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Norberts Nadelshow

 

 

Norbert Hundertmark betrachtete mit Sorge die Einschaltquoten. Diese gefielen ihm gar nicht. Als Programmchef von TELE 12, dem einst erfolgreichsten Privatsender Deutschlands, musste er unbedingt eingreifen. Die „Flip-Flop-Show“ seines Senders riss keinem mehr vom Hocker. Knapp sieben Jahre lang war diese die beliebteste Unterhaltungssendung im deutschen Fernsehen. Doch die Zeiten waren offenbar vorbei.

 

Norbert rief Lars Steinke zu sich, der damals die Idee zu „Flip Flop“ hatte. Vielleicht fiel ihm ja etwas Neues, Innovatives ein. Nathalie Hollmann begleitete ihn. Ihr war seinerzeit der Titel der Show eingefallen. Die beiden waren die eifrigsten Mitarbeiter von TELE 12, Norbert schätzte die beiden sehr.

 

Nachdem Norbert die Sachlage erörtert hatte, äußerte sich Lars: „Ich habe tatsächlich eine neue Idee. Eine Show, wie es sie noch nie gab. Der Arbeitstitel lautet: Die Nadel im Heuhaufen“. Norbert sah ihn verständnislos an und fragte nach: „Wie soll das ablaufen? Und meinst du, dass das wirklich Leute anlockt? Für mich klingt das eher langweilig!“

 

Lars räusperte sich und antwortete dann: „Ich habe mir das so vorgestellt: Es treten sechs Kandidaten gegeneinander an, die die Aufgabe haben, die Nadel im Heuhaufen zu suchen. Das Ganze ist also wörtlich zu nehmen. Dabei geht es um die Zeit, der Schnellste gewinnt. Es gibt insgesamt fünf Runden. Entweder wird von Runde zu Runde die Nadel kleiner oder der Heuhaufen größer. Das müsste man mal austesten.“

 

„Also richtig vom Hocker reißt mich das nicht. Aber anderseits produziert die Konkurrenz auch jede Menge Mist, der trotzdem geguckt wird“, meinte Norbert. Lars griff den Faden auf: „Mist ist ein gutes Stichwort. Statt Heu könnte man ja auch Mist nehmen oder irgendetwas anderes Ekliges.“

 

Nach zehn Sekunden Schweigen sagte Norbert: „Das klingt schon besser. Die Idee beginnt mir zu gefallen. Nathalie, was sagst du dazu? Und fällt dir ein besserer Titel ein?“ Nathalie nickte und meinte: „Ich denke, daraus könnte man etwas machen. Und mein Titelvorschlag ist: Nadel verpflichtet.“ Norbert applaudierte und entgegnete: „Super, dann machen wir das so. Das ist gebongt. Beginnen wir mit den Vorbereitungen!“

 

Es wurden Ideen gesammelt, aufgelistet und zum Teil wieder verworfen. Der Vorschlag von Lars mit den verschiedenen Haufensorten fand großen Zuspruch. Haufen gab es schließlich für vieles: Außer Mist und Heu konnte man auch Laub, Kartoffeln, Sand, Äpfel oder Holz anhäufen.

 

TELE 12 schaltete Anzeigen in allen großen Tageszeitungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Darauf gingen tausende von Bewerbungen ein. Sie wurden nach Originalität sortiert und auch die Optik der Bewerber spielte eine große Rolle. Es verblieben 48 Männer und Frauen, die nach Hamburg, dem Sitz von TELE 12, für das Casting eingeladen wurden. Davon blieben sechs übrig, die für die erste Ausgabe von Nadel verpflichtet als Kandidaten an den Start gehen sollten.

 

Die Moderation übernahm wieder der bekannte Schlagerstar Bernd Sonnenberg, der zuvor schon die Flip-Flop-Show präsentiert hatte. Das geschah auf ausdrücklichen Wunsch von Norbert. Er genoss immer noch sein allergrößtes Vertrauen. Bernd freute sich sehr auf diese neue Aufgabe.

 

Die Sendung lief am 05.03.2020 zur allerbesten Sendezeit. Zu Beginn erklärte Bernd kurz die Spielregeln. Es gab fünf Spielrunden. Per Zufallsgenerator wurden aus den sieben Haufen-Möglichkeiten (Mist, Heu, Laub, Kartoffeln, Sand, Äpfel, Holz) eine ausgewählt und danach die Nadelart (Stecknadel, Häkelnadel, Injektionsnadel, Stopfnadel, Stricknadel, Sicherheitsnadel, Akupunkturnadel). Es gab also zahlreiche Varianten.

 

In jeder Runde schied derjenige aus, der am langsamsten war. Dem Sieger winkte ein Gewinn von 100.000 Euro. In den Umbaupausen zwischen den Runden sollte es Showeinlagen mit verschiedenen Musikrichtungen geben.

 

Dann ging es los. In der erste Runde musste eine Stricknadel in einem Laubhaufen gesucht werden. Sybille aus Wuppertal fand sie schon nach knapp fünf Minuten. Nach weiteren vier Minuten waren nur noch Claudia aus Brunsbüttel und Axel aus Karlsruhe im Rennen. Die Höchstspielzeit von elf Minuten war fast erreicht. Kurz davor hatte Claudia Glück und fand ihre Nadel. Axel schied aus und bekam als Trostpreis einen Warengutschein des Hauptsponsors im Wert von fünfzig Euro.

 

„Das war doch schon sehr spannend, meine Damen und Herren. Und jetzt ist hier für Sie: Smokie mit Needles and Pins!“, sagte Bernd. Er war mit der Show zufrieden, das Publikum im Saal auch. Auch Norbert gefiel das, was er sah.

 

In der zweiten Runde musste eine Häkelnadel in einem Sandhaufen gefunden werden. Peter aus Gotha schied aus, sein Warengutschein betrug zweihundert Euro. Sybille war erneut die Schnellste. Danach trat Naddel el Farrag mit Sun of Mallorca auf.

 

Die dritte Runde stand an. Der Zufallsgenerator blieb auf Mist stehen, zur großen Freude des Publikums. Darauf hatten alle gewartet, nicht jedoch die Kandidaten, die darauf nicht vorbereitet waren. Das hatte ihnen keiner zuvor gesagt. Es kam zum Eklat. Geschlossen weigerten sich alle, da mitzumachen, und verließen die Show. Bernd war zwar Profi, aber damit hatte er nicht gerechnet. Er stammelte eine Entschuldigung, die Sendung wurde abgebrochen.

 

In der Presse wurde das Ganze groß aufgebauscht. Die Block-Zeitung titelte: Der größte Mist im deutschen Fernsehen. Tagelang wurde in allen Medien ausführlich darüber berichtet. Der Mitschnitt der Show wurde ein Riesenhit im Internet. So geschah es, dass sich TELE 12 wieder ins Gespräch brachte und die Einschaltquoten des Senders stark stiegen.

 

„Manchmal liegt doch etwas Gutes im Bösen“, resümierte Norbert Hundertmark. Der Sender konnte sich vor Bewerbungen für weitere Ausgaben der Show gar nicht retten, offenbar gab es genug Leute, die jeden Mist mitmachen wollten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Bildmaterialien: www.german.stackexchange.com
Tag der Veröffentlichung: 06.05.2020

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