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Das sechste Massenaussterben

 

 

Sie hatten uns beobachtet, jene Wesen vom Sternensystem Braxus. Sie hatten unsere Fernsehsendungen und die Filme angeschaut sowie unsere Radiosendungen abgehört und dabei unsere wichtigsten Sprachen gelernt.

 

Danach beschloss man dort, uns einen Besuch abzustatten. Den Wesen war klar, dass seit Ausstrahlung der Radio- und Fernsehsignale viele Jahrhunderte vergangen waren. Möglicherweise hatte sich die Menschheit seitdem stark verändert. Die Menschheit hatte technologisch in kürzester Zeit enorme Fortschritte gemacht, war allerdings auch sehr kriegerisch. Dennoch waren die Braxianer begierig danach, mit uns Kontakt aufzunehmen.

 

Als sich im Jahre 5123 das Raumschiff der Braxianer dem dritten Planeten des Solsystems näherte, sahen die Wesen einen verwüsteten Planeten, auf dem es kaum noch Leben gab, jedenfalls kein intelligentes. Alle Bauten der Menschen waren zerstört und von Pflanzen überwuchert.

 

Man suchte verzweifelt nach irgendwelchen Botschaften oder Hinterlassenschaften der Erdlinge. Schließlich wurde man am Südpol fündig. In einer großen Kapsel verbarg sich folgende Nachricht der ehemaligen Bewohner des Planeten. Mühelos gelang die Übersetzung:

 

In der Geschichte der Erde ist es nicht das erste Mal, dass es zu einem Aussterben fast aller Lebewesen kam. Jedes Mal hat sich der Planet wieder davon erholt.

 

Das erste Mal in der Erdgeschichte war im Ordovizium vor 444 Millionen Jahren, danach im Oberdevon vor 372 Millionen Jahren. Es folgte das dritte Aussterben an der Grenze vom Perm zum Trias vor 252 Millionen Jahren und dann vor 201 Millionen Jahren an der Grenze vom Trias zum Jura das vierte. Schließlich kam es vor 66 Millionen Jahren an der Kreide-Paläogen-Grenze zum bislang letzten Massenaussterben.

 

Jetzt leben wir im Holozän. Das sechste Massenaussterben hat längst begonnen. Wir haben ja selbst Schuld. Es hätten vermieden werden können, aber es ist jetzt kaum noch zu verhindern oder zu stoppen. Geldgier bewirkte, dass es immer schlimmer wurde. Der Klimawandel, den anfangs noch einige leugneten, ist nunmehr unübersehbar. Irgendwann konnte es keiner mehr ignorieren. Außer ein gewisser, ehemaliger US-Präsident, der das bis zu seinem Tode im Jahre 2036 immer noch abstritt.

 

Gorillas und Orang-Utans verschwanden: Das machte viele Menschen betroffen und traurig. Fledermäuse hatten da eine schlechtere Lobby. Doch auch diese haben eine Funktion in der Nahrungskette. Fallen diese weg, hat das üble Folgen.

 

Schon Anfang des 21. Jahrhunderts war die Kohlendioxyd-Belastung weltweit so hoch, dass es zu dramatischen Klimaveränderungen kam. Hätte die Menschheit sich nicht besonnen und eingegriffen, läge Berlin jetzt im Meer. Andere Städte hatten nicht so viel Glück. Hamburg, Amsterdam und Rotterdam gingen unter, ebenso viele Inseln im Pazifik.

 

Erst durch rigorose Gesetzesänderungen und die Einrichtung von Algenfarmen auf dem ganzen Planeten, konnte der CO²- Anteil drastisch gesenkt werden. Außerdem dienten die Algen fortan als Nahrungsquelle für alle. Das war auch notwendig, weil es auch diverse Nutztierarten erwischte: Schweine, Hühner, Enten, Kühe, Schafe und Ziegen. Zwangsläufig wurden wir zu Vegetariern. Doch auch fast alle Pflanzen starben nach und nach aus. Bald schon verschwanden auch diese. Es gab nur noch unsere Algen. Die Nahrung wurde knapp, es brach eine weltweite Hungersnot aus. Sehr viele Menschen starben.

 

Es wurde versucht, wieder Bäume in die ausgedörrten Landschaften zu pflanzen. Doch das war wenig erfolgreich und wurde bald darauf wieder aufgegeben. Die Böden waren schlichtweg zu ausgedörrt. Die Menschheit verfiel in Depressionen und gab sich auf. Jetzt im Jahre 2048 leben nur noch knapp eine Milliarde Menschen auf der Erde, und die Anzahl ist weiter stark rückläufig. Das ist einerseits erfreulich, weil es keine Überbevölkerung mehr gibt, aber andererseits auch bedenklich, weil es hinreichend wahrscheinlich ist, dass es uns auch bald komplett dahinrafft.

 

 

Diesmal war es kein Asteroid, der auf unseren Planeten einschlug, sondern ein durch den Menschen verursachtes Ereignis. Im Grunde genommen war das viel schlimmer, weil das niemals zuvor ein Lebewesen auf diesen Planeten geschafft hatte. Darauf können wir stolz sein. Oder doch nicht? Und was wird nach uns kommen? Wenn es tatsächlich in ferner Zukunft wieder intelligentes Leben auf diesen Planeten geben sollte, werden sich diese Wesen hoffentlich besser verhalten als wir Menschen. Tröstet es uns das? Eher nein. Wer weiß, ob es diese Wesen besser machen. Die Chance ist auf jeden Fall gegeben.

 

 

Es kann auch durchaus sein, dass irgendwann außerirdische Wesen die Erde besuchen, um die Überreste unserer Zivilisation anzusehen. Sie werden entsetzt sein und hoffentlich auf ihren Planeten die Fehler vermeiden, die wir gemacht haben. Dazu haben wir dieses Dokument verfasst. In den Anhängen haben wir Musik, Literatur und Kunst beigefügt, um zu zeigen, was wir hervorgebracht haben. Aber wir haben auch Fotos von unserer Erde dazugelegt, wie sie aussah, bevor wir Menschen sie zerstört haben.

 

Ob das für die Außerirdischen abschreckend oder erstrebenswert ist, wird sich zeigen. Wir werden es jedenfalls nicht mehr erleben. Das ist bedauerlich, aber lässt sich nicht mehr ändern.

 

Mit einer Mischung aus Trauer und Entsetzen nahmen das die Braxianer zur Kenntnis. Sie verstauten die Artefakte der Menschheit in ihr Raumschiff und flogen zurück nach Braxus. Dort berichteten sie der dortigen Bevölkerung das, was auf der Erde geschehen war. Es wurde ein Museum für die Erde errichtet, was bei den Braxianern großen Zustrom erfuhr.

 

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Bildmaterialien: www.pixabay.com
Tag der Veröffentlichung: 18.08.2023

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