Im September 1983 endete mein Bundeswehrdienst, ich kehrte ins Arbeitsleben zurück, aber nicht bei meiner Ausbildungsfirma, sondern bei der Firma Woolworth in Osterode am Rande des Südharzes, wo ich mir ein kleines Zimmer bei einer netten Pensionswirtin nahm. Es war vorgesehen, dass ich alle sechs Monate die Filiale der amerikanischen Kaufhauskette wechseln sollte. Ich sollte eine dreijährige Schulung zum Filialleiter machen. Davon versprach ich mir sehr viel. Osterode ist und war eine hübsche kleine Stadt und sehr sehenswert.
So stand ich Anfang Oktober 1983 vor den Toren des Ladens und wartete auf Einlass. Gegen neun Uhr kam ein hagerer, hochgewachsener Mann mit Brille und schloss die Türen auf. „Guten Tag, mein Name ist März, ich beginne heute…“. Weiter kam ich nicht. Der Mann herrschte mich an: „Warum kommen Sie erst jetzt? Ich hatte Sie schon vor einer halben Stunde erwartet!“ Er war der Filialleiter, wie sich herausstellte. Ich hätte schon um 8.30 Uhr zum Hintereingang kommen müssen. Das hatte mir niemand gesagt, das Einstellungsgespräch hatte seinerzeit in Hannover stattgefunden, auch nicht durch den Bezirksleiter, wie es eigentlich vorgesehen war. Dieser hatte Urlaub, so dass der Filialleiter des Ladens in der hiesigen Georgstraße dafür einsprang. Herr Z., mein neuer Boss, war kein netter Mensch. Wir haben uns von Anfang an nicht gut verstanden. Der Fehler am ersten Tag war nur der Anfang eines Albtraums.
Wie in einem amerikanischen Unternehmen üblich, musste man nach der Einstellung von klein auf beginnen, in diesem Fall im Lager. Das war sehr groß und nahm fast die gesamte erste Etage ein. Der Rest der Etage war an einen Supermarkt untervermietet. Die Osteroder Filiale war die größte von Woolworth, die ich kannte. Dementsprechend war auch das Sortiment weit umfangreicher als in den anderen Läden, so gab es auch Möbel und Großelektrogeräte.
Etwa zwei Wochen nach meinem Start in dieser Firma gab es den nächsten großen Ärger. Ich fuhr mit meinem alten, klapprigen Fiat 127 zur Arbeit und blieb mitten auf einer Kreuzung mit einem Kupplungsschaden liegen. Ich musste meinen Wagen beiseiteschieben und parken. Unglücklicherweise gab es dort keine Bushaltestelle in der Nähe, sodass ich von dort zu Fuß zur Arbeit gehen musste. Das war eine gehörige Entfernung. Folglich kam ich erneut zu spät. Herr Z. war sehr zornig darüber.
Drei Tage später war Wochenende. Ich hatte an diesem Samstag frei, so dachte ich zumindest, da eigentlich vereinbart war, dass ich nur an jedem zweiten arbeiten musste. Daher fuhr ich nach Hause zu meinen Eltern, unter anderem um frische Wäsche zu holen. Aber Pustekuchen! Nach meiner Rückkehr am Montagmorgen machte mich Herr Z. an: „Wo waren Sie vorgestern? Sie hätten arbeiten müssen. Ich bestimme, wann Sie frei haben oder nicht!“ Ich war perplex und stammelte nur herum. „Ich hoffe, dass sich das nicht wiederholt“, ergänzte mein Chef.
Das hat sich auch nicht wiederholt. Aber mein Wecker spielte mir gut eine Woche später den nächsten Streich. Ich hatte vergessen, ihn aufzuziehen. Daher blieb er mitten in der Nacht stehen und klingelte nicht. Um etwa neun Uhr klopfte meine Wirtin an die Tür meines Zimmers und fragte: „Müssen Sie heute nicht arbeiten?“ „Wieso, es ist doch erst kurz vor vier“, antwortete ich schlaftrunken. Ein Blick aus dem Fenster hätte mir verraten, dass das nicht stimmen konnte, weil es schon hell war. Jedenfalls kam ich ein weiteres Mal zu spät zur Arbeit und bekam noch einen Anschiss von Herrn Z.
