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FRIGODA

 

 

 

Fridolin Fröhlich saß mürrisch auf seiner Terrasse. Seitdem sein Nachbar Oskar Plümecke ins Europa-Parlament gewählt wurde, hielt sich dieser kaum noch zu Hause auf. Jetzt hatte Fridolin keinen mehr, mit dem er plauschen konnte. Der Nachbar auf der anderen Seite namens Clemens Müller war ein Oldenburger! Mit diesem arroganten Kerl konnte man doch nicht reden. Hier in diesem kleinen Dorf im Ammerland machten sich diese Heinis aus der Großstadt immer mehr breit und verdrängten die Einheimischen. Das konnte so nicht weitergehen.

 

Fridolin beschloss, dass dagegen etwas getan werden musste. Er hatte sich auch schon überlegt, wie er die Bürgerbewegung, die er gründen wollte, nennen würde: „FRIGODA“, also „Fridolin gegen die Oldenburgisierung des Ammerlands“. Das klang gut und war einprägsam. Er war insgeheim froh, dass Oldenburg Oldenburg hieß, und nicht Ildenburg, denn FRIGIDA hätte zu Missverständnissen führen können.

 

Rasch hatte Fridolin Gleichgesinnte um sich vereint. Zur ersten Versammlung im Dorfgemeindehaus waren fast einhundert Leute gekommen. Dann ging die Diskussion um den Namen des Vereins los. Jemand meinte: „Es geht doch hier wohl nicht nur um die Interessen des Herrn Fridolin, sondern um das Wohl von vielen!“. Da nicht nur Ammerländer, sondern auch Friesen gekommen waren, schlug ein anderer Bürger „Friesen gegen die Oldenburgisierung des Ammerlands“ vor. Das rief die Ammerländer auf den Plan, welche meinten, dass damit das Ammerland zu kurz käme. „Also Friesen und Ammerländer gegen die Oldenburgisierung des Ammerlands?“, stellte Fridolin zur Diskussion. „Dann muss Friesland aber auch hinten erwähnt werden!“, rief derjenige, der sich als Erster gemeldet hatte. „Also gut. Dann eben: Friesen und Ammerländer gegen die Oldenburgisierung des Ammerlands und Frieslands!“, resümierte Fridolin.

 

Als er gerade diesen Tagesordnungspunkt abhaken wollte, meldete sich eine ältere Dame: „Was ist mit den Frauen? Hat hier jemand auch nur eine Sekunde an uns Frauen gedacht?“ Das hatte zur Folge, dass die Bürgerbewegung schließlich den schönen Namen „Friesen, Friesinnen, Ammerländer und Ammerländerinnen gegen die Oldenburgisierung des Ammerlands und Frieslands“ bekam. Beim Kürzel FRIGODA blieb es. Über Inhalte konnte an diesem Abend aus Zeitmangel nicht mehr diskutiert werden. Darüber ärgerte sich Fridolin sehr.

 

Drei Wochen später stand die zweite Versammlung an, die Presse war auf FRIGODA aufmerksam geworden, auch die große Tageszeitung aus Oldenburg. Dort machte man sich über Fridolin und seine Mitstreiter lustig, was Fridolin nur noch mehr aufstachelte. Auch das Fernsehen wollte über die Versammlung berichten, weswegen man für das zweite Treffen von dem Dorfgemeindehaus nach Westerstede umzog, der einzigen Stadt im Landkreis Ammerland. Dort gab es im Sommer das „Freilichttheater“. Die dortige Tribüne bot ausreichend Platz für alle Interessierte.

 

Über 300 Leute waren gekommen, um sich zu informieren und zu diskutieren. Einige Anwesende hatten Plakate gemalt: „Ammerland den Ammerländern“, „Friesland den Friesen“, „Oldenburger raus“. Das waren noch die harmloseren. Es gab auch radikalere. Fridolin las: „Mauert Oldenburg ein“. Das ging dann doch zu weit, fand Fridolin.

 

Daher appellierte Fridolin bei der Eröffnung der Veranstaltung an alle, sich doch zu mäßigen. „Moin. Bei allem Verständnis für Eurem Ärger, so möchte ich Euch doch bitten, es nicht zu übertreiben. Wir haben nichts gegen Oldenburg an sich, aber sehr wohl gegen manche Oldenburger, nämlich diejenigen, die sich im Ammerland und in Friesland breitmachen und unsere Häuser und Grundstücke weg kaufen. Das kann so nicht weitergehen!“ Tosender Applaus war die Antwort, gefolgt von Johlen und Fußstampfen.

