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Kaffeeverbot

 

 

 

 

Ich hatte mich auf das Experiment eingelassen und wollte in diese Parallelwelt reisen. Was würde mich dort erwarten? Eine friedvolle Welt? Oder eine totalitäre mit Überwachung rund um die Uhr? Ich war gespannt.

 

Als ich dort ankam, sah alles völlig normal aus, kein Unterschied war festzustellen. Ich ging die Straßen entlang. Auf einer Bank saß ein hübsches, junges Mädchen mit langem, blonden Haar. Mutig ging ich zu ihr und setzte mich neben ihr. Ich wollte mehr von dieser Welt erfahren. „Sag mal, hast du etwas Zeit? Ich lade dich auf einen Kaffee ein“, sagte ich. Entsetzt sah sie mich an. Was hatte ich falsch gemacht?

 

Das Mädchen beugte sich zu mir herüber und flüsterte: „Bist du verrückt? Da drüben steht die Polizei. Hier kann man nirgendwo einen Kaffee bekommen, jedenfalls nicht legal. Komm mit, aber sag bitte kein Wort mehr!“ Das war schon eigenartig, aber ich tat, was sie sagte.

 

Wir gingen einige Straßen weiter, es wurde immer ungemütlicher und schmutziger. Mir fiel auf, dass kein Mensch auf dieser Welt mit einem Kaffeebecher herumlief und dass es nirgendwo nach Kaffee duftete. Stattdessen kifften die Leute offen und ohne Scham. An einer Plakatwand sah ich eine Werbung für Hasch-Zigaretten. Die Packung zierte das bekannte Logo einer Hanfpflanze.

 

Die junge Frau, die sich unterdessen als Ilona vorgestellt hatte, führte mich in eine kleine Nebenstraße. Wir gingen durch eine Hofeinfahrt und von dort zu einem verfallenen Hinterhaus. Im ersten Stock klopfte Ilona an die rechte Tür: „kurz-kurz-lang-lang-kurz“. Offenbar ein Code. Ein langhaariger Typ mit einem schmuddeligen T-Shirt öffnete uns. Auf dem Shirt sah man eine Kaffeebohne und darüber den Aufdruck: „Legalize It!“.

 

Es roch nach Kaffee, frisch gerösteten Kaffee. Welch ein wunderbarer Duft. In der Küche saßen vier Leute an einem alten, klapprigen Tisch auf kleinen Schemeln. Jeder hatte einen Kaffeebecher vor sich. Eine Kaffeemaschine brodelte.

 

„Ich heiße Markus“, stellte ich mich vor. Man bot mir auf der Eckbank einen Platz an. Ilona setzte sich daneben und sagte: „Der Typ ist in Ordnung, aber etwas schräg, offenbar nicht von hier.“ Der Langhaarige schaute mich misstrauisch an und antwortete: „Ich bin Thomas. Das da hinten sind Karl, Ramona, Martina und Petra. Ilona kennst du ja wohl schon.“ Die anderen nickten mir freundlich zu und widmeten sich wieder ihrem Getränk.

 

„Du kennst die Tarife?“, fragte Thomas. Ich schüttelte den Kopf. „Einen Zwanziger die Tasse. Das ist aber guter Stoff. Bester Arabica aus dem brasilianischem Hochland. Nicht das gestreckte Zeug, das du anderswo kriegst.“ Ich sagte: „Das geht in Ordnung“ und hoffte, dass hier wenigstens das gleiche Geld wie bei uns galt. Schon eigenartig: Hasch war legal und wurde offen konsumiert und Kaffee war verboten.

 

„In Holland gibt es Coffeeshops, da kann man ganz offiziell Kaffee trinken und auch mitnehmen“, berichtete Martina und schaute sehnsüchtig. Petra ergänzte: „Es wird Zeit, dass das auch bei uns erlaubt wird. Dieser blöde Schmuggel geht mir auf die Nerven. Meine Schwester wurde letzte Woche mit dreißig Kilo Rohkaffee an der Grenze erwischt. Sie kam gleich in den Knast.“ Karl pflichtete bei: „Kanada hat das auch legalisiert und auch ein paar Staaten der U.S.A. Bei uns musst du immer noch in eine Apotheke gehen, und dann brauchst du auch noch ein Rezept. Dabei ist Kaffee nicht schädlicher als Tee. Und süchtig macht er auch nicht.“ Ramona erwähnte: „Die behaupten ja immer, das führe zu gefährlichem Drogenkonsum wie Kokain oder Heroin. Welch ein Blödsinn!“

 

Unterdessen hatte mir Thomas einen Becher gereicht. Ich zahlte, mein Geld wurde ohne Murren akzeptiert. Am liebsten hätte ich den Leuten erzählt, dass es in meiner Welt ganz anders war. Man hätte mir wohl nicht geglaubt. Genauso wenig würde man in unserer Welt glauben, dass es so sein könnte wie hier.

 

Zu gerne hätte ich erfahren, wie es dazu kommen konnte, dass es zu einem globalen Kaffeeverbot kam, aber die Zeit drängte. Ich hatte nur zwei Stunden Zeit für diese Parallelwelt. In fünfzehn Minuten musste ich zurückkehren. Daher trank ich meinen Kaffee aus und verabschiedete mich. Ilona begleitete mich.

 

Wir gingen zu der Stelle zurück, wo wir uns kennen gelernt hatten. Zum Abschied nahm ich Ilona in den Arm und versprach: „Ich komme wieder. Schon bald.“ „Das hoffe ich doch sehr, Markus!“, antwortete sie und lächelte. Ihr Atem roch angenehm nach Kaffee. So kehrte ich in meine Welt zurück. Mit diesem Erlebnis hatte ich nie und nimmer gerechnet.

 

 

 

 

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 05.01.2019

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