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Das Projekt Hannibal

 

 

An diesem Tag hatte es der Wettercomputer gut mit uns gemeint: Strahlendblauer Himmel, fast wolkenfrei. Es war frühlingshaft warm. So fuhr ich gut gelaunt zur Arbeit. Sarah und Vladimir waren schon da und plauderten eifrig. Ich setzte mich zu ihnen. Gerade als wir uns über das Wetter auslassen wollten, piepte und blinkte der Computer.

 

„Diesen Schnickschnack mit dem Piepen und Blinken könnten die sich auch einmal sparen“, bemängelte der Russe. Sarah entgegnete: „Ach, du alter Griesgram. Es muss ja nicht immer alles funktionell sein. Lass uns lieber schauen, was unsere neue Aufgabe ist.“ Gemeinsam betrachteten wir den Bildschirm. „Hannibal“ stand da. „Zu deiner Information, Sebastian. Das ist keine Sportart“, erklärte die Irin, die heute anscheinend ihren witzigen Tag hatte. „Stell dir mal vor, das weiß ich“, entgegnete ich, etwas beleidigt. Immer wieder stellten mich meine beiden Kollegen als Dummerchen da. Ich hatte doch auch studiert, auch wenn nicht mit einem so brillanten Ergebnis wie die beiden anderen.

 

„Na, dann erkläre doch einmal, wer Hannibal war und wann er gelebt hat!“, hakte Sarah nach und grinste. Ich druckste herum und antwortete: „Nun, ich bin mir nicht sicher. Ich glaube, er war ein römischer Feldherr…“ „Nicht ganz, Sebastian. Er war zwar ein Feldherr, aber er kämpfte gegen die Römer. Hannibal kam aus Karthago und war sehr erfolgreich, den Römern fügte er einige Niederlagen zu. Er marschierte außerdem mit 50.000 Soldaten, 9.000 Reitern und 37 Elefanten über die Alpen. Dafür ist er weltberühmt“, entgegnete Sarah.

 

Vladimir nickte und ergänzte: „Folglich geht es in die Zeit des zweiten punischen Krieges von 218 bis 201 vor Christus. Wir werden uns auf die Alpenüberquerung konzentrieren. Auf nach Karthago!“

 

Wir setzten die Flugmaschine in Bewegung zu ihrem Ziel. Währenddessen erzählte Sarah von dieser Zeit und den Auseinandersetzungen der Römer mit den Karthagern. Das war sehr interessant. Ich erfuhr, dass Punier der lateinische Begriff für die Karthager war und dass dieser Krieg die endgültige Vorherrschaft im Mittelmeerraum zugunsten Roms entschied. „Karthago ist im dritten punischen Krieg im Jahr 146 vor Christus zerstört wurden. Die überlebenden Einwohner wurden dann versklavt“, erklärte Sarah noch.

 

Unterdessen hatte unsere Zeitmaschine ihr Ziel im Jahre 218 vor Christus erreicht. Wir erblickten eine für damalige Verhältnisse sehr große Stadt. Die Straßen waren rechtwinklig angelegt und die Bauten erstreckten sich an der Küstenlinie des Mittelmeers. „Nicht unweit hiervon ist heutzutage Tunis“, teilte die Irin mit. Sie schien begeistert, über das, was sie sah. „Knapp eine halbe Million Menschen lebten damals dort“, fuhr sie fort.

 

„Und wo ist jetzt dieser Hannibal? Wie sah der überhaupt aus?“, wollte ich wissen. „Das ist das Problem. Niemand kennt sein Aussehen. Das ist nicht überliefert“, antwortete Vladimir und Sarah nickte. „Na, wir werden ihn schon finden. Meistens glückt uns das ja“, ergänzte sie. „Notfalls greifen wir da wieder ein, wie bei Shakespeare, Stonehenge oder den Pyramiden“, wagte ich zu sagen. Das brachte mir missbilligende Blicke meiner Kollegen ein.