 

Noch ein paar andere Bürger trugen ihre Meinung vor, größtenteils unter Zustimmung der Anwesenden. Nach einer Stunde wurden Listen herumgereicht, wo sich jeder eintragen konnte, der Mitglied werden wollte. 232 Unterschriften kamen zustande. Damit war Fridolin hoch zufrieden. Um den Verein in das Register eintragen zu können, war nun einiges zu erledigen. Zunächst musste ein Vorstand gewählt werden, nebst Schatzmeister. Es musste außerdem eine Satzung beschlossen werden, das Ganze musste notariell beglaubigt werden. Schließlich hatte die Eintragung in das Vereinsregister zu erfolgen. Die zuständige Außenstelle für das Ammerland und Friesland saß nun leider ausgerechnet in Oldenburg.

 

Fridolin überlegte sich, wer noch für den Vorstand in Frage käme. Es mussten Leute sein, die besonnen waren, keine Heißsporne. Und als Schatzmeister war nur jemand geeignet, der ehrlich und zuverlässig war. Nach reiflichem Nachdenken notierte Fridolin ein paar Namen aus den Listen, die in der Versammlung herumgegangen waren. Zum Glück hatten viele eine Telefonnummer angegeben. Nicht alle, die Fridolin anrief, waren erfreut darüber. Aber dann fanden sich doch genug Mitstreiter, die das ernst meinten und bereit waren, aktiv mitzumachen.

 

Drei Wochen später stand die Gründungsversammlung an. Sie fand erneut in Westerstede statt, aber diesmal aus rechtlichen Gründen in einem geschlossenen Raum, und zwar in der Sporthalle Brakenhoffschule, die zum Hössensportzentrum gehört. Es kamen knapp zweihundert Leute, immerhin. Damit war Fridolin sehr zufrieden. Es würde auf jeden Fall ein ordnungsgemäßer Vorstand gewählt werden. Fridolin stand selbstverständlich als erster Vorsitzender zur Verfügung, das stand außer Frage.

 

Die Wahl verlief auch erfolgreich für Fridolin, er bekam 93 % der Stimmen. Zweiter Vorsitzender wurde Gustav Gründlich und Beisitzer wurden Hans Heimlich und Sabrina Sauer. Als Schatzmeister fand sich ein Herr namens Erwin Ehrlich. Fröhlich, Gründlich, Heimlich, Sauer und Ehrlich: Das hatte schon eine gewisse Komik. Fridolin war gespannt, wie der Mitarbeiter der Registerstelle darauf regieren würde.

 

Drei Tage erfolgte die notarielle Beglaubigung, für die 75 Euro zuzüglich „geringer Bekanntmachungskosten“ zu entrichten war. Tags drauf begaben sich Fridolin und Erwin nach Oldenburg. „Jetzt sind wir im Feindesland“ stellte Erwin lachend fest und ergänzte: „Ist ja eigentlich wunderschön hier in Oldenburg!“ Fridolin antwortete: „Das stimmt. Darum verstehe ich ja auch nicht, was die Oldenburger heraus treibt. Die sollen doch zu Hause bleiben.“ Jetzt standen die beiden vor dem Gebäude der Zulassungsstelle für Vereine. Die große Empfangshalle beeindruckte Fridolin und Erwin. Sie begaben sich zum Pförtner. „Zimmer 333, dritter Stock“, schnarrte der sehr unfreundliche Mann hinter dem Schalter. „Der Fahrstuhl ist kaputt. Sie müssen die Treppe nehmen!“, ergänzte er noch.

 

Nach einer viertel Stunde hatten Fridolin und Erwin ihr Ziel erreicht. Sie klopften an. Keine Reaktion. Die Tür war abgeschlossen, stellten sie fest. Eine ältere Dame mit einem Dutt ging mit einem bemerkenswerten Tempo lustlos den Gang entlang, sie war ebenso schlecht gelaunt wie der Pförtner. „Der Kollege Meyer ist gerade zur Pause. Das kann dauern, setzen Sie sich bitte in den Wartebereich“, sagte die Beamtin in einem bestimmenden Ton. Fridolin und Erwin folgten der Anordnung und warteten geduldig. Nach einer gefühlten halben Stunde erschien ein kleiner, dicklicher Herr mit Nickelbrille und sehr dünnem Haar und krächzte: „Kommen Sie bitte mit. Ich hoffe, Sie haben alle Unterlagen dabei. Das ist nämlich nicht immer der Fall. Außerdem werden 70 Euro für die Anmeldung des Vereins fällig.“

 

Das Büro des Herrn Meyer war ziemlich karg eingerichtet. An der einen Wand hing eine historische Karte von Oldenburg, an einer anderen mehrere Urkunden. Offenbar war der Mann leidenschaftlicher Kegler. Fridolin überreichte die Unterlagen sowie das ausgefüllte Anmelde-Formular. Der Beamte runzelte die Stirn. Ihm war deutlich anzumerken, dass ihm die Ziele von „FRIGODA“ missfielen. „Der Vereinsname ist reichlich lang“, kritisierte er.

