Nachdem meine Firma, eine uralte Fahrradfabrik, am 18. Juli 2005, plötzlich und völlig unerwartet in Insolvenz ging und ich – ebenso wie meine Kollegen – meinen Arbeitsplatz verlor, waren wir völlig verzweifelt. Seit fast einhundert Jahren bestand die Firma, ein Jahr später wäre das große Firmenjubiläum gewesen. Nun war alles aus.
Montana war ein angesehenes Unternehmen und lieferte Qualitätsprodukte. Aber die waren scheinbar nicht mehr gefragt. Die Leute wollten nur den billigen Schrott aus Fernost kaufen. Die Familie Bergmüller als Besitzer der Fabrik war hier in Dannenberg im schönen Wendland im östlichen Niedersachsen hoch angesehen. Der Seniorchef, Arthur Bergmüller, der Enkel des Firmengründers Kurt Burgmüller, war vor drei Jahren gestorben. Sein Sohn, Felix Burgmüller, übernahm die Firma. Wir merkten aber sehr schnell, dass dieser wenig kaufmännisches Geschick hatte. Er war auch beratungsresistent. Dennoch hofften wir immer noch, dass er die Kurve kriegen würde. Doch leider kam es anders.
Wir trafen uns zwei Tage, nachdem die Pleite öffentlich bekannt wurde, mit der gesamten Belegschaft in der Dannenberger Stadthalle. Es kam der Vorschlag auf, dass wir Mitarbeiter das Werk übernehmen sollten. So etwas hatte es woanders schon öfters gegeben. Ein Kollege hatte dann noch die brillante Idee, E-Bikes in die Produktion aufzunehmen. Damals gab es dafür nur wenige Hersteller, die Akkus waren seinerzeit zudem zu schwer, was die Räder wenig schick aussehen ließ. Der besagte Kollege hatte aber gelesen, dass es neuartige Lithium-Akkus geben würde, die erheblich leichter waren, was sich positiv auf die Optik der Räder auswirkte.
Die Kollegen waren von der Idee begeistert. Schon am nächsten Tag nahmen wir Gespräche mit dem Insolvenzverwalter auf, der unser Konzept für machbar und erfolgversprechend hielt. Die Firma, die bisher eine GmbH war, musste in eine Genossenschaft umgewandelt werden. Jeder Mitarbeiter konnte und sollte dazu Anteile kaufen und entsprechend an dem Gewinn beteiligt werden. Nahezu einstimmig nahm die Belegschaft das Ganze auf, es gab nur wenige Skeptiker. Die hiesige Tageszeitung titelte: Ein Licht am Ende des Tunnels. Auch das Fernsehen wurde auf uns aufmerksam und berichtete ausführlich. Das half der Firma ungemein. Die Nachfrage nach unseren Rädern und speziell den E-Bikes war immens, wir kamen kaum mit der Produktion nach.
Im April 2006 konnte das hundertjährige Jubiläum gefeiert werden. Wir hatten unterdessen wieder Leute eingestellt, was ein Jahr zuvor noch undenkbar war. Von Felix Bergmüller hatten wir monatelang nichts gehört und gesehen. Dann kreuzte er unvermittelt auf der Feier auf und machte blöde Bemerkungen. Das kam gar nicht gut an. Er wurde höflich aber eindringlich der Veranstaltung verwiesen.
Im Oktober 2009 war ich damit beauftragt worden, eine neue Werbekampagne für Montana zu starten. Vor allem fehlten ein schlagkräftiger Slogan und ein guter Werbeträger. Es ging unserer Firma mittlerweile zwar sehr gut, aber es konnte ja noch besser werden. Um auf Inspirationen zu kommen, schaltete ich das Radio an. Der Moderator kündigte den neuesten Song von Xavier Naidoo an. Diesen Künstler hatte ich bis dahin wenig beachtet, weder im positiven noch im negativen Sinn. Doch dieses Lied von ihm gefiel mir ungemein. Es hieß Alles kann besser werden. Das passte doch hundertprozentig! In dem Song hieß es:
Alles kann besser werden
Holen wir uns den Himmel auf Erden
Alles soll besser werden
Holen wir uns den Himmel auf Erden
Alles wird besser werden
Wir holen uns den Himmel auf Erden
Und keiner muss sein Leben mehr gefährden
Einer der kostbarsten Schätze auf Erden
Mit Alles kann besser werden hatten wir DEN Werbespruch gefunden. Ich kontaktierte sofort das Management des Künstlers, um uns die Verwertungsrechte zu sichern. Dort zeigte man sich sehr kooperativ und ließ durchblicken, dass Xavier Naidoo auch für Werbespots und -plakate zu Verfügung stehen würde. Die Werbung wurde ein voller Erfolg und auch das Lied verkaufte sich sehr gut.
Fünf Jahre ging alles gut, bis unser Werbeträger am 03. Oktober 2014, dem Tag der Deutschen Einheit in Berlin bei einer Veranstaltung der Reichsbürgerbewegung auftrat und dort merkwürdige politische Äußerungen machte. Das gefiel uns gar nicht. Wir nahmen dazu Stellung und erklärten, dass er radikal libertäre, anti-staatliche Positionen vertritt, mit denen wir uns als Firma in keiner Weise identifizieren können. Wenige Tage später wurde er interviewt. In einer Sendung eines privaten Fernsehsenders rechtfertigte er seine Aussagen und machte sich außerdem über unsere Produkte lustig. Das konnten wir nicht hinnehmen. Wir kündigten den Werbevertrag fristlos.
Auch ohne diesen Künstler hatten wir weiterhin Erfolg. Jeder wollte unsere E-Bikes haben und wir wurden der zweitgrößte deutsche Hersteller davon. Auch ins Ausland exportierten wir unsere Räder, insbesondere in Österreich, der Schweiz und den Niederlanden verkauften sie sich ausgezeichnet.
Seit nunmehr fast fünfzehn Jahren ist Montana eine Genossenschaft und hat uns Anteilseignern jedes Jahr eine beachtliche Dividende ausgezahlt. Darauf können wir stolz sein. Noch besser kann es kaum werden.
Bildmaterialien: www.offenbach.de
Tag der Veröffentlichung: 31.03.2020
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