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Urlaub in Seeboden

 

1970 beschlossen meine Eltern, dass wir unseren ersten Familienurlaub verbringen sollten. Es musste aber ein Ort sein, an dem es beides gab: Berge und Meer. Nun, das war recht schwierig, jedoch wurde mit Kärnten in Österreich ein guter Kompromiss gefunden. Hier gab es zwar kein Meer, aber wunderbare Seen.


Die Wahl fiel schließlich auf Seeboden am Millstätter See. Nach einer schier endlosen Eisenbahnfahrt mit dem "Alpenexpress", einem Sonderzug der damals noch zahlreichen deutschen Reiseveranstalter (Scharnow, Dr. Tigges u.s.w.) kamen wir am Vormittag an unserer Pension an und wurden schon freudig von unserer Gastgeberfamilie M. begrüßt. Zu meiner Freude gab es da auch ein kleines rothaariges Mädchen in meinem Alter. Sie hieß Annemarie, und ich fand sie gleich sympathisch.

 

Sie zeigte mir sogleich das Wichtigste am Ort. Das war der natürlich der See. Praktischerweise hatte ihr Onkel dort einen Tretbootverleih. Die Halle, in der die Boote lagerten, war riesengroß, so kam es mir damals vor. Dort spielten wir oft, bis uns eines Tages der Onkel erwischte. Annemarie erhielt eine Standpauke von ihm, weil er annahm, dass wir etwas kaputt gemacht hätten.


Ich erinnere mich auch noch gut an die Straße, die zum See führte. Dort standen viele, viele Kirschbäume mit wunderbaren, süßen Früchten. Dass diese voller Maden waren, sagte man mir erst viel später. Meine kleine Freundin verriet mir es jedenfalls nicht.

 

Der See selbst war zwar sehr sauber, aber auch, bedingt durch seine Tiefe, sehr kalt. Zu der Zeit konnte ich noch nicht schwimmen, weswegen ich immer nur in Ufernähe plantschte. Mein Vater hingegen durchschwamm den ganzen See bis ans andere Ufer, allerdings nur quer, nicht längs. Das machte er oft morgens vor dem Frühstück.


Großen Anklang fand bei meiner Familie auch ein Imbiss, der unweit unserer Pension an der Hauptstraße lag. Die "Hähnerle", wie sie von Annemarie genannt wurden, schmeckten köstlich, so gute habe ich nie wieder gegessen. Ich war seinerzeit ein recht mäkeliger Esser, aber die österreichische Küche mundete mir sehr. Auch im Gasthof "Postwirt" war es immer wieder gut. Echtes Wiener Schnitzel lernte ich erst dort kennen. Die Wirtin kannte uns nach einiger Zeit schon, und wusste, was wir mochten.

 

Weniger schön war der Ausflug nach Klagenfurt, der Landeshauptstadt von Kärnten. Dort erwischten wir eine Gaststätte, die gar nicht gut war. Auch die Bedienung war unfreundlich und patzig. Wir hätten sogar für das Brot, das auf dem Tisch stand, extra zahlen müssen, was meine Eltern jedoch umgingen. Wir aßen zwar welches, verneinten das aber, als die Kellnerin danach fragte. Von Klagenfurt selbst habe ich keine Erinnerung mehr.

 

Von einem weiteren Ausflug nach Venedig hatte ich schon in der Geschichte „Italienisch für Anfänger“ berichtet. Das war auch eher eine Enttäuschung.

 

Wir wanderten viel. Auf eine dieser Wanderungen entdeckte meine Mutter haufenweise Pfifferlinge, die sie begeistert einsammelte. Ich war skeptisch, denn ich war mir sicher, dass mir das nicht schmecken würde. Probiert habe ich diese denn konsequenterweise auch nicht, so sind Kinder nun einmal. Meinen Eltern schmeckte die Pilzpfanne, die in der Küche der Gastgeberfamilie zubereitet wurde, hingegen sehr gut.

