Und wieder stand eine neue Aufgabe für uns an. Wir waren gespannt, welche uns der Computer diesmal zuteilen würde. Es galt, noch viele Ereignisse und Personen aus der Vergangenheit zu beobachten.
„Ich hätte gerne mal wieder ein Ereignis aus der Antike, so wie das von Hannibals Zug über die Alpen!“, sagte Sarah. Vladimir nickte. Mir war das prinzipiell egal. Als ob der Computer Sarahs Gedanken lesen konnte, spuckte er das Ergebnis aus: Julius Cäsar. „Das ist klasse!“, rief Sarah begeistert, auch Vladimir war sehr zufrieden. Ich wusste selbstverständlich, wer das war. Seine Ermordung galt es zu erforschen und den wahren Täter zu ermitteln. In der Liste der von uns zu beobachtenden geschichtlichen Ereignisse nahm diese einen vorderen Rang ein.
„Auf nach Rom in das Jahr 44 vor Christus“, rief Sarah und drückte den Startknopf für unsere Flugmaschine. Sie ergänzte: „Es ist sogar das genaue Datum überliefert: Es war der 15. März! Natürlich galt damals der julianische Kalender, den hat er ja zwei Jahre vorher eingeführt. Jetzt werden wir endlich wissen, wer sein Mörder war. Brutus war es möglicherweise.“ Ich schaute ratlos, deshalb fuhr Sarah fort: „Es ist der angebliche letzte Satz von Cäsar bekannt: Auch du, mein Sohn Brutus. Das war aber gar nicht sein wirklicher Sohn.“ Ich war wieder einmal davon fasziniert, was meine liebe Kollegin alles wusste.
Die Flugmaschine erhob sich in die Lüfte und war drei Stunden später in Rom angelangt, sie wurde danach in das Zieljahr versetzt. Wir hatten einen imposanten Blick auf das alte Rom. Sarah hatte uns zuvor alte Zeichnungen von dieser Zeit gezeigt. Es sah fast genau so aus, das war verblüffend.
Auf Vorschlag von Sarah hatten wir uns dafür entschieden, unsere Beobachtungen eine Woche früher, also am 8. März zu starten, um den Vorlauf der Ereignisse zu verfolgen. Den Palast von Julius Cäsar fanden wir schnell, er war riesig. Cäsar saß auf einer Bank im Innenhof seiner Behausung und sonnte sich. Eine Frau näherte sich ihm. „Das muss Calpurnia sein, seine Ehefrau!“, mutmaßte Sarah. Vladimir nickte. Ich warf ein: „Es könnte auch seine Geliebte sein.“ Sarah schüttelte den Kopf und antwortete: „Ich glaube nicht, dass er sich mit seiner Geliebte in seinem Palast treffen würde! Wie Kleopatra sieht sie jedenfalls nicht aus.“
Die beiden unterhielten sich auf Latein, was meine Kollegen problemlos verstanden, ich jedoch nicht. Ich war mit meinem Latein am Ende, sozusagen. Als Physiker braucht man das auch nicht. Sarah hingegen als Geschichtsforscherin schon, sie war ja ohnehin ein Sprachtalent. Sie übersetzte mir die Unterhaltung von Cäsar und seiner Frau. Sie berichtete von schlimmen Alpträumen, die sie hatte. Dabei ging es um seine bevorstehende Ermordung.
„Genau, wie es überliefert ist!“, rief Sarah begeistert und ergänzte: „Allerdings war man immer der Meinung, dass diese Warnung von ihr kurz erst vor dem Attentat kam, und nicht schon eine Woche vorher. Aber wir haben ja schon öfters erlebt, dass die Geschichte anders abgelaufen ist, als man dachte.“
Wir verfolgten weiter den Dialog. Cäsar nahm die Warnungen von seiner Frau nicht sonderlich ernst. Im Gegenteil: Er machte sich sogar darüber lustig. Darüber wurde Calpurnia allmählich wütend und ging ins Haus. Cäsar hatte einen spöttischen Blick. Kurz darauf begab sich ein jüngerer Mann zu ihm, den Cäsar freundlich begrüßte. „Das könnte Brutus sein“, mutmaßte Sarah und fuhr fort: „Ich bin gespannt, worüber die beiden sprechen werden.“ Entsetzt sahen wir, dass Brutus ein Messer hinter seinen Rücken versteckt hielt. Sarah drückte den Stopp-Knopf. Die Szene fror ein.
