Ich, Hubert Hundertmark, bin wirklich im Stress. Sie wissen ja, dass ich es aufgegeben habe, mich politisch zu betätigen. Wie bereits berichtet, will mein Bruder Norbert auf TELE 12, wo er Programmdirektor ist, eine neue Show starten, einen Gesangswettbewerb für Senioren, genauer gesagt für Leute ab 50.
Da sich zunächst die Planungen hinziehen, habe ich ausreichend Zeit, mich darauf vorzubereiten. Aber ausgerechnet das verursacht Stress bei mir. Soviel Stress hatte ich zuletzt Anfang 2020. Wie Sie sich vielleicht erinnern, hat sich mein lieber Kollege Hilmar Hintergesäß ernsthaft verletzt, als er bei meiner Silvesterfeier im Vorjahr über eines der heruntergefallenen Hackbällchen stolperte, den Tapeziertisch mit den dargebotenen Speisen umriss und dann unglücklicherweise über die zerbrochene Glasschüssel stürzte, in der sich Wandas Nudelsalat befand.
Ich hatte schon befürchtet, dass ich die ganze Arbeit in der Buxtehuder Hundesteuerstelle alleine stemmen müsse. Doch dann ergab sich etwas anderes. Im Nachbarbüro, wo die Gewerbesteuerstelle ist, arbeitet Peter Peinlich, der nicht nur ein netter Kollege, sondern auch ein guter Freund von mir ist. Peter bot mir an, dass eine gewisse Susanne Sorgenfrei, die in seiner Stelle seit geraumer Zeit arbeitet, bei uns der Hundesteuerstelle aushelfen könne.
Das Angebot nahm ich gerne an, zumal die Kollegin recht hübsch ist. Sie ist Anfang zwanzig, blond und könnte auch als Modell arbeiten. Wenn ich beachtet hätte, dass Frau Sorgenfrei von den anderen Mitarbeitern Susi Sorglos genannt wurde, hätte ich mir das Ganze noch einmal überlegt. Aber der Reihe nach.
Gleich am ersten Tag gab es den ersten Ärger. Ich hatte schlecht geschlafen und daher keine gute Laune. Darüber hinaus war Sprechtag an diesem Tag und es kamen viele Hundebesitzer, um ihre Hunde an- oder abzumelden. Frau Sorgenfrei sollte nur zuhören. Bereits beim dritten Kunden mischte sie sich jedoch in das Gespräch. Es ging darum, dass die ältere Dame sich darüber beklagte, dass sie für ihren Zwergpudel namens Putzi genau so viel bezahlen musste, wie ihr Nachbar, ein schwergewichtiger ehemaliger Ringkämpfer für seinen Dobermann.
„Das finde ich auch nicht in Ordnung. Ich finde, es müsste nach Gewicht gehen. Nach dem Gewicht der Hunde, nicht nach dem der Besitzer“, meinte die Kollegin. Ich warf ihr einen bösen Blick zu und entgegnete: „Das haben wir noch nie so gemacht, das ist auch nicht so vorgeschrieben. Im Flugzeug zahlen Dicke ja auch nicht mehr als Dünne!“ Die ältere Dame lachte, ich hatte das Gefühl, dass sie mich nicht ernst nahm.
Nach Beendigung des Kundengespräches fiel der Blick der Kollegin auf das Bild, das seit Jahren mein Büro zierte. „Das ist Ludwig van Beethoven“, erklärte ich und wollte über meine Leidenschaft für seine Musik berichten, kam jedoch nicht dazu, denn Frau Sorgenfrei sagte: „Echt jetzt? Ich dachte immer, Beethoven wäre ein Hund, so ein Bernhardiner!“ Allmählich wurde ich wütend, ich riss mich aber zusammen.
