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Die große Ankunft

 

 

Da lag sie nun vor uns, die gute alte Erde. Aber es war eine andere Erde, als die, die wir kannten und seinerzeit verlassen hatten. Es war das Jahr 2420. Wir waren von Gliese 581 c zurückgekehrt, wo wir über sechs Jahre gelebt hatten. Wir, das waren fünftausend Menschen, die nun wieder auf der Erde ein Leben aufbauen wollten. Die Gliesianer hatten uns für die neuen Gebäude, genug Baumaterial mitgegeben.

 

Man teilte uns in Gruppen von jeweils einhundert Leuten ein, wobei wir bestimmen konnten, wer, mit wem zusammenleben würde. Die Siedlungen sollten gleichmäßig auf dem gesamten Planeten auf allen Kontinenten verteilt werden, soweit die jeweiligen klimatischen Verhältnisse dieses zuließen. Weite Teile von Nordamerika sowie Nord- und Mitteleuropas lagen unter einer dicken Eisdecke. In Deutschland lag dieser Eispanzer etwa bis in der Höhe von Kassel. Offenbar hatte der nicht mehr vorhandene Einfluss des Menschen dazu geführt, dass die weltweiten Temperaturen um einige Grad gefallen waren. Gesunken war auch der Meeresspiegel. Sarah und ich hatten uns für eine Siedlung in Südfrankreich entschieden, in der Nähe von der ehemaligen Stadt Bordeaux. Auch Giovanni gehörte zu unserer Gruppe. Darüber waren wir sehr glücklich.

 

Die Landung auf der Erde verlief umgekehrt wie damals unsere Abreise im Dezember 2012. Aus dem Raumschiff der Gliesianer, das im Orbit unseres Planeten verbleiben sollte, stiegen wir in kleine Transportschiffe um, die uns an unsere jeweiligen Ziele bringen sollten. Vorher verabschiedeten wir uns von denjenigen, die anderen Stätten zugeteilt waren. Eine Kommunikation untereinander war in Zukunft möglich, das hatten uns die Gliesianer versprochen.

 

Unser Transportschiff setzte sanft auf einer Lichtung auf. Rings herum war eine riesige Waldfläche, in der Ferne sah man einige Ruinen. Das war vermutlich das, was von Bordeaux übrig geblieben war. Die Natur hatte sich die Fläche zurückgeholt. Man hatte uns schon im Raumschiff auf die Bedingungen der Erde angepasst: Es gab weniger Sauerstoff als auf Gliese und die Schwerkraft war etwas höher. Letzteres war aber nur ein geringfügiger Unterschied.

 

Die Ladeluke öffnete sich, erstmals seit knapp acht Jahren betraten wir wieder irdischen Boden. Es war ein erhabenes Gefühl. Ich nahm Sarah in die Arme und küsste sie. Auch die anderen Rückkehrer waren beglückt. Jemand bemerkte: „Unglaublich, wie sauber die Luft ist!“ In der Tat: Kein Flugzeug, kein Auto, keine Diesellok, kein Schiff und keine Fabrik pusteten Abgase in die Atmosphäre. Ich erklärte in die Runde: „Dann sollten wir auch bemüht sein, dass das so bleibt. Die Gliesianer haben uns gezeigt, wie man die Ressourcen verwaltet und umweltfreundlich Energie erzeugt.“ Beifälliges Gemurmel von allen anderen folgte. Ich hoffte innig, dass das ehrlich gemeint war.

 

Der Aufbau unseres Dorfes war eine Sache weniger Minuten, wir mussten fast gar nichts dafür tun, nur ein paar Knöpfe drücken. Es glich denen, die wir auf Gliese hatten, wie ein Ei dem anderen. Übrigens Ei: Wir hatten bei der Landung einige wilde Hühner entdeckt, von denen wir sogleich mehrere einfingen. Wir wollten sie nicht essen, aber ihre Eier, denn das hatten wir auf Gliese wirklich vermisst. Die Hühner waren recht zutraulich, sie kannten ja keine Menschen mehr. Schon wenige Stunden später gab es ein Festmahl: Rühreier, Spiegeleier oder Omelette, je nach Geschmack. Salz und andere Gewürze hatte man uns von Gliese mitgegeben, Kräuter jedoch nicht. Wir fanden aber welche unweit unserer Landestelle. Damit war alles perfekt.

 

Nachdem wir uns eingerichtet hatten, nahmen wir Kontakt zu den beiden nächstliegenden anderen Kolonien auf: Da war in Norditalien eine in der Nähe der ehemaligen Stadt Mailand und in Nordspanien dort, wo einst Barcelona war. Die Verbindungen waren optimal dank der großartigen Technik der Gliesianer. Wir tauschten Tipps und Tricks aus. Dabei erfuhren wir, dass die Neusiedler in Italien einige unbekannte Tierarten entdeckt hatten und dass die Kameraden in Spanien über die Vielfalt der Blumen staunten. Die Natur hatte sich offenbar gut von den Menschen erholt. Wunderbar war auch der nächtliche Sternenhimmel, keiner von uns konnte sich daran erinnern, auf der Erde jemals so viele Sterne gesehen zu haben.

