Hannover hatte einst sehr viele Musikkneipen, leider sind die meisten davon verschwunden. Da gab es unter anderem die Philharmonie, Offenbachs Keller, das Leine-Domicil und eben auch den Flohcircus. Dort traf man sich, genoss seine Getränke und konnte für wenig Geld wunderbare Konzerte erleben, fast schon in familiärer Atmosphäre. Man war den Künstlern hautnah, im wahrsten Sinne des Wortes. Das war etwas ganz Anderes als in den großen, ungemütlichen Konzerthallen.
Über den Flohcircus will ich hier berichten. Dieser befand sich am Rande der hannoverschen Altstadt, am Ufer der Leine, dort wo jeden Sonnabend der Flohmarkt stattfindet. Daher hatte der Laden auch seinen Namen. Er befand sich in der ersten Etage des Hauses „Am hohen Ufer 3 A“. Oft fanden an den Tagen, an denen Flohmarkt war, also samstags, schon mittags Konzerte statt. Der Flohcircus war eine feste Bühne für die Rockstars der Stadt und darüber hinaus. Unter anderem traten hier the Rubettes, Showwaddywaddy, Chris Norman, The Sweet und Suzi Quatro auf. Letztere sah man auch dort, wenn sie kein Konzert gab. Heutzutage ist das unvorstellbar. Aber das waren andere Zeiten damals. Auf You Tube findet man einige Videos davon. Ein Konzert mit Frank Zander ist mir noch besonders in Erinnerung. Ich habe ihn öfters live erlebt, aber nie so nah wie im Flohcircus. Man konnte ihm buchstäblich die Hand reichen. Leider musste das Konzert vorzeitig abgebrochen werden, weil irgendein Idiot Wunderkerzen auf die Bühne warf. Keine gute Idee bei dem Holzfußboden! Frank sagte darauf (typisch für ihn): „Ihr könnt alles auf die Bühne werfen: Bierbecher, Unterhosen, sogar Eure Freundin. Aber doch keine Wunderkerzen!“ Ich hatte vollstes Verständnis für seine Reaktion. Nach dem Abbruch konnte man in einem Nebenraum mit ihm sprechen und sich Autogramme holen, was ich auch tat. Ein sehr sympathischer Mensch, den ich noch heutzutage bewundere.
Alles hätte noch ewig so weiter gehen können, wenn es nicht ein Problem gegeben hätte, was viele Kneipen haben, in denen Livemusik geboten wird: Lärmbelästigung und Nachbarn, denen das nicht gefällt. Im Falle von dem Flohcircus war es der Hausmeister der benachbarten Schule, ausgerechnet eine für hörgeschädigte Kinder. Der Mann konnte aber sehr gut hören. Wie bereits erwähnt, befand sich das Lokal im ersten Stock des Gebäudes. Die Bühnenaufbauten und das sonstige Equipment der Bands wurden mit einem Lastenaufzug vom Erdgeschoss nach oben verbracht. Es war ein sehr alter Fahrstuhl, der entsprechend laut war. Genau daran störte sich der Hausmeister und klagte auf Unterlassung. Nach einem jahrelangen Rechtsstreit hatte er Erfolg: Am 30. April 2000 war der letzte Tag vom Flohcircus. Er musste schließen. Da halfen auch keine Unterschriftaktionen der zahlreichen Fans. Auch mir standen die Tränen in den Augen.
Ironischerweise schloss die Schule einige Monate danach. Keine Schule mehr, auch kein Hausmeister. Dennoch wurde der Flohcircus nicht wieder eröffnet. Das Lokal steht seitdem leer. Immer wieder, wenn ich daran vorbei gehe, muss ich an die alten Zeiten denken, als dort das Leben tobte, und bin traurig. Es ist wirklich schade, dass kleine, intime Konzerthallen immer weniger werden, ganz zu schweigen von den günstigen Preisen von damals. Es gibt natürlich noch ein paar kleine Läden in Hannover, wo Livemusik geboten wird, aber nicht mehr in unserer Altstadt.
Bildmaterialien: www.hannover-entdecken.de
Tag der Veröffentlichung: 04.03.2022
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