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Die goldene Uhr

 

 

Als ich 2011 mein 25-jähriges Dienstjubiläum bei der Landeshauptstadt Hannover hatte, bekam ich eine Sondergratifikation, einen großen Blumenstrauß, eine kurze Erwähnung in der hiesigen Tageszeitung und eine Einladung zu einer Jubelfeier mit leckerem kostenlosen Essen und Getränken im Kuppelsaal. Was ich nicht bekam, war eine goldene Uhr.

 

Die bekam ich einige Jahre zuvor von meiner Tante Hildegard aus Detmold. Ihr Mann, also mein Onkel Werner, dem ich meinem zweiten Vornamen verdanke, war im September 1998 verstorben. Aus terminlichen Gründen konnte ich bei seiner Beerdigung nicht dabei sein, und meine Mutter nicht, weil es ihr nicht gut ging. Das nahm uns meine Tante sehr übel. Es dauerte daher relativ lange, bis ich sie wieder besuchen durfte.

 

Es war im Sommer 2000. Bei wunderschönen, sommerlichen Wetter machte ich mich mit meinem Auto auf den Weg nach Detmold. Man kann diese alte westfälische Stadt von Hannover zwar auch mit dem Zug erreichen, aber nur sehr umständlich mit mehrfachen Umsteigen. Aus diesem Grund und weil meine Tante am Telefon sagte, dass sie „einiges für mich hat“, nahm ich das Auto.

 

Ich traf – wie immer – überpünktlich bei meiner Tante Hildegard ein. Sie freute sich sichtlich, war aber leicht enttäuscht, dass ich meine Freundin Bettina nicht dabei war, aber mit der hatte ich schon im Februar 1999 Schluss gemacht. „Mit der hättest du zusammenbleiben sollen“, sagte Tante Hildegard immer wieder.

 

Nach Kaffee und Kuchen und einigen Plauschereien führte mich meine Tante dann in ein Nebenzimmer. Dort lag einiges, was sie mir mitgeben wollte: mehrere teure Anzüge, ein paar Krawatten, zwei Aktentaschen und eine echt goldene Uhr. Das war ein sehr teures Modell, noch mit einem richtigen Uhrwerk, keine Quarzuhr.

 

Ich bemerkte gleich, dass mir die Anzüge nicht passen würden, denn mein verstorbener Onkel war viel größer als ich und noch dazu stämmiger. „Die kannst du doch ändern lassen“, argumentierte meine Tante. Das konnte ich nicht von der Hand weisen. Folglich war auch das Armband von der goldenen Uhr viel zu weit, ich konnte sie also nicht gleich umlegen.

 

Reich beschenkt fuhr ich nach Hause. Die Anzüge legte ich erstmal bei Seite. Bei nähere Betrachtung fiel auf, dass sie nicht gerade besonders modisch waren. Die Krawatten passten mir zwar, aber sie waren für meinen Geschmack etwas zu breit.

 

Mit der Uhr begab ich mich zum nächstgelegenen Uhrenfachgeschäft in der hannoverschen Altstadt, das in einem Kaufhaus war. „Das kann ich aber nicht gleich machen. Da fehlt mir das entsprechende Werkzeug. Die Uhr ist sehr alt, die müsste ich einsenden“, erklärte mir der Verkäufer. So blieb mir nichts anderes übrig, als zu warten. Ich erklärte meiner Tante am Telefon die Situation. Sie zeigte kein Verständnis dafür und zeterte, so wie sie das oft tat.

 

Eine Woche später. Ich holte die Uhr ab, jetzt passte sie sehr gut. Doch schon nach ein paar Stunden fiel mir auf, dass sie stehen geblieben war. Am nächsten Tag ging ich wieder zum Uhrenfachgeschäft und erhielt dort die Antwort, die ich schon kannte: „Das kann ich aber nicht gleich machen. Da fehlt mir das entsprechende Werkzeug.“ Offenbar war der Mitarbeiter nicht sehr versiert. Diesmal sollte es zwei Wochen dauern, bis ich sie wieder hatte. Es stellte sich heraus, dass Wasser in die Uhr eingedrungen war und sie gereinigt werden mussten.

 

Für die beiden Dienstleistungen hatte ich nunmehr schon mehr bezahlt, als ich üblicherweise für den Kauf einer Uhr aufwende. Tantchen konnte gar nicht begreifen, wie das mit dem Wasser passieren konnte: „Werner hat die Uhr jahrelang getragen. Sie lief immer einwandfrei. Kaum gibt man sie dir, machst du sie kaputt!“ Ich verzichtete darauf, das Ganze auszudiskutieren.

 

Einige Monate später, im Spätherbst des Jahres, ging ich mit mehreren Freunden in ein Hallenbad. Die goldene Uhr verwahrte ich im Schließfach. Als ich zurückkehrte, gab es eine unangenehme Überraschung. Das Schließfach war aufgebrochen, meine Uhr entwendet. Viel Freude hatte ich an der Uhr also nicht gehabt.

 

 

Davon habe ich meiner Tante niemals etwas erzählt. Sie wäre ausgerastet.

 

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Tag der Veröffentlichung: 08.07.2021

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