Cover

Hubert in Wien

 

 

Ich, Hubert Hundertmark, bin in tiefer Trauer. Eigentlich wollte ich von meiner Reise nach Wien berichten, doch bevor die Fahrt losging, habe ich etwas erfahren, was mich tief erschütterte. Bei meiner Recherche zu den österreichischen Spezialausdrücken stieß ich auf eine sehr interessante Internet-Seite. Dort las ich etwas ganz Schlimmes. Wie Sie sich vielleicht erinnern, habe ich als Kind diesen niedlichen Werbefilm mit dem großen, grünen, knuddeligen Bären geliebt, welcher immer sang: „Nimm den Husten nicht so schwer, jetzt kommt der Hustinetten-Bär“. Auf der Seite stand, dass mein geliebter Hustinetten-Bär schon vor zehn Jahren gestorben ist, und das an Lungenentzündung! Ihm hat also das Lutschen der Bonbons nichts genutzt!

 

So machte ich mich tieftraurig mit meinen Brüdern Norbert, Herbert und Kunibert und meiner Schwester Berta auf den Weg nach Österreich. Wir hatten uns entschieden mit dem Zug zu fahren, um entspannt anzukommen. Ich hatte mir eine Liste mit österreichischen Worten besorgt, die vorwiegend im kulinarischen Bereich lagen, aber auch in der Amtssprache. So bedeutet dort „urgieren“ so viel wie „auf eine Entscheidung drängen“ und statt „Fraktionsvorsitzender“ sagt man in Österreich „Klubobmann“. Dementsprechend ist dort eine Fraktion im Parlament ein Klub. Das war alles recht wichtig, wenn wir uns mit unseren österreichischen Kollegen von der PDÖS unterhalten wollten. Es sollten ja keine Missverständnisse aufkommen.

 

Berta hatte einen Salat zubereitet mit Kukuruz (Mais), Paradeiser (Tomaten), Kren (Meerrettich) und Fisolen (grüne Bohnen). Dieser war recht lecker und übte gleichzeitig die Begrifflichkeiten. Allerdings hatte sie viel zu viel gemacht. Als wir kurz vor dem Wiener Hauptbahnhof waren, stellte sie fest, dass noch fast die Hälfte übrig war, obwohl wir alle reichlich davon gegessen hatten. „Den Rest kannst du nachher in den Mistkübel werfen“, sagte ich. Daraufhin wurde meine Schwester sehr böse und zeterte ohne Ende. Ich erklärte ihr, dass „Mist“ in Österreich so viel wie Abfall oder Müll bedeutete. Meine Brüder lachten.

 

Mit einem großen Plakat standen drei Herren am Bahnsteig, es waren die Obmänner der PDÖS. Wir gingen freudestrahlend auf sie zu und stellten uns vor. Da Norbert, Herbert und Kunibert mir ziemlich ähnlich sehen, hatten wir vorsorglich Namensschilder an unseren Anzugjacken angebracht. Auch die drei Herren aus Österreich sahen alle gleich aus, wobei einer von ihnen etwas größer und dicker als die beiden anderen war. „Grüß Gott. Wir sind die Grubers. Ich bin der Karl, und das sind Josef und Leopold“, stellte sich der Größere vor. Er war offenbar bemüht, hochdeutsch zu sprechen, allerdings war der Akzent deutlich hörbar.

 

Unser Hotel war nicht weit vom Bahnhof. Wir mieteten uns dort ein, brachten dann unser Gepäck auf unsere Zimmer und begaben uns danach mit den Grubers in das gebuchte Konferenzzimmer. Dort hatte man als Getränk unter anderem dieses Energiegetränk in der blau-silbernen Dose hingestellt. Sie wissen ja vielleicht noch, dass ich da unangenehme Erinnerungen daran habe. Als ich damals mit den Hochzeitsvorbereitungen beschäftigt war und unbedingt ein Klavier mieten wollte, hat mich bei dieser Firma mit dem „roten Mann der Kuh“ sehr, sehr unfreundlich behandelt. Entgegen der Werbung verleihen die nämlich gar keine Flügel! Meine Geschwister kannten die Geschichte natürlich, aber den Grubers musste ich sie erst noch erzählen.

