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Der Untergang der Bristol

 

 

Es war der 21. Oktober des Jahres 1731. Die Bristol, ein stolzes Segelschiff, nahm Kurs nach Westindien. Sie war solide gebaut und hatte schon so manchen Stürmen getrotzt. Man hatte die Route über Kap Horn, also der Südspitze Südamerikas gewählt. Dieser Weg war zwar deutlich schneller aber auch gefährlicher. An Bord waren neben dem Kapitän noch fünfzehn Mann Besatzung, darunter Henry, ein Priester, der die Ungläubigen in Westindien bekehren sollte und James, der Schiffsjunge, der auf seiner ersten Fahrt war.

 

An diesem Tag kam die Bristol nicht voran. Es herrschte absolute Flaute, nicht ein Windhauch war zu spüren. „Das gefällt mir gar nicht, das gefällt mir gar nicht!“, zeterte Tom, der Maat und nahm einen Schluck aus seiner Rumbuddel. Er stand an der Reling und blickte zum Meer hinaus. Die Sonne war gerade aufgegangen und von der Kombüse drang der Geruch von gebratenem Speck und Rühreier herüber. Brian, der irische Smutje hatte dieses zubereitet und würde gleich die Glocke läuten, um damit zum Frühstück zu rufen. Die Mannschaft war ausgehungert, wie immer, und würde ihn nicht lange warten lassen.

 

James hatte die Worte des Maats gehört und fragte ihn: „Was ist denn daran so schlimm, dass wir keinen Wind haben? Haben wir es denn so eilig?“ Der Maat schaute zunächst grimmig, dann fiel ihm ein, dass der Junge wenig Erfahrung hatte. Er antwortete: „Nun, mein Junge. Die Zeit ist nicht das Problem. Aber Windstille bedeutet nichts Gutes, es ist das Zeichen dafür, dass ein Sturm bevorsteht. Gerade hier kurz vor Kap Horn ist das sehr gefährlich. Ich habe schon so manche Fahrt dort hin gemacht und heftige Unwetter erlebt. Unser Schiff hat diese immer gut überstanden. Aber: beim Klabautermann, das kann auch mal anders ausgehen!“ James nickte. Er hatte verstanden. Der Priester gesellte sich hinzu und sprach: „Mit Gottes Segen wird dieser elende Klipper auch diesen Sturm überstehen und wir…“ Das brachte den Maat zur Rage und er unterbrach den Pfaffen: „Das ist kein elender Klipper, sondern ein solides Schiff. Gottes Segen benötigen wir nicht!“

 

Das Läuten der Schiffsglocke beendete den Disput der beiden. Jetzt gab es Frühstück. Alle begaben sich in die Kombüse. „Männer, das ist vorerst das letzte Mal, dass es Eier gibt, Speck haben wir aber noch genug. Leider haben wir keinen Dodo-Vogel gefangen, der für Nachschub sorgt!“, erklärte Brian. Alle lachten, außer James, denn er hatte den letzten Satz nicht verstanden. Er traute sich aber nicht, nachzufragen.

 

Fünf Tage später. Es war der 26. Oktober 1731. James war gerade dabei, das Deck zu schrubben. Immer wieder murmelte er währenddessen: „Dodo-Vogel, Dodo-Vogel…“. Der Kapitän hörte dieses und sprach James von hinten an: „Nun, mein Junge, was beschäftigt dich denn so? Kann ich dir helfen?“ James erschrak und stammelte: „Nun, Kapitän, der Smutje hat neulich beim Frühstück den Dodo-Vogel erwähnt. Davon habe ich noch nie gehört. Was ist das?“ Der Kapitän, ein gütiger, älterer Mann mit einem langen, weißen Bart antwortete: „Nun, James, komm mit in meine Kabine. Da werde ich dir etwas zeigen.“ „Aber ich muss doch Deck schrubben, hat der Maat gesagt!“, entgegnete James. Der Kapitän lächelte und sagte: „Das kannst du auch noch hinterher. Es dauert nicht lange.“

 

Die beiden begaben sich in die Kabine des Kapitäns. Diese hatte James noch nie zuvor betreten. Dort holte der Kapitän ein altes Buch und schlug es auf. Lesen konnte der Schiffsjunge nicht. Er erblickte einen hässlichen, dicklichen Vogel mit einem seltsamen Schnabel. „Das ist ein Dodo-Vogel. Er konnte nicht fliegen. Deswegen…“ Weiter kam er nicht, denn in diesem Moment stürmte der Maat aufgeregt in die Kabine und rief: „Wind, Wind, Kapitän! Wir haben Wind!“ Alle verließen die Kabine und begaben sich an Deck. Dort stand schon die gesamte Mannschaft versammelt. Tatsächlich war ein kräftiger Ostwind aufgekommen. In aller Eile wurden die Segel gesetzt. Nach Tagen der Flaute konnte die Bristol ihre Fahrt fortsetzen.

 

Zwei Tage später, am 28. Oktober hatte sich der Wind in einem starken Sturm verwandelt. Dazu regnete es wie aus Eimern. Der Sturm drohte, die Segel zu zerfetzen. Daher befahl der Kapitän, diese herab zu lassen. Die Wellen wurde höher und höher, und fast wäre James von Bord gespült worden. Der Maat konnte ihn im letzten Moment festhalten. Der Priester sandte Stoßgebete gen Himmel. Doch das half nichts.

 

Am Abend dieses schrecklichen Tages befahl der Kapitän, dass sich alle in die vier Rettungsboote zu begeben hatten. Bald darauf sank die Bristol. Drei der vier Boote wurden zerschellt, die Männer ertranken. Nur ein Boot blieb verschont. In ihm waren James, Henry, Tom und Brian. Ihr Boot wurde von der starken Strömung in östliche Richtung bis Afrika getrieben.

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Bildmaterialien: www.kunstnet.de
Tag der Veröffentlichung: 10.12.2020

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