„Da müssen wir eingreifen“, rief Sarah. Vladimir nickte. Wir transferierten das Messer zu uns. Augenblicklich später erschien es in unserem Büro. Sarah sah es aufmerksam an. „Ich hätte eine lustige Idee“, sagte ich und fuhr fort: „Wir könnten das Messer durch eine Mohrrübe ersetzen. Auf das blöde Gesicht von Brutus bin ich gespannt!“ Sarah und Vladimir lachten lauthals. Der Russe klopfte mir auf die Schulter und Sarah antwortete: „Tolle Idee, Sebastian. Damit wäre Cäsar auf jeden Fall außer Gefahr. Die Zeit für die Iden des März ist noch nicht gekommen!“ Da ich den letzten Satz nicht verstanden hatte, erklärte die Irin sogleich, was es damit auf sich hatte: „Die Iden sind die zweite Dekade eines Monats. Cäsar wurde vor ihnen gewarnt, und zwar von dem Seher Spurinna.“
Wir setzten meine Idee umgehend in die Tat um. Ich ging zum Nahrungsgenerator und gab „Mohrrübe“ ein. Das Gewünschte erschien wenige Sekunden später im Ausgabeschacht. Danach legte ich die Mohrrübe in den Teleporter und wir transferierten diese sogleich nach Rom in die Hand von Brutus. Sarah ließ die Zeit weiterlaufen. Brutus holte das vermeintliche Messer hervor und wollte damit auf Cäsar einstechen, der daraufhin bei diesem Anblick einen Lachkrampf bekam. Brutus hingegen war entsetzt und lief schreiend davon. Wir amüsierten uns prächtig.
„Nun lasst uns aber eine Woche weiter springen, zum Zeitpunkt der Ermordung!“, forderte Sarah und betätigte den entsprechenden Knopf am Schaltpult. Die Flugmaschine verblieb an Ort und Stelle, wurde aber eine Woche in die Zukunft versetzt. Es war der frühe Morgen des 15. März. Cäsar saß gut gelaunt auf der Bank, neben sich ein Kelch mit einer roten Flüssigkeit, vermutlich war es Wein. Seine Frau saß neben ihn und redete auf ihn ein. „Sie hat gerade erzählt, dass sie in der Nacht wieder Alpträume gehabt hat und wollte ihn davon abbringen zu der Senatssitzung zu gehen. Es gab ja Zweifel, ob er diese Nacht überhaupt zu Hause verbracht hat!“, erklärte Sarah. Cäsar war weiterhin unbekümmert und begab sich zum Theater des Pompeius.
Wir verfolgten ihn aus der Luft. Vor dem Theater wurde Cäsar von einem Mann angesprochen. „Das muss Spurinna sein. Lasst uns hören, worüber sie sich unterhalten!“, sagte Sarah. Wir hörten zu. „Die Iden des März sind da!“, sagte Spurinna. Daraufhin antwortete Cäsar: „Da sind sie, aber noch nicht vorbei.“ Er grinste und ging von den Warnungen unbeeindruckt in das Theater.
„Jetzt müsste man durch Wände durchsehen können, um ihn zu beobachten, nicht wahr?“, fragte Vladimir und grinste. Sarah und ich nickten. Vladimir fuhr fort: „Nun, denn ist es ja gut, dass ich etwas Neues in unserer Maschine habe einbauen lassen!“ Er drückte einen Knopf an seinem Schaltpult. Augenblicklich danach wurden die Wände des Theaters transparent, wir konnten also ins Innere sehen. „Das ist wirklich praktisch. Das hätten wir schn öfters gut gebrauchen können!“, sagte Sarah. Ich war baff, was alles möglich war. „Nicht nur dass wir jetzt den Durchblick haben, ich habe auch das Mikrofon verbessert. Wir können jetzt auch gleich zuhören“, ergänzte Vladimir.
Im Theater begann die Senatssitzung, sobald Cäsar an das Podium trat. Er hatte gerade seine Rede begonnen, als mehrere Dutzend Männer aufstanden und sich auf ihn stürzten. Alle hatten Dolche dabei. Sie stachen unzählige Male auf ihn ein. Cäsar röchelte, erhob sich noch einmal und sagte etwas, das ich nicht verstand, auch Sarah zunächst nicht. „Das war kein Latein!“, sagte sie und fuhr fort: „Lasst uns ein Stück zurückspulen!“ Das taten wir. „Jetzt habe ich es verstanden. Das war Griechisch. Cäsars letzte Worte waren: Diesmal war es keine Mohrrübe!“, berichtete Sarah.
So geschah es, dass sich die Nachwelt über den seltsamen letzten Satz Cäsars wunderte. Wir dagegen wussten Bescheid.
Bildmaterialien: www.wikipedia.org
Tag der Veröffentlichung: 05.12.2020
Alle Rechte vorbehalten