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Hubert in Brüssel

 

 

Ich, Hubert Hundertmark, bin etwas enttäuscht. Wie Sie sich vielleicht erinnern, habe ich vor ein paar Monaten mit Freunden und Verwandten die „PDDS, die Partei der Deutschen Sprache“ gegründet, deren Ziel außer dem Verbraucherschutz auch die Verbannung aller Fremdwörter ist. Der Zulauf war recht groß, wir haben schon knapp tausend Mitglieder. Aber leider ist die Entwicklung in Berlin nicht so, wie wir das gerne hätten. Es wird noch etwas dauern, bis die nächste Bundestagswahl ist und ich Bundeskanzler werden kann. Auch Buxtehude muss noch verharren, bis es Bundeshauptstadt wird.

 

Daher haben wir uns dazu entschieden, bei der Europawahl anzutreten und ins dortige Parlament einzuziehen. Das ist doch auch etwas! Um die Lage zu sondieren, bin ich mit meinen Brüdern Kunibert, dem Anwalt, Herbert, dem Nervenarzt und Norbert, dem Programmdirektor von TELE 12 sowie meinem lieben Freund Oskar Plümecke nach Brüssel gefahren.

 

In Brüssel nahmen wir uns ein schönes Hotel in der Innenstadt. Mit der U-Bahn wollten wir die Stadt erkunden. Da ist es denn passiert. Eine junge, wohl beleibte Dame ist Oskar auf den Fuß getreten. Anstatt sich zu entschuldigen, hat sie ihn noch beleidigt! Sie hat ihn als Großvater bezeichnet und ihn dann noch mit einem Chinesen verwechselt. „Ich habe deutlich gehört, dass Sie Opa Dong gesagt haben, junge Frau! Das geht gar nicht. Wissen Sie, ich bin Anwalt, und ich werde Sie verklagen! Und mein Bruder Norbert wird darüber im Fernsehen berichten“, erklärte Kunibert sogleich. Die Dame hatte etwas seltsam geguckt und ist dann ausgestiegen.

 

Danach haben wir uns die Sehenswürdigkeiten angesehen. Zunächst ging es zum Manecken Pis. Wir wollten uns diese schamlose Darstellung unbedingt ansehen und diese verhüllen. Dafür hatte ich extra den Büstenhalter mitgebracht. Wie Sie sich vielleicht erinnern, hatte ich diesen damals versehentlich erworben, weil ich ihn für eine Befestigungsmöglichkeit meiner Beethoven-Büste hielt. Das war ein Irrtum, wie sich herausgestellt hatte. Leider hatte er meiner Frau nicht gepasst, so dass er schon lange bei uns herumlag.

 

Wie auch immer: Ich betrachtete mit Widerwillen diese Brunnenfigur und kletterte mit Hilfe von Herbert und Norbert an dem Sockel, auf dem das Ding stand, empor und bedeckte den Unterleib des steinernen Jungen mit dem Büstenhalter. Das fand großes Interesse bei den umstehenden Touristen. Ich bekam viel Beifall, zahlreiche Fotos wurden gemacht. Doch dann kam eine sonore Stimme von hinten: „Pa Dong!“. Sie gehörte einem Mann in Uniform, offenbar ein Polizist. Jetzt wurde also auch ich für einen Chinesen gehalten und dann auch noch für den Sohn von Oskar!

 

Kunibert versuchte, die Situation zu klären, da dem Polizisten diese Neugestaltung nicht gefiel. Kuni wies explizit darauf hin, dass der Hersteller des Büstenhalters keinen Warnhinweis angebracht hatte, der die Bedeckung von Skulpturen verbat. Eine glasklare Verbrauchertäuschung! Genutzt hat uns das leider nichts! Es kostete uns eine Ordnungsstrafe.