 

Nach etwa zwanzig Minuten fuhr Herr Meyer fort: „Nun, das sieht soweit ganz gut aus. Wir müssen das aber noch in Ruhe prüfen. Die Gebühr entrichten Sie bitte unten an der Kasse!“ Mit einer Handbewegung deutete er zur Tür. Anscheinend war jetzt noch schlechter gelaunt als zuvor. Fridolin und Erwin folgten der Anweisung und begaben sich zur Kasse. Dort war eine lange Schlange. Dreißig Minuten später kamen sie an die Reihe und zahlten den Betrag.

 

Fridolin und Erwin fuhren mit gemischten Gefühlen im Bus nach Hause. „Ich bin gespannt, was eher fertig wird: der Flughafen in Berlin oder die Eintragung unseres Vereins“, bemerkte Fridolin. Erwin lachte und entgegnete: „Ich hoffe ja, dass die Eintragung zuerst da ist. Aber man weiß ja nie. Dieser Herr Meyer war ziemlich missmutig.“ Fridolin stimmt zu. Die beiden beschlossen, den Ärger mit einigen Bieren herunterzuspülen.

 

Vier Wochen vergingen. Fridolin ging zu seinen Briefkasten. Da war er endlich: der Brief von der Behörde aus Oldenburg! Gespannt öffnete Fridolin ihn. Es war ein Ablehnungsbescheid. Jetzt musste sich Fridolin erst einmal setzen. Ungläubig las er, was da stand: „Ihrem Antrag auf Eintragung Ihres Vereins kann nicht entsprochen werden.“ Es folgte eine seitenlange Begründung mit einem Inhalt, den Fridolin nicht auf Anhieb verstand. Er musste sich erst einmal setzen, und rief dann Erwin an.

 

Erwin ging zum Glück gleich ans Telefon und war genauso überrascht über die Ablehnung. Er wusste auch kein Rat und riet Fridolin, sich deswegen an den Notar zu wenden. Dieser teilte mit, dass er zu dem Inhalt des Vertrages, welcher hier beanstandet wurde, nichts sagen könne. Er kannte aber einen Anwalt, der auf Vereinsrecht spezialisiert war und gab Fridolin Name und Adresse durch. Es war Clemens Müller, ausgerechnet der unliebsame Nachbar von Fridolin.

 

Was soll ich jetzt tun?, dachte Fridolin. Hilfe war dringend nötig, denn allzu lange Zeit blieb nicht für einen Widerspruch. Er könnte natürlich nach einem anderen Anwalt suchen. Doch ob der auch so gut war? Oder sollte er in den sauren Apfel beißen, und diesen Müller aufsuchen? Schließlich rang sich Fridolin dazu durch und fuhr nach Oldenburg, denn da hatte sein Hausnachbar seine Kanzlei. Diese war in der Nähe des Hauptbahnhofs und gut zu finden.

 

Bei der Terminabsprache hatte Fridolin nur mit der Anwaltsgehilfin gesprochen, nicht mit Herrn Müller selbst. Fridolin konnte sich sehr gut vorstellen, wie dieser auf dieses neue Mandat reagiert hatte. Als er das Büro des Rechtsanwalts betrat, fühlte sich Fridolin bestätigt. Dieser begrüßte ihn mit den Worten: „Guten Tag, Herr Fröhlich.“ Ein „Hallo, Herr Nachbar“ wäre wohl auch unangemessen gewesen. Jedenfalls hatte er Fridolin sofort erkannt. Der Anwalt sah sich die Unterlagen sorgfältig an und sagte denn: „Ich denke, da lässt sich etwas machen. Den Herrn von der Zulassungsstelle kenne ich sehr gut. Er ist in meinem Kegelclub. Ich werde mich mit ihm kurzschließen. Das bekommen wir schon hin.“

 

Fridolin war perplex, das hatte er nun wirklich nicht erwartet. Er bedankte sich bei dem Anwalt und lud ihn spontan für den Abend auf ein Bier bei sich zu Hause ein. Herr Müller sagte zu und klopfte Fridolin auf die Schulter. „Weiterhin auf gute Nachbarschaft“, ließ der Anwalt noch verlauten.

 

Fridolin fuhr aufgewühlt nach Hause. Er konnte immer noch nicht fassen, was gerade passiert war. Auch Erwin war verwundert und wollte diesen Anwalt nun unbedingt kennen lernen. „Dann komm doch heute Abend zu mir. Dann hast du dazu Gelegenheit“, entschied Fridolin.

 

Der Abend verlief feuchtfröhlich und führte dazu, dass sich Fridolin und Clemens anfreundeten. Tatsächlich hatte die Intervention von Herrn Müller Erfolg und so kam es dazu, dass der Verein „Friesen, Friesinnen, Ammerländer und Ammerländerinnen gegen die Oldenburgisierung des Ammerlands und Frieslands“, kurz FRIGODA genannt, doch noch ins Vereinsregister eingetragen wurde, obwohl Fridolin entdeckt hatte, dass Oldenburger doch ganz nett sein können.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Bildmaterialien: www.cdu-ammerland.de
Tag der Veröffentlichung: 01.11.2019

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