 

„Des geht gor net. Aber wirklich net!“, widerfuhr es Leopold. Seine Brüder nickten. Damit waren die ersten zwei Punkte in dem künftigen Wahlkampfprogramm der PDÖS beschlossen: Umbenennung dieser Firma in „Roter Mann der Kuh“ und Verbot deren irreführender Werbung. Auch die PDÖS hatte als oberstes Ziel den Verbraucherschutz und die Verbannung aller Fremdwörter, wobei die Forderung der Grubers aufkam, sich auch auf Eigennamen von Personen oder Firmen zu beziehen, also z.B. eine große amerikanische Imbisskette zu zwingen, sich in „Bürger-König“ umzubenennen. Da konnte ich berichten, dass wir in Deutschland schon einige Künstler deswegen angeschrieben hatten. Während die Gruppe „City“ durchaus bereit war, sich künftig „Zentrum“ oder „Innenstadt“ zu nennen, hatte sich die Gruppe „Silly“ vehement geweigert.

 

Beim Stichwort Imbiss fiel Josef ein geradezu skandalöses Erlebnis aus dem Prater, dem hiesigen Vergnügungspark ein. An einem Stand, an dem südeuropäische Hackfleischröllchen verkauft wurden, bot man eine „Kostprobe“ dieser Speise für zwei Euro an. Nun muss doch jeder Verbraucher voraussetzen, dass eine Kostprobe kostenlos ist. Das sagt ja schon der Name. Kunibert, der Anwalt, warf daraufhin ein, dass eine Kostprobe auch mit Kosten verbunden sein könnte. Ich bemerkte dann, dass der Besuch eines Freibades meistens keineswegs frei, sondern ebenfalls kostenpflichtig sei. Ganz im Gegensatz dazu steht das Freibier, das wirklich kostenfrei ist.

 

Diesbezüglich wurden wir uns nicht einig und beschlossen, am Abend einen Ortstermin im Prater wahrzunehmen. „Sammas?“, meinte Leopold. Offensichtlich wollte er zum nächsten Tagesordnungspunkt übergehen. Josef antwortete mit: „Nona!“, was so viel wie „Sicherlich“ bedeutet. Ich war froh, dass ich zuvor mein „Deutsch-Österreichisch“ Buch studiert hatte. Nachdem Karl ein „Jo glei“ hinzufügte, ging es wirklich weiter. Wir hatten gerade das Thema „Speisen und ihre irreführenden Bezeichnungen“ begonnen, als es an der Tür klopfte, und jemand vom Hotelpersonal die Speisekarte des angeschlossenen Restaurants hereinbrachte. Aber da ging es schon wieder los! Es wurde nicht nur eine Speise angeboten, obwohl man das vom Namen her hätte erwarten können, sondern mehrere Speisen. Warum heißt das dann nicht Speisenkarte?

 

Wir studierten die Karte trotzdem, wobei Berta „Wiener Würstchen“ darauf vermisste. Sie hatte keinen großen Hunger, da sie die Reste ihres Salates komplett verspeist hatte, anstatt diese, wie von mir vorgeschlagen, im Mistkübel zu entsorgen. Karl erklärte dann, dass die Wiener Würstchen zum einen gar nicht aus Wien kommen, und zum zweiten in Österreich „Frankfurter“ genannt werden. Offenbar ist es so, dass nichts in der jeweiligen Stadt so heißt, wie es sonst anderswo genannt wird, dann ich hatte ja auch gelernt, dass „Berliner“ in Berlin „Pfannkuchen“ heißen.

 

Ich entdeckte auf der Karte „Tafelspitz“ und war entsetzt. Auch hier wurde Hundefleisch angeboten! Das kannte ich ja schon von meinem Besuch in Hamburg auf dem Rummelplatz. Doch dann stellte Karl richtig, dass Tafelspitz vom „Knöpfl“ oder „Schlegl“ des Rindes stammt, und Letzteres eben „Schwanzstück“ und das wiederum „Tafelspitz“ bedeutet. Daher wird künftig „Tafelspitz“ als „Schwanzstück“ auf den Speisenkarten erscheinen, um die Verbraucher nicht mehr zu täuschen. Und auch für den „Palatschinken“ wird sich ein neuer Name finden müssen, da in diesem dünnen Pfannkuchen kein bisschen Schinken enthalten ist.

