Hubert Hundertmarks Cousine Hermine betrat gut gelaunt und braun gebrannt ihr Büro. Ihre Kollegin Roswitha sah das mit Freude und fragte: „Offenbar war dein Urlaub auf Rügen sehr schön. Habe ich recht, Hermine?“
„Ganz genau, Roswitha. Wir hatten auch wirklich Glück mit dem Wetter. Die ganzen vierzehn Tage nur Sonne. Und das Hotel in Binz war wirklich gut. Wir haben viel unternommen!“
„Was habt Ihr dann so gemacht?“
„Gleich am ersten Tag sind wir mit der Museums-Eisenbahn gefahren, der Reisende Ronald. Das war klasse.“
Roswitha seufzte. Sie kannte ja ihre Kollegin und wusste, dass diese den Rasenden Roland meinte. Daher ignorierte sie das und fragte nach: „Und was hat Ihr sonst noch so unternommen?“
„Wir waren viel am Strand. Vom Hotel waren es nur ein paar hundert Meter. Ich hatte gehofft, ein Stück Beinstein mit einer eingeschlossenen Limette zu finden. Aber das hat leider nicht geklappt.“ Roswitha grinste nur und ließ ihre Kollegin weitererzählen.
„Na, ja, dann hat mir Thomas diese wunderschöne Kette aus Beinstein geschenkt. Da ist zwar keine Limette drin, aber sie gefällt mir trotzdem sehr gut“, berichtete Hermine weiter und zeigte Roswitha die Kette. „Die ist wirklich hübsch, die gefällt mir auch, diese Bernsteinkette!“, sagte Roswitha.
Hermine fuhr fort: „Am dritten Tag sind wir dann zu diesen drei Leuchttürmen im Norden der Insel gefahren, das was immer in den Wetterberichten vorkommt, dieses Kap Ascona!“ Roswitha hätte Hermine am liebsten sofort verbessert und darauf hingewiesen, dass offensichtlich Kap Arkona gemeint war, aber sie riss sich zusammen. Daher plauderte Hermine weiter: „Am Abend sind wir dann in einem tollen Fischrestaurant essen gewesen. Ich habe Grüne Heringe gegessen, die waren wirklich lecker. Die waren aber gar nicht grün, mein Cousin Hubert hätte sich bestimmt beschwert. Dazu gab es ganz leckere Bratkartoffeln. Die waren köstlich! Jetzt weiß ich auch warum Mecklenburg-Vorpommern auch Meck Pom genannt wird!“
Jetzt konnte Roswitha ein Lachen nicht mehr unterdrücken. Das war jetzt einfach zu komisch. Hermine ignorierte das und fuhr fort: „Die nächsten zwei Tage waren wir dann wieder am Strand. Das Wetter war einfach zu schön. Am nächsten Tag sind wir zu diesem riesigen Ferienlager, das die Nazis gebaut haben, dieses Prokura. Das Ganze nannte sich damals KFD-Seebad Rügen. Das war beeindruckend und beängstigend zugleich. Wir konnten uns aber nur einen ganz kleinen Teil davon ansehen, es war viel zu groß.“
Roswitha hätte ihrer Kollegin am liebsten gesagt, was sie wieder falsch gemacht hatte. Prokura statt Prora, KFD statt KdF! Das durfte doch nicht wahr sein. Aber sie ließ Hermine weiter erzählen: „Diese berühmten Kreidefelsen Königsstuhl mussten wir uns natürlich auch ansehen. Wir mussten unser Auto auf einen großen Parkplatz abstellen. Von da ging es mit einem Schüttelbus weiter. Wir hätten auch zu Fuß gehen können, aber das war uns zu weit. Der Felsen war aber atemberaubend. Dieser berühmte Pastor hat doch immer Bilder von Rügen gemalt.“
Jetzt musste Roswitha nachhaken: „Pastor? Welchen Pastor meinst du, Hermine?“
„Den musst du aber kennen, Roswitha, diesen Pastor David Friedrich. Das sind wirklich wunderschöne Bilder.“ Roswitha seufzte. Gerne hätte sie ihrer Kollegin erklärt, dass dieser Maler keineswegs ein Pastor war, sondern Caspar hieß, aber das würde Hermine sicherlich auch wieder falsch verstehen und fragen, wo der Rest der Puppenkiste sei.
Hermine fuhr fort: „Wusstest du, dass dieser Herr Tane, der in Brandenburg sehr aktiv gewesen war, auch auf Rügen war? Er hat in seiner berühmtesten Novelle Rügen ausführlich beschrieben, das Buch hieß Eva Biest.“ Jetzt konnte sich Roswitha sich nicht länger zurück halten, weil genau diese Novelle Effi Briest von Theodor Fontane ihr Lieblingsbuch war. Es befand sich zufällig in ihrer Handtasche, sie holte es heraus und legte es diskret auf den Schreibtisch. Hermine fiel das gar nicht auf.
Sie erzählte weiter: „Wunderschön war auch das Jagdschloss Granitz auf dem Tempelberg. Da habe ich mich gewundert…“ Roswitha unterbrach Hermine und sagte: „Lass mich raten. Du hast dich gewundert, weil der Tempelberg von Jerusalem nach Rügen verlegt worden ist.“ Hermine empörte sich: „Nein, natürlich nicht, Roswitha. Ich bin doch nicht doof. Ich habe mich gewundert, dass das Schloss nicht aus Granit gebaut war, obwohl man das vom Namen her ja schließen könnte. Es war nicht grau, sondern weiß. Ein Traumschloss mit fünf Türmchen!“
Roswitha nahm einen Schluck Kaffee und fragte: „Habt Ihr im Urlaub auch Bekanntschaften gemacht, Hermine?“
„Oh, ja, da war ein sehr nettes Ehepaar, das waren Flüchtlinge, aus dem Land neben Israel.“
„Syrien?“
„Nein, das andere, daneben.“
„Ach, du meinst Libanon.“
„Ganz, genau. Die leben nun schon zwölf Jahre in Deutschland. Ursprünglich kamen die aus der Hauptstadt vom Libanon. Wie heißt die noch gleich? Da wo neulich diese schlimme Explosion war. Ach, Demut heißt die Stadt!“
„Hermine, du bist unverbesserlich!“
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Tag der Veröffentlichung: 20.09.2020
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