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Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin

 

 

 

In der hannoverschen Fußballszene ist die Verteilung der Farben kompliziert und verwirrend. Da gibt es die „Blauen“ alias Arminia Hannover und die „Roten“, alias Hannover 96. Arminia hat die Vereinsfarben grün-weiß-grün und 96 schwarz-weiß-grün. Warum sind die „Roten“ nun die „Roten“ und die „Blauen“ die „Blauen“? Schuld hat der HSC Hannover, deren Farben grün-rot-weiß-grün sind. In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts gab es eine Regelung in Hannover, dass jede Trikotfarbe bei den Fußballvereinen in der Stadt nur einmal vertreten sein durfte. Der HSC nahm das Grün, für 96 blieb das Rot und für Arminia zunächst Silbergrau. Als 96 mit einem anderen Verein fusionierte, der zuvor in Blau gespielt hatte, wurde diese Farbe frei und Arminia griff zu. Dabei ist es bis heute geblieben, obwohl diese Regelung des Farbenzwangs schon lange nicht mehr gilt.

 

Ich bin zwar in erster Linie Fan von Arminia, aber gegenüber 96 nicht abgeneigt. Manche Fans der „Blauen“ sehen das anders und hassen 96. Sie freuen sich, wenn die „Roten“ verlieren oder gar absteigen. In der Saison 1991/92 spielte 96 in der 2. Bundesliga gegen den Abstieg, der aber noch abgewendet werden konnte. Viel besser lief es in dieser Saison im DFB-Pokal. Das war ungewöhnlich, denn ansonsten schieden die „Roten“ in diesem Wettbewerb meistens recht früh aus. Aber in dieser Saison war das anders. 96 schaltete zunächst NSC Marathon 02 und dann nacheinander mehrere Bundesligisten aus, nämlich VfL Bochum, Borussia Dortmund, KFC Uerdingen, den Karlsruher SC und schließlich Werder Bremen. Somit stand die Mannschaft im Finale gegen Borussia Mönchengladbach. Es ging also nach Berlin, wo seit 1985 die Endspiele ausgetragen werden.

 

Es begann in Hannover der Run auf die Eintrittskarten. Ich bemühte mich darum, eine zu bekommen, aber vergeblich. Der Madsack-Verlag, der die beiden hannoverschen Tageszeitungen (Neue Presse und Hannoversche Allgemeine) herausgibt, hatte drei Sonderzüge organisiert, die die Fans nach Berlin bringen sollten. Doch dann hatte ich doch noch zwei Tage vor dem Spiel Glück. Ein Verwaltungslehrgangskollege von mir hatte zwei der begehrten Tickets ergattert, und konnte dann kurzfristig nicht mitfahren. Er fragte in der Klasse herum, und ich schlug zu! Nun hatte ich sogar zwei Karten! Ich telefonierte in meinem Freundeskreis herum, sofern diese Fußball-Fans waren. Aber sowohl Ingo, Uwe als auch Rainer konnten oder wollten nicht mitfahren.

 

So machte ich mich am frühen Morgen des 23. Mai 1992 auf dem Weg zum hannoverschen Hauptbahnhof. Die drei Züge standen schon bereit, etliche Fans waren schon zu dieser frühen Stunde reichlich angetrunken. Einige von ihnen hatten Mühe den jeweils richtigen Zug zu erwischen, ganz zu schweigen vom Abteil und vom Sitzplatz. Dennoch fuhren wir einigermaßen pünktlich los. Ich hatte Glück, dass ich friedliche Mitreisende in meinem Abteil hatte. Einer von ihnen, etwa 20 Jahre alt, trug stolz ein rotes Trikot mit den jeweiligen Daten, Gegnern und Ergebnisse der Vorrundenspiele. „Ich habe alle Spiele gesehen“, berichtete er jedem.

 

Die Waggons waren ziemlich alt und heruntergekommen, das hatte die DB mit Bedacht so geplant, um den Schaden bei möglichen randalierenden Fans im Rahmen zu halten. Auseinandersetzungen mit den Gladbach-Anhängern waren jedoch nicht zu erwarten, da zwischen 96 und Mönchengladbach eine Fanfreundschaft besteht. Unterwegs gab es (warum auch immer) einen Zwischenstopp am Braunschweiger Hauptbahnhof. Am Nachbargleis stand einer der Sonderzüge aus Gladbach. Wir begrüßten uns freundlich. Nicht so nett war die Reaktion einiger Fans von Eintracht Braunschweig, die sich mit voller Absicht auf dem Bahnsteig versammelt hatten. Zwischen Braunschweig und Hannover besteht eine offene Feindschaft, ähnlich wie zwischen Köln und Düsseldorf oder zwischen Schalke und Dortmund. Ein paar Braunschweiger versuchten, unseren Zug zu stürmen, was die Sicherheitskräfte zum Glück verhinderten.