 

Unser nächstes Ziel in Brüssel hatte uns unsere Cousine Hermine nahe gelegt. „Ihr müsst Euch unbedingt das Plutonium ansehen!“, sagte sie. Entsprechende Fragen im Touristenbüro verliefen erfolglos, bis wir dort ein Foto sahen. „Das meint Hermine“, rief ich, als ich ein Gebilde aus Kugeln und Stäben sah. Die junge Dame am Schalter konnte ein Lachen kaum unterdrücken. Sie sprach hervorragend Deutsch. „Das, meine Herren, ist das Atomium. Es wurde 1958 für die damalige Weltausstellung errichtet. Sie finden es im Stadtteil Laken.“ Jetzt erst sahen wir, dass in der Vitrine mit den Souvenirs mehrere Objekte standen, die offenbar dieses Atomium darstellten.

 

„Das kleine kostet zehn Euro, das etwas größere zwanzig, das große dreißig und das ganz große fünfzig Euro“, erklärte uns die Frau. „Na, denn nehmen wir doch das ganz große!“, entschied ich. Meine Brüder und Oskar nickten zustimmend. Wir bezahlten und verließen begeistert das Touristenbüro. Irgendetwas rief uns die junge Frau noch hinterher, aber da waren wir schon unterwegs nach Laken.

 

„Na, das macht sich doch gut auf auf unseren Rathausplatz in Buxtehude! Das ist noch viel besser als die Siegessäule als Berlin“, stellte ich begeistert fest, als wir vor dem Atomium standen, das wir zuvor käuflich erworben hatte. Oskar stimmte zu und holte seinen Zollstock hervor, den er stets mitführte. Alle Seiten maß er sorgfältig aus und gab mir die Zahlen durch. Ich notierte sie. Als ich gerade abschätzte, wie hoch das Atomium sei, kam ein weiterer Mann in einer Uniform auf uns zu. Auch er hielt mich für einen Chinesen und den Sohn von Oskar.

 

Es war schon seltsam, dass wir in dieser Stadt immer für Chinesen gehalten wurden. „Das haben wir gerade gekauft – für fünfzig Euro“, erklärte ich ihm. Er sah mich verständnislos an. Es stellte sich heraus, dass wohl ein Missverständnis vorlag. Wir erfuhren, dass wir keineswegs das Atomium selbst, sondern nur ein Modell davon erworben hatten. „Davon hat die Frau im Touristenbüro aber nichts gesagt. Sie hat gesagt, dass das ganz große fünfzig Euro kostet. Das ist doch eine ganz üble Verbrauchertäuschung!“, empörte ich mich und Kunibert versprach die Stadt Brüssel umgehend zu verklagen, wenn er wieder zu Hause war.

 

Verärgert kehrten wir in unser Hotel zurück. Dort sahen wir uns die Übertragung des ESC aus Israel an. Hermine hatte erzählt, dass sie da hinfliegen wollte, um sich das anzusehen. Wir witzelten, ob sie überhaupt hinfinden würde. Immerhin hatte sie es ja nicht einmal geschafft, zur Gründungsversammlung der PDDS zu kommen, weil sie statt zum Berliner Hotel am Potsdamer Platz nach Potsdam zum Berliner Platz gefahren war. Und sie hat vor ein paar Wochen Israel „Irgendwo zwischen Spanien und Frankreich“ vermutet.

 

Doch dann sahen wir sie: Live auf der Bühne. Sie hatte sich als Madonna verkleidet und einen grauenhaften Auftritt hingelegt. Vermutlich ist sie statt in den Zuschauerraum irgendwie aufs Podium geraten. Na, ja, wenn sie von dem Geld, was sie dafür kassiert hat, nur die Hälfte an unsere Parteikasse abgibt, ist die künftige Finanzierung unserer Wahlkämpfe gesichert. Für die Europawahl kommt es etwas spät, aber in Österreich stehen ja im September Neuwahlen an. Unsere österreichische Bruderpartei, die PDÖS könnten wir damit unterstützen. Nächsten Monat fahren wir nach Wien, um alles Weitere mit unseren dortigen Freunden zu besprechen.

 

 

 

 

 

 

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Bildmaterialien: www.wikipedia.org
Tag der Veröffentlichung: 21.05.2019

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