 

Drei Wochen Ferien vergingen wie im Fluge, danach folgte der tränenreiche Abschied von unseren Gastgebern. Wir versprachen, schon im nächsten Jahr wieder zu kommen. Daraus wurde leider nichts, erst 1974, kehrten wir zurück.

 

Vier Jahre später sollte es also erneut mit dem „Alpenexpress“ nach Kärnten gehen. Wir buchten über denselben Reiseveranstalter. Allerdings hatte unsere Pensionswirtin aus 1970 mittlerweile die Verbindung mit diesem gekündigt und vermietete ihr Zimmer nur noch privat. Das hatte meine Mutter in einem Brief von Frau M. erfahren. Daher mussten wir zwangsläufig innerhalb von Seeboden in einer anderen Pension unterkommen. Diese war erheblich größer, es gab nicht nur ein Gästezimmer, wie bei Familie M. Die neue Unterkunft lag genau am anderen Ende des Ortes.

 

So fuhren wir am 07. Juli 1974 gut gelaunt in den Urlaub. Deutschland war gerade Fußball-Weltmeister geworden, entsprechend euphorisch war die Stimmung an Bord des Zuges. Es war, wie schon 1970, ein Schlafwagen-Zug. An Schlaf war jedoch kaum zu denken. Das lag zum Einem an der aufgewühlten Stimmung durch den deutschen Sieg und zum Zweiten an einer Idee meiner Mutter. Sie hatte nämlich neuartige Pralinen dabei, die wie Mon Chérie aussahen, aber nicht mit Kirschen und Likör, sondern mit schwarzem Kaffee gefüllt waren. Man bedenke, dass ich damals erst knapp dreizehn Jahre alt war.

 

Die Zugfahrt selbst war jedenfalls wieder wunderschön, ich war begeistert, denn Eisenbahn-Fan war ich schon damals. In Rosenheim, dem Grenzbahnhof, gab es, wie vier Jahre zuvor, einen längeren Aufenthalt. Österreich war damals noch nicht EU-Mitglied, daher gab es Passkontrollen. Außerdem musste die Lok gewechselt werden, denn damals wie heute haben und hätten die beiden Länder unterschiedliche Stromsysteme. Während die Grenzkontrollen heutzutage längst weggefallen sind, besteht das Problem mit den Lokomotiven immer noch. Einheitsloks gibt es immer noch wenige.

 

Danach näherten wir uns den Alpen, viele Tunnel wurden durchquert. Es war ein herrlicher Ausblick, den man hatte, wenn man aus dem Fenster sah. Wir kamen wohlbehalten in Villach an, von dort ging es mit Bussen in die jeweiligen Zielorte.

 

Die neue Pensionswirtin, Frau B., war auch sehr nett, auch wenn es, bedingt auch durch die Größe der Pension, nicht so familiär zuging wie bei Familie M. Hier gab es auch keine Kinder in meinem Alter, mit denen ich mich hätte anfreunden können, aber einen großen, schwarzen Schäferhund, jedoch aber sehr lieb war.

 

Drei Tage lang war herrliches Sommerwetter, denn setzte Regen ein, und was für ein Regen! Es hörte und hörte nicht auf. Da konnten wir natürlich nicht wandern oder schwimmen gehen. Wir blieben im Hause. Das führte dazu, dass sich mein Vater mit einem etwa gleich alten Mann aus Berlin anfreundete, der ebenso wie Vati sehr trinkfreudig war. Allerdings war der Berliner ein ziemlicher Prolet, der an allem herum mäkelte und sich nicht benehmen konnte. Das Meckern bezog sich hauptsächlich auf das Essen, sei es, das seiner Meinung nach dürftige Frühstück der Pension als auch die Mahlzeiten im „Postwirt“. Der Mann schimpfte über die papierdünnen Schnitzel von dort, die aber ordnungsgemäß und korrekt zubereitet waren, das amüsierte mich sehr. Nach über 24 Stunden stoppte der Dauerregen und die Sonne kam wieder hervor.

