Herbert machte sich gut gelaunt mit seinem dunkelblauen Ford Transit auf dem Weg vom Oldenburger Land nach Hannover. Er betrieb dort eine große Hühnerfarm. Die Hühner hatten bei ihm ein gutes Leben. Sie hatten Freilauf, ihre Schnäbel wurden nicht gekürzt, die männlichen Küken wurden nicht geschreddert. All das machte Herberts Eier teurer, als die, die man im Supermarkt kaufen konnte. Vielen Kunden, die sich das leisten konnten, war das egal. Sie legten Wert auf das Wohlbefinden der Tiere. Außerdem waren Herberts Eier immer frisch.
Es war Mittwochmorgen gegen 9 Uhr. Herbert hatte sein Ziel fast erreicht. Er bog vom Messeschnellweg links ab Richtung Kleefeld. In diesem Stadtteil machte er immer einen guten Umsatz. Rechts erblickte Herbert die wunderschöne Petri-Kirche. Das Sandsteingebäude mit dem großen blauem Zifferblatt gefiel ihm jedes Mal ungemein.
Weiter ging es durch die Scheidestraße und die Bahnunterführung in den Dohmeyers Weg. An dessen Ende schloss sich der Schweriner Platz an, dem ersten Ziel von Herbert an diesem Tag. Er stellte seinen Wagen, wie immer, direkt vor der Grundschule ab und schaltete den Lautsprecher an. Es ertönte das übliche „Kikeriki“ und „Der Eiermann aus Oldenburg ist wieder da“.
Doch dieser Tag war anders. Nach zehn Minuten war noch kein einziger Kunde erschienen. Herbert wollte schon verärgert und verwundert weiterfahren, als er von Weitem Frau Krause erblickte. Die ältere Dame war seine Stammkundin, jede Woche kaufte sie ein dutzend Eier und gelegentlich ein Huhn.
„Ach, da sind Sie ja“, sagte Frau Krause, als sie den Verkaufswagen erreicht hatte. Sie ergänzte: „Ich dachte schon, Sie kommen nicht mehr. Da war doch vor einer Stunde dieser andere Mann mit dem roten Auto da. Ich bin auch erst hingegangen, weil ich dachte, Sie hätten einen neuen Wagen. Aber denn habe ich gesehen, dass Sie das nicht waren. Da bin ich wieder nach Hause gegangen!“
Herbert sträubten sich die wenigen die wenigen noch vorhandenen Haare. Rotes Auto! Das konnte nur Bernhard sein, sein größter Konkurrent. Der kam zwar auch aus dem Oldenburger Land, aber Bernhards Eier kamen aus der Legebatterie und das Tierwohl war ihm völlig egal. Bei ihm wurden die männlichen Küken geschreddert und den Legehennen die Schnäbel gekürzt.
Herbert bedankte sich bei Frau Krause für diese hilfreiche Auskunft und schenkte ihr die Eier. Wutentbrannt fuhr Herbert weiter. Das durfte doch nicht wahr sein, dass dieser verdammte Kerl ihm die Kunden wegschnappte, noch dazu mit seinen minderwertigen Eiern! Herbert ließ die eigentlich folgenden Stationen seiner Tour in Kleefeld und im Heideviertel aus und fuhr schnurstracks in Richtung des benachbarten Stadtteils Kirchrode. Herbert war sich sicher, dass er diesen Bernhard irgendwo da erwischen würde. Dort würde er ihn zur Rede stellen.
Und richtig: Am „Großen Hillen“ neben der kleinen, uralten Kirche stand dieser verhasster rote Verkaufswagen. Kunden drängten sich davor. Bernhard plauderte fröhlich mit ihnen. Herbert stellte sein Fahrzeug direkt dahinter und stürmte auf ihn zu. Es folgte eine wüste Wortattacke im feinsten Oldenburger Platt, die hier aus verständigen Gründen leider nicht wiedergegeben werden kann. Und dann flog das erste Ei! Nun ist es so, dass Eier normalerweise im Gegensatz zu Hühnern nicht fliegen können, selbst wenn sie eine Flugschule besucht haben. Doch an diesem Mittwochmorgen war das anders. Munition war bei beiden Eiermännern reichlich vorhanden und so kam es zu einer Eierschlacht, wie sie noch kein Hannoveraner und Oldenburger zuvor gesehen hatte.
Letztendlich hatten beide Verkaufswagen und auch die Kittel der Eiermänner viele gelbe Flecken und irgendwann gingen den Herren die Eier aus. Nunmehr prügelten sie sich, solange bis jemand die Polizei rief. Diese unterband das Handgemenge und nahm beide Eiermänner in Gewahrsam. An diesem Tag, an dem die Eier fliegen lernten, mussten viele Hannoveraner im östlichen Stadtgebiet ohne frische Eier aus dem Oldenburger Land auskommen.
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Tag der Veröffentlichung: 07.03.2021
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