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Der Bratwurstmörder

 

 

 

Hauptkommissar Torsten Seegers von der Kripo Südharz wollte an diesem Montag gerade sein Mittagessen genießen, als das Telefon klingelte. Er war der Einzige im Büro. Sein Kollege, Kommissar Manfred Berthold, war auf Toilette. Notgedrungen ging Seegers ran. Wie befürchtet, war es der Fund einer Leiche, der ihn um seine Mahlzeit brachte. Im Stadtpark von Osterode hatte ein Obdachloser auf einer Parkbank eine leblose Person entdeckt. Diese war offensichtlich sehr leblos.

 

Berthold betrat den Raum und fragte nach, nachdem Seegers aufgelegt hatte: „Na, lass mich raten. Gibt es Arbeit für uns?“ Der Hauptkommissar nahm einen Bissen von seiner Bratwurst und schob noch drei Pommes nach. Er kaute und antwortete dann: „Das kann man sagen. Eine Leiche wurde gefunden. Aber die läuft ja nicht weg. Wir müssen diesmal nicht fahren, wir können zu Fuß gehen. Es ist hier im Stadtpark. Ich esse erst einmal auf, dann gehen wir los.“

 

Seegers beendete seine Mahlzeit und begab sich mit seinem Kollegen in den nahegelegenen Park. Dort entdeckten sie die Leiche recht schnell. „Du hattest Recht. Sie hat sich nicht entfernt“, scherzte Berthold und grinste. „Du hast aber auch immer einen lockeren Spruch drauf“, stellte sein Kollege fest. Der Obdachlose konnte nicht viel sagen, außer dass er den Toten fand, als er den Mülleimer nach Pfandflaschen durchsuchte. Der Tote war schmächtig, fast kahlköpfig und trug eine Nickelbrille. „Ziemlich blass der Mann“, bemerkte Seegers. „Stimmt, fast bläulich“, entgegnete Berthold. Er ergänzte: „Alles andere wird uns Hohmann erzählen.“

 

Seegers und Berthold gingen ins Büro zurück, die Leiche wurde abtransportiert und ins Labor von Jörg Hohmann, dem Rechtsmediziner gebracht. Der brauchte nicht lange für seine Diagnose und konnte sich eine Obduktion sparen. Er rief die beiden Kommissare zu sich und zeigte auf einen schleimigen, länglichen Gegenstand, der in einer Schüssel lag. „Dies, meine lieben Kollegen, ist sozusagen der Täter, oder vielmehr die Tatwaffe“, erklärte er. „Was soll das sein, Jörg? Das sieht ja eklig aus“, erkundigte sich Seegers. Ihm war wirklich übel beim dem Anblick. Immerhin lag der Tote zugedeckt auf dem Seziertisch.

 

Hohmann lachte und antwortete dann: „Eine handelsübliche Bratwurst, gut durchgebraten. Vermutlich vom Schwein, genaueres kann ich erst nach der Obduktion sagen. Der gute Mann ist offensichtlich daran erstickt.“ „Wer schluckt denn eine Bratwurst in einem Stück?“, fragte Berthold. Es war eine rhetorische Frage, doch Hohmann entgegnete: „Niemand. Diese wurde ihm in den Schlund geschoben. Er ist auch noch nicht lange tot, fünf Stunden würde ich sagen.“ Seegers erinnerte sich an sein Mittagessen. Nun war ihm wirklich schlecht.

 

Drei Tage später. Der Fall fand überregional Interesse. Es war ja auch eine sehr ungewöhnliche Todesursache. Daher konnte der Tode schnell identifiziert werden. Der Mann hieß Niels Höllerich, er war Bezirksleiter einer großen amerikanischen Hamburger-Kette und 40 Jahre alt.

 

„Das passt ja irgendwie“, bemerkte Seegers, als er das erfuhr. „Stimmt. Aber eigentlich hätte man ihm mit einem Hamburger ersticken sollen, statt mit einer Bratwurst“, entgegnete Berthold. „Weiß man schon, was der Mann hier in Osterode wollte?“, fragte Seegers. „Liest du denn keine Zeitung? Das geht doch seit Wochen durch die Presse. Die Kette plant hier eine neue Filiale, mitten in der Innenstadt. Es gab ziemlich viel Wirbel deswegen und es hat sich schon eine Bürgerbewegung dagegen gebildet“, antwortete Berthold.

