Oskar Plümecke war glücklich. Er hatte es geschafft. Seine Partei, die PDDS, die Partei der Deutschen Sprache, hatte bei der Europawahl am 26.05.2019 einen Sitz im Europa-Parlament erobert. Es war nur einer, nicht ganz soviel, wie sein Freund Hubert Hundertmark erwartet hatte. „Die 0,9 % Stimmen sind ein Anfang“, hatte Hubert gesagt. Großzügigerweise hatte er Oskar den Sitz überlassen. Hubert wollte sich ganz auf künftige Aufgaben, wie den Wahlkampf der Bruderpartei PDÖS in Österreich im September, konzentrieren.
Vom 11. bis zum 13.06.2019 fand in Brüssel ein Einführungsseminar für alle neu gewählten EU-Parlamentarier statt. Ein wenig kannte sich Oskar in Brüssel ja schon aus, nachdem er vor ein paar Wochen mit Hubert und dessen Brüdern dort war. Allerdings gab es nicht nur angenehme Erinnerungen an diesen Besuch. Vor allem diese junge Frau, die ihn in der U-Bahn auf die Füße trat und ihn dann noch mit Opa Dong beschimpfte, missfiel ihm.
Bei dem Seminar lernte Oskar unter anderem einen Herrn aus Polen kennen, der in einer sehr seltsamen Partei war. Oskar wollte von dem Herrn wissen, ob deren Name mit dem Manecken Pis zusammenhing, welches er sich beim letzten Mal angehen hatte. Der Herr wurde daraufhin recht ärgerlich, was Oskar etwas verwirrte. Als sich der Abgeordnete von Slowenien vorstellte, musste Oskar hingegen lauthals lachen, da dessen Partei DeSus hieß, was ihn abermals an die Aktion mit dem Büstenhalter erinnerte. Mit Unterwäsche hatte diese Partei aber auch nichts zu tun.
Bei seiner künftigen Tätigkeit würde künftig alles übersetzt werden: die Reden, die Entwürfe der Abstimmungen und auch die Hausordnung. Darüber war Oskar froh, denn seine Fremdsprachkenntnisse waren immer noch mangelhaft. Oskar beschloss, auf Reden im Parlament vorerst zu verzichten und bei den Abstimmungen abwechselnd mit „Ja“ oder „Nein“ zu stimmen, egal, worum es ging. Davon ausgenommen waren natürlich Abstimmungen zu Diätenerhöhung. Aber, ob eine Richtlinie zum Krümmungsgrad von Salatgurken verabschiedet wurde, war letztendlich unwichtig. Viel wichtiger war es, sich täglich in das Buch für das Tagegeld einzutragen. Das waren jedes Mal 304 Euro – unversteuert. In dem Seminar wurde diese Wichtigkeit ausdrücklich betont.
Das zweitwichtigste war die Teilnahme an Empfängen von Firmen, die dazu einluden. Da würde es für jeden Gast leckere Speisen und köstliche Getränke geben, natürlich alles kostenlos. Wenn es später einmal darum gehen sollte, irgendwelche Sanktionen gegen diese Firmen zu erheben, konnte man sich an diese Empfänge zwar erinnern, aber keineswegs davon beeinflussen lassen. Das hatte Oskar auch nicht vor, er war integer.
„Sie sind übrigens nicht die ganze Zeit in Brüssel, einmal im Monat zieht das ganze Parlament nach Straßburg!“, erklärte der Seminarleiter. Dafür musste die gesamte Büroeinrichtung in Koffern gepackt werden. Oskar fand das ziemlich sinnlos, aber er hinterfragte es nicht. Um das zu üben, wollte er mehrfach seine Wohnung umräumen. Das Schlafzimmer käme ins Gästezimmer, das Gästezimmer ins Wohnzimmer und das Wohnzimmer ins Schlafzimmer.
Toll fand Oskar diese kleine Plastikkarte, die ihm in die Hand gedrückt wurde. „Das ist eine Betsch!“, hieß es. Das fand Oskar witzig. Die Karte zeigte seinen Namen, sein Foto und die Aufschrift „EU-Parlamentarier“, sie diente auch zum Öffnen seines Büros. Bei der stressigen Arbeit brauchte Oskar unbedingt noch einen Büroleiter, dieser stand ihm zu. Oskar überlegte kurz, ob er Hermine dafür engagieren sollte, verwarf den Gedanken jedoch schnell. Doch dann fiel ihm die Susanne aus Wuppertal ein, die er in New York kennen gelernt hatte. Das wäre doch eine weitaus bessere Option. Er beschloss, Susanne umgehend anzurufen. Susanne war zunächst wenig davon angetan. Als sie jedoch erfuhr, wie ihre Bezahlung sein würde, sagte sie begeistert zu.
Ein Höhepunkt des Seminars waren Original-Verordnungen, die das EU-Parlament im Laufe der Jahre beschlossen hatte. Da gab es eine Schnullerketten-Verordnung, die 52 Seiten umfasste. In acht Kapiteln mit bis zu 40 Unterpunkten wurde explizit festgelegt, was nach Ansicht der EU alles dazu zu regeln sei. Ferner lernte Oskar, dass es verboten war, Teebeutel auf den Kompost zu werfen und dass in der Kondom-Verordnung stand, dass in Kondomen bis zu fünf Liter Flüssigkeit Platz finden musste. Das machte Oskar ziemlich nachdenklich und betroffen. Aber es gab auch etwas, dass ihn beruhigte. Ihm war eingefallen, dass er gelesen hatte, dass die EU beschlossen hatte, dass traditionelle Krüge aus Stein nicht mehr für den Ausschank von Bier erlaubt seien. Die Meldung erwies sich jedoch als unwahr. Man darf eben nicht alles glauben, was in der Zeitung steht.
Bei dem Seminar hatte Herr Plümecke auch drei Briten kennen gelernt. Diese plauderten eifrig, ein Teil von dem Gerede verstand Oskar. Es ging um irgendwelche Brekkies, und darum, dass diese Herren schon bald wieder weg sein würden. Das fand Herr Plümecke merkwürdig, mit Katzenfutter kannte er sich aber nicht aus, und darum schwieg er lieber. Die drei Herren luden Oskar noch zum Besuch eines englischen Pubs ein, wo Lammragout mit Pfefferminzsoße serviert wurde. Das fand Oskar weniger lecker. Dafür schmeckte ihm das Bier dort umso mehr.
„Sie müssen sich noch entscheiden, in welchem Ausschuss Sie mitwirken möchten. Dazu werden Sie von Ihrer Fraktion entsandt. Wenn Sie fraktionslos sind, gibt es dafür auch eine Gruppe. Es gibt zwanzig ständige Ausschüsse und zwei Unterausschüsse“, erklärte der Seminarleiter. Oskar schwirrte der Kopf. Ein Ausschuss konnte doch nichts Gutes bedeuten.
Zum Abschluss des Seminars wurde die Hymne der EU gespielt: „Freude schöner Götterfunken“ von Beethoven. Hubert wäre begeistert gewesen. Gut gelaunt fuhr Oskar nach Hause. Anfang Juli sollte es dann losgehen mit dem EU-Parlament. Allerdings zunächst in Straßburg, nicht in Brüssel. Ein paar Wochen hatte Oskar also noch Zeit, um sich weiter vorzubereiten.
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Tag der Veröffentlichung: 27.06.2019
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