Cover

Alles wird gut

 

 

Fünf Jahre ist es her, dass Sebastian zunächst ein schreckliches Erlebnis hatte, das sich am Ende doch ins Positive entwickelte. Seine Freundin Stefanie starb bei einem Autounfall. Sie saß selber am Steuer, Sebastian war der Beifahrer. Sie hatte gerade erst zwei Monate zuvor den Führerschein gemacht, und war noch sehr unsicher beim Fahren, ganz besonders nachts und bei Regen. Da Sebastian zu viel getrunken hatte, hatte er seiner Freundin das Steuer überlassen, er selbst erlitt als Beifahrer nur leichte Verletzungen.

 

Fortan verfiel er in Depressionen und war voller Selbstvorwürfe. Doch dann kam die Wende: Er lernte Melanie kennen, die Stefanie frappierend ähnelte. Auch sie war ziemlich klein, leicht untersetzt und hatte lange, blonde, lockige Haare.

 

Bei einem sozialen Projekt für obdachlose Kinder und Jugendliche kamen sie sich näher und verliebten sich. Sie wurden ein Paar und heirateten ein Jahr später. Ein weiteres Jahr später wurden Zwillinge geboren.

 

Sie waren die glücklichsten Menschen der Welt bis zu jenem Tag, als Melanie die furchtbare Diagnose erhielt: Sie hatte Brustkrebs. Für beide brach eine Welt zusammen, aus der lebensfrohen Melanie wurde eine depressive Frau, die sich völlig abkapselte. Arbeiten konnte sie nicht mehr. Auch Sebastian verfiel wieder in alte Gedankenmuster und Verhaltensweisen. Die beiden Kinder kamen vorübergehend zu Melanies Schwester, es ging nicht anders.

 

Norbert und Florian, Sebastians beste Freunde, konnten das nicht länger mitansehen. Sie machten sich auf den Weg nach Stöcken, wo Sebastian mit seiner Familie wohnte. Melanie ging es gar nicht gut, sie hatte starke Medikamente genommen. Sebastian aber wurde dazu überredet, auf eine Kneipentour durch Hannovers Alt- und Innenstadt mit zu kommen.

 

Sie fuhren mit der Stadtbahn bis zur Station Steintor, die in der Stadtmitte lag. „Wenn wir schon am Steintor sind, beginnen wir doch in der Steintorquelle!“, schlug Norbert vor. Florian war sofort Feuer und Flamme, Sebastian war das mehr oder weniger egal. Große Lust dazu hatte er immer noch nicht.

 

„Da war ich mindestens fünfzehn Jahre nicht mehr“, stellte Sebastian fest, als die drei vor der Kneipe standen. „Das hat sich seitdem mächtig verändert. Die haben gründlich renoviert“, erklärte Norbert. Nachdem sie drin waren, war Sebastian beeindruckt. In der Tat sah es drinnen wesentlich gediegener aus, als er es in Erinnerung hatte. Besonders gefiel ihm die Musikbox, die am Treppenabgang, wo es zu den Toiletten ging, stand.

 

Norbert orderte drei Bier und setzte sich mit Florian an den Tresen. Dort war noch reichlich Platz, jetzt am frühen Abend war wenig Betrieb. Sebastian begab sich zur Musikbox und betrachtete die angebotenen CDs. Es waren nicht nur neue dabei, sondern auch viele Oldies. Eine Scheibe sprach ihn sofort an: Alles ist gut von Doro Pesch. Er warf fünfzig Cent ein und drückte die entsprechende Nummer. Die ersten Takte erklangen:

 

Alles ist gut
Es wird schon immer irgendwie weitergehen
Alles ist gut
Wir werden nur nicht alle überleben
Was wird so sein, wenn ich jetzt geh
Werd ich Dich jemals lebend wiederseh'n

 

Sebastian lief ein Schauer über den Rücken. Wie schon damals, nach Stefanies Tod als er das Stück von John Leyton, das Johnny Remember Me hieß, fand, hatte er durch Zufall ein weiteres Musikstück gefunden, welches genau seine Situation beschrieb. Sebastian brach in Tränen aus.

 

Die Bardame guckte verwundert und fragte Norbert und Florian: „Was hat Euer Freund?“ In wenigen Worten beschrieb Norbert, das was geschehen war. Anke, so hieß die Bedienung, schluckte zunächst einmal. Dann bat sie Sebastian, sich auch an den Tresen zu setzen.

 

Anke erzählte: „Weißt du, Sebastian, ich kann sehr gut verstehen, wie es dir und deiner Frau geht. Ich stand vor drei Jahren genau vor der gleichen Situation. Auch bei mir wurde Brustkrebs entdeckt, zum Glück rechtzeitig. Es war gutartig und ich habe es überstanden. Nicht nur körperlich, auch von der Psyche her. Dabei hat mir eine Therapiegruppe sehr geholfen. Dort treffen sich Betroffene und ihre Angehörigen. Ich gehe immer noch dahin, um mit den Leuten zu reden. Gegenseitige Unterstützung ist wichtig. Wenn du und Melanie daran Interesse haben: Wir treffen uns jeden zweiten Dienstag im Freizeitheim Döhren.“

 

Sebastian war daran sehr interessiert und er rief sofort Melanie an. Diese sträubte sich zunächst, doch als sie mit Anke telefoniert hatte, ließ sie sich überreden, zumindest einmal bei der Therapiegruppe hineinzuschnuppern. Dann erinnerte Sebastian seine Frau an den Spruch von Jean La Fontaine, den er bei ihrem Kennenlernen zitiert hatte: Man muss sich gegenseitig helfen, das ist ein Naturgesetz.

 

Schon zum nächsten Treffen der Therapiegruppe gingen Sebastian und Melanie hin. Sie wurden dort freundlich aufgenommen. Die Gespräche dort halfen Melanie ungemein. Zu Hause hörten sie nun oft das Lied von Doro Pesch. Dort heißt es weiter:

 

Alles wird gut
Es wird schon immer irgendwie weitergehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Bildmaterialien: www.catawiki.de
Tag der Veröffentlichung: 04.03.2020

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /