Hannover hat viele schöne Seiten, aber leider auch hässliche. Die hässlichste ist zweifelsohne das Ihmezentrum. Der Name bezieht sich auf den angrenzenden Fluss Ihme. Dieser Betonklotz wurde von 1971 bis 1975 errichtet und hat eine Größe von 60.000 m² Verkaufsfläche und 58.300 m² Wohnfläche. Er entstand auf dem Gelände einer ehemaligen Weberei und einer Brotfabrik. Das gegossene Betonfundament ist das größte Europas. Konzipiert war das Ganze als „Stadt in der Stadt“. Das hat aber von Anfang an nicht richtig funktioniert.
Anfangs gab es in dem Einkaufszentrum noch viele attraktive Einzelhandelsgeschäfte, darunter Kaufhof und mehr Wert sowie viele Textil- und Schuhläden. Später zogen Saturn-Hansa und Allkauf ein. Der Bau ist an vielen Stellen verwinkelt und unübersichtlich. Die Ladenpassage ist nur teilweise überdacht, was bei schlechtem Wetter sehr unangenehm ist. Überall zieht es. Das hat viele Leute gestört, weswegen die Akzeptanz der Bevölkerung immer mehr nachließ. Außerdem ist die Anlage nur bedingt behindertengerecht. Sie liegt eine Etage über dem Straßenniveau. Die Rolltreppen und Fahrstühle funktionieren oft nicht oder sie sind verunreinigt.
Der Niedergang begann um das Jahr 2000. Immer mehr Ladenflächen standen leer, die Wohnungen und Büroflächen konnten nur noch schlecht vermietet werden. Die Stadt Hannover bezog nach dem Auszug einer großen Bank dort im Jahre 2002 5.000 m² der Bürofläche eines der Hochhäuser. Das führte dazu, dass ich dort viele Jahre arbeiten musste, dann auch das Jugendamt zog dort ein. Besucher waren immer wieder schockiert und angeekelt von der Situation. Das war uns peinlich, aber wir konnten nichts daran ändern.
Hoffnung kam auf, als sich ein Investor fand, der einen Großteil der Ladenflächen übernahm. Dieser hatte zuvor in Frankfurt/Main ein anderes Großprojekt erfolgreich saniert. Im Juli 2006 begann beim Ihmezentrum die grundlegende Sanierung. Die Fertigstellung sollte Anfang 2008 sein. Doch es kam anders. Der Investor hatte sich überhoben und ging pleite. Er wurde von einer amerikanischen Firma übernommen. Diese hatte hochfliegende Pläne und wollte das Ihmezentrum in Linden-Park umbenennen. Die Fertigstellung wurde nunmehr auf Mitte 2009 verschoben. Während der Bauarbeiten wurde das Gebäude, in dem unser Amt untergebracht war, erheblich erschüttert. Das Hochhaus schwankte des Öfteren. Außerdem gab es erhebliche Lärmbelästigungen, was zu Schlafstörungen der Mitarbeiter führte. Das stand so auch in der hiesigen Presse und führte zu einer Belustigung in meinem Freundeskreis. Gemeint war natürlich der nächtliche Schlaf, nicht der im Büro.
Doch im Januar 2009 kam der Baustopp. Viele kleine Handwerksbetriebe blieben auf ihren Rechnungen sitzen, weil diese nicht bezahlt wurden und stellten deswegen die Arbeiten ein. Überall lagen Baumaterialien herum, es sah weitaus schlimmer aus als vorher. Auf einer großen Personalversammlung zusammen mit den anderen Ämtern, die ebenfalls im Ihmezentrum untergebracht waren, forderten wir Abhilfe, dann das war nicht mehr zumutbar. Der damalige Oberbürgermeister und jetzige Ministerpräsident Stephan Weil, der die Versammlung leitete, wurde dabei von einer Kollegin gefragt, ob es dann einen Plan B zum Verbleib der Ämter geben würde. Daraufhin antwortete Herr Weil: „Es gibt keinen Plan B. Und wenn es einen geben würde, würde ich Ihnen diesen nicht verraten.“ Diese Antwort missfiel allen. Es folgten Buhrufe und ein Pfeifkonzert. Sympathien hatte unser OB an diesem Tage gewiss nicht gewonnen.
Die Jahre vergingen, es folgte eine Zwangsverwaltung, die sechs Jahre andauerte. In 2015 kam dann ein neuer Eigentümer, in 2019 noch ein weiterer. Irgendwann reichte es der Stadtverwaltung und man kündigte alle Mietverträge, die eigentlich erst 2042 auslaufen sollten. Ebenso verfuhren die Stadtwerke, deren Verwaltung auch jahrzehntelang im Ihmezentrum untergebracht war. Im Herbst 2021 konnten wir vom Jugendamt endlich jubeln: Wir zogen um in die Innenstadt in ein Gebäude in der Nähe des Hauptbahnhofs. Dort fühlen wir uns wohl.
Das Ihmezentrum wird wohl ewig eine Bauruine bleiben, wenn es nicht doch abgerissen wird. Damit ist aber aus verschiedenen Gründen nicht zu rechnen. Zum Einen ist der Komplex viel zu groß dafür und zum Anderen liegt darunter ein großer Trinkwassertank für den Stadtteil Linden. Kein Problem ist hingegen die in den 70er Jahren gebaute U-Bahn-Station, die dort im Rohbau vorhanden ist, da diese Linie nie gebaut wurde und nicht werden wird.
Hannover hat – wie bereits erwähnt – viele schöne Seiten. Das verhasste Ihmezentrum brauchen wir nicht.
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Tag der Veröffentlichung: 07.05.2022
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