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Im Zug nach Osnabrück

 

 

 

Gut gelaunt betrat ich den Regionalexpress, der mich von Hannover nach Osnabrück bringen sollte. Es sollte ein Tagesausflug werden, ich wollte mir die Stadt ansehen, die ich bislang kaum kannte.

 

Der Zug war spärlich besetzt, um diese frühe Zeit an einem Werktag. Berufspendler waren nicht auszumachen, auch keine Schulkinder. Es sollte eine entspannte Fahrt werden, so dachte ich. In dem Großraumabteil entdeckte ich eine junge, hübsche Frau. Sie hatte langes, blondes, gelocktes Haar und mochte Anfang Dreißig sein. Schlank war sie nicht, eher leicht mollig. Aber das gefiel mir.

 

Obwohl noch reichlich andere Plätze frei waren, setzte ich mich ihr gegenüber. Sie zeigte keine Abneigung dagegen und lächelte. Ich musste unbedingt mit ihr ins Gespräch kommen, aber wie? Ich entschied mich dazu, mein Buch hervorzuholen und darin zu lesen. Es war Der Fänger im Roggen von J.D. Salinger. Ein grandioses Buch, nahezu ein Meisterwerk.

 

Nach etwa zehn Minuten räusperte sich die junge Frau und sagte dann: „Der Roman ist großartig. Ich habe ihn mehrfach gelesen und bin immer wieder davon begeistert.“ Ich freute mich, dass wir offenbar den gleichen Literatur-Geschmack hatten. War sie die perfekte Frau für mich? Ich stellte ihr eine Falle: „Gefallen Ihnen auch die anderen Romane, die Salinger geschrieben hat?“ Jetzt lachte sie, offensichtlich wusste sie darüber Bescheid, dass der Autor zeit seines Lebens nur diesen einen Roman veröffentlichte. Dazu verfasste er zwar Kurzgeschichten und längere Erzählungen, aber keinen weiteren Roman.

 

„Diese werde ich lesen, wenn sein Sohn den Nachlass verwaltet hat und diese herausgebracht hat!“, antwortete die hübsche Blondine. Es stellte sich heraus, dass sie Literatur studiert hatte und eine kleine Buchhandlung Mitten in Osnabrück besaß. Wir hatten zahlreiche gemeinsame Lieblingsautoren: unter anderem Thomas Mann, Mark Twain, Ernest Hemingway und Theodor Fontane.

 

Noch bevor wir Osnabrück erreichten, hatten wir unsere Adressen und Telefonnummern ausgetauscht. Sandra war wirklich bezaubernd. So eine Frau hatte ich immer gesucht: gutaussehend, belesen und intelligent. Die Sympathie beruhte auf Gegenseitigkeit. Mir kam ein uralter Schlager in den Sinn:

 

Ich fand das ganz große Glück mit Dir im Zug nach Osnabrück
Du hast mich angemacht, so kurz vor Offenbach
Wir haben Sekt bestellt, gleich hinter Bielefeld
Ich fand das ganz große Glück mit Dir im Zug nach Osnabrück
Wir fingen an zu schmusen beim Halt in Leverkusen
Dein süßes Muttermal fand ich in Wuppertal
Ich fand das ganz große Glück in Osnabrück

 

 

Also werde ich mit Sandra schon bald nach Offenbach, Bielefeld, Leverkusen und Wuppertal reisen. Und auf die Bücher, die Salingers Sohn herausbringen wird, sind wir beide gespannt.

 

 

 

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Bildmaterialien: www.vvowl.de
Tag der Veröffentlichung: 25.08.2021

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