Hubert Hundertmarks Cousine Hermine betrat braungebrannt ihr Büro. Ihre Kollegin Roswitha staunte. So hatte sie Hermine noch nie gesehen.
„Du siehst ja toll aus, Hermine!“, sagte Roswitha. Das meinte sie ehrlich. Hermine strahlte. Sie hatte allerbeste Laune. „Ja, das war wirklich wunderschön auf Ibiza. Aber auch ganz schön teuer“, entgegnete Hermine. „Na, ja, Ihr könnt Euch das ja jetzt leisten“, antwortete Roswitha nicht ohne Neid. Seitdem Hermine in Las Vegas so viel Geld gewonnen hatte, hatte sie sich sehr verändert, zumindest äußerlich. Sie trug jetzt viel schickere Klamotten und teuren Schmuck. Aber eines hatte sich nicht geändert. Sie brachte immer noch alles durcheinander und verwechselte viel.
„Das stimmt, Roswitha. Wir haben noch viel Geld und konnten uns viel leisten, was wir uns vorher nicht leisten konnten, zum Beispiel teures Essen in Restaurants. Ich habe auf Ibiza Speisen gegessen, die ich vorher noch nicht einmal kannte. Wir haben auf Spanisch bestellt, aber die haben uns nicht gleich verstanden. Dann fiel mir ein, dass die auf Ibiza gar nicht Spanisch sprechen, sondern Kategorisch.“ „Und das hat dann geklappt?“ Hermine nahm einen Schluck Kaffee und antwortete dann: „Na, ja, nicht wirklich. Aber ich bin ja nicht auf dem Kopf gefallen. Wir haben auf dem Nachbartisch gezeigt. Der Herr neben uns hatte ein lecker duftendes Gericht auf seinen Tisch. Wir machten deutlich, dass wir das auch haben wollten. Und dann kam das auch. Es war wirklich köstlich.“ „Und was war es?“ „Das weiß ich gar nicht. Aber ich habe es mir aufgeschrieben.“
Hermine kramte in ihrer Handtasche und holte einen kleinen Zettel hervor. „Es hieß criadillas. Sehr lecker. Das Fleisch war scharf gebraten und mit Zwiebeln und Knoblauch gewürzt. Dazu gab es eine köstliche Weißweinsoße und Pommes Frites.“ Roswitha prustete. Sie wusste genau, was das war, nämlich Stierhoden. Allerdings behielt Roswitha ihr Wissen für sich. Irgendwann würde Hermine das schon noch herausfinden. Sie erzählte weiter: „Aber es gab auch Speisen, die wir nicht aßen, zum Beispiel Schilddrüsensuppe oder Froschenkel. Das geht doch gar nicht, wegen dem Tierschutz. Jedenfalls aßen wir nicht mehr nur Gyros, Pizza, Lasagne oder Spagetti mit Partisan-Soße wie sonst.“
Roswitha musste leise kichern. Es war wieder zu komisch, was Hermine alles so verzapfte. Roswitha fragte weiter: „Und wie war Euer Hotel? War alles in Ordnung?“ „Das war großartig, noch besser als das in Las Vegas. Es lag umgeben von einem dichten Pistazienwald auf einer markanten Felsklippe über der Westküste. Es gab Saunas, ein Dampfbad, ein Haar- und Nagelsalon sowie professionelle Kosmetik-Dienste. Unser Zimmer war ein kleiner Palast mit allem Kompott, den man sich nur vorstellen kann. Wir wurden verwöhnt, das Personal war sehr zuvorkommend und freundlich. Der Hotelkomplex war allerdings riesengroß, ein wahres Labyrinth. Da konnte man sich verlaufen. Auch das Frühstücksbuffet war spitze, da gab es alles, was man sich nur vorstellen kann. Die Eier kamen frisch von der Legehenne, hat Thomas gesagt. “
Die neugierige Roswitha kam nicht umhin, nachzufragen: „Das klingt großartig. Und was habt Ihr auf Ibiza so unternommen? Was gab es an Sehenswürdigkeiten?“ „Oh, da waren reichlich Sehenswürdigkeiten, zum Beispiel die Kathedrale Santa Maria in Ibiza-Stadt, die dieser Ronald König besungen hat. Wirklich wunderschön. Sie wurde im 14. Jahrhundert gebaut und später umgestaltet. Ein weiteres Ziel war die Felseninsel Es Vedrà. Sie ist unbewohnt, dort ranken sich zahlreiche Myrten und Sagen. Man kommt mit einer Bootstour dorthin. Das mussten wir natürlich machen. Das war nicht billig, aber es hat sich gelohnt.“
Roswitha nahm einen Schluck Kaffee und atmete durch. Allmählich war sie von ihrer Kollegin genervt, weil diese ständig auf ihre nunmehr verbesserte finanzielle Situation hinwies. Bald schon würde sie ihr dazu etwas sagen, aber noch nicht an diesem Tag. Stattdessen fragte sie: „Und was war mit Party, Hermine? Ibiza ist ja doch dafür bekannt, dass das da angesagt ist.“ „Oh, ja, Roswitha. Wir waren fast jeden Abend in einer der Clubs in Sant Antoni. Anfangs dachten wir, dass wir da unerwünscht seien, weil wir ja nicht mehr die Jüngsten sind. Aber dann fanden wir doch ein paar Läden, wo wir feiern konnten, ohne komisch angesehen zu werden. In einem der Clubs gab es eine große Leinwand, wo verschiedene Videos gezeigt wurden, unter anderem von einem Aquarium oder von einem Lagerfeuer. Das war wunderschön. Die Cocktails dort waren Spitze, ganz besonders der Kai Piranha. Thomas trinkt ja lieber Kurze, ganz besonders dieser griechische, der nach Lakritz schmeckt.“
Roswitha schmunzelte. Sie erinnerte sich an eines der ersten Rendezvous von Hermine mit ihrem jetzigen Mann, das in einem griechischen Lokal stattfand. Dort hatte Hermine sehr viel Suzuki gegessen, wie sie am Tag danach berichtet hatte. Die Lethargie, unter der ihre Kollegin zuvor nach dem Tode ihres Vaters gelitten hatte, war danach endgültig verschwunden.
„Na, dann ihr beiden ja einen wunderbaren Urlaub auf Ibiza“, resümierte Roswitha.
Bildmaterialien: www.wikipedia.org
Tag der Veröffentlichung: 04.11.2022
Alle Rechte vorbehalten