Dieter Thomas Heck war glücklich. Gleich stand die aktuelle Ausgabe der „Hitparade im Himmel“ an, der beliebtesten Sendung im ZHF, dem Zweiten Himmlischen Fernsehen. Er hatte wieder illustre Gäste eingeladen. Die Sendung wurde wöchentlich aus einem Studio im Himmel über Berlin ausgestrahlt.
Heck blickte auf die Klappzahlen-Uhr. Sie war eigentlich überflüssig, da es im Jenseits keine Zeit gab, aber er hatte ausdrücklich darauf bestanden. Es erinnerte ihn an früher, als er noch unter den Lebenden weilte. Das war ein echtes „Déjà vu“- Erlebnis. Wobei Erlebnis nicht korrekt war, denn Heck und alle seiner Stargäste sowie auch das gesamte Publikum im Studio waren schon verstorben.
Die Sendung stand ausschließlich für den deutschsprachigen Schlager, dieser moderne Firlefanz, der später in die irdische Hitparade einzog, hatte hier keinen Boden. Dafür hatte Heck gesorgt, als ihm die himmlische Ausgabe dieser Sendung übertragen wurde. Schon gar nicht wurde hier englisch gesungen. Und es gab auch kein Voll-Playback, nur die Musik kam vom Band. Es war auch wirklich noch ein Tonband, kein neumodischer Tonträger. Alles war so wie früher in den siebziger und achtziger Jahren. So sah auch das Studio aus. Jetzt war es soweit. Die Sendung sollte beginnen. Zunächst wurden die fünf Titel gespielt, die in der letzten Ausgabe die meisten Stimmen bekommen hatten, danach gab es sechs Neuvorstellungen.
Heck begrüßte die Zuschauer an den himmlischen Fernsehgeräten: „Guten Abend. Hier ist Berlin, der Himmel über Berlin. Sie sehen die 122. Ausgabe der deutschen Hitparade. Das Ganze ist – wie immer – eine Sendung Ihres ZHF.“ Danach schwenkte die Kamera auf das vorwiegend ältere Publikum und dann auf den ersten Stargast, der mittendrin saß. Es war Roy Black, der gut gelaunt war und blendend aussah. Wie gut, dass im Jenseits jeder so aussah, wie zu seinen besten Lebzeiten und nicht wie kurz vor seinem Tod.
Heck sagte: „Hier ist Ihre Startnummer Eins. Auf Platz fünf: Roy, der Black, mit seinem Titel Ich denk‘ an Dich. Roy ist zum dritten Mal dabei, bitte nicht wiederwählen!“ Roy Black hielt sein Mikrofon hoch und trällerte sein Lied. Es war ein richtiger Schmachtfetzen, ein Lied zum Träumen. Entsprechend begeistert waren die Damen und Herren im Saal.
Es folgte auf Platz vier Rex Gildo mit Fiesta Mexicana. Das war fetzig, das Publikum klatschte im Takt mit, als ob sie wieder jung und lebendig wären. Rex Gildo war das zweite Mal mit diesem Stück dabei, man konnte ihn noch wiederwählen.
„Nun, meine Damen und Herren, die Top 3 unserer heutigen Hitparade. Zunächst die Startnummer Drei. Auf Platz drei hat sich Jürgen Marcus platziert. Der Jürgen ist ja noch nicht lange hier im Himmel. Er hat es letztes Mal geschafft mit Ein Lied zieht hinaus in die Welt gleich bei seinem ersten himmlischen Auftritt von Ihnen gewählt zu werden, meine Damen und Herren. Jürgen, leg los, Reiner, fahr das Band ab!“, rief Heck begeistert und gab das Startzeichen.
Jürgen Marcus legte los und brachte das Publikum zum Rasen. Ganz besonders enthusiastisch war die Hitparaden-Oma, die in der ersten Reihe saß. Sie hatte noch keine Folge der himmlischen Hitparade versäumt und war jedes Mal im Studio. Nachdem Jürgen Marcus mit seinem Lied fertig war, ging er auf die Oma zu und umarmte sie. Dann drückte er ihr ein Küsschen auf die Wange. Die Oma strahlte.
Heck sah das mit großer Freude und kündigte den nächsten Interpreten an: „So, jetzt wird es spannend, meine Damen und Herren. Wer hat es ganz nach oben auf das Treppchen geschafft? Wenn Sie aufmerksam waren, haben Sie schon zwei Kandidaten in den Reihen entdeckt. Und hier ist Ihre Startnummer Vier. Auf Platz zwei: Bernd Clüver mit Der Junge mit der Mundharmonika! Bernd ist von Platz drei auf Platz zwei vorgerückt. Daher gilt auch für ihn: Er ist zum dritten Mal dabei. Bitte nicht wiederwählen. Bernd, du kannst loslegen! Und pass auf die Treppe auf.“
Einzelne Buhrufe folgten. Diese Anspielung auf Bernds Tod fanden nicht alle witzig. Bernd Clüver hingegen nahm das mit Humor, wie er nach Ende seines Liedes erklärte: „Dieter, es sind noch ganz andere fürchterlich abgestürzt.“ Das war ein Lacherfolg.