 

„Ob das unsere Tatverdächtigen sind? Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand deswegen zum Mörder wird. Obwohl: Nichts ist unmöglich“, sinnierte Seegers. Er fuhr fort: „Oder es war jemand, der Existenzangst hatte, wegen des neuen Schnellimbiss. Da stand bestimmt etwas in der Zeitung davon. Hast du noch die Exemplare, wo davon berichtet wurde?“

 

Berthold kramte in seinem Schreibtisch. In der untersten Schublade war tatsächlich ein Stapel alter Zeitungen. Nach längerer Suche war Berthold erfolgreich und erklärte: „Hier steht es etwas. Die Kette hatte sich zwei Läden ausgeguckt, der eine ist am Kornmarkt, der andere in der Luisenstraße. In dem Geschäft am Kornmarkt ist ein alteingesessenes Textilgeschäft, in dem anderen ein italienische Lokal, das auch schon seit Jahrzehnten besteht. Beide Inhaber sind aber keineswegs bereit, auszuziehen und dem Hamburger-Laden die Räumlichkeiten zu überlassen.“

 

„Das kann ich verstehen. Denn haben wir also mehrere Tatverdächtige. Ich würde vorschlagen, wir beginnen mit unseren Ermittlungen beim Italiener“, schlug Seegers vor. „Einverstanden. Hast du schon wieder Hunger?“, entgegnete Berthold und grinste. „Stell dir vor, mir ist immer noch der Appetit vergangen. Vor allem Bratwurst esse vorerst nicht“, sagte Seegers.

 

Die beiden Kommissare begaben sich gegen 13 Uhr zum Lokal Roma. „Nobel, nobel“, bemerkte Berthold, als sie das Restaurant betraten. „Stimmt. Bestimmt nicht billig. Pizza bekommt man hier sicherlich nicht“, antwortete Seegers. Das teuer eingerichtete Lokal war sehr gut gefüllt, es war kaum ein Platz frei. „Haben die Herren reserviert?“, fragte ein kleiner, dicklicher Mann, er mochte Mitte fünfzig sein. Er trug einen teuren Anzug und war offensichtlich der Inhaber. „Wir brauchen keine Reservierung. Wir möchten auch nichts essen“, erklärte Seegers und zog seine Dienstmarke.

 

Der Mann mit dem Anzug wurde blass und sagte leise: „Kommen Sie bitte nach hinten.“ Er wirkte auf einmal sehr hektisch. Sie gingen an der Theke vorbei und betraten ein kleines Zimmer, das offenbar als Pausenraum für die Angestellten genutzt wurde. Schmutziges Geschirr, mehrere Gläser und Tassen standen auf dem Tisch. Hier war es bei weitem nicht so vornehm, wie in dem Gastraum.

 

„Setzen Sie sich doch bitte“, sagte der Mann, der sich als Giovanni Calabrese vorstellte. Er wies auf die einfachen Stühle. Seegers und Berthold nahmen Platz, der Italiener ebenfalls. „Kommen wir gleich zur Sache. Sie können sich sicherlich denken, worum es geht“, antwortete der Hauptkommissar. „Das ist nicht sehr schwierig zu erraten. Es geht um die Leiche im Stadtpark. Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass ich Mitleid hätte. Natürlich kannte ich den Mann. Er war hier mehrfach und hat sich umgesehen, hat immer ordentlich bestellt und ein gutes Trinkgeld gegeben. Dann kam er irgendwann mit der Sprache raus und hat tausend Fragen gestellt. Da fand ich ihn natürlich nicht mehr so nett“, berichtete Signor Calabrese.

 

„Sie sind wenigstens ehrlich. Ich kann ihre Situation verstehen. Ein Motiv hätten Sie schon einmal. Dann kommen wir zu Ihrem Alibi. Wo waren Sie am Montagmorgen zwischen sechs und acht Uhr?“, fragte Berthold. Der Italiener seufzte und sagte dann: „Im Bett. Ich habe geschlafen. Ich stehe nie vor neun Uhr auf. Wir schließen hier um Mitternacht, nach allen Nacharbeiten bin ich nie vor zwei Uhr zu Hause.“ Zeugen hatte Signor Calabrese nicht, er lebte alleine.

 

Seegers und Berthold verabschiedeten sich und gingen dann zu dem nahegelegenem Textilgeschäft Sybille-Moden. Hier wurden teure, exklusive Abendmoden verkauft, die sich nicht jeder leisten konnte. „Nichts für unseren Geldbeutel“, bemerkte Seegers, bevor er und Berthold den Laden betraten. Die Besitzerin, Sybille Markwort, war eine ältere, vornehme Dame, die gebildet war. „Wissen Sie, das Geschäft besteht jetzt hier fast vierzig Jahre. Ich habe es damals als junge Frau zusammen mit meinem Mann gegründet. Er hat sich um den Einkauf und die Buchhaltung gekümmert, ich um den Verkauf und das Personal. Als mein Mann vor zehn Jahren starb, musste ich all die Dinge übernehmen, die seine Aufgabe waren. Das war nicht immer leicht für mich, aber ich habe es geschafft, obwohl es nicht immer leicht war. Die Zeiten haben sich aber geändert. Heutzutage bestellen die Leute nur noch im Internet oder aber sie kaufen bei diesen großen Ketten. Der inhabergeführte Einzelhandel hat kaum noch eine Chance“, berichtete sie und seufzte. Es ergab sich ferner, dass Frau Markwort keine Kinder hatte, und somit keinen Nachfolger für ihre Boutique. In ein paar Jahren wollte sie sich ohnehin zu Ruhe setzen. Allerdings dann erst, und nicht jetzt schon.

