Es war vor langer, langer Zeit, als die Berge noch wuchsen und die Menschen noch an Magie glaubten. Im kleinen Land Kurkumanien, das von der gütigen Königin Safranita regiert wurde, war der Frühling eingezogen. Die Bäume zeigten zartes Grün, und einige von ihnen blühten schon. Das Osterfest näherte sich. Es sollte in diesem Jahr besonders festlich begangen werden, da die Königin ein Kind unter ihrem Herzen trug.
Der königliche Koch sprach bei Safranita vor, um mit ihr das Menü für das Festmahl zu besprechen. Er hatte sich einige köstliche Rezepte dafür erdacht und trug die Vorschläge für die Speisen, die serviert werden sollten, mit Stolz vor: „Und als Hauptgang, verehrte Königin, hatte ich ein vorzügliches Osterlamm vorgesehen. Es ist jung und zart und das Fleisch…“
„Schweig!“, unterbrach die Königin den Koch, der davon überrascht wurde.
„Habe ich etwas falsch gemacht, Eure Hoheit?“, fragte er mit ängstlicher Stimme. „Allerdings“, antwortete Safranita und ergänzte: „Du weißt doch, dass ich möchte, dass in meinem Königreich alle Tiere glücklich sind. Wie kann ein Lamm glücklich sein, wenn es geschlachtet und verspeist wird?“
Der Koch räusperte sich und sagte dann: „Verehrte Königin. Das ist doch etwas anderes, als wenn es sich um Eichhörnchen oder Füchse handelt. Lämmer sind dafür gedacht, dass man sie isst, ebenso wie Schweine oder Rinder.“
Safranita wurde wütend und sagte: „Das reicht! Ich lasse dich in Ketten legen, wenn du weiterhin so einen Unsinn redest. Ab sofort wird in meinem Palast kein einziges Tier mehr geschlachtet und gegessen. Hast du mich verstanden?“
Der Koch nickte und zog sich unterwürfig zurück. Die Königin nahm das zur Kenntnis und sprach zu Peter, ihrem Gemahl: „Ich werde mich jetzt in den königlichen Garten begeben und mir das Lamm ansehen, das dieser Unmensch schlachten wollte. Kommst du mit?“ Peter schüttelte den Kopf und antwortete: „Ich folge später, liebste Safranita. Hab solange Geduld.“
Als ehemaliger Küchenjunge konnte Peter durchaus verstehen, wie es dem Koch erging. Peter aß selbst gerne Fleisch und ihm hätte das Lamm wohl gemundet. Andererseits verstand er auch, was im Kopf seiner Gemahlin vorging. Sie war nicht nur gütig, sondern auch sehr tierlieb.
Peter begab sich in die Küche des Palastes, um mit dem Koch zu sprechen. Dieser saß dort verzweifelt auf einem Stuhl und schluchzte. Peter nahm sich einen anderen Stuhl und setzte sich neben den Koch. „Es ist so furchtbar. Was soll ich jetzt machen? Jahrelang hat der Königin mein Essen geschmeckt. Sie hat mit Freude Schnitzel, Hähnchen und Rinderbraten gegessen. Und jetzt soll ich auf einmal nur noch Obst und Gemüse servieren. Das ist doch Kaninchenfutter!“, sagte er.
Peter legte seine Hand auf die Schulter des Kochs. Er mochte ihn, er war von ihm immer gut behandelt worden. Peter sprach: „Wir könnten Rogenda, die Witwe des hoch verehrten, verstorbenen Königs befragen. Sie weiß sicherlich Rat oder kann dank ihrer weißen Magie mit einem Zauber etwas bewirken!“
„Das ist eine hervorragende Idee, Peter. Das werden wir sogleich tun.“
Safranita weilte unterdessen im königlichem Garten. Ganz hinten neben dem Lorbeerbaum erblickte sie das Lamm, das dort friedlich graste und nichts von den Absichten des Kochs ahnte. Ganz langsam und vorsichtig näherte sich Safranita dem kleinen Schaf. Es rührte sich nicht von der Stelle. Als Safranita das Lamm am Rücken streichelte, blickte es auf und sah die Königin an. Es war ein liebevoller Blick. Die Königin flüsterte ihm ins Ohr: „Niemand wird dir ein Leid tun. Dafür sorge ich. Ich nenne dich von nun an Cora.“ Das kleine Schaf mähte zur Bestätigung, offenbar gefiel ihm der Name.
Die weise Rogenda blickte in ihre Kristallkugel, nachdem Peter und der Koch ihr geschildert hatten, was passiert war. Dann sprach die gütige Hexe: „Nun, ich sehe, dass es in einem fernen Land einen Baum gibt, dessen Früchte so schmecken wie Fleisch. Ich könnte einen dieser Bäume herbeizaubern und wir könnten ihn in den königliche Garten pflanzen.“ Peter und der Koch waren davon begeistert.
Gleich darauf hatte Rogenda einen Baum herbeigezaubert. Er trug große rosafarbene Früchte und war riesig hoch, weit höher als der größte Mann in Kurkumanien. Der Koch pflückte zwei der Früchte und begab sich damit in seine Küche. Er schälte sie und briet sie sodann. Ein köstlicher Duft breitete sich aus. „Probiert“, sagte der Koch zu Peter, nachdem er damit fertig war.
Peter kostete und war von dem Geschmack angetan. Entzückt rief er: „Das wird Safranita auch munden. Da bin ich mir sicher!“ Die Königin hatte unterdessen die Küche betreten, angelockt von dem Duft der Speise. „Was wird mir munden? Und was ist das für ein wunderbarer Geruch?“, fragte sie. Der Koch füllte etwas von den gebratenen Früchten auf einen Teller und reichte diesen der jungen Königin. „Es ist kein Fleisch, verehrte Safranita“, erklärte er. Vorsichtig probierte die Königin davon und zeigte sich zufrieden. „Das ist fürwahr eine köstliche Speise. Sie ist einer Königin würdig“, sagte sie.
So geschah, dass das Lamm zum Osterfest verschont blieb und stattdessen die gebratenen Früchte serviert wurden. Alle waren glücklich und zufrieden. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben Safranita, Peter, Cora und Rogenda noch heute.
Bildmaterialien: Manuela Schauten
Tag der Veröffentlichung: 03.04.2020
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