 

Wir suchten die ganze Stadt nach jemandem ab, der Hannibal sein könnte. Das war bei der Größe des Ortes gar nicht so einfach. Schließlich entdeckten wir auf einem Podest einen kleinen Mann, der vor eine großen Gruppe Leute sprach. Er hielt eine frenetische Rede, die umjubelt wurde. „Das ist er offenbar. Ich habe ihn mir aber, ehrlich gesagt, etwas größer vorgestellt“, bemerkte Sarah. „Kannst du verstehen, was er sagt?“, wollte ich wissen. „Nun, ich kann phönizisch. Punisch ist dem sehr verwandt und ähnelt außerdem Hebräisch. Ich verstehe nicht jedes Wort. Soweit ich es aber begriffen habe, hetzt dieser Mann gegen die Römer. Es ist wohl wirklich Hannibal.“ „Der große Feldherr!“, sagte Vladimir spöttisch.

 

„Jetzt wird es konkreter. Er hat etwas von einem Feldzug und den Alpen gesagt, wobei er diese aber nicht so genannt hat, da dieser Begriff damals wohl noch nicht geläufig war, jedenfalls nicht bei den Puniern. Aber es muss der berühmte Zug mit den Elefanten sein, da er die Route genau beschrieben hat. Es soll von der Ostküste der iberischen Halbinsel an den Pyrenäen vorbei gehen und von da durch das heutige Südfrankreich zu den Alpen. Leider hat er den Pass nicht genannt, den er dort benutzen will. Der ist auch nicht überliefert“, berichtete Sarah weiter.

 

„Dann spulen wir doch zeitlich etwas vor und fliegen in Richtung iberische Halbinsel“, schlug Vladimir vor. So taten wir es. Viel war nicht zu sehen. Wir flogen weiter nördlich, am Tal der Rhone sahen dann wir das Heer. Es waren tatsächlich mehrere zehntausend Soldaten und einige tausend Reiter. Von Elefanten war aber keine Spur. „Verdammt“, riefen Sarah und Vladimir fast gleichzeitig. „Dann ist das wohl eine Legende“, bemerkte ich. „Man hat aber Elefantenknochen längs der Strecke gefunden“, entgegnete Sarah.

 

Wir beratschlagten die weitere Vorgehensweise. „Wir könnten natürlich 37 Elefanten dort hin transportieren, das waren damals nordafrikanische, die heutzutage schon lange ausgestorben sind. Vom Gewicht her wäre das zu stemmen. Aber es sind viele einzelne Objekte, die sich bewegen. Insofern ist das fast unmöglich. Hat jemand eine bessere Idee?“, begann Vladimir die Diskussion. Ich überlegte und warf dann ein: „Wir könnte ja auch aus einer Mücke einen Elefanten machen.“ Dieser altmodische Spruch, den mein Großvater gerne benutzt hatte, war mir spontan eingefallen. Sarah und Vladimir sahen mich zunächst irritiert an, dann rief die Irin begeistert: „Das ist es! Das ist es! Die sind doch gerade an einem Flussufer, da muss es doch bestimmt Mücken geben!“

 

Lange brauchten wir nicht zu suchen, ein paar Meter schwirrte ein paar Tausend Mücken am Wasser. Nun galt es, diese zum Heer zu locken. „Schweiß lockt Mücken an“, fiel Vladimir ein. „Und um sie zum Schwitzen zu bringen, würzen wir das Essen der Truppe etwas nach. Die Menschen der damaligen Zeit kannten kaum Gewürze. Alles Essen war fade“, ergänzte Sarah.

 

Wir transferierten zehn Kilo Pfeffer aus dem Nahrungsgenerator unserer Kantine zum Lagerplatz von Hannibals Truppe und schütteten diese in den Hirsebrei, den der Koch dort gerade zubereitete. Kaum nachdem die Essensausgabe begonnen hatte, begann der Schweißausbruch bei den Soldaten. Sie waren es in der Tat nicht gewohnt, scharf zu essen. Die Mücken schwirrten zu Tausenden heran und plagten die gesamte Truppe. Auch Hannibal war betroffen. Eine ganze Zeitlang beobachten wir danach, wie er mit seinen Leuten über die Alpen zog, nicht mit 37 Elefanten, aber mit vielen Mücken.

 

Ein weiteres Mal hatten wir den Lauf der Geschichte etwas verändert und gleichzeitig den Ursprung einer bekannten Redewendung geklärt.

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Bildmaterialien: www.wikipedia.org
Tag der Veröffentlichung: 06.04.2019

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