Friedhelm schlug missmutig die Zeitung auf. Er war sich sicher, dass er sich wieder darüber ärgern würde. Das lag nicht an dem journalistischen Inhalt, sondern an der modernen Technik. Friedhelm hatte seit seiner Lehrzeit viele Jahrzehnte als Setzer gearbeitet. Dann war vor zwanzig Jahren Schluss – er verlor seine Arbeit, weil er nicht mehr gebraucht wurde. Mit 52 Jahren wurde er arbeitslos, so wie fast alle Kollegen von seiner Zeitung.
Man hatte ihnen gesagt, dass in Zukunft alles perfekt sein würde, auch ohne Drucker und Setzer. Perfekt! Darüber konnte Friedhelm nur lachen. Wie oft bemerkte er Rechtschreib- oder Grammatikfehler in den Texten oder die Meldung war mitten im Text abgeschnitten. Früher kam so etwas nie vor. Wenn eine Seite umgebaut werden musste und der Artikel von Seite 1 auf Seite 13 verschoben wurde, weil irgendetwas Wichtiges auf der Welt passiert war, musste man den Text kürzen, wenn dort nicht genug Platz war.
Es gab früher auch keine „Hurenkinder“, also die letzte Zeile eines Absatzes, die als erste Zeile auf einer Seite oder in einer Spalte stand. Friedhelm sorgte stets für einen perfekten Randausgleich, so dass immer der Eindruck eines perfekten Randes entstand. Er war auch oft stolz, „Jungfrauen“ hergestellt zu haben, also Seiten oder jedweden Fehler.
All das war in der heutigen Zeit anscheinend nicht mehr wichtig. Am allerschlimmsten waren aber falsche Trennungen in den Texten der Zeitung, wie Friedhelm sie immer wieder entdeckte. So wurde vor ein paar Tagen der „Ko-Trainer“ des hiesigen Fußballvereins interviewt. Und was stand im Text? „Kot-Rainer“! Friedhelm hätte am liebsten seine Kaffeetasse auf den Boden geworfen, als er das lesen musste. In der gleichen Ausgabe war ein interessanter Artikel über das Leben auf der Erde vor 60 Millionen Jahren. Da wurden aus den „Ur-Insekten“ doch tatsächlich „Urin-Sekten“. Und einige Seiten weiter wurde über die alten Wohnhäuser seiner Stadt aus der Zeit des Jugendstils berichtet. Aus dem dort vorhandenem „Altbau-Charme“ wurden „Altbauch-Arme“ gemacht. Da mutierten auch die „Hof-Fensterchen“ zu sinnlosen „Hoff-Ensterchen“.
Als Friedhelm dann die aktuelle Ausgabe seiner Tageszeitung durchblätterte, fand er einen wunderschönen Bericht über die Fauna und Flora des Landkreises. Und da war es wieder! Aus der dort beschriebenen „Rot-Zeder“ wurde eine „Rotz-Eder“. Das daneben stehende Foto klärte zwar auf, was gemeint war, aber das machte es nicht besser. Und in den Zedern nisteten laut dem Artikel ein „Zwergel-Stern“, wobei es doch klipp und klar „Zwerg-Elstern“ waren.
Friedhelm hatte genug gesehen und gelesen. Er bekam Hunger und ging zur Speisekammer. Dort fand er eine Dose Brathering. Der ganze Ärger über die falschen Trennungen hatte ihn so aufgewühlt, dass er auch dieses Wort falsch las. Er trennte es nicht falsch, aber ihm fiel auf, dass man es auch englisch aussprechen konnte, also „Bressering“. Ihm verging der Appetit auf dem Fisch und er haute sich stattdessen ein Spiegelei in die Pfanne. Spiege-Lei dachte er, wurde noch wütender und warf das Ei in den Müll. Schließlich aß er eine Banane, einen Apfel und eine Birne. Da konnte man nun wirklich keinen Fehler hineinbringen.
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Tag der Veröffentlichung: 01.08.2020
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