Als vor einigen Jahren die Schwester meines Vaters, meine Tante Hildegard aus Detmold starb, galt es ihr beträchtliche Vermögen auf die möglichen Erben aufzuteilen, da sie keine Kinder hatte. Da waren mein Bruder Peter, meine beiden Neffen Dieter und Stefan und ich. Außerdem gab es da noch eine Cousine in Schweden, die Tochter von Erika, der ältesten Schwester meines Vaters. Diese war 1938 dorthin ausgewandert, nachdem sie in Zoppot ihren Freund und späterem Ehemann begegnete und sich in ihn verliebte. Er war Besitzer einer Streichholzfabrik und sehr vermögend. Zu diesem Zweig der Familie hatte aber niemand von uns Kontakt, ich hatte nur den Vornamen der Cousine: Christine. Außerdem wusste ich, dass sie in der Nähe von Stockholm wohnt oder gewohnt hat. Ferner war mir bekannt, dass sie mindestens drei Kinder hatte.
Jetzt galt es ihre Adresse zu ermitteln. Immerhin war sie die Haupterbin. Über das Internet erfuhr ich, dass die schwedische Sozialversicherungsbehörde sehr hilfreich in so einem Fall ist, zumal Datenschutz in diesem Land sehr locker genommen wird. Nach etwas Nachdenken fiel mir noch der Mädchenname von Christine ein und ihr ungefähres Alter, sie war nämlich fünf Jahre älter als ich.
Über das Intranet der Stadt Hannover fand ich eine Kollegin, die schwedisch sprach und meinen Brief übersetzen konnte. Dafür war ich ihr sehr dankbar. Ich schickte das Schreiben per E-Mail ab. Zu meiner großen Überraschung bekam ich schon zwei Tage später Antwort von der Behörde, mit der kompletten Anschrift von Christine. Jetzt konnte ich meine Cousine anschreiben und sie über das Erbe informieren. In dem Brief hinterließ ich auch meine Telefonnummern für Rückfragen.
Und tatsächlich: Etwa eine Woche später klingelte das Telefon. Christine war dran. Sie hatte eine angenehme Stimme. Wir sprachen fast eine Stunde miteinander, auch über unsere gemeinsamen Großeltern. Opa Hermann war schon Ende der dreißiger Jahre gestorben, lange bevor wir geboren wurden, aber Oma Ida hatte ich zumindest als kleines Kind im Jahre 1965, kurz vor ihrem Tode kennen gelernt.
Christine hatte auch wichtige Fragen, nämlich zur Versteuerung des Erbes, denn sie hatte keine Lust zweimal Steuern zu bezahlen: in Deutschland und in Schweden. Deshalb sollte ich beim Detmolder Finanzamt deswegen nachfragen. Meine Cousine sprach zwar recht gut Deutsch, aber nicht so perfekt für dieses heikle Thema. Ich versprach, mich darum zu kümmern. Das tat ich dann auch, am nächsten Tag rief ich dort an. Das sollte noch Folgen haben.
Die nächste Hürde zur Beschaffung des Erbscheins war die Beschaffung der Geburts- und Todesurkunden. Kein Problem für die Verwandten, die in Deutschland lebten. Aber mein Vater und meine Tanten, sowie mein verstorbener Onkel Ernst waren ja im jetzigen Polen geboren. Ich musste also das zuständige Standesamt in Zoppot anschrieben, natürlich auf Polnisch. Christine musste ihre eigene Geburtsurkunde beisteuern.
Die Polen ließen sich viel Zeit mit der Beantwortung. Erst sieben Wochen später kam ein Brief an, mit der Aufforderung einen Betrag zu überweisen. Das tat ich umgehend, wobei die Gebühr für die Auslandsüberweisung fast so hoch wie die für die Urkunden waren.
Unterdessen hatte mir Christine ihre Geburtsurkunde zukommen lassen, es war allerdings keine Abstammungsurkunde, aus der hervorging, dass sie die Tochter von Tante Erika war. Das sollte sich als Problem herausstellen, denn das Amtsgericht akzeptierte das nicht. Zum Glück gab es aber noch ein Taufregister, in dem das Notwendige stand. Damit war das Gericht dann zufrieden.
Weitere drei Monate gingen ins Land, bis die polnische Behörde nach mehrfacher Erinnerung schließlich die Abstammungsurkunden von meinem Vater und seinen Geschwistern, sowie die Sterbeurkunde von Ernst zugesandt hatte.
Meine Verwandten warteten schon ungeduldig auf den Erbschein und somit auf das Geld. Als dieser schließlich vorlag trafen wir uns allesamt bei der Detmolder Sparkasse. Dort legte man uns aber einen weiteren Stein in den Weg: Das zuständige Finanzamt verlangte nämlich von Christine eine Bescheinigung, dass in ihrem Land keine Besteuerung des Erbes erfolgte und sperrte die Auszahlung des Geldes. Darüber waren wir natürlich alle erbost.
Insbesondere Christine, die nicht nur Haupterbin, sondern auch die reichste von uns war, war empört über die deutsche Bürokratie. Zwar gab es die Streichholzfabrik schon lange nicht mehr, aber Christine betrieb einen Onlinehandel für Mode für schwangere Frauen, der sehr gut florierte, wie sie berichtete. „Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen“, bemerkte mein Bruder Peter hierzu.
Endlich war es dann soweit und wir erhielten das Geld. Christine versprach, dass sie uns alle nach Schweden einladen würde, damit wir gemeinsam feiern und uns näher kennen lernen könnten.
Dazu ist es bis heute nicht gekommen. Der Kontakt zu Christine schlief dann irgendwann ein, ich habe seit Jahren nichts mehr von ihr und ihren Kindern gehört. Das ist sehr bedauerlich.
Bildmaterialien: www.wikipedia.org
Tag der Veröffentlichung: 08.03.2023
Alle Rechte vorbehalten