Einige Zeit später brach der Winter in Osterode aus, es war Anfang November. Es hatte nur wenig geschneit, war aber bitterkalt geworden. Die Straße, in der ich wohnte, war ziemlich steil. Als Flachlandtiroler war ich es nicht gewohnt, dass es empfehlenswert war, beim Parken die Handbremse anzulegen. Ich tat es dort aber immer. Diese Sicherung funktionierte ausgezeichnet, allerdings zu gut, denn an diesem eiskalten Morgen sprang mein Seat zwar an, aber ich kam trotzdem nicht vom Fleck, denn die Bremse war festgefroren! Ich musste wieder zu Fuß zur Arbeit gehen, und kam natürlich erneut zu spät, was mir wieder großen Ärger einbrachte.
Als Mitarbeiter des Lagers war ich unter anderem für die Warenannahme zuständig. Ich musste an der Rampe kontrollieren, ob die Anzahl der Waren, die die Lieferanten uns brachten, mit dem Lieferschein übereinstimmten und dieses bestätigen. Das war nicht schwierig. Jedoch gab es auch betrügerische Lieferfahrer, die Ware unterschlugen. So geschah es, dass ich vier kleine Pakete mit Modeschmuck annehmen musste. Diese tat ich auch und quittierte das. Es waren aber jeweils zwei von ihnen zusammengebunden, sodass es eigentlich nur zwei waren. Der Fahrer hatte mich hereingelegt. Natürlich gab mein Chef mir die Schuld daran.
Ende November hatten wir unsere Weihnachtsfeier, die im Laden im ersten Stock im Pausenraum stattfand. Es gab auch eine Tombola, bei der ich den ersten Preis gewann, einen Sonnenschirm. Mitten im Winter war das aber eher unpraktisch, zumal ich an meinem kleinen Zimmer keinen Balkon hatte. Daher tauschte ich den Schirm mit einer Kollegin gegen eine Armbanduhr. Es gab reichlich Glühwein bei der Feier, wovon ich etwas zu viel trank. Das sollte ich am nächsten Tag rächen.
Es war Samstag, ich musste arbeiten. Gleich morgens eröffnete mir Herr Z., dass ich mit unserem Auslieferungsfahrer eine Schrankwand nach Herzberg, einem Nachbarort von Osterode, bringen musste. Das war zum Einen nicht meine Aufgabe und zum Anderen deswegen ungewöhnlich, weil samstags keine Möbel geliefert wurden. In diesem Fall war es aber so, dass ein anderer Kollege einen Fehler gemacht hatte und ein paar Tage zuvor eine falsche Schrankwand dorthin ausgeliefert hatte. Die Kundin bestand darauf, dass das korrigiert werden sollte.
So machte ich mich ziemlich verkatert auf dem Weg. Dem fahrenden Kollegen schwante Böses, denn er kannte mich. Abgesehen davon, dass ich die Nachwirkungen des Alkoholgenusses vom Vortag spürte, war ich nicht gerade der Kräftigste. Daher dauerte der Transport der beiden Schrankwände entsprechend lange und wir kamen erst um 13 Uhr wieder zurück in den Laden. Man kann sich denken, wie begeistert Herr Z. davon war.
All das führte dazu, dass mein Arbeitsverhältnis mit Woolworth bald darauf in beidseitigem Einvernehmens beendet wurde. Lange Jahre danach habe ich diese Kaufhauskette als Kunde boykottiert. Ich fand aber schon bald einen neuen Job als Verkäufer in der Kleefelder Bahnhofsbuchhandlung. Davon habe ich schon berichtet.
Nach Osterode bin ich erst knapp vierzig Jahre danach zurückgekehrt und war erschrocken darüber, wie sich der Ort negativ entwickelt hat. Die Einwohnerzahl ist von 28.500 (Stand 1980) auf 21.316 (Stand 2021) zurückgegangen. Viele Läden stehen leer, und es gibt hauptsächlich Spielhallen und Handyläden. Auch das gastronomische Angebot hat sich erheblich verringert. Das ist sehr bedauerlich, denn die Stadt ist wirklich schön. Aber der Westharz hat nach der Wiedervereinigung stark gelitten, hinzu kommt die Schließung des Bundeswehrstandortes.
Anbei ein paar aktuelle Bilder von Osterode.
Tag der Veröffentlichung: 12.08.2022
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