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Das Projekt da Vinci

 

 

 

Es war ein schöner Frühlingstag, als ich zur Arbeit fuhr. Heute hatte Sarah Geburtstag. Ich hatte ihr einen Strauß echter Blumen besorgt, keine aus dem Generator. Das hatte sie bei meinem Geburtstag auch getan. Ich wusste, dass Sarah an diesem Tag die Ehre hatte, unser Ziel aus der Liste für die Zeitreisen auszusuchen, und war gespannt, was sie wählen würde.

 

Als ich das Büro betrat, sah ich auf dem Besprechungstisch einige rot-weiß-grüne Fähnchen sowie eine Torte mit dem Konterfei einer Frau, die mir irgendwie bekannt vorkam. Das konnten Hinweise auf unser Ziel sein. Ich verkniff mir, das zu hinterfragen und umarmte stattdessen Sarah. „Herzlichen Glückwunsch zu deinem Geburtstag, liebe Sarah“, sagte ich und drückte meine Kollegin.

 

„Gib zu, du hast als erstes auf die Torte geguckt“, frotzelte Sarah und lächelte dabei. Ich wiegelte ab und antwortete: „Keineswegs, aber schön ist sie, die Torte. Und lass mich raten, unser Ziel ist heute Irland!“ Sarah runzelte die Stirn und entgegnete: „Nein, Sebastian. Die Fähnchen sind rot-weiß-grün und nicht rot-weiß-orange. Und was sagt dir das Bild auf dem Kuchen?“ Während ich noch überlegte, half Vladimir aus: „Wir hätten auch Pizza oder Nudeln auf den Tisch legen können oder ein Foto des Louvre.“ Ich war immer noch ratlos. Daher riefen Sarah und Vladimir fast gleichzeitig: „Leonardo da Vinci!“

 

Es ging also nach Italien und ins 15. Jahrhundert. „Das Universalgenie hatte von 1452 bis 1519 gelebt. Er war Maler, Bildhauer, Architekt, Anatom, Mechaniker, Ingenieur und Naturphilosoph. Leonardo war seiner Zeit weit voraus, was seine Erfinfungen angeht. Aber heute wollen wir uns mit ihm als Künstler beschäftigen“, erklärte Sarah. Das war sehr beeindruckend für mich. Nach kurzer Diskussion entschieden wir uns ins Jahr 1472 nach Florenz zu reisen. Damals war Leonardo bei Verrochio in der Lehre, seinerzeit einer der berühmtesten Bildhauer. Wir starteten die Flugmaschine, die sich majestätisch in die Lüfte erhob und gen Süden flog. Bis sie ihr Ziel erreicht hatte, widmeten wir uns Sarahs Geburtstagstorte. Diese war wirklich köstlich. Nachdem wir uns mit der Torte gestärkt hatten, und die Flugmaschine ihr örtliches Ziel erreicht hatten, versetzten wir sie in das gewünschte Jahr.

 

Gespannt betrachten wir den 4D-Projektor. „Florenz war seinerzeit eine prächtige, bedeutende Stadt und dank der Familie Medici zum Handels- und Finanzzentrum geworden. Allzu groß war der Ort – wie damals üblich – aber nicht, es würde nicht allzu schwer sein, Leonardo bzw. seinen Lehrmeister Verrochio ausfindig zu machen“, berichtete Sarah und Vladimir nickte. Und tatsächlich: Die Irin sollte Recht behalten. Schon nach kurzer Zeit entdeckten wir Leonardo. Er stand vor einem kleinen Haus und bearbeitete gerade eine Statue, Meister Verrochio beobachtete ihn kritisch.

