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Drei auf einer Wolke

 

 

Gemeinsam saßen sie auf einer Wolke und schauten auf die Erde hinab: Hans-Dietrich Genscher, Helmut Kohl und Willy Brandt. Der vierte im Bunde, Helmut Schmidt saß in einiger Entfernung auf einer anderen Wolke und paffte seine Menthol-Zigaretten.

 

Genscher sah kurz zu ihm herüber und bemerkte dann: „Ich kann es immer noch nicht glauben, dass hier im Himmel geraucht werden darf. Das hätte ich nie für möglich gehalten. Mir gefällt das nicht, für mich ist das keine Lappalie. Und Alkohol wird auch getrunken, nicht zu knapp. Das ist ein Sammelsurium von Sünden!“

 

„Nun sei mal nicht so spießig, Hans-Dietrich! Du hast in deinem Leben auch nicht wie ein Asket gelebt, nicht wahr“, entgegnete Willy Brandt und grinste. Kohl hob einen Finger und sagte: „Ich schon, ich bin meiner Hannelore stets treu geblieben. Aber Pfälzer Saumagen habe ich immer gern gegessen. Das zählt jedoch nicht als Sünde. Ausgerechnet den gibt es hier oben aber nicht!“

 

Genscher schüttelte den Kopf und antwortete: „Wer hätte auch gedacht, dass Schweinefleisch im Jenseits verboten ist, Alkohol und Nikotin dagegen nicht. Es darf sogar gekifft werden, wie ich neulich sah. So ein Kuddelmuddel.“ Brandt erklärte: „Aber, Männer. Das ist doch logisch. Der Sohn vom Chef war Jude und durfte Zeit seines Lebens kein Schweinefleisch essen. Rotwein hingegen hat er schon getrunken, sogar kurz vor seinem Tode.“

 

Brandt holte eine Flasche Wein und drei Gläser aus seinem Gewand und goss den beiden anderen und sich selbst ein. Sie prosteten sich zu. „Auf unsere Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Man nannte mich manchmal auch Willy Branntwein. Insofern passt das!“ Kohl schüttelte den Kopf und widersprach: „Das ist doch Kokolores. Dieser Spruch stammt doch wohl von einem gewissen Karl-Eduard. Das hat er in seinen Sendungen immer gesagt. Ist der Kerl eigentlich auch hier oben?“ „Das bezweifel ich, Helmut. Der wird jetzt woanders sein“, antwortete Genscher und lachte.

 

Brandt räusperte sich und fragte: „Sag, mal Hans-Dietrich, wo wir gerade beim Thema DDR sind. Wie war das eigentlich damals, als du in der Prager Botschaft deine berühmte Rede gehalten hast? Ich habe das Ganze ja nicht so richtig mitbekommen. 1989 ging es mir nicht so gut.“ „Es war jedenfalls keine Petitesse, Willy. Ich habe lange mit Eduard Schewardnadse verhandelt. Es ging ja alles Holterdiepolter mit den Bürgern aus dem Osten, es war das reinste Tohuwabohu. Aber schließlich klappte es ja doch!“

 

„Dank deiner berühmten Worte, Hans-Dietrich. Was wolltest du eigentlich den Leuten sagen? Der Rest deiner Rede ging ja im Jubel unter. Und was ist eine Petitesse?“, wollte Kohl wissen. Genscher grinste und antwortete: „Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise sich noch etwas verzögern wird! Das wäre meine Aussage gewesen. Aber die Leute ließen mich ja nicht ausreden. Das war ein Remmidemmi, das kann man sich gar nicht vorstellen, wenn man nicht selbst dabei war. Und die Sache mit der Petitesse, das kann dir am besten Willy erklären. Der hat den Begriff gewissermaßen erfunden.“

 

Willy Brandt schüttelte den Kopf und sagte dann: „Das stimmt nicht ganz. Ich habe den Begriff nicht erfunden, ihn aber wieder hervorgeholt, dank einer markanten Aussage von mir. Die Medien haben das Wort dann aufgegriffen, was ihn zu neuer Bekanntheit verhalf. Aber zu deiner Frage, Helmut. Eine Petitesse ist eine Sache benannt werden, die im Auge des Betrachters eine Kleinigkeit von geringem Wert ist. So etwas ähnliches wie ein Kinkerlitzchen.“

 

Kohl war mit der Antwort zufrieden und nahm einen Schluck Wein, denn sagte er: „So kann es kommen. Man stelle sich vor, die Leute hätte dich ausreden lassen. Dann wäre es vielleicht nie zu der Grenzöffnung und dem Fall der Mauer gekommen. Und ich wäre nicht Kanzler der Einheit geworden.“ Brandt konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Das Grinsen ähnelte dem, das er damals im Jahre 1972 bei dem Interview mit Friedrich Nowottny aufgesetzt hatte, als dieser ihm nur geschlossene Fragen stellte, die Brandt kurz und knapp mit Ja, Nein oder Doch beantwortet hatte. Das hatte ihm einen riesigen Spaß bereitet.

 

Genscher widersprach: „Das ist doch Humbug, Helmut. Ein richtiger Mumpitz. Die Mauer wäre irgendwann sowieso gefallen. Ich habe ja nur sagen wollen, dass sich die Ausreise verzögert, nicht, dass sie abgelehnt wird. Aber ich habe jetzt genug von diesen Mätzchen. Wir können hier oben ohnehin nichts mehr ändern, was geschehen ist. Das könnte nur der Chef. Der hat im Moment aber andere Sorgen. Da ist so ein Trampel in Amerika, der nichts als Ärger macht. Lasst uns zu der Bar dahinter herüberfliegen. Ich gebe einen aus.“ „Gute Idee, Hans-Dietrich. Vielleicht kommt Genosse Schmidt ja auch mit“, antwortete Brandt und machte eine einladende Handbewegung nach Schmidt herüber.

 

Dieser hatte offenbar die ganze Zeit mitgehört und rief dann ein „Nein, danke“ herüber. Er wusste, dass das eine Nichtraucher-Bar war.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Bildmaterialien: www.glasergrafik.de
Tag der Veröffentlichung: 03.11.2019

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