Das kam auch auf unsere Liste. Angeblich ist das ein Lehnwort aus dem Griechischen und heißt auf Lateinisch „Placenta“. Das kommt als künftige Verkehrsbezeichnung nun gar nicht in Frage, da waren wir uns einig.

 

Als wir gerade den „Kaiserschmarrn“ in Frage stellten, der eine „verfeinerte Form des Palatschinken“ ist, wurde das Essen gebracht, und wir mussten Pause machen. Ich hatte das Wiener Schnitzel mit „Erdäpfelsalat“ gewählt, wobei dieser ein ganz normaler Kartoffelsalat war, wie man ihn auch bei uns kennt. Karl erklärte mir, dass Kartoffeln in Österreich nun einmal „Erdäpfel“ sind. Nun gut. Gegen diese Bezeichnung bestanden keine Einwände. „In der Schweiz sagt man Härdöpfelsalat dazu“ bemerkte Kunibert. In dieses Land komme ich sicherlich auch irgendwann, um das zu überprüfen. Er selbst hatte „Fiakergulasch“ bestellt und auch bekommen. Es war aber gar kein Pferde- sondern Rindfleisch. Dazu gab es kurioserweise Frankfurter Würstchen, eine Gewürzgurke und Semmelknödel. Es gab korrekterweise nur einen einzigen Knödel. Ob dieser aus nur einem Semmel hergestellt wurde, konnten wir nicht überprüfen.

 

Nach dem Essen ging es mit der Diskussion weiter. Jetzt ging es um behördliche Begrifflichkeiten, zunächst um den „Exekutor“, also dem Gerichtsvollzieher. Hier entschieden wir, diesen schrecklichen und fremdsprachlichen Begriff durch „Hinrichter“ zu ersetzen. Josef gefiel diese Wortwahl allerdings nicht, er wurde aber überstimmt. Danach diskutierten wir über „in Evidenz halten“, was soviel wie „vormerken“ bedeutet, fanden aber zu keinem eindeutigen Ergebnis und vertagten diesen Punkt, bzw. wir hielten ihn in Evidenz.

 

Ein Werbekonzept musste aber auch noch her. Ich schlug meinen dahin geschiedenen Hustinetten-Bär vor. Das wurde angenommen, allerdings sollte der Bär statt in grün in rot-weiß-rot gestreift daherkommen und „Nimm die Wahlen nicht so schwer, hier kommt der PDÖS-Bär“ singen. Für unseren Wahlkampf werden wir das so übernehmen, wobei unser Bär schwarz-rot-gold sein wird und von der PDDS singen wird.

 

Am Abend bummelten wir alle gemeinsam über den Prater. Die von Josef erwähnte Imbissbude war nicht mehr an ihrem Platz und einer Filiale von „Bürger-König“ gewichen. Das Thema hatte sich folglich erledigt. Wir trennten und danach von den Grubers und wünschten ihnen viel Erfolg für die Wahl am 29. September.

 

Im Hotel rief ich Oskar an. Beim Stichwort Wahlen war mir eingefallen, dass an diesem Abend im Europa-Parlament die Wahl zur Präsidentin der Europäischen Kommission stattgefunden hatte. Ich wollte wissen, wie es ausgegangen war und wie er selbst gestimmt hatte. Oskar teilte mir begeistert mit, dass er mit „Ja“ gestimmt hatte und den Wahlzettel ordnungsgemäß unterschrieben hätte. Auf meine entsetzte Frage, ob er das denn immer so machen würde, wenn er wählt, antwortete er auch mit „Ja“. Na, das kann ja heiter werden mit Oskar im EU-Parlament.

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Bildmaterialien: www.wikipedia.org
Tag der Veröffentlichung: 17.07.2019

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Vielen Dank an Margo für die Tipps und die Hilfe bei den österreischischen Begrifflichkeiten.

Nächste Seite
Seite 1 /