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Einfach winzig

 

 

„Ich bin ziemlich unzufrieden“, grummelte Edwin und kletterte aus seiner Streichholzschachtel, die ihm seit drei Wochen als Lager diente. Seit sein Freund Walter den Verkleinerungszauber bei ihm angewandt hatte, war Edwin spürbar geschrumpft. Zum Glück hatte das irgendwann aufgehört, aber bei seiner jetzigen Größe konnte Edwin seinen Beruf als Lagerleiter nicht mehr effizient ausüben. Seinem Chef hatte er das Problem noch nicht geschildert, das hätte dieser sowieso nicht geglaubt.

 

Es fing alles damit an, dass Walter die spärliche Haartracht von Edwin verschönern wollte. Doch statt seiner Haare war er selbst enorm gewachsen, bis er über fünf Meter groß war. Mit Hilfe des Hexennotdienstes und des Gegenmittels wurde das zwar wieder rückgängig gemacht, aber offenbar hatte sich Walter bei der Dosierung des Trankes vertan und seitdem schrumpfte Edwin enorm.

 

„Zu blöd, dass ich das Zauberbuch weggeworfen habe“, antwortete Walter mit einem bedauernden Achselzucken. Er ergänzte: „Ich möchte aber feststellen, dass du mir gesagt hast, dass ich das machen soll!“ „Ach, jetzt bin ich daran Schuld, du Schnarchnase. Du hast doch mit diesem ganzen Firlefanz angefangen. Ruf jetzt bitte endlich den Hexennotdienst an. Die Nummer hast du ja wohl noch!“

 

Walter kramte in der Schublade seines Schreibtisches, in der allen möglichen Krimskrams aufbewahrte. Nach etwa zwanzig Minuten fand er den Zettel. Er wählte die Nummer: 0166/ 666666. Es tutete, dann hörte er: „Hier ist der Hexennotdienst. Alle Anschlüsse sind zur Zeit belegt. Sie werden mit der nächst frei werdenden Hexe verbunden. Bitte legen Sie nicht auf. Dieser Anruf kostet sie zwei Euro die Minute, bei Anrufen aus dem Mobilfunknetz können höhere Kosten entstehen.“ Das kannte er schon. Die Preise waren seit dem letzten Mal nicht gesenkt worden.

 

Nach einer halben Stunde kam Walter endlich durch. Verärgert stellte er fest, dass das noch viel länger gedauert hatte, als beim ersten Anruf vor zwei Monaten. Eine sympathische, höchst attraktive Stimme einer jungen Frau meldete sich: „Hier ist der Hexennotdienst, mein Name ist Sabira Blocksberg. Was können wir für Sie tun?“

„Ich habe wieder ein Problem.“

„Ach, kann das sein, dass Sie schon mal bei uns angerufen haben? Ihre Stimme kommt mir bekannt vor.“

„Ja, richtig. Sie haben mir damals dieses Tonikum zugeschickt, zum Verkleinern.“

„Ich erinnere mich. Hat es gut geholfen? Brauchen Sie jetzt Nachschub?“

„Es hat sehr gut geholfen, aber zu gut. Mein Freund ist jetzt nur noch fünf Zentimeter groß.“

„Das ist recht winzig. Und das gefällt ihm nicht?“

„Nicht wirklich. Er wäre gerne wieder größer.“

„Können Sie das nicht zurück zaubern? Sie hatten doch ein altes Zauberbuch, nicht wahr?“

„Das habe ich weggeworfen.“

„Das ist aber dumm.“

 

Sabira überlegte und sagte dann: „Das hätte Sie nicht tun sollen. Sollen wir Ihnen den Vergrößerungszaubertrank per Amazon zusenden? Er kostet nur 135,85 Euro einschließlich Porto und Verpackung. Alternativ könnten Sie uns auch Ihren Freund per Post schicken und wir würden vor Ort helfen. Bei seiner jetzigen Größe wäre das nicht zu teuer.“

 

Walter diskutierte kurz mit dem missgelauntem Edwin. Seltsamerweise war er mit dem kostengünstigeren Vorschlag nicht einverstanden. Sabira hatte das Gespräch mitgehört und bot dann an: „Es gibt noch eine dritte Möglichkeit. Das machen wir aber nur sehr selten. Ich könnte bei Ihnen persönlich vorbeifliegen. Hausbesuche machen wir nur bei besonderen Notfällen. Sie sind als Junghexer wohl doch eher etwas untalentiert, glaube ich.“ Walter war von der Idee begeistert und auch Edwin hatte nichts dagegen. Er bemerkte süffisant: „Bei deinem Talent wäre das wohl das Beste.“

 

So geschah, dass sich die junge, hübsche Hexe auf ihren Besen schwang und von der Hexenzentrale zu Walters Wohnung flog. Zum Glück war keine Rushhour und so war sie schon zwei Stunden später dort. Sie landete auf Walters Balkon und klopfte sanft ans Fenster. Walter war der Schönheit Sabiras angetan. „Hexen sind zumeist nicht hässlich. Das ist nur in Märchen so“, bemerkte sie, nachdem sie Walters Gedanken gelesen hatte und ergänzte: „Wo ist dann der Kleine?“

 

„Das habe ich gehört“, rief Edwin empört. Sabira lachte und ging mit Walter in sein Arbeitszimmer. „Dort drüben in der Schachtel“, sagte Walter. Sabira schwang ihren Zauberstab und murmelte einen langen, unverständlichen Zauberspruch. Augenblicklich stand Edwin in seiner ursprünglichen Größe auf dem Schreibtisch, allerdings völlig nackt. „Mit der Kleidung klappt das leider nicht“, erklärte die Hexe.

 

Walter war begeistert, wie schnell und einfach das ging. Das hätte er niemals so hinbekommen. Er mochte jedoch nicht daran denken, wie teuer der Spaß werden würde. „Die Rechnung hexen wir Ihnen dann zu. Wenn Sie mal wieder Hilfe brauchen. Unsere Nummer haben Sie ja“, sagte Sabira, setzte sich auf ihren Besen und flog aus dem offenen Fenster davon.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 06.11.2018

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