 

Nach etwa drei Wochen kam von einigen von uns der Wunsch auf, Bordeaux zu besuchen, oder vielmehr das, was davon noch übrig war. Ausgerechnet Pierre, der ursprünglich von dort stammte, weigerte sich vehement, bei dieser Besichtigung mit zu kommen. „Das würde mich nur deprimieren“, sagte er. Ich konnte das nachvollziehen und hätte auch so reagiert, wenn ich die Trümmer meiner Heimatstadt Hannover sehen müsste. Diese lag jedoch unter einem dicken Eispanzer, ebenso wie New York, wo Sarah herkam.

 

Da wir von dichten, fast undurchdringlichem Wald umgeben waren, entschlossen wir uns, dem Flusslauf als bessere Lösung zu folgen. Der Wald wäre unter Umständen gefährlich gewesen, da dort wohl möglich wilde Tiere lauerten. Die Garonne hatte ihr ursprüngliches Bett zurückerobert und floss in Kurven bis an unser Ziel. Wir konnten an den Ufern Unmengen von Waschbären beobachten, die sich fröhlich tummelten und keinerlei Scheu vor uns zeigten.

 

Als wir die ersten Ausläufer der Ruinenstadt Bordeaux erreicht hatten, waren wir doch ziemlich schockiert. So schlimm hatten wir uns das nicht vorgestellt. Kaum ein Stein stand noch auf dem anderen, ausgebrannte Häuser so weit das Auge reichte. Die Brände hatte damals niemand mehr gelöscht. Selbst vor den großen Kirchen hatte die Feuer nicht Halt gemacht. Hier würden wir keine Spuren finden, die zur Aufklärung zum Aussterben der Menschheit beitragen konnte. Doch dann entdeckten wir an der Uferpromenade einen uralten Metallkasten, in dem seinerzeit Zeitungen verkauft wurden, er war ziemlich verrostet und wurde von den Feuern verschont. Wir erkannten, dass sich noch Zeitungen darin befanden und entschlossen uns, ihn komplett mit zu nehmen und dann in unserem Domizil zu öffnen.

 

Leicht enttäuscht machten wir uns auf den Rückweg. Im Lager hatten wir spezielle Geräte und ein kleines Zelt, das hatten uns die Gliesianer vorsorglich für solche Fälle mitgegeben. Wir stellten den Kasten hinein und konnten ihn von außen mittels Handschuhe öffnen. Es war luftdicht, so dass die Zeitungen keinen Schaden nehmen konnten. Vorsichtig öffneten wir den Kasten und entnahmen den Inhalt.

 

Pierre übersetzte uns die Texte, denn unser Übersetzungschip funktionierte nur bei gesprochenen Worten, nicht bei geschriebenen. Das, was Pierre uns vorlas, erschütterte uns sehr. Die Zeitung war vom 26. August 2021. Es war eine Art Nachruf auf die Menschheit und ein Rückblick auf die Ereignisse, die zuvor geschehen waren. Anfang 2020 war ein Virus in China aufgetaucht und hatte sich nach und nach über den ganzen Erdball ausgebreitet, es war eine Pandemie. Anfangs gab es nur wenig Tote, dann immer mehr. Nach einigen Monaten wurde in Russland ein Impfstoff dagegen entwickelt, der große Hoffnung schürte. Er hatte jedoch eine fatale Wirkung und verschlimmerte die Pandemie immens. Ende des Jahres 2020 waren weltweit über die Hälfte der Menschen gestorben. Seltsamerweise erkrankten die Tiere jedoch nicht. Ende August 2021 lebten in Bordeaux nur noch 200 Menschen, auf der ganzen Welt waren es grob geschätzt 900.000.

 

Wir informierten umgehend die anderen Siedlungen und erfuhren, dass die Kollegen in Australien, in Indien und in Mexiko ähnliche Entdeckungen gemacht hatten. Der letzte Mensch starb offenbar Ende 2024. Danach gab es keine Aufzeichnungen mehr. Jetzt wussten wir, warum uns die Gliesianer damals gerettet hatten. Aus irgendeinem Grund hatten sie die Ereignisse vorher gewusst. Das war seltsam. Sie hatten zwar gesagt, dass der Virus durch einen Krieg entstanden war. Das war so nicht ganz richtig, aber das war nicht ausschlaggebend.

 

„Eins wüsste ich noch gerne, Bernhard. Warum haben die Gliesianer von uns Erdbewohnern diejenigen ausgesucht, die nicht gerade die Intelligentesten sind?“, fragte mich Sarah, als wir beide in unserem Zelt saßen, ohne das die Anderen es hörten.

„Nun, Sarah, ich habe mir folgendes überlegt: Sowohl der Virus als auch der gefährliche Impfstoff könnten von böswilligen, aber hoch intelligenten Menschen im Umlauf gebracht worden sein. Wie sagten die Gliesianer bei unserer Ankunft auf ihrem Planeten: Selig seien die, die schwach sind im Geiste. Darum wurdet Ihr auserwählt, der Zerstörung Eures Planeten zu entkommen und wurdet gerettet. Somit ist nicht zu erwarten, dass sich das noch einmal wiederholt. Von jetzt an werden wir auf der Erde auch mit den Tieren in Frieden leben!“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Bildmaterialien: www.pixabay.de
Tag der Veröffentlichung: 04.09.2020

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