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Hubert schaut fern

 

 

Ich, Hubert Hundertmark, guckte relativ wenig Fernsehen, was meinem Bruder Norbert, der ja Programmdirektor von TELE 12 ist, ziemlich missfällt. Es kommt da aber auch wenig, was mich interessiert, nicht nur auf seinem Sender. Wann wird schon einmal ein Beethoven-Konzert ausgestrahlt oder eine Dokumentation über Ludwigs Leben! Das ist wirklich bedauerlich.

 

Dann geschah es, dass ich auf Norberts Sender den Film Soylent Green aus dem Jahr 1973 einschaltete. „Der spielt im Jahr 2022 und es geht um Umweltprobleme“, hatte mir meine Frau erklärt. Sie war und ist ein großer Fan von Charlton Heston, dem Hauptdarsteller des Streifens. Schlecht war er nicht, der Film, obwohl er teilweise etwas übertrieben war.

 

Doch dann kam die Szene, als sich der alte Mann einschläfern ließ. Er saß in eine Art Kinosaal und schaute sich einen Film an, der auf der Leinwand gezeigt wurde. Man sah eine wunderschöne, unberührte Natur mit vielen Tieren und Pflanzen. Dann ertönte Musik, die mich begeisterte. Es war die sechste Sinfonie von Ludwig, genauer gesagt in F-Dur opus 68, die Pastorale: Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande. In der Tat wurden heitere Empfindungen bei mir erweckt. Ich war hin und weg.

 

„Das gefällt dir sichtlich besser als Uhrwerk Orange“, stellte Wilma fest. Diesen anderen SF-Film, der in etwa aus der gleichen Zeit wie Soylent Green stammte, hatten wir zwei Wochen zuvor geguckt. Ich nickte, obwohl in diesem Streifen von Stanley Kubrick die neunte Sinfonie von Beethoven eine zentrale Rolle spielte. „Und auch besser als Rosemary’s Baby und Fantasasia, dem Disney-Film“, bemerkte ich. Bei näherem Nachdenken stellte ich fest, dass Ludwigs grandiose Musik doch oft in Filmen eingesetzt wurde.

 

Ich beschloss, meinen Bruder anzurufen und ihm vorzuschlagen, auf TELE 12 eine Reihe mit Filmen mit Beethoven-Musik zu senden. Doch Norbert war nicht besonders begeistert. Er erklärte: „Hubert, der Fokus unseres Senders soll weiterhin auf Shows liegen. Das mit den restaurierten Filmen war eine Ausnahme. Allerdings muss ich sagen, dass die Quoten da sehr gut waren. Dennoch werden wir deine Idee nicht umsetzen. Grüße Wilma von mir.“ Dann legte er auf.

 

Ich war ziemlich sauer und entschied mich dafür, die anderen deutschsprachigen Fernsehsender anzurufen. Unglaublich, wie viele es mittlerweile gibt. Die Verkaufssender und die christlichen Programme sparte ich mir aus. Das waren mit Sicherheit nicht die richtigen Kandidaten. Zumeist wurde ich brüsk abgewiesen. Großes Interesse zeigte keiner. Bei dem Kulturkanal, der auch in Französisch sendet, war man zunächst von der Idee angetan. Als ich jedoch die potentiellen Filme aufzählte, schwand die Begeisterung. „Uhrwerk Orange und Rosemary’s Baby - das sind nicht gerade Filme, die wir in unserem Programm zeigen, Herr Hundertmark. Tut mir leid“, hieß es dort.

 

Als Nächstes rief ich bei dem Sender an, der viele Science-Fiction-Filme und die entsprechenden Serien zeigte. Dort war man zumindest von der Idee angetan, wollte aber auch nicht alle Filme zeigen, die ich ausgesucht hatte. Das war wirklich zum Verzweifeln. Danach ging ich zu meinem Computer, um im Internet nach weiteren Filmen zu suchen, in denen Musik von Beethoven vorkam. Schnell wurde ich fündig. Ich stieß auf einige Streifen, die mir zuvor nicht eingefallen waren, zum Beispiel The King`s Speech, in dem Ludwigs fünfte Sinfonie eine wichtige Rolle spielte. Oder Der Pferdeflüsterer und Zeit der Unschuld. Nach zwei Stunden Sucharbeit hatte ich eine Liste von zwölf Filmen erstellt, die bekannt und beliebt waren.

 

„Muss es dann unbedingt im Fernsehen sein?“, fragte Wilma, als sie mir über die Schulter schaute. Ich schüttelte mit dem Kopf. „Prima. Dann ich habe mir überlegt, dass wir uns an ein Programmkino wenden können“, fuhr meine Frau fort. Ich war von der Idee begeistert. Nun ist es so, dass meine Heimatstadt Buxtehude tatsächlich ein Kino hat, in dem auch oft alte Filme gezeigt werden.

 

Das passte wie die Faust aus Auge. Gleich am nächsten Tag sprach ich dort vor. Das Kino befand sich ganz in der Nähe von unserem Bahnhof. Der Besitzer kannte mich zwar nicht persönlich, aber er hatte schon viel von mir und meiner Partei, der PDDS, gehört. Es war ein sehr erfreuliches Gespräch. Der gute Mann war tatsächlich bereit, in einer Woche insgesamt vierzehn Beethoven-Filmen zu zeigen. Allerdings sollte das erst im Sommer über die Bühne gehen, weil die Programmplanung des Kinos bis dahin komplett war. Leider war der Besitzer aber nicht bereit, es in „Lichtspielhaus“ umzubenennen und statt Popcorn nunmehr Platzmais anzubieten. Na, ja, man kann nicht alles haben.

 

Zufrieden fuhr ich nach Hause und stieß mit meiner Frau mit einer Flasche italienischem Perlwein an. Den mag Wilma doch so gerne. Danach sahen wir uns noch einmal Soylent Green an. Nunmehr gefiel mir der Film noch besser.

 

 

 

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Bildmaterialien: www.geek-germany.de
Tag der Veröffentlichung: 03.04.2022

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