Ich, Hubert Hundertmark, war aufgeregt. Zum ersten Mal sollte ich im Fernsehen auftreten, ich sollte im Wahlstudio von TELE 12 in Hamburg sitzen und mich zum Ergebnis der Landtagswahlen in Sachsen und in Brandenburg befragen lassen. Mein Bruder Norbert, der Programmdirektor, hatte auf seinem Sender eine große Sondersendung organisiert. In Sachsen trat Harald Hundertmark, ein Cousin zweiten Grades als Spitzenkandidat an und in Brandenburg ein weiterer Cousin, nämlich Manfred Hundertmark. Wir Hundertmarks sind zum Glück in fast allen Bundesländern ansässig und alle sehr familiengebunden.
Pünktlich um 18 Uhr trafen die ersten Prognosen ein. Alle möglichen Parteien wurde genannt, manche von ihnen hatten Wähler gewonnen, andere verloren. Und unsere PDDS? Die wurde mit keiner Silbe erwähnt. Das durfte doch nicht wahr sein! Ich war mehr als enttäuscht. War das nur ein Übermittlungsfehler? Offenbar nicht, denn alle Sender lieferten nahezu das gleiche Ergebnis. Entsprechend sauer war ich. Dabei hatte ich alles so schön vorbereitet und auswendig gelernt. Ich wollte das sagen, was man als Politiker so sagt, nach einer Wahl: Mich bei den Wahlhelfern für den tollen Wahlkampf bedanken, alle Mitglieder grüßen, und so weiter.
Um Viertel vor sieben, als die ersten Hochrechnungen vorlagen, telefonierte ich mit Harald und mit Manfred. Harald teilte mit, dass wir in Sachsen gerade 0,9 % geholt hätten. In Brandenburg sah es noch schlimmer aus. Es waren da etwa 0,4 %. Das war desaströs, obwohl es rein rechnerisch das jeweils beste Ergebnis war, dass unsere Partei jeweils bei einer Wahl erzielt hatte. Da wir allerdings in beiden Ländern das erste Mal antraten, nutzte das nicht viel.
Das sagte ich auch dem Moderator von TELE 12 bei der Befragung. Mich irritierte dabei, dass im Hintergrund immer gelacht wurde. Mein Bruder Norbert klärte mich kurz danach auf. Die Mitarbeiter verfolgten die Berichterstattung der Konkurrenz. Im ersten Programm war eine blonde, junge Moderatorin, die sich einen Fehler nach dem anderen leistete. So verwechselte sie Dresden mit Leipzig, ordnete Politikern der falschen Partei zu und brachte einen ehemaligen Bundesinnenminister mit französischem Nachnamen mit seinem Cousin, dem letzten Ministerpräsidenten der DDR durcheinander. Immerhin gehören beide der gleichen Partei an. Norbert und ich unkten, ob sich, da unsere Cousine Hermine verkleidet hätte. Sie hätte das auch hingekriegt. Sicherheitshalber rief ich bei Hermine an. Sie meldete sich sofort, diesmal steckte sie nicht hinter der Aktion.
Da sich keine Neuigkeiten bei den Hochrechnungen ergaben, spielte der Sender einen Film über die Familie Hundertmark ein. Der war sehr gut gemacht. Bis ins 13. Jahrhundert kann man unsere Ahnenreihe lückenlos verfolgen. Meine Vorfahren haben die Geschichte Deutschlands immer wieder beeinflusst und entscheidend geprägt. Davon werde ich ein anderes Mal ausführlich berichten. Ich bin wirklich stolz darauf. Nur so viel: Es gab zahlreiche Münzmeister unter den Hundertmarks, weswegen wir auch diesen Familiennamen tragen.
Eines haben wir aber definitiv nicht erfunden: Die Currywurst. Eine Berliner Gastronomin behauptet, diese vor fast siebzig Jahren, am 04. September 1949 an einem regnerischen Tag erdacht zu haben. Aber sicher ist das nicht. In einem bekannten Buch wird behauptet, dass die Currywurst bereits zwei Jahre früher, also 1947, am Hamburger Großneumarkt erfunden wurde. Als Buxtehuder schlägt mein Herz natürlich mehr für Hamburg. Da ich mich nun gerade in dieser Stadt befand, war das eine gute Gelegenheit, das zu überprüfen. Schließlich sollen die Verbraucher nicht länger mit haltlosen Behauptungen an der Nase herumgeführt werden.
Leider hatten sich die Hochrechnungen für unsere Partei nicht gebessert, eher im Gegenteil. Das war recht frustrierend. Ich fühlte mich wie im falschen Film. So begab ich mich nach der Sendung nach dem Großneumarkt, um mein Vorhaben mit der Currywurst in die Tat umzusetzen. Der Großneumarkt ist ein zentraler Platz in der Hamburger Neustadt. Besonders schön ist es hier nicht, aber das spielte auch keine Rolle. Die Gedenktafel, die an die vorgebliche Erfindung der Currywurst erinnerte, fand ich seltsamerweise nicht.
Als ich ärgerlich vor mir her murmelte, sprach mich jemand an. „Das mit der Erfindung der Currywurst in Hamburg ist nur eine Fiktion. Die Gedenktafel dazu ist inzwischen auch wieder verschwunden. Wenn Sie aber eine wirklich gute Currywurst essen wollen, müssen Sie sich nach Hannover ins Plümecke begeben. Da hat unser Ex-Kanzler auch immer gespeist, da er bei seiner damaligen Frau kein Fleisch bekam!“, sagte der Mann. Ich bedankte mich und war verwundert und verärgert zugleich. Verwundert deswegen, weil man nach meinem Freund Oskar Plümecke eine Gaststätte benannt hatte, und verärgert deswegen, weil sich mal wieder eine Verbrauchertäuschung aufgetan hatte.
Immerhin bin ich froh, dass ich real bin, und keine Fiktion. Insgesamt gesehen, war das kein schöner Tag für mich. Doch neue Aufgaben standen an. Auch in Thüringen wird in Kürze in Landtag gewählt, da gibt es Bratwurst und keine Currywurst, jedenfalls keine richtige. Sie werden weiter von mir hören.
Bildmaterialien: www.hessischer-landtag.de
Tag der Veröffentlichung: 06.09.2019
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