 

Wieder im Büro angekommen, stellte Seegers fest: „Ich glaube, die ältere Dame können wir ausschließen. Und Signor Calabrese hat zwar ein Motiv und kein richtiges Alibi, aber ich glaube nicht, dass er es war!“ Berthold nickte. Er ergänzte: „Hat Hohmann eigentlich Fingerabdrücke auf der Wurst entdeckt?“ Seegers schüttelte den Kopf und sagte: „Er hat gesagt, dass das bei dem Schleim in der Speiseröhre unmöglich sei. Aber mir fällt gerade noch etwas ein.“ Der Hauptkommissar griff zum Telefon und wählte die Nummer des Rechtsmediziners. Doch dieser hatte schon Feierabend gemacht.

 

Am nächsten Tag nahm Seegers gleich nach Dienstbeginn Kontakt zu Hohmann auf. Er ging direkt in Labor. „Guten Morgen, Jörg. Mir ist gestern noch eine Idee gekommen. Hast du die Bratwurst näher untersucht?“ „Nein, Torsten. Ich sagte ja schon, dass da keine Fingerabdrücke mehr drauf sind.“ „Darum geht es nicht. Du hast am Montag gesagt, dass die Wurst vermutlich vom Schwein sei.“ „Ja, und?“ „Ich bitte dich, dass noch einmal zu untersuchen. Ich habe da eine Vermutung.“

 

Zwei Stunden später betrat Hohmann das Büro der Kommissare und sagte, während er einen Zettel auf dem Schreibtisch legte: „So, das Schwein ist entlastet. Es scheidet aus dem Kreis der Tatverdächtigen aus!“ Seegers warf einen Blick auf Hohmanns Bericht und las das, was er vermutet hatte: Die Bratwurst war vegan, sie bestand aus Tofu. „Ist irgendwie logisch. Ein radikaler Gegner von Fleisch wird keine Wurst braten, die aus Fleisch besteht“, stellte der Hauptkommissar fest.

 

Jetzt konzentrierten sich die Ermittlungen auf Leute, die schon in der Vergangenheit wegen Aktionen gegen Schlachthöfen, Fleischereien und Steakhäuser aufgefallen waren. Das waren aber offenbar alles nur Menschen, die Flugblätter verteilten und Graffiti versprühten, keine Mörder. Doch denn meldete sich ein Augenzeuge. Unterdessen waren über zwei Wochen seit dem Mord vergangen. Er gab an, dass er im Urlaub war, und von dem Vorfall erst nach seiner Rückkehr erfahren hätte.

 

„Ich habe meiner Beobachtung keine Bedeutung beigemessen, aber jetzt denke ich schon, dass das wichtig ist. Vor meinem Urlaub bin ich am späten Sonntagabend italienisch essen gegangen, und zwar in dem Roma. Kurz vor Mitternacht, als ich gerade gehen wollte, musste ich nochmal auf Toilette. Dabei habe ich im angetrunkenem Zustand die Türen verwechselt und bin in der Küche gelandet. Da habe ich gesehen, wie Bratwürste gebraten wurden. Gewundert habe ich mich schon, dann so etwas steht dort nicht auf der Speisekarte und außerdem ist die Küche um diese Zeit schon geschlossen. Dann dachte ich mir, dass sich der Chef sein Abendessen zubereitet und den Vorgang nicht weiter beachtet. Als ich nach Rückkehr von meiner Reise die Zeitungen las, fiel mir das wieder ein. Es kann Zufall sein, aber vielleicht ist meine Beobachtung ja doch wichtig“, sagte der Mann aus.

 

Seegers wurde hellhörig und befragte Signor Calabrese erneut. Erst stritt dieser alles ab, dann verwickelte er sich in Widersprüche und gestand den Mord. Er hatte sich am Montagmorgen mit Höllerich in dem Park getroffen, um die Übernahme seines Lokals vorzutäuschen. Dann stopfte er ihm die mitgebrachte Bratwurst in den Rachen.

 

„Ganz schön raffiniert der Bursche, aber die Ablenkung mit der Tofu-Wurst funktionierte nicht. Im Gefängnis gibt es bestimmt nicht so eine feine Kost wie in seinem Lokal“, resümierte der Hauptkommissar. Kommissar Berthold nickte und antwortete: „Ganz sicher nicht. Übrigens: In der Kantine gibt es heute Bratwurst. Oder soll es lieber Saltimbocca alla romana sein?“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Cover: Tina
Tag der Veröffentlichung: 08.11.2019

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Danke an Tina für das tolle Cover!

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