Heck übernahm wieder das Mikrofon und kündigte an: „Hier ist Ihre Startnummer Fünf. Von Ihnen auf Platz eins gewählt: Chris Roberts mit Ich bin verliebt in die Liebe, genau wie beim letzten Mal. Herzlichen Glückwunsch, Chris. Aber auch für ihn gilt: Bitte nicht wiederwählen, denn Chris ist zum dritten Mal dabei!“ Tosender Applaus folgte. Offenbar hatte Chris Roberts auch hier oben viele Fans. Er nahm viele Blumen entgegen, die ihm während seines Vortrages, überwiegend von älteren Damen überreicht wurden.
„So, meine Damen und Herren. Kommen wir nun zu den Neuvorstellungen. Auf Startnummer Sechs ist Freddy Breck mit Rote Rosen. Ich bin mir sicher, dass auch Freddy viele Rote Rosen bekommen wird.“ So war es auch. So viele Blumen hatte hier noch kein Sänger bekommen, es waren nicht nur Rosen, sondern ganz viele verschiedene, aber keine Nelken. Die waren im Himmel verpönt, da diese Beerdigungsblumen sind.
Gut die Hälfte der Sendung war jetzt vorbei. Es ging weiter mit Startnummer Sieben. Heck kündigte ihn an: „Nun, meine Damen und Herren, kommt jemand, der seinen ersten Auftritt hier bei uns in der himmlischen Hitparade hat. Er ist frisch eingetroffen und hat hier gewissermaßen ein Heimspiel. Hier ist Karel Gott mit Wenn ich dich nicht hätte auf der Startnummer Sieben!“
Die Hitparaden-Oma bekam glänzende Augen. Das war ein weiterer Liebling von ihr. Schon lange hatte sie auf ihn gewartet. Jetzt war er da. Karel Gott wusste, dass sie ein großer Fan war und sah sie während des Liedes schmachtend an. Die Oma war begeistert. Wie schon von Jürgen Marcus erhielt sie auch von ihm eine herzliche Umarmung.
Es folgte die Startnummer Acht. Sie wurde wie folgt von Heck angekündigt: „Ist Ihnen etwas aufgefallen, meine Damen und Herren? Bis jetzt sind heute nur Herren aufgetreten. Das soll natürlich nicht so bleiben. Auch die Frauen haben es in unsere Sendung geschafft. Hier ist Hanne Haller. Sie hat einen passenden Titel mitgebracht: Hallo, lieber Gott.“ Karel Gott lächelte, als er das hörte, obwohl klar war, dass er nicht gemeint war.
Hanne Haller bekam freundlichen Applaus, mehr aber auch nicht. Begeisterung sah anders aus. Heck nahm das zur Kenntnis, sagte aber nichts dazu. Er räusperte sich nur und kündigte den nächsten Titel an: „Nun, meine Damen und Herren, kommt noch jemand, der seinen ersten Auftritt in der himmlischen Hitparade hat. Sie kennen ihn aber alle. Hier ist er, direkt aus Griechenland eingeflogen: Die Startnummer Neun. Costa Cordalis mit seiner Anita!“ Ein riesiger Beifall folgte. Die Leute klatschten schon vor Beginn des Liedes. Als Costa angefangen hatte, flippte das gesamte Publikum aus. Im Takt wurde mit geklatscht.
Allmählich näherte sich die Sendung ihrem Ende. Nur noch zwei Interpreten standen vor ihrem Auftritt. Heck ergriff das Wort: „Jetzt kommt noch mehr Stimmung. Wir fliegen von Griechenland nach Spanien. Ibo führt uns nach Ibiza. Hier ist Ihre Startnummer Zehn!“ Auch Ibo sah blendend aus. Er trug einen dunkelgelben Anzug mit hellgelbem Hemd, aber keine Krawatte. Sein Lied trug er souverän vor und bekam viel Applaus.
„Nun, meine Damen und Herren, kommen wir zum letzten Titel des heutigen Abends. Halten Sie schon einmal Ihren Federkiel und das Papyrus bereit. Danach folgt der Schnelldurchlauf. Zunächst aber die Startnummer Elf. Wir setzen die Urlaubsstimmung fort. Hier ist Andrea Jürgens mit Playa Blanca. Andrea, leg los!“ Das war eine schöne und romantische Nummer, die die wieder junge Andrea Jürgens mit viel Herzschmerz herüberbrachte.
Heck schritt danach zur Tafel, wo alle elf Interpreten mit ihren Liedern aufgeführt waren. Vor den Stücken von Roy Black und Bernd Clüver war ein kleines Dreieck, das Zeichen dafür, dass diese Songs nicht mehr wählbar waren. Im Schnelldurchlauf wurden dennoch alle Lieder angespielt und alle Sänger und Sängerinnen standen kurz auf und verneigten sich.
Dann erklärte Heck das Wahlverfahren: „Meine Damen und Herren, Sie haben jetzt alle elf Titel der heutigen himmlischen Hitparade gehört. Neun davon können gewählt werden. Das geschieht, wie jedes Mal, per Postkarte. Drücken Sie diese dem nächsten vorbei fliegenden Himmelsboten in die Hand. Die Karten werden dann direkt an das ZHF weiter geleitet!“
Danach ratterte Heck wie gewohnt alle an der Sendung Beteiligten herunter. Das Schnellsprechen hatte er auch im Jenseits nicht verlernt. Seine letzten Worte waren: „Das ganze war wie immer eine Sendung Ihres ZHF!“ Es folgte ein Schluss-Applaus und schließlich der Abspann.
Bildmaterialien: www.zdf.de
Tag der Veröffentlichung: 02.01.2020
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