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Ein bizarrer Mord

 

 

Hauptkommissar Torsten Seegers saß mit seinem Kollegen, Kommissar Berthold in der Kantine der Kripo Südharz. „Und ich sage dir, Manfred: Kein Mord geschieht ohne Grund. Irgendetwas ist immer das Motiv: Gier, Eifersucht, Existenzangst, Hass, Vertuschung eines anderen Verbrechens und so weiter!“ Berthold widersprach: „Nicht unbedingt, Torsten. Es gibt sicherlich auch Morde, die ganz ohne Grund geschehen.“

„Na, denn lass uns doch wetten, Kollege. Es geht um den nächsten Mord, der uns auf den Schreibtisch flattert. Der Verlierer gibt dem Gewinner ein Essen aus, aber nicht Pommes rot-weiß vom Imbiss! Ich denke da an das französische Restaurant, das vor Kurzem hier in Osterode eröffnet hat.“

„Abgemacht, sofern ich keine Schnecken essen muss!“

 

Die beiden Kommissare gingen in ihr Büro zurück, in dem Jörg Hohmann, der Rechtsmediziner, die Anrufe entgegengenommen hatte. „Es gibt Arbeit, Jungs. Wir haben eine neue Leiche, zumindest teilweise!“, berichtete er ihnen. Berthold hakte nach: „Teilweise? Wieso, teilweise, Jörg?“

„Nun, sie ist nicht ganz komplett. Gefunden wurde bislang nur ein linkes Bein und ein rechter Arm. Es geht nach Clausthal-Zellerfeld, in der Nähe der Technischen Universität“, antwortete der Rechtsmediziner.

 

Auf der Fahrt nach Clausthal diskutierten die drei über den neuen Fall. „Nur, weil ein Bein und ein Arm gefunden wurde, heißt das ja noch nicht, dass der ehemalige Besitzer tot ist“, warf Berthold ein. Hohmann grinste und entgegnete: „Völlig richtig, aber bislang hat niemand seine Gliedmaßen bei uns als vermisst gemeldet, wir werden sehen, was sich ergibt.“ Seegers kicherte und antwortete: „Ich musste gerade an den Sketch von Monty Python denken, den aus Ritter der Kokosnuss. Da kämpft der schwarze Ritter auch noch weiter, als nur noch der Rumpf von ihm übrig ist!“

 

Bis zur Ankunft in Clausthal hatten die drei ihre heitere Mine abgelegt, das wäre etwas unpassend bei der Zeugenbefragung gewesen. Einziger Zeuge und Finder der Leichenteile war der Hausmeister, ein dicklicher Mann mittleren Alters mit spärlichem Haaransatz. Er hieß Andreas Möller und war ziemlich aufgeregt. „Ich habe das beim Rasenmähen gefunden, erst das Bein, und gleich darauf den Arm. Zum Glück habe ich das rechtzeitig gesehen, bevor der Mäher darüber gegangen ist. Mann, oh, Mann. Wer macht nur so etwas? Ich bin völlig fertig!“, erklärte er. Der Hauptkommissar klopfte ihm auf die Schultern und sagte beruhigend: „Nun kommen Sie erst mal zu sich. Für uns ist so etwas auch nicht Alltag. Das ist nicht wie im Fernsehen, wo die Kommissare in einer kleinen bayrischen Stadt jede Woche zu einer Leiche müssen und den Mörder innerhalb einer Stunde finden. Das ist Realität. Aber nun zeigen Sie uns erst einmal die Fundstelle.“

 

Der Hausmeister führte sie ein paar Meter weiter. „Ich habe nichts angefasst, ich habe nichts angefasst!“, betonte er immer wieder. „Das ist auch gut so, guter Mann“, entgegnete der Rechtsmediziner und besah sich den Arm und das Bein. „Eines kann ich schon sagen: Die Amputationen wurden sauber und fachmännisch durchgeführt. Das war entweder ein Chirurg oder ein Metzger!“ Diese Bemerkung entsetzte den Hausmeister. „Sie müssen entschuldigen. Mein Kollege ist manchmal sehr direkt“, warf Seegers ein und blickte Hohmann böse an.

 

Die Leichenteile wurden mit einem Transporter, in dem gewöhnlicherweise ganze Leichen verbracht wurden, nach Osterode gebracht. Sie hätten auch im Handschuhfach des PKWs der Polizisten Platz gehabt, aber das war zum Einem etwas pietätlos und zum Zweiten eindeutig gegen die Dienstvorschrift.

 

Zwei Tage später wurde unweit der Clausthaler Universität auf einem Parkplatz der linke Arm gefunden und einen weiteren Tag später das rechte Bein, allerdings einen Kilometer entfernt in einem Waldstück. Hohmann hatte unterdessen ermittelt, dass das Opfer mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ unter dreißig Jahre alt war. Es wurde zunächst innerhalb Niedersachsens und denn bundesweit die Vermisstenmeldungen durchforstet, und dabei ergab sich tatsächlich ein Treffer: Der 28-jährige Mirko Glaubner aus Rheda-Wiedenbrück aus dem Regierungsbezirk Detmold wurde seit über einer Woche vermisst. Er war kein Student, sondern ein arbeitsloser Hilfsarbeiter und im Internet sehr aktiv.

 

„Der junge Mann war in skurrilen Gruppen in Facebook. Da geht es um Selbstverstümmelungen und dissoziale Persönlichkeitsstörungen sowie Borderline. Dazu kommt noch eine Kannibalismus-Gruppe. Eine krude Mischung. Lässt sich schlecht einordnen“, resümierte Seegers. „Hat er irgendetwas gepostet, dass uns weiterhilft?“, fragte Berthold. „Leider sehr viel, zu viel“, antwortete der Hauptkommissar und ergänzte: „Das wird dauern, bis wir das durchgekämmt haben. Wir wissen ja auch noch nicht hundertprozentig, ob Glaubner unser Opfer ist. Das kann auch Zufall sein.“

 

Die Zweifel an der Identität klärten sich vier Tage später. Im Oberharzer Bergwerksmuseum in Zellerfeld wurde in dem Schacht des Schaubergwerkes ein Kopf gefunden, der eindeutig der von dem jungen Mann aus Rheda-Wiedenbrück war. „Jetzt wissen wir also dass wir es tatsächlich um einen Mord handelt. Uns fehlen noch der Rumpf, der Täter und das Motiv“, stellte der Hauptkommissar fest.

 

Zahlreiche Hinweise gingen ein, per Post, per Internet und auch als Anrufe. Bei einer der Facebook-Gruppen ergab sich eine heiße Spur. Dort hatte Glaubner Kontakt zu einem älteren Mann namens Albert Zeitler aufgenommen. Er wohnte in Altenau, einem Ortsteil von Clausthal-Zellerfeld. Im Messenger hatten die beiden eifrig korrespondiert. Zum Glück konnten die Kommissare problemlos darauf zurückgreifen. „Der Datenschutz hat auch seine Grenzen“, sagte Seegers dazu.

 

Da ein konkreter Tatverdacht vorlag, gab es kein Problem für eine Hausdurchsuchung. Herr Zeitler war sichtlich überrascht, als die Polizei bei ihm auftauchte. Leugnen war zwecklos. In seinem Arbeitszimmer war der in Polyethylen eingegossene Rumpf des jungen Mannes.

 

„Damit ist der Fall geklärt“, stellte der Hauptkommissar fest, nachdem Zeitler festgenommen wurde und gestanden hatte. „Und wer von uns hat jetzt wohl unsere Wette gewonnen?“, fragte Berthold. Er stellte fest: „Das war doch eindeutig ein Mord ganz ohne Grund!“ Seegers kratzte sich am Kopf und musste zugeben: „Ein klassischer Mord mit den sonst üblichen Motiven war das nicht. Okay, ich gebe zu: Du hast gewonnen!“

 

 

 

 

 

 

 

 

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Bildmaterialien: www.wikipedia.org
Tag der Veröffentlichung: 11.08.2020

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