war danach in Folge der Pest über Jahrzehnte fast unbewohnt“, berichtete unser Klassenlehrer. Das war mittlerweile nicht mehr so, Zwingenberg hatte 1979 etwa 5.000 Einwohner. Recht übersichtlich also.

 

Daher war die Ortsbegehung nach dem Mittagessen recht schnell beendet. Viel Sehenswertes gab es nicht, bis auf ein paar alte Fachwerkhäuser. Schon um 15 Uhr kehrten wir in ein Lokal ein. „Aber das mir keiner Alkohol bestellt“, ermahnten uns Herr L. „Ihm bestelle ich bestimmt kein Bier oder Wein“, flüsterte ich Michael zu. Er lachte.

 

Die meisten von uns hielten uns an das Verbot. Ingo hatte das wohl geflissentlich überhört. Er orderte ein Bier und bekam es auch. Hier griff Herr L. jedoch ein und das Bier ging zurück. Ich war cleverer. „Eine russische Schokolade“, hatte ich dem Ober gesagt. „Wunns det hebbe?“, fragte dieser zurück. Ich war ratlos. „Ob du das haben möchtest, wollte er wissen“, klärte mich Michael auf. Ich nickte und so bekam ich meinen heißen Kakao mit Weinbrand und war zufrieden darüber, meinen Klassenlehrer ausgetrickst zu haben.

 

Zwei Tage später stand ein Ausflug nach Heidelberg an. Darauf freuten wir uns und wurden auch nicht enttäuscht. Die Stadt war wirklich wunderschön, es gab viel zu sehen. „Und nun zum Schloss“, kündigte Herr L. an. Er verschwieg, dass es ein gewaltiger Fußmarsch bis dahin war. Wir haben es aber geschafft und wurden mit einem grandiosen Blick auf die Stadt und dem Neckar belohnt. Danach kehrten wir in ein Café in der Altstadt ein. Die Mädels machten sich ein Spaß daraus, sich als Französinnen auszugeben und redeten untereinander und mit der Bedienung nur auf Französisch.

 

Am letzten Abend vor unserer Abreise gab es noch eine Überraschung. Herr L. und Frau S. hatten sich zum Feiern mit den Lehrern der anderen Klassen zurückgezogen, sodass wir sturmfreie Bude hatten und wir Jungs Besuch von den Mädels bekamen. Jörg hatte dazu Wein besorgt. Es wurde ein feuchtfröhlicher Abend, passiert ist aber nichts.

 

Viel zu schnell ging die Woche vorüber und so fuhren wir in guter Stimmung nach Hause. Der Kontakt ist danach zu den meisten Mitschülern abgerissen, lediglich mit Ingo und Michael hielt sich noch jahrelang eine Freundschaft.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 12.11.2023

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