 

Weiter ging die Fahrt nach Berlin. Ich dachte an mein erstes Fußballspiel, das ich live sah. Das war im Juni 1972, ebenfalls gegen Mönchengladbach. Das Spiel fand noch im alten Niedersachsenstadion statt, vor dem Umbau zur WM 1974. Gladbach gewann damals mit 2:1. Mit einem ähnlichen Ergebnis rechnete ich auch diesmal.

 

Gemächlichen Tempos näherten wir uns auf ausgefahrenen Gleisen Berlin und kamen dort gegen zwölf am Bahnhof Zoo an. Es blieb reichlich Zeit bis zum Spiel. Man konnte sich noch die Stadt ansehen, oder schon zum Stadion fahren, wo zuvor das Endspiel im Damen-DFB-Pokal stattfinden sollte. Ich entschied mich für die zweite Option, weil ich die andere Karte loswerden wollte. Dem war leider kein Erfolg beschienen, so dass ich mich dazu entschied, alsbald ins Stadion zu gehen. Es war spärlich gefüllt, für Frauen-Fußball gab es seinerzeit wenig Interesse. Es war brütend heiß, da das Olympiastadion damals noch nicht überdacht war, war man der Sonne schutzlos ausgeliefert.

 

Nach und nach strömten die Fans ins Stadion. Anhand der Fahnen und der Schals konnte man die Anhänger beider Mannschaften schlecht unterscheiden, denn Gladbach hat die Vereinsfarben grün-weiß-schwarz und 96, wie schon erwähnt, schwarz-weiß-grün. Wohl aber konnte man sie an den Trikots und Shirts auseinanderhalten: Rot die Hannoveraner, Weiß die Gladbacher.

 

Unterdessen wurden fast alle Plätze besetzt, nur wenige blieben frei, wie der neben mir. Um 18 Uhr pfiff Schiedsrichter Bernd Heynemann aus Magdeburg das Spiel an. 96-Trainer Michael Lorkowski hatte sein Team defensiv eingestellt, ebenso wie Jürgen Gelsdorf, sein Gladbacher Pendant. Das führte zu einem Spiel mit wenigen Torszenen, spannend war es trotzdem.

 

Folgerichtig stand es nach 90 Minuten noch 0:0, auch in der Verlängerung fielen keine Tore. Somit kam es zum Elfmeterschießen. Für Mönchengladbach verwandelten Kastenmaier, Criens und Neun. Für 96 waren Djelmas, Wojcicki, Kretschmar und Schjønberg erfolgreich. Gescheitert waren Pflipsen und Fach auf Gladbacher Seite sowie Freund bei den 96ern. Somit hatte tatsächlich Hannover 96 mit 4:3 gewonnen und als erste Zweitliga-Mannschaft den DFB-Pokal geholt (Kickers Offenbach gewann Jahre zuvor zwar auch als Zweitligist, war zum Zeitpunkt des Endspiels aber schon in die Bundesliga aufgestiegen). Grenzenloser Jubel brach unter den Anhängern der „Roten“ aus, die Fans aus Mönchengladbach applaudierten freundlich und anerkennend.

 

Das setzte sich auf dem Weg zur U-Bahn und am Bahnhof zu. Es war sehr bewegend, dass alle Fans beider Mannschaften „Gladbach und der HSV“ oder „Hannover und der VfL“ riefen. HSV steht für nämlich auch für Hannoverscher Sportverein und Gladbach heißt korrekt VfL Borussia Mönchengladbach.

 

Allerbester Laune fuhren wir noch Hause, zwei Tage später gab es vor dem hannoverschen Rathaus einen großen Empfang. Auf dem Balkon standen der Trainer und die Spieler und hielten den Pokal stolz in den Händen. Ganz besonders Torwart Jörg Sievers wurde umjubelt. Es war das erste und bislang einzige Mal, dass ich das Pokalendspiel live miterleben durfte. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich das nochmal wiederholt, ist äußerst gering.

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Bildmaterialien: www.sportbuzzer.de
Tag der Veröffentlichung: 09.02.2021

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