In der Mittagspause wandte sich die Kollegin ihrer Zeitung zu und las intensiv einen Bericht der BLOCK-Zeitung. „Corona-Virus in Deutschland angekommen“ stand da. Frau Sorgenfrei schüttelte mit dem Kopf und murmelte: „Ich habe das Zeug ohnehin nicht gerne getrunken.“ Offensichtlich stellte sie eine Verbindung zu dem mexikanischen Bier her, das die Jugend so gerne direkt aus der Flasche mit einem Strohhalm und einer Limone trank. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass meine Cousine Hermine keine Tochter hat, hätte ich jetzt geglaubt, dass Frau Sorgenfrei diese sei.
Ich überlegte, welche Aufgabe ich ihr zuteilen könnte, ohne dass sie Schaden anrichten würde. Dann kam mir eine Idee: „Frau Sorgenfrei, Sie können die alten Karteiblätter schreddern, die sind noch aus den 70er und 80 er Jahren. Die werden nicht mehr gebraucht.“ Der Aktenvernichter befand sich in einem kleinen Nebenraum. So hoffte ich, meine Ruhe zu haben.
Die hatte ich auch. Die Kollegin brauchte für die ihr zugeteilte Aufgabe ziemlich lange. Kurz vor Feierabend kam sie zurück. Ohne die alten Karteiblätter, aber mit einem großen Stapel DIN A 4 – Blätter. „Ich habe noch Kopien gemacht“, verkündete sie stolz. Offenbar erwartete sie noch ein Lob für ihre Aktion. Doch dazu fiel mir nichts mehr ein, ich konnte mich nur an den Kopf fassen.
Aber genug von diesen ollen Kamellen. Frau Sorgenfrei hat uns längst verlassen, Hilmar ist wieder gesund und munter. Kommen wir zurück zu Norberts neuen Show. Lange hatte ich überlegt, mit welchem Lied ich dort antreten wollte. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Haaren: Beethovens Neunte Sinfonie! „Freude schöner Götterfunken“ ist doch grandios, obwohl der Text nicht von Ludwig, sondern von Herrn Schiller ist. Doch auch diesen Mann gilt es zu würdigen. Nicht zu würdigen ist es, dass irgendwelche Computerheinis sich an Ludwigs Zehnte Sinfonie herangemacht haben und diese mit künstlicher Intelligenz zu Ende geschrieben haben. Das ist ein Frevel an Ludwigs Erbe! Und eine grobe Täuschung der Verbraucher. Man stelle sich vor, jemand käme auf die Idee, die Mona Lisa größer zu malen. Das gäbe einen Aufstand und eine Empörung! Aber mit Ludwig kann man es ja machen. Ich bin wirklich empört.
Nun gut, ich kann das nicht verhindern. Aber meinen Unmut darüber äußern darf ich doch wohl! Zu meinen Gesangsübungen: Ich hatte vorsorglich einen Zettel am Schwarzen Brett in unserem Treppenhaus angebracht und dabei darauf hingewiesen. Trotzdem hat der Herr Lehmann vom dritten Stock empört bei uns geklingelt, als ich gerade mitten im schönsten Teil des Stücks war. Wilma hat geöffnet, dieser Kunstbanause ist einfach an sie vorbei gestürmt und lief in unser Wohnzimmer, wo ich singend vor meinem Klavier saß.
Nachdem wir einige unfreundliche Worte gewechselt hatten, musste ich wohl oder übel mit dem Üben aufhören. Zum Glück wusste ich, dass dieser blöde Kerl immer um 13 Uhr einen langen Spaziergang macht. Daher nutzte ich diese Gelegenheit am nächsten Tag und setzte meine Gesangsübungen dann fort.
Nach vier Tagen hatten sich meine Sangeskünste derart gebessert, dass ich mich in der Lage sehe, am Casting der Sendung teilzunehmen, sobald das beginnt. Um nicht gleich entdeckt zu werden, werde ich mir einen Bart ankleben und eine dunkle Brille aufsetzen. Außerdem werde ich unter einem falschen Namen auftreten. Lassen Sie sich überraschen.
Bildmaterialien: www.gesundheit.gv.at
Tag der Veröffentlichung: 01.11.2021
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