 

Seeboden hatte sich in den vier Jahren unserer Abwesenheit nicht sehr verändert, die Straßen hatten immer noch keine Namen. Die Häuser waren nach ihrem Baujahr durchnummeriert. Das Kino gab es immer noch, auch der Supermarkt war nicht größer geworden, hatte aber sein Angebot verbessert. So gab es nun bessere Kartoffelchips, die genießbar waren, und nicht die lappigen und überlagerten Chips wie letztes Mal. Das war mir wichtig, denn noch immer war ich 1974 ein Kind, das nicht alles aß.

 

Fisch mochte ich, aber auch hier bekam ich einen Schock, den ich bis heute nicht überwunden habe. Als wir zur Abwechselung mal ein anderes Lokal als den „Postwirt“ aufsuchten, entdeckte mein Vater dort ein Aquarium mit großen Fischen. Es waren Forellen. Vati suchte sich eine aus, diese wurde mit einem Netz herausgeholt und landete eine halbe Stunde später auf dem Teller meines Vaters. An dem Tage verging mir der ohnehin schon spärliche Appetit und ich aß nur ein paar Pommes.

 

An einem anderen Tag besuchten wir unsere frühere Pensionswirtin, die sich sehr darüber freute. Annemarie war leider nicht da, man zeigte mir aber ein Foto. Sie hatte sich sehr verändert und sich zu seinem klapperdürren Teenie entwickelt. Das fand ich nicht sehr reizvoll, als pubertierender Zwölfjähriger. Ich ersparte mir einen Kommentar.

 

„Jetzt müssen wir aber wieder Pilze sammeln“, entschied meine Mutter nach etwa der Hälfte unseres Urlaubs. Es müsse doch haufenweise Pfifferlinge geben nach dem kräftigen Regen neulich, dachte sie. Pustekuchen! Nicht ein einziger Pilz fand sich, offenbar hatte es zu viel geregnet oder aber es war noch jahreszeitlich zu früh. Stattdessen fanden wir zu meiner Freude viele Blaubeeren, die ich gerne aß. Mit etwas Schlagsahne war das ein Hochgenuss.

 

Ein Höhepunkt der 74er Urlaubsreise war die Fahrt mit der Seilbahn auf den Goldeck, der immerhin über 2.000 Meter hoch ist. Dazu mussten wir nach Spittal fahren, dem Hauptort der Region. Ich war nie zuvor auf einem so hohen Berg und war entsprechend beeindruckt. Nur der Druck auf den Ohren gefiel mir nicht. Das Problem habe ich noch immer, egal ob ich in einem Flugzeug sitze oder – wie hier – einen Berg besteige. Auf jeden Fall war es erhabener Anblick von da oben, und wir machten tolle Fotos, trotz der billigen Pocketkamera, oder vielleicht gerade deswegen.

 

Auch dieser Urlaub ging nach drei Wochen zu Ende und wir fuhren wieder heimwärts. Im Jahre 1984 durchfuhr ich mit einem Reisebus auf dem Weg nach Wien noch einmal am Millstätter See entlang und erkannte in Seeboden manches wieder.

 

Den „Posthof“ gibt es auch jetzt, im Jahr 2019 noch, wie im Internet recherchierte. Das Lokal ist mit seiner gehobenen Küche allerdings mittlerweile zu einem Gourmet-Tempel mutiert und bestimmt nicht mehr so preiswert wie damals. Was aus Annemarie und ihrer Familie geworden ist, weiß ich nicht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Bildmaterialien: www.bamerger-immobilien.at
Tag der Veröffentlichung: 03.11.2019

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Danke an Phil und an Gitta, die mir bei der Rekonstruktion meines alten Textes geholfen haben.

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