Reiner ist das wandelnde Filmlexikon. Da kennt er sich bestens aus. Wann immer es passte, hat er irgendein Filmzitat parat. Ich fand das anfangs bewundernswert, doch irgendwann fing das an, lästig zu werden.
Er war dennoch ein guter Freund für mich und ich brach den Kontakt zu ihm nicht ab, trotz alledem. Aber seine Eigenart nervte mich schon. Da war zum Beispiel ein Erlebnis in einem Restaurant, das wir letzte Woche besucht hatten. Die Speisekarte war sehr umfangreich, was Reiner zu der Aussage veranlasste: „Houston, wir haben ein Problem.“ Als die Bedienung die Bestellung aufnehmen wollte, sagte er: „Ich muss nach Hause telefonieren, dann kann ich mich entscheiden!“ Die Dame guckte etwas pikiert. Ich entschuldigte mich für meinen Freund und orderte erst einmal mein Essen und mein Getränk. Reiner konnte es nicht unterlassen, zu sagen: „Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen. Man weiß nie, was man bekommt!“ Jetzt wurde die Kellnerin böse. „Was glauben Sie, wo Sie hier sind? Das ist keine Comedy-Show sondern ein öffentliches Restaurant!“ Reiner überlegte kurz. Dann sagte er: „Wir sind nicht mehr in Kansas!“ Das führte dazu, dass wir beide aus dem Restaurant flogen.
Hungrig, durstig und verärgert stand ich davor und wollte Reiner eine gehörige Standpauke halten. In diesem Moment kam eine junge Dame auf uns zu. Sie sagte zu Reiner: „Ich habe das mitbekommen, was du da drinnen im Lokal gesagt hast. Ich bin so was von begeistert. Du bist ein Genie.“ Sie sah ihn liebevoll an. Reiner entgegnete: „Ich schau dir in die Augen, Kleines!“ Das gefiel der jungen Dame offenbar. Als mein Freund noch: „Das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft“ hinterher schob, fiel sie ihm um den Hals. Ich seufzte. Mir war klar, dass ich diesen Abend wohl alleine verbringen würde. Reiner verabschiedete sich dann auch, in Begleitung des Mädchens.
Ein anderes Erlebnis mit Reiner liegt zwei Jahre zurück. Wir saßen in der Fußgängerzone auf einer Bank und aßen Eis. Ein Passant näherte sich uns und fragte: „Können Sie mir sagen, wo die Schillerstraße ist?“ Reiners Antwort kam prompt: „Straßen? Wo wir hinfahren brauchen wir keine Straßen!“ Der Mann entgegnete: „Haben Sie in Problem?“ Reiner konterte: „Das Problem ist nicht das Problem. Das Problem ist deine Einstellung zu dem Problem.“ Laut schimpfend entfernte sich der Passant.
Von einem dritten Erlebnis möchte ich noch berichten. Das war vor fünf Jahren. Reiner und ich gingen ins Kino. Welcher Film das war, habe ich vergessen. Reiner weiß das sicherlich noch. Während der Vorstellung plapperte Reiner in einer Tour: „Dieser Schauspieler hat schon in Forest Gump mitgespielt“ oder „Die Kulisse dahinten wurde schon in Star Trek – Das unentdeckte Land verwendet“. Das machte er nicht leise und diskret, sondern so, dass es jeder im Umkreis hören konnte. Das führte dazu, dass er in diesem Kino Hausverbot bekam und bald darauf in allen anderen Kinos unserer Stadt.
Nächste Woche bin ich Kandidat bei „Wer wird Millionär?“. Wenn ich es auf den Stuhl schaffen sollte und eine schwierige Filmfrage kommt, weiß ich schon, wen ich anrufe. Und wehe Reiner versagt! Dann haue ich ihm ein Filmlexikon auf den Kopf, aber ein echtes!
Bildmaterialien: www.tvtoday.de
Tag der Veröffentlichung: 31.01.2021
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