 

„Wir können froh sein, dass unsere Maschine nur Bilder und Geräusche überträgt, aber keine Gerüche!“, bemerkte Sarah. Vladimir ergänzte: „Das stimmt. Die hygienischen Bedingungen waren damals katastrophal.“ Ich sagte: „Besonders spannend ist das hier aber gerade nicht. Eher langweilig.“

„Du hast vollkommen Recht, Sebastian. Lasst uns woanders hinfliegen“, antwortete Sarah. Vladimir stimmte zu und daher entschieden wir, die Entstehung des berühmten Bildes der Mona Lisa zu beobachten, das in den Jahren 1502 bis 1506 entstand, auch in Florenz, aber in Leonardos eigener Werkstatt. „Das ist das Bild, das die Torte zierte“, erklärte Sarah. Sie ergänzte: „Das ist übrigens ein Übersetzungsfehler. Mona ist gar kein Vorname, sondern heißt auf italienisch einfach Frau. Wie auch immer, das Bild ist faszinierend. Leider wissen wir nicht genau, wann es fertig wurde. Aber das werden wir hoffentlich heute herausfinden. Er soll vier Jahre an diesem winzigen Bild gemalt haben und dabei Musik gehört haben. Eine gewisse Monna Lisa del Giocondo soll ihm Modell gesessen haben.“

 

Wir blieben also in der Stadt, wechselten aber die Zeit. Das Wohnhaus von Leonardo entdeckten wir recht schnell. Zum Glück hatte er das Fenster geöffnet, er stand neben seiner Staffel, ein halbfertiges Bild war zu sehen. Vor ihm saß die Dame, die ihn als Vorbild diente. Ein Geiger stand daneben und spielte wunderbare Melodien. Leonardo sah unzufrieden aus. Im Hintergrund lagen mehrere verworfene Gemälde.

 

„Wir müssen etwas tun und sollten eingreifen“, sagte Vladimir. Sarah nickte und antwortete: „Das haben wir nicht zum ersten Mal getan.“ Ich ergänzte: „Schade, dass wir die Torte schon verputzt haben. Sonst könnten wir ihm diese als Vorlage senden!“ Vladimir entgegnete: „Keine schlechte Idee, Sebastian. Sarah hat doch bestimmt noch das Bild auf ihrem Computer, das ihr als Entwurf diente, oder?“ Die Irin stimmte zu: „Ganz genau. Das könnten wir ausdrucken!“

 

In diesem Moment klingelte das Telefon. Vladimir und Sarah wurden zum Rapport beim Chef bestellt. Da es wohl länger dauern würde, ging ich zu Sarahs Computer. Dort entdeckte ich gleich zwei Bilder von der Mona Lisa. Auf dem einen hatte sie einen Kussmund, auf dem anderen nicht. Ich entschied mich spontan für das erste, druckte es aus und wickelte es in Pergamentpapier, das bei uns für solche Fälle immer parat lag.

 

Kurz darauf trafen meine beiden Kollegen wieder ein. „Ich habe schon alles erledigt“, berichtete ich. „Prima, denn können es ja zu Leonardo schicken“, antwortete Sarah und begab sich zum Teleporter, wenige Sekunden später materialisierte sich die Rolle mit dem ausgedruckten Mona-Lisa-Bild vor Leonardos offenem Fenster und fiel ihm direkt vor die Füße. Er bückte sich und öffnete die Rolle. Leonardo war überrascht und entzückt zugleich. Er rief etwas, was wir nicht verstanden. Dann hielt er das Bild hoch und meine beiden Kollegen sahen, was wir da teleportiert hatten.

 

„Das darf doch wohl nicht wahr sein“, rief Sarah verärgert und Vladimir ergänzte sarkastisch: „Das hast du ja mal wieder ganz toll gemacht, Sebastian!“ In diesem Moment war mir klar, dass ich mal wieder einen Fehler gemacht hatte. Leonardo war von dem Bild aber begeistert und so geschah es, dass sein berühmtestes Werk nicht mit einem geheimnisvollen Lächeln sondern mit einem Kussmund weltweit bekannt wurde. Auch damit war er seiner Zeit weit voraus.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Bildmaterialien: www.wikipedia.org
Tag der Veröffentlichung: 24.06.2020

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